Kinder und Jugendliche als Flüchtlinge an der texanischen Grenze und in Freiburg im Breisgau. Gemeinsamkeiten und Unterschiede eines globalen Phänomens, das vor Ort aufschlägt

Manchmal gibt es thematische Überschneidungen mit gewissen Gemeinsamkeiten, aber auch sehr vielen Unterschieden zwischen hier und dort. Nehmen wir für das „hier“ die Stadt Freiburg im Breisgau und für das „dort“ die USA, konkreter gesagt die texanische Grenze zu Mexiko. Das Thema, um das es „hier“ und „dort“ geht, sind minderjährige Flüchtlinge ohne Begleitung von Erwachsenen.
Starten wir in den USA. Eine mehr als irritierende Botschaft kann man diesem Artikel entnehmen: Texas schickt 1000 Nationalgardisten an mexikanische Grenze. Was ist passiert? Versuchen die Salafisten in die USA einzudringen? Sollen die mexikanischen Drogenkartelle angegriffen werden? Nein: »Seit Monaten sammeln sich Zehntausende unbegleitete Kinder aus Lateinamerika an der mexikanischen Grenze zu den USA. Nun sollen 1.000 Nationalgardisten den Abschnitt in Texas sichern. Der Bundesstaat fühlt sich von Washington alleingelassen.«

Zuvor und ohne Erfolg hatte der Bundesstaat um die Entsendung von Nationalgardisten des Bundes zur Grenzsicherung gebeten. Und warum genau?

»Die Polizei an der mexikanisch-amerikanischen Grenze ist vom Strom illegaler Kindermigranten hoffnungslos überfordert. Seit Oktober erreichten die Grenze allein aus Zentralamerika mehr als 57.000 unbegleitete Kinder. Die meisten kommen aus Guatemala, Honduras und El Salvador und flüchten vor Gewalt, organisierter Kriminalität oder schlechten wirtschaftlichen Aussichten in ihren Heimatländern.«

Weitere Informationen kann man dem Artikel Der tragische Exodus aus Mittelamerika von Klaus Ehringfeld und Marc Pitzke entnehmen.

»Silvia, 16, aus El Salvador, floh vor Bandengewalt und Todesdrohungen. Gilberto, 15, aus Guatemala, wurde von seinen Eltern auf die Reise nach Norden geschickt. Er sollte Geld verdienen, damit die Familie daheim die Medikamente der kranken Mutter bezahlen kann … Silvia ist an ihrem Ziel angekommen. Gilberto ist auf dem Weg durch die Wüste verdurstet.«

Die beiden Autoren sprechen von einem »Drama, das sich seit einigen Monaten zehntausendfach wiederholt: Kinder aus Honduras, Guatemala und El Salvador kämpfen sich allein 2.000, manchmal 3.000 Kilometer durch Zentralamerika und Mexiko. Die jüngsten sind kaum acht Jahre alt, manche schon 17. Zu Fuß, per Bus und als blinde Passagiere auf dem Güterzug sind sie Wochen, manchmal Monate unterwegs, voller Angst vor der „Migra“, der mexikanischen Ausländerpolizei, und den Häschern des organisierten Verbrechens und davor, vom Güterzug zu fallen, den sie angstvoll „die Bestie“ nennen.«

Es sind gewaltige Zahlen, mit denen die USA konfrontiert sind:

»Seit vergangenen Oktober kamen fast 60.000 unbegleitete Kinder und Jugendliche aus Zentralamerika über die US-mexikanische Grenze, mehr als doppelt so viele wie im US-Haushaltsjahr 2013 (24.668). Bis zum Herbst – das Haushaltsjahr 2014 endet im September – könnte sich diese Zahl sogar auf 90.000 erhöhen.«

Und wie geht man mit denen um, die es in die USA schaffen?
Das Katastrophenschutzamt Fema versorgt die Kinder mit Medikamenten und Lebensmitteln. Und dann gibt es da noch ein Missverständnis für viele der Kinder und Jugendlichen:

»Wenn die minderjährigen Migranten nicht vom US-Grenzschutz aufgegriffen werden, begeben sie sich oft freiwillig in die Obhut der Polizei. Denn in ihren Heimatländern kursiert das Gerücht, dass sie als Minderjährige vor Abschiebung sicher seien. Aber ihnen wird lediglich eine begrenzte Aufenthaltserlaubnis zugestanden, solange ein Gericht über das Bleiberecht entscheidet.«

