Unterhaltsvorschuss für Alleinerziehende: Die Reform kommt, sie kommt nicht, jetzt soll sie doch kommen. Im Sommer

Die Alleinerziehenden und ihre Lebenslagen sind Gegenstand vieler Sonntagsreden, wenn es darum geht, dass man was tun müsse, um ihnen zu helfen und damit auch die Situation für die Kinder zu verbessern – so wird beispielsweise immer wieder auf die überdurchschnittlich hohe Armutsbelastung der Alleinerziehenden und ihrer Kinder hingewiesen. Hunderttausende von ihnen müssen im wahrlich nicht üppig bemessenen Hartz IV-Bezug über die Runden kommen. Nun sind Sonntagsreden bekanntlich das eine, das Handeln unter der Woche nicht selten dann aber ganz anders. Das hat man in den zurückliegenden Monaten wieder einmal mehr als schmerzhaft zu spüren bekommen, man denke hier nur an den Versuch der Bundesregierung, den Alleinerziehenden im Grundsicherungssystem auch noch Geld abzuziehen, wenn das Kind ein paar Tage beim anderen Elternteil ist. Das konnte nur mithilfe massiver Interventionen auf den letzten Metern im Gesetzgebungsverfahren verhindert werden (vgl. dazu Keiner hatte die Absicht, Alleinerziehende und ihre Kinder im Hartz IV-System schlechter zu stellen? Aber nun zieht man die Reißleine. Eine Neuregelung bleibt notwendig und wäre – eigentlich – einfach vom 3. Juni 2016 – wobei derzeit nur die ursprünglich geplante Verschlechterung verhindert wurde und der notwendige Umgangsmehrbedarf noch einer Regelung bedarf).

Und als wollte man ein weiteres Mal zeigen, welchen Stellenwert tatsächliche und von vielen seit langem geforderte Verbesserungen für einen Teil der Alleinerziehenden haben, musste man dann im Herbst des letzten Jahres zur Kenntnis nehmen, dass die im Kontext der großen Verhandlungen rund um eine Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen am 14. Oktober 2016 an sich schon vereinbarte Reform des Unterhaltsvorschusses (und hier verstanden im ursprünglichen Sinn des Wortes Reform, also Verbesserung der bestehenden Lage; vgl. dazu Ein Beitrag zur Armutsvermeidung bei Alleinerziehenden und ihren Kindern: Der Unterhaltsvorschuss wird endlich weiterentwickelt. Dennoch bleiben Fragezeichen vom 13. November 2016) kurzerhand wieder zurückgestellt wurde und nicht zum 1. Januar 2017 in Kraft treten konnte. Das Anliegen war zwischen die föderalen Mühlsteine geraten und natürlich ging (und geht) es ums Geld.

So musste hier am 8. Dezember 2016 berichtet werden: Von wegen sanfte Geburt. Der Unterhaltsvorschuss für Alleinerziehende steckt fest im föderalen Interessendickicht. Gegen die Reform des Unterhaltsvorschusses gab es heftigen Widerstand aus den Reihen der Kommunen und der Bundesländer. Die Akteure hatten sich nett formuliert mehrfach verhakt. Es ging um die Finanzierung der Leistungsausweitung sowie um den Aspekt der Abwicklung der Leistung.

Aber was soll’s. Blicken wir positiv in die Zukunft oder versuchen wir es wenigstens. Denn nun erreicht uns die frohe Botschaft aus Berlin: Habemus Unterhaltsvorschuss-Reform. Ausweitung des Unterhaltsvorschusses. Bund und Länder einigen sich auf Eckpunkte, meldet das Bundesfamilienministerium. Die Abbildung am Anfang dieses Beitrags fasst die nun gefundene Neuregelung zusammen. »Künftig soll der Unterhaltsvorschuss bis zum 18. Lebensjahr gezahlt werden, die maximale Bezugsdauer von 72 Monaten soll entfallen. Inkrafttreten wird die Reform zum 1. Juli 2017.« So die Kurzfassung des Ministeriums.

