Wenn Hartz IV bedarfsgemeinschaftlich „ansteckend“ wird – aber nicht für jeden. Nachtrag zur Kommentierung der neuen Hartz IV-Entscheidung des BVerfG

Das Bundesverfassungsgericht hatte mit Beschluss vom 27. Juli 2016 – 1 BvR 371/11 wieder einmal ein „Hartz IV-Urteil“ gesprochen. Es geht um die Einkommensanrechnung in einer „Bedarfsgemeinschaft“ eines Vaters mit einer Erwerbsunfähigkeitsrente, der seinen bedürftigen Sohn bei sich in der Wohnung aufgenommen hat. Diese sei rechtmäßig und auch der abgesenkte Regelbedarf des noch nicht 25 Jahre alten Sohnes ebenfalls. Der Beschluss und die dort vorgenommene Argumentation wurde bereits in einer ersten Kommentierung auf dieser Seite kritisch unter die Lupe genommen: Das Bundesverfassungsgericht fordert elterlich-monetäre Solidarität mit den Kindern und fördert zugleich die Auflösung der familiären Bande? Ein Kommentar zum Beschluss 1 BvR 371/11 vom 7. September 2016.

Bevor der Staat Hartz IV nach den Regeln des SGB II zahlt, erzwingt er die Unterstützung von Partner und Familie – wenn alle in einem Haushalt leben. Dass das BVerfG diesen Tatbestand für rechtens erklärt hat, ist wenig überraschend – es segnet damit nur die gängige Praxis ab. Also grundsätzlich, aber eben nicht immer, worauf in der ersten Kommentierung bereits angewiesen wurde, denn vereinfachend und zuspitzend formuliert gilt das nur für die „gutmütigen“ Familien, nicht aber für die – ob faktisch oder nur auf dem Papier – „zerrütteten“ und auch die gut bestückten eigentlichen Bedarfsgemeinschaften können sich der Verpflichtung mehr oder weniger elegant entziehen.

In der ersten Kommentierung wurde mit Blick auf die differenzierte Argumentation der Verfassungsrichter zusammenfassend bilanziert:

»Wenn man die niedrigeren Leistungen für das volljährige Kind und die Anrechnung elterlichen Einkommens nicht schlucken will, wird man gezwungen sein, die gerade erst wieder vom BVerfG abgesegneten elterlich-monetären Fürsorgebande zu durchtrennen über eine (reale? simulierte?) familale Zerrüttung, deren Existenz oder Behauptung ja auch in den Augen der Verfassungsrichter dazu führt, dass die Kinder nicht mehr Bestandteil der Bedarfsgemeinschaft sein können. Wie sich dann die „zerrüttete“ Familie in der Wirklichkeit verhält, kann von Alpha bis Omega reichen und entzieht sich übrigens im Fall der nur auf dem Papier bestehenden Zerrüttung und des faktischen Zusammenhaltens und -wirtschaftens der eigentlich damit verbundenen rechtlichen Konsequenzen, die nun ja auch durch das BVerfG abgesegnet worden sind. Mithin, so die nur auf den ersten Blick irritierende Zuspitzung, leistet der Beschluss des BVerfG einen aktiven Beitrag zur Auflösung der ansonsten verfassungsrechtlich so hoch gehaltenen familiären Bande.

Die offensichtlich erkennbare Malaise kann so formuliert werden: Wenn man sich dem doppelten Druck der a) Einkommensanrechnung bei den Eltern (was andere Erwachsene nicht haben) und b) dem auf 80 Prozent abgesenkten Regelbedarf (der niedriger liegt als bei den anderen Erwachsenen) entziehen will/muss, dann ist man gezwungen, die Situation einer Verweigerung der elterlichen Solidarität herbeizuführen oder – seien wir realistisch – zumindest eine solche zu simulieren. Dass die Ehrlichen wieder einmal die – vom Ergebnis her gesehen – Dummen sind, sei hier nur angemerkt.«

Gernot Kramper hat nun in seinem Kommentar diesen Aspekt und weiterführende Gedanken aufgenommen und unter der Überschrift Hartz-IV-Urteil – jetzt wird Armut ansteckend veröffentlicht.

