Die osteuropäischen Erntehelfer im Spannungsdreieck von aktueller Corona-Aufmerksamkeit, Zahnlosigkeit der EU und immer wieder das massive Kontrolldefizit des Staates

Die Corona-Krise hat so einige Tatbestände aus dem Schattenreich ans Tageslicht gefördert und einen Blick auf das eröffnet, was ansonsten im Unsichtbaren bleibt. Das gilt – gerade in der Anfangszeit der Pandemie – für die unzähligen Arbeitskräfte aus dem Osten Europas, die in Deutschland arbeiten und Wert schöpfen. So wurde in diesem Blog bereits am 6. April 2020, lange vor den vielen Corona-Infektionen in den Schlachthöfen des Landes, diese Zeilen veröffentlicht: »Zuweilen schafften es sogar die (wie wir jetzt lernen) „Systemrelevanten“ aus dem Dunkelfeld für einen Moment in die Randzonen der öffentlichen Aufmerksamkeit, man denke hier beispielsweise an die vielen osteuropäischen Leiharbeiter und Werkvertragsarbeitnehmer, mit denen man die deutschen Billig-Schlachthöfe bestückt und am Laufen hält. Dazu nur dieses Zitat: „Wenn unsere Osteuropäer auf Heimatbesuch fahren, dort aber zwei Wochen in Zwangsquarantäne müssen oder nicht mehr nach Deutschland einreisen dürften, dann stehen bei uns bald die Räder still“. Diese Worte stammen von Clemens Tönnies vom gleichnamigen Schlacht- und Fleischkonzern aus Ostwestfalen.«

In dem Beitrag Erntehelfer: Die Unverzichtbaren unter den bislang „unsichtbaren“ Systemrelevanten. Erst nicht mehr rein, jetzt doch (einige) rein. Und eine bemerkenswerte Doppelmoral ging es aber um andere Saisonarbeitern, die vor dem Hintergrund des enormen Wohlstandsgefälles innerhalb der heterogenen EU regelmäßig zu uns kommen: die Erntehelfer. Damals rückte diese Gruppe für einen Moment lang in das Schweinwerferlicht der öffentlichen Aufmerksamkeit, weil die Bundesregierung Ende März einen Einreisestopp verhängt hatte, der aber schnell wieder korrigiert werden musste, als die landwirtschaftlichen Betriebe Land unter gemeldet hatten. Und das kurz vor der Spargel & Co.-Ernte.

Bereits am 2. April wurde dann seitens der Bundesregierung eine Kehrtwende dergestalt verkündet, dass man nunmehr einem Kontingent von 80.000 Erntehelfern trotz der zahlreichen coronabedingten Beschränkungen für April und Mai die Arbeitseinreise gestattet hat. »Mithilfe einer Sonderregelung wegen der Coronakrise sind im Frühjahr insgesamt 40.300 ausländische Saisonkräfte nach Deutschland gekommen. Das teilte der Bauernverband auf Basis von Daten der Bundespolizei mit. Damit wurde das mögliche Kontingent von bis zu 80.000 ausländischen Erntehelfern zur Hälfte ausgeschöpft«, wurde dann im Juni berichtet (vgl. Mehr als 40.000 Erntehelfer kamen trotz Corona). Nicht berücksichtigt in diesen Zahlen sind die vielen Erntehelfer, die unter dem offiziellen Radar nach Deutschland gekommen sind und hier gearbeitet haben bzw. noch arbeiten.

Und dann gab es eine kurze Zeit lang einige kritische Bericht über die Arbeits- und Lebensbedingungen der Erntehelfer in Deutschland, weniger wegen den Bedingungen an sich, sondern vor allem (wie später dann bei den Tönnies-Arbeitern auch) wegen der „Infektionsgefahr“, die von ihnen ausgehen könnte bzw. auch tatsächlich ausgeht (weitaus seltener wurde darauf hingewiesen, welcher Gefahr sich die betroffenen Arbeiter durch den Arbeitseinsatz hier bei uns aussetzen). Einige Journalisten haben „damals“ etwas genauer hingeschaut und sind dann zu solchen Erkenntnissen gekommen:

»Trotz der Corona-Schutzregelungen für Erntehelfer („Saison-Arbeitskräfte“) kommt es zu Verstößen gegen allgemein geltende Regeln des Gesundheitsschutzes. Nach Panorama-Recherchen werden Erntehelfer in großen Betrieben, etwa in Rheinland-Pfalz, weiterhin in Gruppen von 40 bis 70 Personen in einem Anhänger vom Hof zu den Feldern transportiert. Dabei tragen sie offenbar keine Masken. Arbeitsgruppen haben eine Größe von bis zu 45 Personen. Viele Erntehelfer schlafen auch auf zu engem Raum. Eigentlich sollen laut Hygieneschutzbestimmungen Zimmer nur halb belegt werden. Erntehelfer schildern aber, dass sie wie in den Jahren zuvor in voll besetzten Mehrbettzimmern in Wohn- Container schlafen – Bett an Bett.« ( Die Ernte ist sicher – nur die Erntehelfer nicht, Beitrag des ARD-Politikmagazins „Panorama“ vom 23. April 2020). Es folgen weitere Berichte in den Medien über die tatsächlichen Arbeitsbedingungen – auf die seit Jahren immer wieder, meistens ohne größere Resonanz, hingewiesen wird. Dabei ging es vor allem um die bei genauerem Hinschauen erkennbare Nicht-Einhaltung der mit vielen und großen Worten seitens der Verantwortlichen angekündigten „umfassenden Hygiene-Auflagen“, mit denen die Ängste vor einer Ausbreitung des Virus über die vielen auf engstem Raum arbeitenden und untergebrachten Erntehelfer genommen werden sollten. Letztendlich konnte das aber immer nur beispielhaft nachgewiesen werden, so dass man sich immer auf bedauerliche „Einzelfälle“ zurückziehen konnte.

Bereits am symbolträchtigen Tage der Arbeit, also am 1. Mai, wurde hier unter der Überschrift Was ist eigentlich aus den rumänischen Erntehelfern geworden, die zur Rettung des deutschen Spargels eingeflogen wurden? Von medialen Blitzlichtern und einer Ministerin, die für Landwirte alle Register zieht darauf hingewiesen, dass das mediale Interesse deutlich nachgelassen hatte und die Erntehelfer wieder in den gewohnten Raum der Nicht-Sichtbarkeit verschwanden. Am 11. Juni 2020 wurde vor diesem Hintergrund unter der Überschrift Die für einen kurzen Moment sichtbar gewordenen unsichtbaren Erntehelfer sind erneut im medialen Schattenreich – und sollen wieder alle kommen dürfen ein vorläufiges Ende der Auseinandersetzung mit dem Thema Erntehelfer bilanziert. Das punktuell fokussierte Medieninteresse hatte sich zwischenzeitlich auf die Welt der Schlachthöfe verschoben, ausgelöst durch die Infektionswelle bei Tönnies in Rheda-Wiedenbrück. Dabei liegen die Verbindungen und Gemeinsamkeiten zwischen dem, was in den Schlachthöfen passiert (ist) und den Problemen vieler Erntehelfer auf der Hand: Es handelt sich vor allem um osteuropäische Saisonarbeiter, in unterschiedlichen Bereichen, aber mit vielen strukturellen Gemeinsamkeiten.

Das Virus ist nicht weg. Erneut hebt es die Erntehelfer (noch einmal) auf die Bühne der Berichterstattung

Nun hätte sich der Mantel des Desinteresses wieder über die vielen Saisonarbeiter legen können, wenn da nicht dieses hinterhältige Virus wäre. 174 Erntehelfer auf Hof in Niederbayern mit Corona infiziert: Bei einer Reihenuntersuchung alle Mitarbeiter auf dem Bauernhof, auf dem hauptsächlich Gurken angebaut werden, getestet. Der gesamte Betrieb steht unter Quarantäne. Das bedeutet, dass momentan alle 480 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – darunter auch die negativ getesteten – sowie die Betriebsleitung das Betriebsgelände nicht verlassen dürfen, berichtet der Bayerische Rundfunk. »Die Erntehelfer kommen aus Osteuropa – es handelt sich vorwiegend um rumänische Saisonarbeiter. Sie sind hauptsächlich in Wohncontainern untergebracht.« Und dieses Zitat ist so bezeichnend: Landrat Bumeder bat die Bevölkerung, Ruhe zu bewahren: „Nach unseren Informationen handelt es sich um einen in sich geschlossenen Personenkreis.“ Der wird jetzt eben abgesondert und von den „normalen“ Menschen isoliert. Den einen oder anderen wird das an den Umgang mit den osteuropäischen Werkvertragsarbeitern, die bei Tönnies gearbeitet haben und unter Quarantäne gestellt wurden, erinnern (vgl. dazu ausführlicher den Beitrag Tönnies darf wieder Schweine schlachten und zerlegen lassen. Und wie geht es mit denen weiter, die das „Schweine-System“ am Laufen halten? vom 17. Juli 2020).

