Man kann derzeit den vielen Berichten in den Medien über die Lage auf vielen Intensivstationen wirklich nicht entkommen. Land unter, Verzweiflung inmitten der vierten Corona-Welle und das in dem Krankenhausbereich, wo es um (Über)Leben oder Tod geht. Auch in den Reihen derjenigen, die den neuen Koalitionsvertrag ausgehandelt haben, wurde das aufgenommen und man hat darauf reagiert: »Es klang gut, was Olaf Scholz versprach: „Für die besonders geforderten Pflegekräfte in den Krankenhäusern und in den Pflegeheimen werden wir eine Bonuszahlung veranlassen.“ Eine Milliarde Euro stehe dafür bereit, so der designierte Kanzler bei der Vorstellung des Koalitionsvertrages Ende November.« Und nicht nur die Neuen wollen das: »Auch Angela Merkel und die Ministerpräsidenten hatten die Prämie zuvor bereits in Aussicht gestellt – speziell für die Intensivpflege, als Anerkennung ihrer Leistung in der vierten Welle. Der scheidende Gesundheitsminister Jens Spahn hatte „5.000 Euro plus x“ gefordert.« Die tun was.
Oder doch erst einmal nicht? Denn das Zitat stammt aus diesem Artikel von Christiane Hübscher, der so überschrieben ist: Vorerst keine Prämie für Intensivpfleger. Bitte? »Der geplante Bonus für Intensivpflegekräfte wird verschoben. Das Geld ist da, doch die neue Ampel-Regierung kann sich nicht auf die Formalitäten einigen.«
Was ist da los? Aus der Sonderzahlung für die Intensivpfleger wird zumindest kurzfristig nichts, die neue Ampelregierung verschiebt den geplanten Bonus nach ZDF-Informationen auf einen späteren Zeitpunkt. Die Koalitionäre baten das Bundesgesundheitsministerium, das in ihrem Auftrag bereits an einer Formulierungshilfe arbeitete, die Prämie zu streichen.
Und warum? Die Ampel-Koalitionäre konnten nicht einigen, welcher Personenkreis von der Sonderzahlung profitieren und nach welchen Kriterien die Ausschüttung ablaufen sollte.
„Hier geht Sorgfalt vor Schnelligkeit. Es gibt Vorschläge, wie wir das regeln können“, wird Sabine Dittmar, gesundheitspolitische Sprecherin der SPD, zitiert. Darüber werde man jetzt beraten.
Was war bislang geplant?
➔ Das Bundesgesundheitsministerium hatte vorgeschlagen, dass je nach Zahl der intensivbehandelten Covid19-Patienten für jedes Krankenhaus eine Summe ermittelt wird, die der Krankenhausträger in Abstimmung mit dem Betriebsrat dann eigenverantwortlich an seine Mitarbeiter ausschütten sollte. „Dabei soll jede Pflegekraft, die auf einer Intensivstation oder auf einer Station eingesetzt wird, auf der eine intensivmedizinische Behandlung stattfindet, eine Prämie in Höhe von 3.000 Euro erhalten“, heißt es in einem Entwurf aus dem BMG. Nicht nur die Pflegekräfte selbst, auch andere auf der Intensivstation Beschäftigte sollten laut Entwurf für die Prämie ausgewählt werden können. Man ahnt, was jetzt kommen muss: »Doch wer zählt alles dazu? Die Reinigungskraft, Techniker, der Pförtner? Wie groß der Kreis der Anspruchsberechtigten sein soll, darauf konnte man sich politisch nicht einigen.«
Und was heißt jetzt „Verschiebung“? »Eigentlich sollte die Prämienregelung im Zuge der erneuten Änderung des Infektionsschutzgesetzes diese Woche in den Bundestag eingebracht werden.« Daraus wird nun nichts. Stattdessen neue Versprechungen – für die Zeit nach den geruhsamen Weihnachtsferien (für die, die nicht an der Corona-Front Dienst machen müssen): Man werde die gesetzliche Regelung nun sofort zu Beginn des nächsten Jahres anpacken, so SPD-Gesundheitsexpertin Dittmar, „damit die Pflegekräfte ihre Prämien so schnell wie möglich bekommen können“.
