Die Rechnung bitte. Was eine bessere Bezahlung von Pflegekräften kosten würde

In den vergangenen Monaten durfte diese Forderung bei keiner Sonntagsrede fehlen. „Die“ Pflegekräfte müssen besser bezahlt werden. Für diese wichtige Arbeit muss man in der Pflege mehr verdienen. Nun sind solche Forderungen immer erst einmal wohlfeil und viele können dem zustimmen – wenn und solange das allgemein und abstrakt bleibt. Richtig interessant wird es dann, wenn man das Mehr beziffert und die notwendigen Kosten zu benennen versucht. Denn die müssen – von wem und wie? – finanziert werden. Dann heißt es: Farbe bekennen.

Nun ist das mit „der“ Pflege und „den“ Pflegekräften immer so eine Sache, bei der es oftmals durcheinander geht. Von welcher Pflege reden wir? Von der Krankenhauspflege? Der Altenpflege und hier den Pflegeheimen oder den ambulanten Pflegediensten? Und wer ist mit Pflegekräfte gemeint – die Pflegehelfer oder die Pflegefachkräfte oder beide gleichzeitig?

Dass man hier mit Blick auf die Vergütung schon genauer hinschauen muss, wurde in diesem Blog immer wieder herausgearbeitet. So in dem Beitrag Jenseits der Schaumschlägereien: Die Entlohnung in „der“ Pflege. Die ist gerade nicht ein Thema für die letzten Wahlkampfmeter vom 20. September 2017. Wir befanden uns damals im Bundestagswahlkampf und die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) war im Land unterwegs mit der wohlfeilen Forderung, dass Pflegekräfte besser bezahlt werden sollten. »Die derzeitige Entlohnung sei „im Hinblick auf die Belastungen, die dieser Beruf mit sich bringt, nicht angemessen“, so wurde Merkel damals von Bild am Sonntag zitiert. Und der damalige SPD-Kanzlerkandidat Schulz versprach einen „Neustart in der Pflegestruktur“ in den ersten 100 Tagen seiner (möglichen) Amtszeit. „Dazu gehören drei Dinge: mehr Personal, bessere Bezahlung des Personals und Pflegeplätze.“ Die Gehälter müssten um mindestens 30 Prozent angehoben werden. Das mit den 30 Prozent war schon etwas genauer als die allgemein gehaltene Forderung der Bundeskanzlerin.

Aber auch damals ging eine Menge munter durcheinander: »Viele Pflegekräfte arbeiten am Limit – auch weil Kliniken schwer Mitarbeiter finden. SPD-Politiker Karl Lauterbach will den Job mit mehr Lohn attraktiv machen, zulasten der Pflegeversicherung«, so eine Meldung unter der Überschrift Lauterbach verlangt 30 Prozent Lohnplus. Ja was denn nun, möchte man dem Verfasser des Textes zurufen. Geht es um die Pflege in den Krankenhäusern oder um die Altenpflege? Denn das sind zwei unterschiedliche Bereiche, die man auseinanderhalten sollte. Und die Pflegeversicherung hat nichts mit den Pflegekräften im Krankenhaus zu tun, sondern mit denen in der Altenpflege nach SGB XI.

Ein seit Jahren bekannter Befund: Die Fach- und Hilfskräfte in der Altenpflege werden deutlich schlechter bezahlt als die in der Krankenhauspflege. Dazu beispielsweise schon der Beitrag Die einen eher gut, die anderen deutlich schlechter und viele nur zum Teil. Was man in den Pflegeberufen in Deutschland verdient vom 27. Januar 2015. Im Schnitt über alle Bundesländer (mit einer erheblichen Streuung) wurde damals von einem Vergütungsgefälle zwischen der Alten- und Krankenhauspflege von 19 Prozent gesprochen, teilweise war das sogar noch deutlicher ausgeprägt. Neuere Zahlen über die Vergütung in der Altenpflege mit dem Bezugsjahr 2017 findet man in diesem Beitrag vom 22. August 2018: Zwischen Gottes Lohn und „marktgerechter“ Vergütung: Was Hilfs- und Fachkräfte in der Pflege verdienen und warum die Altenpflege (auch) entgeltmäßig eine Großbaustelle werden muss.