Auch Kramper geht in seinen Ausführungen auf den Entstehungshintergrund der jetzigen Rechtslage ein, die mit der Einführung des SGB II und der damit verbundenen Ablösung der bis dahin geltenden Regelungen des Bundessozialhilfegesetzes verbunden waren und die man durchaus als Paradigmenwechsel bezeichnen muss, denn bis zum SGB II gab es ein Rückgriffsrecht des Sozialamtes bei Bedürftigkeit eines – auch erwachsenen – Kindes gegenüber den unterhaltsverpflichteten Eltern. Man hat sich, wenn was zu holen war, das Geld bei den Eltern wieder geholt und diese in die Pflicht genommen. Das wurde – eigentlich – mit dem SGB II abgeschafft bei den erwachsenen Kindern. Aber eben nur eigentlich, wie auch Kramper anmerkt:

»Mit der Agenda 2010 fand die Regierung unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD) 2005 einen cleveren, doch perfiden Dreh, die Unterhaltspflicht in der Theorie fallen zu lassen und in der Praxis noch zu verschärfen. Und das ging in etwa so: „Wir wissen, dass ihr keinen Unterhalt zahlen müsst. Aber wenn wir den Bedarf des Hartzers berechnen, rechnen wir euch trotzdem mit ein. Der kriegt einfach weniger vom Staat. Ihr werdet ihn ja nicht verhungern lassen.“ Bedarfsgemeinschaft nennt sich das Konstrukt der Schröder-Regierung. Und besonders toll: Beim Unterhalt von erwachsenen Kindern gab es immer strikte Höchstgrenzen, bei der Hartz-IV-Berechnung nicht. Hier wird so lange angerechnet, bis alle in der Bedarfsgemeinschaft auf Hartz-IV-Level sind.«

Und auch Kramper identifiziert den entscheidenden Punkt, auf den ich bereits in ersten Kommentar hingewiesen habe:

»Und der erfolgreiche Schutz vor Armut funktioniert genauso wie einst bei Lepra: Am besten meidet man jeden Kontakt zu den Befallenen. Im verhandelten Fall wurde der Vater nur Opfer seiner Gutmütigkeit und Naivität. Er war eben dumm, seinen Sohn weiter zu beherbergen. Hätte er ihn an die Luft gesetzt, wäre ihm eine Menge Ärger erspart geblieben.«

 Die Konsequenz daraus kann man mit Kramper durchaus als eine „sozial zersetzende Wirkung“ bezeichnen, denn: »Kam früher ein Familienmitglied in Not, war es der erste Impuls der Verwandten, ihm Obdach zu gewähren. Heute muss man sagen: Alles, nur das nicht! Ist der Arme erst einmal in der Wohnung, wird eine Bedarfsgemeinschaft vom Amt unterstellt und die Verwandten werden bis aufs Hemd ausgezogen. Eigeninitiative und Unterstützung von Verwandten ist schön und gut – aber mal Hand aufs Herz: Wer ist so großzügig, dass er selbst dauerhaft auf Sozialfall-Niveau absinken will?« Eine gute und notwendigerweise zu stellende Frage.

Aber Kramper geht in seiner Kritik auf eine weitere für die Lebenswirklichkeit wichtige Differenzierung ein, die hier herausgestellt werden soll: Die Inpflichtnahme der Eltern in einer Bedarfsgemeinschaft gilt – eigentlich – für alle, aber faktisch nur für die ärmeren Haushalte, wenn sie sich denn so verhalten, wie man es von ihnen erwartet, denn kann sind sie kaum bis gar nicht in der Lage, sich der Kollektivierung durch das Konstrukt der Bedarfsgemeinschaft zu entziehen: »Wer in seiner Mietwohnung mit drei Zimmern die Tochter mit Kind aufnimmt, die vor ihrem gewalttätigen Mann geflohen ist, wird schnell auf die Bedarfsgemeinschaft festgenagelt. Eine Küche, ein Bad, ein Kühlschrank – da ist es schwer zu beweisen, dass man nicht aus einem Topf wirtschaftet.« Hier schlägt dann die Verbedarfsgemeinschaftlichtung voll durch.