Pflegekräfte hatten bereits im vergangenen Jahr einen Bonus erhalten. Für Pflegekräfte in Krankenhäusern gab es bis zu 1.000 Euro, in der Altenpflege bis zu 1.500 Euro.
Genau an dieser Stelle wird sich der eine oder andere daran erinnern: Hatten wir „damals“ nicht auch diese Geschiebe und Gewürge, wer und wer nicht was bekommen soll? Hatten wir. Darüber wurde hier in der ersten Corona-Welle beispielsweise in dem Beitrag Es hat sich ausgeklatscht und die versprochene Prämie für Pflegekräfte in der Altenpflege will keiner zahlen vom 20. April 2020 berichtet. Darin ging es um die „Corona-Sonderprämie“ in Höhe von 1.500 Euro für die besonderen Leistungen der Altenpflege. Der genannte Betrag resultierte damals aus einer zuvor von Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) erlassene Regelung, die beinhaltet, dass Arbeitgeber ihren Beschäftigten in diesem Jahr Corona-Sonderprämien bis zu 1.500 Euro gewähren können, ohne dass darauf Steuern und Sozialbeiträge erhoben werden.
Kaum hatte man die Belastungsprämie öffentlichkeitswirksam verkündet und in die Welt gesetzt, passierte das, was man in diesem Land oft erlebt: Aller Beteiligten versuchten, den anderen den Schwarzen Peter zuzuschieben und sich aus der Finanzierungsverantwortung zu stehlen. Vgl dazu dann auch den Beitrag Nur nicht sich selbst bewegen und mit dem Finger auf andere zeigen: Die Sonderprämie für Beschäftigte in der Altenpflege und die Reise nach Jerusalem bei der Frage: Wer zahlt (nicht)? vom 27. April 2020.
Man hat dann nach einigem Hin und Her eine Finanzierungslösung gefunden, aber das, was wir derzeit bei der neuen Prämie erneut serviert bekommen – also die Frage nach dem Verteilungsschlüssel -, das war auch schon im vergangenen Jahr Thema. Mit fatalen Folgen, wie in diesem Beitrag aufgezeigt wurde: Wenn eine am Anfang sicher gut gemeinte Anerkennungsprämie zu einem toxischen Spaltpilz mutiert. Bei der Corona-Prämie für Pflegekräfte sortiert und differenziert man sich ins Nirwana. Der wurde hier am 3. September 2020 veröffentlicht. In dem Beitrag ging es darum, dass nach Plänen von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn nach den Altenpflegekräften auch ein Teil des Pflegepersonals in den Kliniken eine Corona-Prämie bekommen sollte.
Und sofort begann die Abgrenzerei – damals hieß es seitens der Spitzenverbände der Krankenhäuser und der Gesetzlichen Krankenversicherung zur Frage, wer denn die sensationelle Prämie in Höhe von 1.000 Euro bekommen soll (und wer nicht): Grundlegend sollen Pflegekräfte im Sinne der „Pflege am Bett“ begünstigt werden. Die Auswahl der anspruchsberechtigten Pflegekräfte und die Definition der individuellen Prämienhöhe für die Pflegekraft – je nach pandemiebedingter Belastung – obliegt dem Krankenhausträger in Abstimmung mit der Mitarbeitendenvertretung. Man ahnt schon, was das in praxi für Folgen haben wird: man muss all diese schwammig daherkommenden Begriffe mit abgrenzbaren Leben füllen, also wer kommt rein und wer muss draußen bleiben. Und die Verbände haben sich dann förmlich überschlagen bei der Ausgestaltung der Abgrenzungsregeln: »Die Mittel aus dem 100-Millionen-Euro-Topf werden den Krankenhäusern zugewiesen, die bis zum 30.9.2020 eine bestimmte Mindestzahl von COVID-19-Fällen vorweisen. Damit ist der Grad der Betroffenheit eines Krankenhauses durch die Pandemie ausschlaggebend für die Einbeziehung in das Konzept. Die Zuordnung der Mittel für Corona-Prämien auf anspruchsberechtigte Krankenhäuser soll anhand von objektiven Kriterien zielgenau zu je 50 Prozent nach pandemiebedingter Belastung und bedarfsgerecht nach vorhandenem Pflegepersonal ausgestaltet werden.« Spätestens an dieser Stelle wurde deutlich, dass man aus dem Thema ein eigenständiges Bachelor-Studium konstruieren kann.