Natürlich geht es bei solchen Ausbrüchen immer auch um die „Schuldfrage“, zumindest in der öffentlichen Diskussion. Vor diesem Hintergrund sind dann solche Meldungen einzuordnen: Corona-Ausbruch bei Erntehelfern: Scharfe Kritik an Großbetrieb: »Nach dem Corona-Ausbruch unter Erntehelfern im niederbayerischen Mamming hat Gesundheitsministerin Melanie Huml die Zustände in dem Großbetrieb kritisiert … Das Hygienekonzept scheine nicht adäquat umgesetzt worden zu sein, sagte die Ministerin bei einer Pressekonferenz in Dingolfing.« Und dann muss man immer auch Handlungsfähigkeit signalisieren: »Die Staatsregierung will nun in einer „Corona-Testoffensive“ auf großen Höfen die Erntehelfer untersuchen lassen.«

Und man kann den bisherigen Berichten auch das hier entnehmen: »Wie der Landrat des Landkreises Dingolfing-Landau, Werner Bumeder (CSU), ausführte, war die vorgeschriebene Trennungen der Erntehelfer-Gruppen von 25 Personen nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden sein.« Natürlich könnte der eine oder andere, der an dieser Stelle pausiert und nachdenkt, auf die an sich naheliegende Frage kommen, ob das nicht auch auf ein Aufsichtsversagen hindeuten könnte, also wurde die Einhaltung der Auflagen denn überhaupt kontrolliert? Bekanntlich bedeutet eine theoretische Vorschrift nun keineswegs, dass die auch praktisch eingehalten wird. Oder haben wir auch im vorliegenden Fall den Tatbestand, dass die Betriebe, in denen Erntehelfer eingesetzt werden, so gut wie überhaupt nicht kontrolliert wurden/werden? Und man jetzt Aktivismus simuliert, um davon abzulenken? Zumindest solche Fragen müssen gestellt werden. Aber anderes scheint bedeutsamer zu sein:

Der Landrat appellierte an die Bürger, Ruhe zu bewahren: »Das Gelände ist derzeit von einem Absperrzaun umgeben und wird durch einen Sicherheitsdienst unter Unterstützung der Polizei bewacht. Offenbar waren Erntehelfer allerdings auch in Mamming privat zu Lebensmittel-Einkäufen unterwegs. Allerdings berge dieses Einkaufen unter Einhaltung der Hygiene-Auflagen ein niedriges Ansteckungsrisiko, so Bumeder.«

Immerhin gibt es kritische Töne seitens der Opposition: »Unterdessen übt die Opposition im bayerischen Landtag scharfe Kritik an der Staatsregierung. SPD-Verbraucherschutzexperte Florian von Brunn sieht die Söder-Regierung in der Mitverantwortung. „Gerade die Hygienebedingungen am Arbeitsplatz und die Wohnverhältnisse müssen aus unserer Sicht scharf kontrolliert werden. Das ist offensichtlich nicht passiert. Dieser Ausbruch kam mit Ansage. Markus Söder und die zuständige Ministerin Huml tragen deshalb eine Mitverantwortung.“ Schon nach dem Corona-Ausbruch in einem Wiesenhof-Schlachthof Mitte Mai habe man ein Sonderkontrollprogramm auch für Bauernhöfe mit Erntehelfern gefordert, so von Brunn.«

Kann Europa helfen? Die EU war und ist bemüht – bleibt aber ein zahnloser Haustiger