Aber bei anderen Familien ist das anders und damit legt Kramper den Finger auf eine weitere Wunde der eben nicht von allen eingeforderten Beteiligung der Eltern an der Bedürftigkeit des Kindes:

»Nehmen Besserverdiener und Cleverle ihre mittellose Tochter mitsamt Enkel auf, haben sie tausend Möglichkeiten der Hartz-Haftung zu entgehen. Das geht, weil sie wirtschaftlich so beweglich sind, dass sie durch passende Gestaltung der Anrechnung für die Leistungen der Tochter leicht entgehen können. Etwa so: Sie vermieten der Tochter einfach die leer stehende Einliegerwohnung. Damit umgehen sie die Bedarfsgemeinschaft – keine gemeinsame Wohnung – und lassen sich ihre Hilfsbereitschaft noch vom Amt honorieren. Vielleicht nicht fair, aber raffiniert. Doch selbst, wenn das gut situierte Elternpaar keine Einliegerwohnung hat, muss man nicht verzweifeln. Der Klassiker: Mama und Papa mieten eine Wohnung am Markt und vermieten die Bleibe an Tochter und Enkel unter.«

Man erkennt schon an diesen wenigen Zeilen, was für Gestaltungsoptionen sich denen eröffnen, die haben und die im Ergebnis nichts abgeben müssen, während die anderen, die wenig haben, auch noch in die Mangel genommen werden, wenn sie sich den „Fehler“ erlauben, familiäre Solidarität zu praktizieren auch unter sehr prekären Bedingungen. Dazu bemerkt Kramper mit Blick auf die aktuelle Entscheidung des BVerfG: Der unterlegene Kläger soll dagegen von seiner kümmerlichen Erwerbsunfähigkeitsrente abgeben. Mit 615 Euro Rente habe er schließlich „hinreichende Mittel“ und müsse „zur Existenzsicherung seines Sohnes beitragen“.

Wenn Eltern Geld brauchen von ihren Kindern … Neue Entscheidung des BGH zum Elternunterhalt im Rahmen der Pflegekosten

Alle Fragen rund um die Pflege werden immer mehr zum gesellschaftspolitischen Megathema der vor uns liegenden Jahre. Und der Pflegebedarf wird nicht nur aufgrund der demografischen Entwicklung deutlich ansteigen, mit allen daran gekoppelten Herausforderungen an die Sicherstellung einer menschenwürdigen Versorgung der Pflegebedürftigen. Das alles ist nicht umsonst, sondern es ist in vielen Fällen richtig teuer. Zuerst einmal für die Betroffenen, die neben ihrer Rente und den Leistungen aus der Pflegeversicherung auch ihr gesamtes Vermögen einsetzen müssen – wenn sie denn welches haben. Und wo es Vermögende gibt, sind die Vermögenslosen nicht weit und nicht wenige. Und das sind natürlich oft auch die Menschen, die aufgrund ihrer Erwerbsbiografie nur durchschnittliche oder gar unterdurchschnittliche Erwerbseinkommen und damit Rentenansprüche erzielt haben. Die sind dann ab einer bestimmten Pflegephase, häufig im Zusammenhang mit einer stationären Versorgung, auf Leistungen der „Hilfe zur Pflege“ nach dem SGB XII, also seitens des kommunalen Sozialamtes, angewiesen, weil die knappe Rente und die Teilkaskobeträge aus der Pflegeversicherung nicht ausreichen, um die Heimkosten zu decken. Die Sozialämter zahlen auch, aber sie versuchen dann, das Geld wenigstens teilweise wieder reinzuholen von den Kindern der Betroffenen, wenn es welche gibt. Rechtsgrundlage für diese Heranziehung der Kinder ist das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB).