Der Blick auf die vereinbarten Eckpunkte zeigt dieses Ergebnis:

  • Um die staatliche Unterstützung von Kindern von Alleinerziehenden zielgenau und entlang der Lebenswirklichkeiten zu verbessern, wird die derzeitige Höchstbezugsdauer von 72 Monaten aufgehoben und die Höchstaltersgrenze von derzeit 12 Jahren bis zum vollendeten 18. Lebensjahr im Unterhaltsvorschussgesetz (UVG) heraufgesetzt.
  • Für alle Kinder bis 12 Jahre wird die derzeitige Höchstbezugsdauer von 72 Monaten aufgehoben. Hierdurch werden 46.000 Kinder zwischen 6 und 12 Jahren im UVG-Bezug bleiben können. Das gilt auch für alle Kinder, die zukünftig Unterhaltsvorschuss erhalten werden.
  • Für Kinder im Alter von 12 Jahren bis zum vollendeten 18. Lebensjahr gibt es in Zukunft ebenfalls einen Anspruch auf Unterhaltsvorschuss. Dieser wird wirksam, wenn das Kind nicht auf SGB II-Leistungen angewiesen ist oder wenn der alleinerziehende Elternteil im SGB II-Bezug ein eigenes Einkommen von mindestens 600 Euro brutto erzielt. Hierdurch werden 75.000 Kinder erreicht. Auch für sie gibt es keine Höchstbezugsdauer mehr. Mit dieser praktischen Umsetzung wird der Forderung der Kommunen nach Bürokratieabbau entsprochen.
  • Die Höhe des Unterhaltsvorschusses für Kinder von 12 bis zum vollendeten 18. Lebensjahr soll 268 Euro monatlich betragen (0 bis 5 Jahre: 150 Euro; 6 bis 11 Jahre: 201 Euro).
  • Die Reform tritt zum 1. Juli 2017 in Kraft. Damit wird der Forderung der Kommunen nach einer Übergangszeit Rechnung getragen.
  • Die Reform kostet rund 350 Millionen Euro. Bund und Länder haben sich darauf verständigt, dass der Bund seine Beteiligung an den Kosten von 33,5 Prozent auf 40 Prozent erhöht. In gleichem Maße sollen künftig auch die Einnahmen aus dem Rückgriff verteilt werden.

„Jetzt können die Sektkorken knallen“, schreibt der Verband alleinerziehende Mütter und Väter (VAMV) in seiner Pressemitteilung (vgl. Geschafft! Ausbau Unterhaltsvorschuss ist Riesenschritt im Kampf gegen Kinderarmut). Alleinerziehende und ihre Kinder hätten einen Grund zum Feiern, so Heide Oestreich in ihrem Artikel „Ein Meilenstein“ mit Bezug auf diese Reaktion. Das Zukunftsforum Familie schreibt: „Glückwunsch, Frau Schwesig!“

Also alles gut? Nun könnte man es als „pingelig“ bezeichnen, wenn man darauf hinweist, dass die beglückwünschte Bundesfamilienministerin mehrfach gefordert hatte, dass die Auszahlung rückwirkend zum 1. Januar 2017 erfolgen sollte, was nun weggefallen ist. Wenn, dann gibt es das erst ab Juli 2017.

Warum erst jetzt?, fragt Heide Oestreich in ihrem Kommentar schon in der Überschrift. Kritik an Verschiebung von Unterhaltsvorschuss-Reform wird nicht nur von der Deutschen Kinderhilfe vorgetragen.

Aber es gibt noch andere Punkte, auf die man hinweisen muss und die Wasser in den erneut aufgetischten Wein gießen:

Da ist beispielsweise diese Anmerkung von Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags, der unter der bezeichnenden Überschrift Kommunen befürchten Mehrkosten so zitiert wird: »Es sei gut, dass der Bund nun 40 Prozent der Kosten übernehmen wolle, sagte er der ARD. Er lobte außerdem, dass die getroffene Vereinbarung weniger Bürokratie bedeutet und dass Kinder mit Hartz-IV-Anspruch größtenteils aus dem System herausgenommen werden. Da Hartz-IV-Leistungen mit dem Unterhaltsvorschuss verrechnet würden, bringe das den betroffenen Eltern nichts.«

Die Anrechnung auf Hartz IV führt ja auch dazu, dass die Auswirkungen hinsichtlich der zusätzlichen Zahl an Kindern, die von der Neuregelung profitieren werden, überschaubar bleiben muss – das Ministerium spricht selbst von 75.000 Kindern, die dadurch erreicht werden können.