Der Ansturm der minderjährigen Flüchtlinge auf die USA speist sich aus zwei Quellen: Zum einen die Flucht vor der ausufernden Gewalt in den zentralamerikanischen Staaten und zum anderen wirtschaftliche Hoffnungslosigkeit: »In Zentralamerika wird es für junge Menschen immer schwerer, einen Job zu finden, von dem sie leben können. Die Lohnveredelungsbetriebe, in denen für die USA Fernseher gelötet und Jeans genäht werden, zahlen Ausbeuterlöhne. Und ein Job als Parkhauswächter oder DVD-Verkäufer bringt vielleicht 150 Euro im Monat. Sehr viel mehr kann man mit ehrlicher Arbeit kaum verdienen.«

Diese Zuspitzung der illegalen Einwanderung trifft in den USA auf ein – weiteres – Scheitern des Präsidenten: Ziel war die große Reform, eine Perspektive für elf Millionen illegale Immigranten, die sich schon in den USA befinden. Aber Obama ist hier faktisch gescheitert.
Dabei waren die Pläne des Präsidenten schon ein Kompromiss, um überhaupt in die Nähe der Stimmen moderater Republikaner zu kommen, wie Sebastian Fischer in seinem Artikel Obamas Grenz-Erfahrung ausführt:

  1. Die elf Millionen illegalen Einwanderer sollen eine vorläufige Aufenthaltsgenehmigung unter der Bedingung bekommen, dass sie sich bei den Behörden registrieren, eine Strafzahlung akzeptieren sowie Steuern nachzahlen.
  2. Nach zehn Jahren ist eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung möglich, wenn sie Sprachkenntnisse und Arbeit nachweisen. Der nächste Schritt dann: Antrag auf Staatsbürgerschaft.
  3. Die US-Grenztruppen sollen auf 40.000 verdoppelt, zusätzliche 1100 Kilometer Zaun an der Grenze zu Mexiko gebaut werden.

Doch die Führung der Republikaner fürchtet offensichtlich einen Aufstand am rechten Rand der eigenen Partei und hat diesen Kompromiss verworfen. Damit steht eine der größten gesellschaftspolitischen Aufgaben in den USA weiterhin ungelöst im Raum. Und allein die Zahl von elf Millionen derzeit illegal in den USA lebenden Einwanderern zeigt nicht nur die Größenordnung, sondern man kann sich vorstellen, was für ein sozialer und sozialpolitischer Sprengsatz hier zu finden ist. Abschließend ein Blick auf die hier im Mittelpunkt stehenden Kinder und Jugendlichen, denn der Konflikt um sie spitzt sich zu: Obama droht mit Abschiebung von Kindern – so sind die aktuellsten Berichte aus den Vereinigten Staaten überschrieben. „Ich habe betont, dass die amerikanische Bevölkerung und meine Regierung großes Mitgefühl mit diesen Kindern haben“, so wird der Präsident zitiert. Zugleich müssten aber die Gesetze der USA eingehalten und Minderjährige davon abgebracht werden, sich mit der Reise nach Norden „großen Gefahren“ auszusetzen. Anfang Juli bat Obama den Kongress um eine Sonderfinanzierung von 3,7 Milliarden Dollar, um mit der „dringenden humanitären Situation“ an der Grenze zu Mexiko umzugehen. Mit dem Geld soll die Unterbringung der Kindermigranten sichergestellt werden, aber es sollen auch zusätzliche Asylbeamte und Richter finanziert werden, um den Abschiebeprozess zu erleichtern – aber die Republikaner verweigern im bislang diese Summe, sie wollen nur eine Milliarde Dollar zur Verfügung stellen. Beide Lager streiten sich auch darüber, wie stark ein Gesetz aus dem Jahr 2008 eingeschränkt werden soll, das minderjährigen Migranten weitreichende Schutzrechte gewährt. Die Republikaner fordern darüber hinaus die Rücknahme einer umstrittenen Anordnung Obamas aus dem Jahr 2012, bestimmte junge Einwanderer ohne gültige Papiere nicht mehr abzuschieben. Dadurch sei ein Anreiz für die Kinder und Jugendlichen gesetzt worden, zu versuchen, in die USA zu gelangen. Eine rundum verfahrene Situation also.