Dort finden wir die folgende, hier maßgebende Norm:

§ 1601 BGB Unterhaltsverpflichtete
Verwandte in gerader Linie sind verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren

§ 1603 BGB Leistungsfähigkeit
(1) Unterhaltspflichtig ist nicht, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung seines angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren.

Mit der vor allem aus § 1603 BGB abgeleiteten Problematik, in welchem Umfang die Kinder herangezogen werden dürfen, hat sich erneut der Bundesgerichtshof in einer aktuellen Entscheidung beschäftigt, die gleich genauer beschrieben wird.
Vorweg aber eine kurze Darstellung  des Elternunterhalts, gefunden in dem instruktiven Beitrag „Pflege: Zuzahlung für Angehörige„, vor allem mit Blick auf die Frage der (möglichen) Höhe der Zuzahlung der Kinder zu den Pflegekosten:

»Maßgeblich für eine mögliche Unterhaltspflicht ist zunächst das Nettoeinkommen.
Hiervon dürfen noch die Versicherungsbeiträge, Kreditverpflichtungen, sowie berufsbedingte Aufwendungen (Werbungskosten) abgezogen werden. Die Zwischensumme daraus ergibt das sogenannte „bereinigte Nettoeinkommen”.
Vom diesem bereinigten Nettoeinkommen können zusätzlich etwaige Unterhaltskosten für geschiedene Ehepartner einschließlich der gemeinsamen Kinder abgezogen werden (für die Kinder nur aber dann, wenn diese polizeilich nicht in Ihrem Haushalt gemeldet sind).
Die Summe daraus ergibt den so genannten Selbstbehalt, welcher zurzeit 1.400 € pro Monat beträgt. Das bedeutet: wenn Ihnen nach Abzug der o. g. Kosten weniger als etwa 1.400 € monatlich zum Leben bleiben, muss dem Sozialamt nichts für die Pflege–Kosten dazu gezahlt werden.
Bleibt jedoch mehr übrig, müssen Familienangehörige zum Pflegeunterhalt etwas dabei steuern – und zwar die Hälfte aus der Differenz zwischen dem bereinigtem Nettoeinkommen und dem Selbstbehalt.« (Nur eine aktualisierende Anmerkung, die man auch später der Besprechung der neuen BGH-Entscheidung entnehmen kann: Seit dem 1. Januar 2013 liegt der Selbstbehaltsbetrag bei 1.600 Euro).

Der Berechnung des dann heranzuziehenden „bereinigten Nettoeinkommens“ der Kinder liegt folgende Logik zugrunde: Wenn man Kredite laufen hat, dann mindern die die Bemessungsgrundlage für den Elternunterhalt: »Als vermindernd gelten alle privaten Verbraucherkredite, Bauspardarlehen und Bank- oder Versicherungshypotheken zum Kauf, zur Modernisierung oder Renovierung einer Immobilie. Als relevante Ausgaben können nicht nur die Zinsbelastungen, sondern auch die Tilgungszahlungen angesetzt werden. Alle Kosten werden zu 100% angerechnet.«
Anders sieht es aus, wenn die Kinder Vermögen gebildet haben, denn grundsätzlich gilt, dass dieses ebenfalls einzusetzen ist für die Unterhaltsverpflichtung gegenüber den eigenen Eltern. Grundsätzlich bedeutet wie immer: Es gibt Ausnahmen von dieser Regel:

»Die Sozialämter erlauben in aller Regel ein bestimmtes Mindestvermögen, welches je nach Kommune aber sehr unterschiedlich sein kann. Meistens liegt der erlaubte Betrag zwischen 20.000 und 30.000 Euro. Wer mehr Sparvermögen hat, muss es zum Pflege–Unterhalt solange einsetzen, bis es an das erlaubte Mindestvermögen grenzt. Die Behörde darf ein Sparvermögen für die Pflege jedoch generell nicht anrechnen, wenn es zur eigenen Altersvorsorge über Lebens- oder Rentenversicherungen dient. Sie darf es auch dann nicht anrechnen, wenn die Auflösung eines Sparvertrages/einer Kapitalanlage mit finanziellen Verlusten verbunden wäre – oder aus anderen Gründen unwirtschaftlich ist.«