Wenn man nun also eine bessere Bezahlung „der“ Pflegekräfte in den Raum stellt, dann wäre zu konkretisieren, dass ungeachtet der Tatsache, dass man den Pflegekräften in den Krankenhäusern ein höheres Salär wünschen würde, in einem ersten Schritt eine Angleichung der niedrigeren Gehälter in der Altenpflege an die der Krankenpflege ins Visier zu nehmen wäre. Allein dieser erste Schritt würde erhebliche Konsequenzen für die damit verbundenen Ausgaben haben. Dazu die Ausführungen in dem Beitrag Jenseits der Schaumschlägereien: Die Entlohnung in „der“ Pflege. Die ist gerade nicht ein Thema für die letzten Wahlkampfmeter vom 20. September 2017. Aber über welche Größenordnung reden wir hier? Man kann versuchen, sich dem rechnerisch anzunähern, wie das Greß und Jacobs (2016) kalkuliert haben:

➔ Stefan Greß und Klaus Jacobs (2016): Kosten und Finanzierung von Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel in der Pflege, in: Klaus Jacobs et al. (Hrsg.): Pflege-Report 2016. Schwerpunkt: Die Pflegenden im Fokus, Stuttgart 2016

»Allein eine Angleichung der Vergütung in der Altenpflege an die der Krankenpflege – bei konstantem Qualifikationsniveau und konstanter Beschäftigtenzahl – hätte vergleichsweise dramatische finanzielle Auswirkungen. Nach unseren Berechnungen liegt – unter Berücksichtigung der Bevölkerungsanteile in West- und Ostdeutschland und der Arbeitgeberkosten für Sozialausgaben – der jährliche Vergütungsunterschied zwischen Kranken- und Altenpflege für eine Fachkraft bei etwa 8.862 Euro und für einen Helfer bzw. eine Helferin bei etwa 7.773 Euro. Eine entsprechende Angleichung würde einen dauerhaften Finanzierungsbedarf von rund 5,9 Mrd. Euro nach sich ziehen.« (Greß/Jacobs 2016: 266).

Die Angleichung der Vergütung der Altenpflegekräfte an die in der Krankenhauspflege würde überschlägig einen Mehrbedarf von knapp 6 Mrd. Euro pro Jahr generieren. Und das ist als Untergrenze zu verstehen, denn Greß und Jacobs sind bei ihren Berechnungen noch ein Schritt weiter gegangen: »Sämtliche Konzepte zur qualifikatorischen Aufwertung von Pflegeberufen sind zudem zum Scheitern verurteilt, wenn sich diese zusätzlichen Qualifikationen nicht auch durch eine erhöhte Vergütung bemerkbar machen.« Sie machen hierzu die folgende Rechnung auf: »Bei einer vom Wissenschaftsrat empfohlenen Akademisierungsquote von 10 bis 20 Prozent … – hier bezogen ausschließlich auf die Fachkräfte in der ambulanten und der stationären Pflege – und einem Vergütungszuschlag von 15 Prozent für den akademisierten Personenkreis würde sich ausgehend vom derzeitigen Vergütungsniveau sowie vom derzeitigen Personalbestand ein dauerhafter Finanzierungsbedarf von rund 200 bis 400 Mio. Euro pro Jahr ergeben.« (Greß/Jacobs 2016: 266)

Nun wird von neuen Zahlen berichtet. Dazu meldet die „Bild am Sonntag“ am 31.03.2019: Studie: Bessere Bezahlung von Pflegekräften kostet zwischen 1,4 und 5,2 Milliarden Euro pro Jahr:

Quelle: Tweet von BILD am SONNTAG am 31.03.2019

Diese Nachricht wurde in anderen Artikeln aufgegriffen, beispielsweise hier: Tarif-Modelle kosten mindestens 1,4 Milliarden, so der „Tagesspiegel“ aus Berlin: »Die von der Bundesregierung angestrebte bessere Bezahlung von Pflegekräften auf Tarifniveau würde nach einem Medienbericht jährlich zwischen 1,4 und 5,2 Milliarden Euro kosten. Das geht aus einer Studie zu den möglichen Modellen hervor, die das IGES-Institut für das Bundesgesundheitsministerium erstellt hat.« Nun stellen sich sogleich mehrere und zum jetzigen Zeitpunkt unbeantwortbare Fragen, solange die Studie an sich noch nicht für die Öffentlichkeit zugänglich und damit überprüfbar ist.