Wie dem auch sei, wenn überhaupt, dann ist die nun mit viel Gezerre gefundene Lösung nur ein Trippelschritt auf dem eigentlich notwendigen Weg einer Neuordnung der Leistungen für Alleinerziehende und die Auflösung zahlreicher Widersprüche in einem komplexen System. Dazu bereits die grundsätzlichen Anmerkungen in dem Beitrag Und täglich grüßt das Murmeltier. Alleinerziehende und Armut. Und was getan werden könnte, wenn man wollen würde vom 6. Juli 2016. Dort wurde u.a. auf  Reformvorschläge für alleinerziehend Familien hingewiesen, in denen man diesen Passus finden kann: »»Im Sozialrecht muss das Leistungsgeflecht aus Grundsicherung, Mehrbedarfszuschlag, Kinderzuschlag, Wohngeld, Unterhaltsvorschuss etc. vereinfacht werden. Das Zusammenspiel dieser Fördermöglichkeiten und die unterschiedlichen Anrechnungsmodalitäten tragen aktuell dazu bei, dass gerade Alleinerziehende in der „Sozialleistungsfalle“ gefangen sind und dem SGB-II-Bezug oft nicht entkommen. Bei zukünftigen Reformen des Kinderzuschlags sollte z. B. eine Auszahlung des Mehrbedarfszuschlags im Rahmen des Kinderzuschlags ermöglicht werden. Mittelfristig ist daran zu denken, bestimmte kindbezogene Leistungen zusammenzufassen und durch eine Behörde administrieren zu lassen.«

Das verweist exemplarisch auf die eigentliche und im Angesicht der Erfahrungen jetzt mit dem „überschaubaren“ Thema Unterhaltsvorschuss wahrhaft herkulische Aufgabe, die angegangen werden müsste. 

Von wegen sanfte Geburt. Der Unterhaltsvorschuss für Alleinerziehende steckt fest im föderalen Interessendickicht

Am 13. November 2016 wurde mit einer fast schon überschwänglich positiv daherkommenden, nur am Ende die Vorfreude gleich wieder relativierenden Überschrift über die seit langem geforderten Verbesserungen beim Unterhaltsvorschuss berichtet: Ein Beitrag zur Armutsvermeidung bei Alleinerziehenden und ihren Kindern: Der Unterhaltsvorschuss wird endlich weiterentwickelt. Dennoch bleiben Fragezeichen. Endlich mal eine positive Botschaft, keine Kürzung, keine kleinkarierte Gesetzgebung, sondern ein Schritt nach vorn. Die beiden wichtigsten Elemente: Die Befristung des Unterhaltsvorschusses auf maximal sechs Jahre und die Begrenzung auf das 12. Lebensjahr bei den Kindern sollen abgeschafft werden. Darauf hat man sich im Kontext der großen Verhandlungen rund um eine Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen geeinigt. Aber bereits in dem Beitrag vom 13.11.2016 musste dann eine Menge Wasser in den gerade erst aufgetischten Wein gegossen werden, denn es gab sofort heftigen Widerstand aus den Reihen der Kommunen und der Bundesländer. Dabei geht es um zwei Ebenen.

Zum einen – natürlich – um die Finanzierung der Leistungsausweitung sowie um den Aspekt der Abwicklung der Leistung. Bisher trägt der Bund beim Unterhaltsvorschuss ein Drittel der Kosten, die Länder übernehmen zwei Drittel. Der Bund hatte – immerhin wird hier gefeilscht wie auf einem orientalischen Basar – die Übernahme der Hälfte der Mehrkosten in den Raum geworfen, während die Bundesländer nach wie vor die volle Kompensation der reformbedingten Mehrbelastung vom Bund fordern.

Zum anderen haben sich die Kommunen bzw. ihre Spitzenverbände mit Verve in die Schlacht geworfen, denn sie müssen das umsetzen vor Ort. Und sie haben ein weiteres Problem, das dann auch wieder mit der ersten Ebene zusammenhängt, also den Finanzen.