Ein für viele Menschen sicher sehr wichtige Frage: Wie sieht es aus mit dem Wohneigentum des Kindes bzw. der Kinder? Grundsätzlich gilt hier Entwarnung, wenn der Angehörige selbst darin wohnt und dies der Hauptwohnsitz ist, denn dann ist das Wohneigentum nach der Rechtsprechung des BGH vor einer Verwertung geschützt – und wieder muss man ein „aber“ einschieben: Das Sozialamt kann für das Wohnen im eigenen Haus einen geldwerten Vorteil ansetzen, der wie ein zusätzliches Einkommen hinzu gerechnet wird bei der Bestimmung des „bereinigten Nettoeinkommens“.

Und wie ist es eigentlich mit den Schwiegereltern? Muss man für die auch zahlen? Auch hier wieder grundsätzlich eigentlich nicht. Und dann das „aber“:

»Bei Ehepartnern mit nur einem Verdiener steht das bereinigte Nettoeinkommen jedoch zur Hälfte dem anderen Partner zu. Beträgt das Einkommen des Allein-verdieners also mehr als 2.800 €, muss er eine Zuzahlung auch für die Pflege-Kosten der Schwiegereltern leisten.«

Alles klar? Der eine oder die andere könnte jetzt durchaus auf die Idee kommen, dass es bei dieser Gemengelage „vernünftig“ wäre, vor dem Eintreten eines kostenträchtigen Pflegefalls sowohl bei den Betroffenen wie auch bei den Kindern alles auf den Kopf zu hauen, Schulden zu machen (die man ja, wie wir erfahren haben, unter bestimmten Bedingungen abziehen kann), also bloß kein Vermögen aufzubauen. Das ist durchaus richtig, wenn man es denn nur auf diese Gemengelage beziehen würde.

Jetzt aber zu der neuen Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH), die sich auseinandersetzt mit der oftmals strittigen Frage nach der „Leistungsfähigkeit zur Zahlung von Elternunterhalt„, die sich natürlich in dem grundsätzlichen Spannungsfeld bewegt, dass die einen möglichst eingeschränkt leistungsfähig daherkommen möchten, während die Kommunen einen möglichst hohen Zuzahlungsbetrag realisieren möchten.

Zuerst einmal der Sachverhalt, mit dem der XII. Zivilsenat des BGH konfrontiert wurde:

»Die 1926 geborene Mutter des Antragsgegners lebt in einem Altenpflegeheim. Weil sie die Heimkosten nicht vollständig aus ihrer Rente und den Leistungen der Pflegeversicherung aufbringen kann, gewährt der Antragsteller ihr Leistungen der Sozialhilfe. Im vorliegenden Verfahren verlangt der Antragsteller Erstattung der in der Zeit von Juli 2008 bis Februar 2011 geleisteten Beträge. Die Beteiligten streiten allein darüber, ob der Antragsgegner aus seinem Einkommen oder aus seinem Vermögen leistungsfähig ist.«

In der weiteren Beschreibung des Sachverhalts bekommen wir eine Konkretisierung der allgemeinen Beschreibung des Elternunterhalts und seiner Berechnung, mit der dieser Beitrag begonnen hat:

»Der Antragsgegner erzielte im Jahr 2008 ein Jahresbruttoeinkommen in Höhe von 27.497,92 €, woraus das Oberlandesgericht ein bereinigtes Nettoeinkommen von monatlich 1.121 € errechnet hat. Er ist Eigentümer einer aus drei Zimmern bestehenden Eigentumswohnung, deren Wohnvorteil das Oberlandesgericht mit 339,02 € ermittelt hat. Außerdem ist der Antragsgegner hälftiger Miteigentümer eines Hauses in Italien, dessen anteiliger Wert vom Antragsteller mit 60.000 € angegeben ist, und verfügt über zwei Lebensversicherungen mit Werten von 27.128,13 € und 5.559,03 € sowie über ein Sparguthaben von 6.412,39 €. Eine weitere Lebensversicherung hatte der Antragsgegner gekündigt und deren Wert zur Rückführung von Verbindlichkeiten verwendet, die auf dem Haus in Italien lasteten.«

Vor dem Amtsgericht ist der Sohn der pflegebedürftigen Mutter verurteilt worden, rückständigen Unterhalt in Höhe von insgesamt 5.497,78 € an das Sozialamt zu zahlen. Das Amt wollte aber noch mehr, was das Oberlandesgericht zurückgewiesen hat, wie den ganzen Antrag gleich mit. Das Oberlandesgericht hat auf der Grundlage der Einkünfte und Nutzungsvorteile von insgesamt rund 1.460 € die Leistungsfähigkeit des Sohnes verneint, weil der für den Elternunterhalt geltende, ihm zu belassende Selbstbehalt von 1.500 € nicht überschritten sei. Das nun wiederum lehnt der BGH ab, weil das nicht rechtsfehlerfrei zustande gekommen sei (weil das Nettoeinkommen nicht richtig bestimmt worden sei und weil damals noch die Grenze des Selbstbehalts bei 1.400 Euro lag, erst zum 1. Januar 2011 wurde der Selbstbehalt auf 1.500 € und zum 1. Januar 2013 auf 1.600 € erhöht.

Aber bei der neuen Entscheidung geht es nicht um Fragen der Berücksichtigung des laufenden Einkommens: Von besonderer Bedeutung sind die weiteren Ausführungen des Bundesgerichtshofs zum Einsatz des Vermögens im Rahmen des Elternunterhalts:

»Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss das unterhaltspflichtige Kind grundsätzlich auch den Stamm seines Vermögens zur Bestreitung des Unterhalts einsetzen. Einschränkungen ergeben sich aber daraus, dass nach dem Gesetz auch die sonstigen Verpflichtungen des Unterhaltsschuldners zu berücksichtigen sind und er seinen eigenen angemessenen Unterhalt nicht zu gefährden braucht. Dem dient auch die eigene Altersvorsorge, die der Unterhaltsschuldner neben der gesetzlichen Rentenversicherung mit weiteren 5 % von seinem Bruttoeinkommen betreiben darf. Entsprechend bleibt dann auch das so gebildete Altersvorsorgevermögen im Rahmen des Elternunterhalts unangreifbar … Der Bundesgerichtshof hat jetzt entschieden, dass der Wert einer angemessenen selbst genutzten Immobilie bei der Bemessung des Altersvermögens eines auf Elternunterhalt in Anspruch genommenen Unterhaltspflichtigen grundsätzlich unberücksichtigt bleibt, weil ihm eine Verwertung nicht zumutbar ist. Übersteigt das sonstige vorhandene Vermögen ein über die Dauer des Berufslebens mit 5 % vom Bruttoeinkommen geschütztes Altersvorsorgevermögen nicht, kommt eine Unterhaltspflicht aus dem Vermögensstamm nicht in Betracht.«

Fazit: Gewisse Schutzplanken für das selbst genutzte Wohneigentum sowie ein überschaubarer Vermögensanteil für die eigene Altersversorgung werden durch diese Entscheidung eingezogen, aber grundsätzlich gilt: Auch der Vermögensstamm der Kinder muss eingesetzt werden, wenn es um die Frage der Zuzahlungen zu den Pflegekosten der Eltern geht. Wir können davon ausgehen, dass die Fragen des Elternunterhalts in den kommenden Jahren an Bedeutung gewinnen werden – vor allem, wenn die vielen Alten mit sehr niedrigen Renten in die Pflegebedürftigkeit rutschen.