➔ Auch hier stellt sich die Frage: Welche Pflegekräfte sind genau gemeint? „Nur“ die in der Altenpflege oder auch die in der Krankenhauspflege? Dem Wortlaut nach müsste es sich um die aus der Altenpflege handeln, denn darauf bezieht sich die Bundesregierung seit Monaten.

➔ Welcher Tarif bzw. welche Tarife liegen denn der Kostenschätzung zugrunde? Wir haben ja gerade in der Altenpflege das Problem, dass dort entweder gar keine Tarifbindung existiert oder aber die ganz eigenen Arbeitsvertragsrichtlinien der kirchlichen Träger zur Anwendung kommen oder aber wenn Tarifwerke, dann höchst individuelle Haustarifverträge. Und gerade erst wurde in dem Beitrag Viele haben die Absicht, Tarifverträge in der Altenpflege allgemeinverbindlich zu erklären (wenn es welche geben würde)? Feuer frei von Seiten der privaten Arbeitgeber am 30. März 2019 davon berichtet, wie schwer man sich mit der Findung eines halbwegs relevanten Tarifwerks in der Altenpflege tut, das man aber für eine Allgemeinverbindlichkeit braucht – und welchen Widerstand gerade die privatgewerblichen Pflegeanbieter hier aufbauen.

In der Studie, auf die sich die Berichterstattung der Bild am Sonntag bezieht, werden offensichtlich unterschiedliche Szenarien gerechnet, die in Umrissen beschrieben werden: Die günstigste Variante wäre demnach eine nach Regionen oder Bundesländern unterschiedliche tarifliche Bezahlung mit Kosten von zusätzlich mindestens 1,4 Milliarden Euro. Bei der teuersten Variante würden alle Gehälter bundesweit einheitlich an den Tarifvertrag im öffentlichen Dienst angepasst, was jährlich rund 5,2 Milliarden Euro mehr kosten würde. Dazwischen läge dem Bericht zufolge ein bundesweiter gestaffelter Mindestlohn mit Mehrkosten von 1,5 bis zwei Milliarden Euro. Eine Pflegehilfskraft würde dann bis 2.500 Euro verdienen, eine Fachkraft bis zu 3.200.

Die 5,2 Mrd. Euro für die „teuerste“ Variante liegen in der Nähe der bereits 2016 wie berichtet ausgewiesenen fast 6 Mrd. Euro als Kalkulationsergebnis für eine Anhebung des Vergütungsniveaus der Altenpflegekräfte auf das der Krankenhauspflegekräfte. Aber für einen genaueren Vergleich müsste man einen Blick werfen in die neue Studie, aus der bislang nur in den dokumentierten Auszügen berichtet werden.

Und schlussendlich sind wir – egal, wie hoch der konkrete Betrag dann am Ende ausfallen würde, wenn man wirklich was machen will – dann wieder bei dem hier ebenfalls mehrfach aufgerufenen Problem, dass alle Mehrkosten (in diesem Fall durch höhere Personalkosten bedingt) im bestehenden System einer Teilleistungsversicherung in der Altenpflege vollständig zu Lasten der betroffenen Pflegebedürftigen, ihrer Angehörigen sowie der Sozialämter gehen würden. Und über die sowieso schon angestiegenen Eigenanteile der Pflegebedürftigen wird ja seit geraumer Zeit an vielen Stellen in der Medienlandschaft berichtet. Also stellt sich die notwendige Frage nach der Lastenverteilung. Die Rechnung bitte ist das eine, wer zahlt ist der spannende zweite Schritt.