Und was hat das jetzt mit Freiburg im Breisgau zu tun, dieser Universitätsstadt mit ihren 229.000 Einwohnern im prosperierenden Südwesten der Republik? In der Print-Ausgabe der FAZ erschien am 23.07.2014 der Artikel „Karawane der Hoffnung“ von Rüdiger Soldt: »Im Südwesten kommen immer mehr minderjährige Flüchtlinge alleine an – das stellt die Kommunen vor große Herausforderungen.« Er beschreibt die Ausgangssituation so:

»Sie kommen aus Algerien und steigen in Freiburg aus dem ICE. Sie kommen ohne Rucksack und ohne Pässe. Nur ein Smartphone haben sie immer dabei. Das brauchen sie, um Kontakt zu halten. Zur Familie in Afghanistan oder Eritrea. Vielleicht auch, weil sie manchmal Anweisungen von den Schleppern bekommen, denen ihre Familien mehrere tausend Euro bezahlt haben. Irgendwo in Sizilien sind sie an Land gegangen. Dann haben sie sich in einen Fernzug gesetzt. Die italienischen Carabinieri und die Schweizer Zollbeamten wollen keinen Ärger. Deshalb schauen sie häufig weg, wenn sie im Zug die minderjährigen Flüchtlinge aus dem Maghreb, aus Syrien, dem Irak oder Afghanistan, die jungen Männer mit schmutzigen T-Shirts und ängstlichem Blick sehen. Die Beamten der deutschen Bundespolizei schauen nicht weg, sie machen ihre Arbeit … Für die Flüchtlinge aus dem Süden ist Freiburg der erste ICE-Halt mit Bundespolizei-Station.«

Bis vor vier Jahren, so Soldt, waren minderjährige Flüchtlinge eher eine Rarität. Aber das hat sich geändert. Waren es für Freiburg im Jahr 2010 nur 30 jugendliche Flüchtlinge, ist seitdem die Zahl deutlich angestiegen. Allein im ersten Halbjahr 2014 wurden hier insgesamt 80 „unbegleitete minderjährige Flüchtlinge“, im Bürokratendeutsch „UMF“ genannt, in Obhut genommen. In „Obhut“ genommen verweist schon den Eingeweihten auf das deutsche Kinder- und Jugendhilfesystem. Und das – bei allen immer erkennbaren Unzulänglichkeiten – funktioniert:

»Die Aufnahme der Flüchtlinge ist eine Pflichtaufgabe der Kommunen, innerhalb von wenigen Tagen muss für sie ein Betreuungsangebot organisiert werden: ärztliche Untersuchungen, häufig Operationen, Bestellung eines Vormunds durch das Familiengericht, manchmal die Überprüfung des Alters, Unterbringung in einer Wohngruppe, psychiatrische Betreuung, erste Sprachkurse.«

Da gibt es dann beispielsweise das katholische Christophorus-Werk, das eine „vollstationäre UMF-Wohngruppe“ mit dem passenden Namen „WG Sankt Martin“ betreibt. Der Heilige Martin ist der Schutzheilige der Flüchtlinge. Jüngere minderjährige Flüchtlinge werden von den Jugendämtern zumeist auf die Vorbereitungsklassen an den öffentlichen Schulen geschickt. Viele minderjährige Flüchtlinge sind aber 16, 17 oder 18 Jahre alt, für sie fehlt ein passendes Schulangebot, denn die Berufsschulen sind mit ihnen überfordert und zudem überbelegt, berichtet Soldt. Das Christophorus-Werk betreibt eine eigene Schule, in die die älteren Flüchtlinge gehen. Sie können auch Praktika in den Werkstätten machen, was wieder einmal zeigt, wie wichtig in solchen Konstellationen größere und professionelle Träger sind. Norbert Scheiwe, der Leiter des Christophorus-Werks, hat eine sehr weltliche Vorstellung von dem Tun des Trägers: „Wenn wir Delinquenz verhindern und Steuerzahler aus ihnen werden, ist das ein ungeheurer Erfolg“, so wird er zitiert.