Zum einen haben wir es mit strukturellen Problemen zu tun beim Einsatz von Saisonarbeitern aus anderen Ländern, zum anderen ist das nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen EU-Staaten ein Thema. Die EU-Kommission sagt dazu: »Mehr als 17,6 Millionen Europäerinnen und Europäer leben bzw. arbeiten in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie nicht besitzen. Bestimmte Sektoren der europäischen Wirtschaft, insbesondere die Agrar- und Ernährungswirtschaft und der Fremdenverkehr, sind für bestimmte Zeiträume des Jahres auf die Unterstützung von Saisonarbeitskräften aus anderen EU- und aus Nicht-EU-Ländern angewiesen. Die Kommission schätzt, dass der Durchschnitt der aktiven Saisonarbeitskräfte in der EU pro Jahr zwischen mehreren Hunderttausend und einer Million liegt.« Das findet man in dieser Mitteilung der Kommission vom 16. Juli 2020: Coronakrise: Europäische Kommission fordert Maßnahmen zum Schutz von Saisonarbeitskräften. Dort heißt es: »Die Europäische Kommission legt heute Leitlinien vor, um den Schutz von Saisonarbeitkräften in der EU vor dem Hintergrund der Coronavirus-Pandemie zu gewährleisten. Sie bietet den nationalen Behörden, den Arbeitsaufsichtsbehörden und den Sozialpartnern Orientierungshilfen, um die Rechte, die Gesundheit und die Sicherheit von Saisonarbeitskräften zu gewährleisten und sicherzustellen, dass Saisonarbeitskräften ihre Rechte bekannt sind.« Das klingt auf den ersten Blick vielversprechend, wenn da nicht Begriffe wären wie „Orientierungshilfen“. »In den Leitlinien werden die nationalen Behörden und die Sozialpartner aufgefordert, neue Anstrengungen zu unternehmen, um ihrer Aufgabe, die ordnungsgemäße Anwendung und Durchsetzung der Vorschriften sicherzustellen, gerecht zu werden. Die Leitlinien enthalten konkrete Empfehlungen und Vorschläge für Maßnahmen, die auf nationaler oder EU-Ebene durchgeführt werden sollen.«

➔ EU-Kommission (2020): Leitlinien für Saisonarbeitnehmer in der EU im Zusammenhang mit dem COVID-19-Ausbruch, 16.07.2020
Diese Leitlinien ergänzen die am 30. März 2020 veröffentlichten Leitlinien für die Ausübung der Freizügigkeit der Arbeitskräfte während des COVID-19-Ausbruchs.

Im Kern bleibt ein Appell an die einzelnen Mitgliedsstaaten, denn die Handlungsmöglichkeiten der Kommission selbst sind mehr als begrenzt:

»Die Kommission hat eine Reihe von Maßnahmen zur Stärkung des Schutzes der Rechte von Saisonarbeitskräften geplant, darunter:
➞ eine Studie zur Erhebung genauer Daten über Saisonarbeit innerhalb der EU und zur Ermittlung der wichtigsten Herausforderungen, auch im Zusammenhang mit der Vergabe von Unteraufträgen;
➞ eine Erhebung zu Berufen mit hohem Risiko, einschließlich Saisonarbeit, die von der EU-OSHA in enger Zusammenarbeit mit dem Ausschuss Hoher Arbeitsaufsichtsbeamter durchgeführt wird;
➞ eine Sensibilisierungskampagne, die von der Europäischen Arbeitsbehörde koordiniert wird und auf Sektoren ausgerichtet ist, die der Saisonarbeit stärker ausgesetzt sind;
eine Anhörung der europäischen Sozialpartner zur Saisonarbeit;
➞ eine vergleichende Analyse in verschiedenen Mitgliedstaaten durch das Netz der Rechtsexperten für Freizügigkeit und Koordinierung der sozialen Sicherheit (MoveS);
Unterstützung der Mitgliedstaaten durch die Europäische Plattform zur Bekämpfung nicht angemeldeter Erwerbstätigkeit und die Kampagne # EU4FairWork4‚ um Arbeitnehmer/innen und Arbeitgeber stärker für Rechte und Pflichten zu sensibilisieren.«

Warum ist es so schwer, die betroffenen Saisonarbeiter zu schützen?

Bereits angesprochen wurde das sicher nicht nur auf Deutschland begrenzte eklatante Aufsichtsversagen des Staates. Wenn keiner hinschaut, dann findet man auch nichts. »Überfüllte Zimmer, Akkordlohn, wenig Pausen: Wie schlecht die Arbeitsbedingungen für Saisonarbeiter sind, zeigt die Krise. Warum ist es so schwer, daran etwas zu ändern?«, so auch die Frage von Luisa Jacobs in ihrem Artikel Und wer rettet die Erntehelfer? vom 4. Juni 2020. »Häufig meldeten sich die Erntehelfer gegen Ende der Saison. Das hat gute Gründe. Denn oft werden Erntehelfer erst am Ende für ihre Arbeit bezahlt und merken dann zum Beispiel, dass ihnen mehr Geld für die Unterkunft abgezogen wurde, als sie erwartet hatten … Viele Rumänen kommen, weil sie in Deutschland auf klare Regeln und faire Bezahlung hoffen. In ihrer Heimat verdienen sie ausgesprochen wenig.« Wenn man weiß, dass der gesetzliche Mindestlohn in Rumänien nach der letzten Anhebung zum 1. Januar 2020 derzeit bei 2.230 Lei (ca. 466 Euro) für eine durchschnittliche Vollzeitbeschäftigung von 167,33 Stunden liegt, dann wird verständlich, warum es immer wieder Nachschub gibt aus den Armenhäusern der EU für die Saisontätigkeiten in Deutschland (und anderen reicheren EU-Staaten).