Die Kommunen halten eine pünktliche Umsetzung für unmöglich. Man sei „nicht in der Lage, ein Gesetz, das frühestens Mitte Dezember verabschiedet werden kann, zwei Wochen später auszuführen“, warnten sie. „Das geht personell und organisatorisch nicht.“ Nun könnte man das als ein temporäres Übergangsproblem einsortieren, wobei die Kommunen die zusätzlichen Verwaltungskosten natürlich vollständig erstattet haben wollen, sie legen aber noch eine zusätzliche und grundsätzliche Schippe auf das Kuddelmuddel: Sie verweisen auf die die bestehende Doppelbürokratie durch das Nebeneinander von Leistungsansprüchen im Sozialgesetzbuch II und im Unterhaltsvorschussgesetz. In den Worten der kommunalen Spitzenverbände:

»Eine aktuelle Studie des Statistischen Bundesamtes hat ergeben, dass 87 Prozent der derzeitigen Leistungsbezieher von Unterhaltsvorschuss auch SGB II-Leistungen (Hartz IV) und SGB XII-Leistungen erhalten. Diese Leistungen werden von den Jobcentern und den Unterhaltsvorschuss-Stellen miteinander verrechnet.
Die Familien, die gleichzeitig Hartz IV beziehen, haben durch die Verrechnung keinerlei finanzielle Vorteile, wenn sie Unterhaltsvorschuss erhalten. Es wäre aus Sicht der Kommunen dann nur transparent und ehrlich, in diesen Fällen Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz gar nicht vorzusehen.«

Ich kann wirklich nichts dafür, aber jetzt muss man aufpassen, weil es kompliziert wird. Das stimmt so nicht, was wir da serviert bekommen, jedenfalls nicht in der Ausschließlichkeit. Denn es gibt solche und andere Hartz IV-Empfänger/innen unter den Alleinerziehenden. In vielen Fällen- darauf hatte ich auch schon hingewiesen in meinen Beitrag vom 13.11.2016 – wäre auch ein ausgeweiteter Unterhaltsvorschuss nur ein durchlaufender Posten, gleichsam von der rechten in die linke Tasche. Denn tatsächlich wird die Leistung angerechnet auf den Hartz IV-Bedarf und den SGB II-Leistungen. Aber es gibt auch Alleinerziehende, die beispielsweise als Aufstocker im Hartz IV-System sind, die also nur eine anteilige zusätzliche Leistung aus dem SGB II bekommen. Und bei einigen von denen könnte ein verbesserter Unterhaltsvorschuss dazu führen, dass sie aus dem Hartz IV-Bezug insgesamt rausrutschen.

An dieser Stelle kann man den Artikel Viele Single-Eltern könnten aus Hartz IV geholt werden von Sabine Menkens aufrufen. Die »geplante Ausweitung des Unterhaltsvorschusses für Trennungskinder wird nach Berechnungen der Bundesregierung mehr als ein Drittel der Alleinerziehenden, die derzeit Aufstockerleistungen aus Hartz IV erhalten, vollständig aus dem Sozialleistungsbezug herausführen«, berichtet sie unter Bezugnahme einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen. Durch den Ausbau des Unterhaltsvorschusses würden 260.000 zusätzliche Kinder erreicht; 226.000 von ihnen seien derzeit auf Leistungen aus dem Sozialgesetzbuch II angewiesen, heißt es darin. „Der Unterhaltsvorschuss bietet für etwa 35 Prozent der SGB-II-beziehenden Alleinerziehenden, die erwerbstätig sind und somit die SGB-II-Leistung aufstocken, die Perspektive, das SGB II zu verlassen.“

Mittlerweile ist die Gemengelage in wirklich komplexe Strukturen hineingewachsen. Denn die Länder haben natürlich (mit den Kommunen) ein Interesse daran, die auf sie zukommenden zusätzlichen Kosten aufgrund des Verteilungsschlüssels zu reduzieren bzw. zu vermeiden – von daher überrascht es nicht, dass es aus diesem Lager viel Sympathie gab und gibt, den Vorrang des Unterhaltsvorschusses vor SGB II-Leistungen abzuschaffen, mit der offiziellen Begründung, die Alleinerziehenden hätten aufgrund der Anrechnungsvorschriften ja sowieso nichts davon und dann könne man doch dieses doppelbürokratische System abschaffen. Ja klar – unabhängig davon, dass das voraussetzen würde, dass Alleinerziehende im Hartz IV-Bezug niemals einen Cent sehen würden aus dem Unterhaltsvorschuss, was zumindest bei einem Teil der Aufstockerinnen nicht der Fall ist, ist das eigentliche Interesse der Länder natürlich mehr als offensichtlich: Sie wollen sich auf Rechnung des Bundes einer Last entledigen, denn die SGB II-Leistungen kommen überwiegend vom Bund, also aus einer anderen Kasse.

Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, hat in einem Interview mit dem Deutschlandfunk („Wenn für den Betroffenen nichts rauskommt, ist es nicht sinnvoll“) ausgeführt – und aufgepasst, schon korrekter formulierend -, »es werde verkannt, dass viele Mütter nichts von dem Geld hätten.« Viele, aber nicht alle. Das hält man ihm auch entgegen und nun werden wir erneut Zeuge der völlig verkorksten unüberschaubaren Leistungssysteme: Nach Angaben des Bundesfamilienministeriums erhalten gegenwärtig 440.000 von insgesamt 1,6 Millionen Alleinerziehenden einen Unterhaltsvorschuss für ihre Kinder. Von der Reform würden 260.000 Kinder profitieren. Und was sagt der Kommunalfunktionär? Er konstruiert ein passgenaues Beispiel, um aufzuzeigen, dass selbst die aufstockende Alleinerziehende sich schlechter stellen kann, wenn sie aus dem Hartz IV-Bezug rausfällt. Und das geht so:

»Nehmen wir an, sie stockt um genau 194 Euro auf. Jetzt geht die wieder zum Jugendamt. Dann sagen die: Gut, Du hast den Unterhaltsvorschuss-Anspruch, Du bekommst diese 194 Euro. Damit ist sie in der Tat aus Hartz IV raus, aber sie hat Nachteile, denn auf einmal bekommt das Kind keine Leistungen mehr nach dem Bildungspaket. Es bekommt die Klassenfahrt nicht bezahlt, es bekommt die Ausrüstung für die Schule nicht bezahlt, es bekommt den Sportverein nicht mehr bezahlt. Das heißt, im Einzelfall – ich gebe allerdings zu, das ist ein Einzelfall – ist dann sogar eine Schlechterstellung mit dem insgesamt aber gut gemeinten Ziel erreicht.«

Aber darum geht es ihm eigentlich gar nicht wirklich, sondern um diesen Aspekt: »Man muss auch ehrlich sein: Wir liegen jetzt bei Kosten pro Jahr von rund 800 Millionen. Das wird sich verdoppeln. Wenn der Bund so was machen will, dann soll er auch die Kosten tragen, und zwar auch unsere Personalkosten. Wir können nicht, wenn das Gesetz jetzt im Dezember in Kraft tritt, mal eben überall das Personal in den Jugendämtern verdoppeln, um letztlich ein Großteil von Anträgen zu bearbeiten, die den Betroffenen kaum was bringen.«

Wer bis hierhin durchgehalten hat, ist ein politökonomischer Held. Aber wir sind noch nicht am Ende der kontinuierlich schlechter werdenden Geschichte.

Unter der Überschrift Der andere soll’s bezahlen, berichtet Constanze von Bullion. Wenn man den Beginn ihres Artikels liest, dann blutet einem das Herz angesichts dessen, was wir in diesem Beitrag vorweg schon an Hintergründen entfaltet haben:

»Drei Wochen ist es her, dass sich über dem Bundesfamilienministerium in Berlin ein Candystorm zusammenbraute, ein digitaler Jubelsturm. „Weniger Sorgen machen, danke“, schrieb eine alleinerziehende Mutter auf Facebook. Der Dank galt Familienministerin Manuela Schwesig, (SPD), die durchsetzen will, dass der Staat ab Januar mehr Trennungskindern als bisher Kindesunterhalt vorstreckt, wenn ein Elternteil ihn nicht zahlt. „Ich bin so unendlich dankbar für die Gesetzesänderung!“, schrieb eine andere Alleinerziehende, die arbeiten geht und dennoch Stütze vom Staat braucht, weil der Kindsvater nicht zahlt. „Endlich brauche ich kein ALG 2 mehr, um mein Gehalt aufzustocken!“«