Wenn die Kinder und Jugendlichen nicht in Freiburg aus den Zügen gefischt werden, dann werden sie spätestens im badischen Offenburg entdeckt. Auch hier: „Im Jahr 2002 hatten wir vier minderjährige Flüchtlinge, 2011 waren es dann 57, jetzt sind es allein in den ersten sieben Monaten schon 146“, so wird Andreas Linse vom Jugendamt des Landratsamts in dem FAZ-Artikel zitiert. Man muss diese Zahlen vor dem Hintergrund sehen, dass der Landkreis nur sechs Plätze für die vorübergehende Inobhutnahme und zehn Wohngruppenplätze hat. Und die Kommunen, die tätig werden müssen, sind mit erheblichen Kosten in diesem Segment der Jugendhilfe konfrontiert: »Für stationär betreute Jugendliche fallen Jugendhilfe-Tagessätze zwischen 140 und 220 Euro an«, kann man dem Artikel entnehmen.

Und der Beitrag endet mit diesen Ausführungen, die einen nachdenklich stimmen:

„Denen wird erzählt, in Deutschland regnet es Geld. Die fragen schon am zweiten Tag nach Inlinern, Geld, Tablet-Computern, Handys, Kleidung, dann wollen sie auch noch Fußball spielen“, sagt Monika Delfosse vom Jugendamt des Ortenaukreises, die die Amtsvormundschaften verwaltet. Es fällt den jungen Einwanderern nicht leicht, das deutsche Jugendhilfesystem zu verstehen, das wahrscheinlich zu den besten der Welt gehört. Sie können auch nicht begreifen, warum sie für jede Reise eine Genehmigung brauchen. „Manchmal verstehen die erst, wie gut es ihnen geht“, sagt Delfosse, „wenn sie hier aus dem Jugenddorf Ausgang hatten und gesehen haben, wie die erwachsenen Flüchtlinge im Asylbewerberheim untergebracht sind.“

Das ist alles nicht nur ein lokales Problem irgendwo in einer Grenzstadt, sondern die Abbildung mit den neuesten Daten des Statistischen Bundesamtes verdeutlicht die erhebliche Zunahme der Inobhutnahmen von Kindern und Jugendlichen, die unbegleitet nach Deutschland gekommen sind.
Hinter diesen trockenen Zahlen stehen teilweise schwer bis gar nicht vorstellbare Schicksale:
»Die gestiegene Zahl der minderjährigen Flüchtlinge sei unter anderem Folge des Bürgerkriegs in Syrien und im Irak, wie Sindy Hoppe vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sagt. Häufig drohten den Kindern auch Zwangsheiraten oder eine Rekrutierung als Kindersoldat. Die meisten unbegleiteten Flüchtlinge kommen aus Afghanistan, Somalia, Syrien, Eritrea und Ägypten«, kann man dem Artikel Zahl der minderjährigen Flüchtlinge steigt entnehmen.

Und man kann, nein: man muss zu dem Ergebnis kommen, dass der Umgang mit dieser Entwicklung keine Aufgabe sein kann, die man einer einzelnen Kommunen oder einem Landkreis überlassen sollte. Hier geht es um eine nationale Aufgabe und will man die hohen Standards des deutschen Jugendhilfesystems sicherstellen – wofür es viele gute Argumente gibt -, dann sollten die besonders betroffenen Kommunen solidarische Hilfe bekommen. Denn es ist absehbar, dass die Zahlen in diesem Bereich weiter ansteigen werden und damit auch die Ausgaben für diese Hilfe.

Die neuen Arbeitslosenzahlen aus dem „Jobwunderland“ Deutschland – und ein Verarmungsprogramm für Arbeitslose in den USA

Wie in jedem Monat wurden die aktuellen Arbeitsmarktzahlen von der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg verkündet. In ihrer Zusammenfassung schreiben die obersten Arbeitslosenverwalter der Republik: »Die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt ist sehr stabil. Seine gute Grundverfassung zeigt sich an der weiter zunehmenden Kräftenachfrage: Erwerbstätigkeit und sozialversicherungspflichtige Beschäftigung wachsen kontinuierlich … Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung haben im Dezember saisonbereinigt leicht abgenommen. Aber das geringe Maß, in dem Arbeitslose vom Beschäftigungsaufbau profitieren, offenbart strukturelle Probleme bei der Jobsuche” (S. 7).