Auch Jacobs verweist auf das Kontrollproblem: »Fehlt es also schlicht am politischen Willen, die Missstände in der Saisonarbeit ganz zu unterbinden? So einfach ist es nicht. Der Mindestlohn gilt auch für die Arbeiterinnen und Arbeiter aus Osteuropa. Der Arbeitsschutz ebenso. Nur kontrolliert wird das oft nicht. Und da wird es kompliziert: Zuständig dafür ist je nach Bundesland und nach Art des Problems (Arbeitszeit, Lohn oder Unterkunft) eine andere Institution. Die Lohnabrechnung muss der Zoll kontrollieren, die Unterkünfte die Berufsgenossenschaft in der Regel, und momentan ist wegen der Pandemie das Gesundheitsamt zuständig. „Kontrollen zu Arbeitsschutz und Hygieneauflagen finden viel zu selten statt“,«, so die Kritik aus den Reihen der zuständigen IG BAU.

Und die IG BAU versucht auch, »Saisonkräfte in die Gewerkschaft zu bringen. Doch leicht ist das nicht. Eine Gewerkschaftsmitgliedschaft kostet einen kleinen Prozentsatz des Bruttogehalts. Saisonarbeiter, die kaum Deutsch sprechen und oft am Ende der Saison wieder abreisen, sind noch schwerer vom Wert einer Mitgliedschaft zu überzeugen. Die IG Bau hat sich deshalb eine besondere Mitgliedschaft speziell für Saisonarbeiter ausgedacht, die sich direkt nach ihren Bedürfnissen richtet und automatisch nach einem Jahr endet. Niemand solle in Rumänien noch ein Kündigungsformular ausfüllen müssen, erklärt Kuschel. Im kommenden Jahr kann die Mitgliedschaft dann erneuert werden. Bisher halte sich das Interesse jedoch in Grenzen.«

»Zehntausende Saisonarbeiter ernten jedes Jahr in Deutschland Spargel und Erdbeeren. Die Gewerkschafterin Catalina Guia betreut solche Menschen – sie erzählt von Angst und unhaltbaren Zuständen«, so beginnt ein Interview mit ihr unter der aufschlussreichen Überschrift „Arbeitgeber wetten darauf, dass die Menschen sich nicht wehren“. Sie wird nach der Lage für Wanderarbeiter in dieser Saison gefragt: »In diesem Jahr kamen die Verstöße gegen Hygieneauflagen hinzu, ansonsten sind die Probleme seit Jahren dieselben: Die Menschen arbeiten zu viel, bis zu 12 oder 13 Stunden pro Tag, auch am Wochenende. Dann die Unterkünfte: Es gab Fälle, in denen Arbeiter zu zehnt in einem heruntergekommenen Zimmer schliefen. Das ist nicht zulässig. Zwei bis maximal vier Personen pro Raum sind jetzt erlaubt, aber viele Betriebe halten sich trotz Corona nicht daran. Ein weiteres Problem ist die Hygiene. Abstand zu halten war oft nicht möglich, weil sich zum Teil 150 Menschen eine Küche, zwei Toiletten und vier Duschen teilen mussten. Bei der Arbeit selbst haben die Menschen berichtet, dass sie keine Masken oder Desinfektionsmittel bekommen haben. Auch in Bussen, die die Arbeiterinnen und Arbeiter auf die Felder gebracht haben, konnte oft kein Abstand gehalten werden.«