Was da im vergangenen Jahr abgelaufen ist (und was sich derzeit zu wiederholen droht), wurde hier so bilanziert und kommentiert:
»… man muss … damit rechnen, dass hinter den Abgrenzungs-Klimmzügen nicht nur banale budgetäre Interessen stehen, also die Mittel möglichst klein zu halten oder den Empfängerkreis an ein vorgegebenes Budget anzupassen, sondern dass man durchaus logische Widersprüche auf die Tagesordnung setzen könnte, die im Ergebnis zu einer vielfältigen Spaltung der Beschäftigtenlandschaft führen würde: Nehmen wir als ein Beispiel die angesprochenen nicht von einer Prämie beglückten Reinigungskräfte, die eine besondere Verantwortung und auch sicher Mehraufwand hatten, wenn sie denn mit Covid-19-Patienten zu tun hatten. Da liegt ein gewaltiger Sprengsatz. Was, wenn sie gar nichts mit Corona-Patienten zu tun hatten? Was auch auf viele Pflegekräfte in der ersten, heißen Phase der Pandemie zutraf? Wo durch die Stilllegung ganzer Abteilungen endlich – es sei ihnen gegönnt – Überstunden abgebaut werden konnten? In denen Personal sogar in Kurzarbeit geschickt wurde, weil durch die Absage aller nicht unbedingt notwendigen diagnostischen und therapeutischen Verfahren schlichtweg wenig zu tun war? Jetzt könnte man in der vor uns liegenden Debatte möglicherweise eine Berücksichtigung auch des Reinigungspersonals, das an der Corona-Front gekämpft hat, durchsetzen. Aber was ist dann eigentlich mit den vielen Reinigungskräften, die möglicherweise (wer weiß das schon) mit ihrer Arbeit in den Heimen dazu beitragen haben, dass es nicht zu Corona-Fällen gekommen ist? Müssten die nicht eigentlich auch? Und man darf gewiss sein, dass sich solche, von außenstehenden Beobachtern sicher als mindestens „merkwürdig“ charakterisierten Diskussionen Bahn brechen werden. Und ob gewollt oder als faktisches Ergebnis, zahlreiche Spaltungs- und Abgrenzungserfahrungen befördern werden. Kann man so etwas wirklich wollen? Ist es das wert?
Aber was soll man sich aufregen über einen möglicherweise neuen Spaltpilz, der hier auch noch in die Krankenhäuser getragen wird? Nach den Weihnachtsferien und einem (für die nicht in Pflegeheimen, Pflegediensten und Kliniken tätigen Menschen) geruhsamen Rutsch ins neue, dritte Corona-Jahr wird die neue Bundesregierung irgendeine Lösung finden. Bis dahin muss man den betroffenen Pflegekräften zurufen: Wir sind ganz fest bei euch. In Gedanken.
Nachtrag am 07.12.2021:
Natürlich könnte der eine oder andere auf die Idee kommen, dass es nicht nur um eine einmalige Zulage gehen sollte, die man dann auch noch auf die Streckbank der Zuständigkeits- und Verteilungsregelung packt. Vor diesem Hintergrund ist dann diese dpa-Meldung vom 7. Dezember 2021 interessant:
»Der Freistaat Bayern startet eine Initiative im Bundesrat mit dem Ziel, die Einkommen für Pflegekräfte vor allem auf Intensivstationen für die nächsten zwölf Monate deutlich zu erhöhen. Das Personal soll am Ende auf ein verdoppeltes Nettoeinkommen kommen, wie das bayerische Kabinett am Dienstag beschloss.
Erreicht werden soll das einerseits über eine befristete Befreiung von der Lohnsteuer sowie über eine deutliche Ausweitung der vom Bund ohnehin geplanten Pflegeprämie. Bedacht werden soll den Plänen zufolge neben Intensivpflegekräften auch Pflegepersonal mit einem vergleichbaren klinischen Einsatzbereich.
Perspektivisch müsse jedoch auch noch mehr Pflegepersonal etwa in der Langzeitpflege entlastet werden. Dies sei etwa durch Steuerbefreiung zumindest von Zuschlägen und Sonderzahlungen möglich.«