In den Nachrichten und am Folgetag in den Tageszeitungen werden wir hören und lesen können: Die Zahl der Arbeitslosen im Dezember 2013 belief sich auf 2.872.783. Damit gab es 32.962 Arbeitslose mehr als vor einem Jahr. Nun handelt es sich bei dieser Zahl um die „registrierten“ Arbeitslosen. Soll heißen, daneben gibt es weitere Arbeitslose, die nur nicht als registrierte erfasst werden. Insofern wäre es natürlich korrekter, wenigstens die – von der BA offiziell in ihren Tabellenwerken auch ausgewiesene – Zahl der „Unterbeschäftigten“ zu zitieren. Das waren nach der amtlichen Statistik 3.713.692 Menschen und damit fast 841.000 Menschen mehr, als in der „Arbeitslosenzahl“ dargestellt (vgl. für eine genaue Aufschlüsselung die Abbildung von „O-Ton Arbeitsmarkt„). Aber hier soll nicht zum wiederholten Mal Klage geführt werden darüber, dass man die Zahl der „Unterbeschäftigten“ nicht zuerst nennt und dann die der registrierten Arbeitslosen, die Politik hat daran schlichtweg kein Interesse.

Und es soll hier auch nicht um die – durchaus zutreffende – kritische Einordnung der neuen Zahlen vom Arbeitsmarkt gehen, wie man sie beispielsweise in einer Presseerklärung der arbeitsmarktpolitischen Sprecherin der Bundestagsfraktion der Grünen, Brigitte Pothmer, finden kann, die unter der Überschrift „Arbeitsmarkt: Andrea Nahles muss strukturelle Probleme angehen“ schreibt:

»Insbesondere Langzeitarbeitslose bleiben trotz steigender Beschäftigtenzahlen auf der Strecke. Aber auch die Zahl der Schulabgänger ohne Ausbildungsplatz ist wieder gestiegen. Das ist nicht nur problematisch für die Jugendlichen, darin liegt auch erheblicher volkswirtschaftlicher Sprengstoff. Jetzt machen sich die Versäumnisse der vergangenen Jahre bemerkbar. Es wurde zu wenig in die Arbeitslosen investiert und zu viel arbeitsmarktpolitische Kosmetik betrieben …  die Probleme am Arbeitsmarkt müssen grundsätzlich angegangen werden. Dafür sind vor allem mehr abschlussbezogene Qualifizierungen und ein Sozialer Arbeitsmarkt für besonders schwer Vermittelbare erforderlich. Unversorgte Schulabgänger dürfen nicht länger in Warteschleifen abgeschoben werden, sondern müssen echte Ausbildungsplatzangebote bekommen.«

Hier soll über Arbeitslose gesprochen werden, die wenige Tage nach Weihnachten in die weitere Verarmung gestoßen worden sind – über Arbeitslose in den USA. Heidi Moore hat im Guardian eine lesenswerte Analyse der aktuellen Entwicklungen in den Vereinigten Staaten vorgelegt: „The GOP couldn’t be more wrong about cutting unemployment insurance„, so hat sie ihren Artikel überschrieben (GOP steht für „Grand Old Party“, gemeint sind die Republikaner in den USA): »If the government has any responsibility to its people, it’s not to force them into poverty when they have no other financial options«, so ihre zentrale Botschaft.

Schauen wir uns ihre Argumentation genauer an:

Wie verbessert man die wirtschaftliche Lage? Nach Auffassung einiger republikanischer Mitglieder des Kongresses dadurch, dass man 1,3 Millionen Menschen tiefer in die Armut treibt, beginnend ab dieser Woche, durch die Streichung der verlängerten Bezugsdauer von Arbeitslosenunterstützung. Aber die Argumente für die Kürzung halten einer genauen Prüfung in keiner Hinsicht stand. Stattdessen würde die amerikanische Wirtschaft weitaus besser mit einer Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes fahren (vgl. hierzu beispielsweise den kurzen Beitrag des Vorstandsvorsitzenden der Investmentgesellschaft PIMCO, Mohamed El-Erian: „Extending Unemployment Benefits Makes Good Economic Sense Too„, auch neuere Studien kommen zu diesem Befund, vgl. hierzu aktuell The Council of Economic Advisers and the Department of Labor: The Economic Benefits of Extending Unemployment Insurance, Washington, December 2013).