»Die wenigsten sind gewerkschaftlich organisiert, obwohl es auch Angebote für Saisonarbeiter gibt. Aufbegehrt wird höchstens mal, wenn es um die Löhne geht. Es wird viel im Akkord gearbeitet, also etwa pro Kiste Spargel ein gewisser Betrag bezahlt. Oft führt das dazu, dass im Endeffekt weniger ausbezahlt wird als versprochen, und deutlich unter dem Mindestlohn. Ich habe Fälle erlebt, da haben die Leute drei bis fünf Euro die Stunde verdient«, so Catalina Guia von der DGB-Beratungsstelle „Arbeit und Leben“. Sie betreut seit fünf Jahren rumänische Saisonarbeiterinnen und -arbeiter, die auf deutschen Feldern Spargel und Erdbeeren ernten. »Akkordarbeit ist erlaubt, aber nicht, wenn damit der Mindestlohn umgangen wird. Die geleisteten Stunden müssen in der Lohnabrechnung stehen, und das ist sehr oft nicht der Fall. Bei der Abrechnung wird auch oft getrickst. Es stehen unzulässige Abzüge darauf, mit dem Ergebnis, dass die Leute weit unter dem Mindestlohn verdienen.«

Zu den immer wieder beobachteten Tricks der Arbeitgeber: »Meistens wird mit der Miete getrickst. Bei der Anwerbung im Herkunftsland wird vielen versprochen, sie könnten umsonst wohnen oder für kleines Geld, 100 Euro etwa. Später erfahren sie, dass sie deutlich mehr bezahlen müssen. Die Lohnabrechnung gilt dann gleichzeitig als Mietvertrag, doch das ist verboten. Auch beim Essen wird geschummelt. Man kann den Arbeitern bis zu sieben Euro pro Tag für Essen abziehen, das wird oft überschritten. In Quarantäne-Zeiten haben Arbeitgeber angeboten: Wir können für euch einkaufen. Die Leute sollten einfach auf einem Formular eintragen, was sie brauchen. Die Kosten wurden dann vom Lohn abgezogen. Aber es kam vor, dass gar keine Quittungen ausgehändigt wurden, der Arbeitgeber konnte abziehen, was er wollte.«

Die Kontrollproblematik wird auch von Catalina Guia bestätigt und so auf den Punkt gebracht: »Die Kontrollen in Deutschland reichen nicht aus. Es mangelt den Behörden an Personal, um die mehr als 20.000 Betriebe mit Wanderarbeitern überprüfen zu können. Für baurechtliche Fragen und Brandschutz in den Unterkünften sind meist die Landkreise zuständig. Was da an Bruchbuden teils über Jahre geduldet wird, ist abenteuerlich. Hinzu kommt: Die Probleme der Wanderarbeiter scheinen bei den Behörden nicht unbedingt ganz oben auf der Prioritätenliste zu stehen.« Und wenn es mal Arbeitsschutzkontrollen gibt, dann werden die unterlaufen: »Die Arbeitnehmer werden bedroht, nicht die Wahrheit zu erzählen. Sie sollen den Kontrolleuren sagen: „Hier ist alles in Ordnung, es gibt keine Akkordarbeit, wir werden pro Stunde bezahlt.“ Das habe ich selbst auf Höfen erzählt bekommen. Wer sich nicht daran hält, dem wird mit Entlassung gedroht.«

Warum machen die dann die Arbeit? »Sie sichert die Ernährung der Familien, die Ausbildung der Kinder, mitunter auch den Bau oder die Renovierung eines Hauses daheim. Die Angst, die Arbeit zu verlieren, ist groß. Die Leute leben abgeschottet, oft bleiben die Verstöße im Verborgenen. In diesem Jahr sind wir über soziale Medien wie Facebook teils früher an Informationen zu Problembetrieben gekommen. Aber meist erfahren wir von der Ausbeutung erst im Nachhinein.«

Was könnte man tun? Beispielsweise die Unternehmen, die gegen Normen verstoßen, öffentlich an den Pranger stellen:

»Die Betriebe agieren im Schatten und scheuen sich davor, sichtbar zu werden – durch Corona hat sich das bereits etwas geändert. Optimal ist eine solche „Name-and-shame“-Lösung nicht, doch es wird nicht anders gehen.«

Darüber hinaus: »Aber auch in ihrer Heimat müssen die Leute besser über ihre Rechte aufgeklärt werden. Länder wie Rumänien und Bulgarien können da ihre Hände nicht in Unschuld waschen und nur sagen: Das ist ein deutsches Problem. Es muss zudem mehr kontrolliert und härter bestraft werden. Arbeitgeber sollten nicht weiter darauf wetten, dass die Menschen sich nicht wehren. Wer Menschen schlecht behandelt und Sozialbetrug betreibt, sollte damit rechnen müssen, dass sein Betrieb geschlossen wird.«