Heidi Moore analysiert und seziert vier „Mythen“ der Republikaner:

Myth 1: Cutting unemployment benefits forces the unemployed to get off their couches and bootstrap themselves into good jobs

Dieses Argument mag in einer Wirtschaft zutreffend sein, die sich in einer guten Verfassung befindet, nicht aber in einer Situation, in der es viel zu wenig Arbeitsplätze gibt. Die USA haben derzeit über 10 Millionen Arbeitslose, davon mehr als 4 Millionen Menschen, die seit mehr als sechs Monaten arbeitslos sind (= Langzeitarbeitslose nach der amerikanischen Definition). Hinzu kommt fast eine weitere Million Menschen, die so frustriert sind, dass sie sich von der Arbeitssuche zurückgezogen haben. 8 Millionen Menschen befinden sich in befristeten Niedriglohnjobs, weil sie derzeit keine unbefristete Vollzeitbeschäftigung finden können. Es ist die schlimmste Arbeitsmarktlage seit der Rezession der späten 1970er und der frühen 1980er Jahre.

Außerdem ist das „Bootstrapping“, also das „sich selbst helfen“, nicht für jeden möglich. Die Fähigkeit dazu ist determiniert von der Klasse, dem Bildungsstand und der Rasse. Studien haben zeigen können, dass diejenigen, denen es gelingt, sich selbst zu helfen, meistens aus einer privilegierten Situation kommen: Sie sind meistens weiß, Haben eine College-Ausbildung und leben in Zwei-Verdiener-Familien. Und wir haben es mit einer Wirtschaft zu tun, in der ein College-Abschluss immer weniger wert ist. Mittlerweile arbeiten zweimal so viele College-Absolventen in Jobs nur in Mindestlohnjobs wie noch vor fünf Jahren und fast jeder achte neue College-Absolvent ist arbeitslos.

Myth 2: Extending unemployment benefits will be a drag on the economy

Die Annahme ist hier, dass die Kürzung von Unterstützungsleistungen dazu führt, dass die Wirtschaft wieder boomt und dass die Menschen schneller einen neuen Job finden. Das ist eine nette Fantasie, aber das funktioniert so nicht. North Carolina hat schon vor sechs Monaten versucht, die Leistungen zu kürzen, als der Staat knapp bei Kasse war. Das Ergebnis? Es haben nicht mehr Menschen einen neuen Arbeitsplatz gefunden, sondern 95.000 Personen haben den Arbeitsmarkt verlassen.

Myth 3: Unemployment benefits should be extended only after the government can cut other programs to „afford“ it

Viele Republikaner sind der Auffassung, dass eine verlängerte Hilfe für Arbeitslose nur dann gewährt werden sollte, wenn an anderer Stelle im Haushalt Leistungen eingespart werden. Heidi Moore hat hier drei zentrale Anmerkungen:

  1. Haushaltsdefizite haben nur eine kleine oder gar keine Auswirkung auf das Wirtschaftswachstum, auf die Erträge am Aktienmarkt oder den Wert des Dollar. Im Gegenteil ist es weitaus zerstörerischer, in der jetzigen Situation die Defizite nach unten zu fahren.
  2. Verlängerungen des Arbeitslosengeldbezuges in der Vergangenheit – wie beispielsweise die fünf Verlängerungen während der Bush-Zeit – wurden immer ohne eine Gegenfinanzierung durch die Kürzung anderer Sozialleistungen im Haushalt vorgenommen.
  3. Der Kongress hat in der Vergangenheit keine Kompetenz bewiesen, den Haushalt zügig und umfänglich aufzustellen und zu genehmigen.

Myth 4: obless aid is only a handout that does nothing to solve the underlying economic trouble

Arbeitslosenunterstützung ist kein Almosen, sondern wird von den Arbeitgebern finanziert. Es ist nicht die primäre Aufgabe der Arbeitslosen Unterstützung, die Wirtschaft anzukurbeln. Hier ist die Wirtschaftspolitik gefordert.

Sie beendet ihren Artikel so:

»There is no reason not to extend benefits, and every reason to prevent over a million Americans from losing what little cushion they have. If the government has any responsibility to its people, it’s not to force them into poverty when they have no other financial options.«