Aber sie beschreibt dann die aktuelle Gefechtslage bei dem Thema: Zuletzt deutetet sich auf SPD-Seite ein Kompromiss an. Das Gesetz könnte erst am 1. April in Kraft treten, aber ältere Kinder könnten rückwirkend zum 1. Januar Ansprüche geltend machen. Und sie weiß zu berichten, dass beispielsweise Hamburg bei diesem Vorschlag mitgehen würde. Aber Hamburg ist nicht Deutschland und deshalb kommt sofort Sand ins Getriebe, von einer Seite, an die der eine oder die andere sicher nicht sofort gedacht hätte: »Das SPD-regierte Nordrhein-Westfalen etwa will Alleinerziehende erst von Juli an stärker unterstützen – ohne rückwirkende Zahlungen, denn das kostet.« Das wiederum wäre eine echte Niederlage für Bundesfamilienministerin Schwesig, die das angeleiert und sich bereits gefeiert hat für die Leistungsverbesserungen, die aber immer noch im Geburtskanal feststecken.

Und der andere Teil des Bundes? »Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) wiederum will für die Reform keine zusätzlichen Bundesmittel opfern. Er bietet aber eine Revisionsklausel an, mit der die Folgen der Reform eines Tages überprüft werden könnten.« Das nun ist ein Versprechen ohne viel Wert für die Bundesländer.

Und der Bund hat außerdem in sein Angebot, sich an den Mehrkosten zu beteiligen, einen tückischen Umsetzungsvorschlag eingebaut. Darüber hatte ich bereits in dem Beitrag vom 13.11.2016 berichtet: »Der Bund könnte demnach auf seinen Anteil beim sogenannten Rückgriff verzichten. Gemeint ist das Geld, das Länder und Kommunen Alleinerziehenden per Unterhaltsvorschuss auslegen, sich dann aber zurückholen sollen von säumigen Vätern – meist sind es solche. Dieser Rückgriff allerdings scheitert oft … Die Bundesregierung will den Druck auf säumig Zahler nun verstärken und die Länder motivieren, ausstehenden Unterhalt effektiver einzutreiben. Dazu könnte der Bund auf seinen Anteil bei der Rückholung des Unterhalts verzichten.«

Das hört sich doch nach einem erst einmal vernünftigen Anreiz an. Aber die Wirklichkeit ist eben nicht so rein wie ein Labor, sondern meistens sehr verunreinigt. So auch hier.

Dazu der Staatskanzleichef Thomas Kralinski (SPD) aus Brandenburg, der von Constanze von Bullion so zitiert wird: »In Ostdeutschland, wo besonders oft allein erzogen und besonders schlecht verdient werde, gebe es für Ämter oft gar kein Geld zurückzuholen. Das Angebot des Bundes sei „nicht akzeptabel“.« Das belegt auch die Auswertung des Zusammenhangs zwischen der Rückholquote und der Quote der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in den Bundesländern, die Paul M. Schröder vom BIAJ am 21.08.2016 veröffentlicht hat: Unterhaltsvorschuss: Rückgriffquoten (Rückholquoten) im Verhältnis zu den ELB-Quoten (SGB II) – Ländervergleich. Wo es viele Hartz IV-Empfänger gibt, da sind die Rückholquoten deutlich niedriger als beispielsweise in Bayern oder Baden-Württemberg. Wenn man jetzt, wie der Bund vorschlägt, seine Kostenentlastung an die Rückholquote koppelt, dann würden die armen Bundesländer deutlich schlechter gestellt.

In Ordnung, ich höre ja schon auf. Ich habe mir das auch nicht ausgesucht, die machen das immer komplizierter. Aber heute treffen sich ja die Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin und da kommt die Kuh bestimmt vom Eis.

Also schaue ich vor der Veröffentlichung dieses Beitrags in den Strom der Nachrichten und finden diese Meldung: »Bei einem Treffen der Ministerpräsidenten mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in Berlin zeichnete sich bis zum späten Donnerstagabend noch keine Lösung ab.«
Offensichtlich scheint sich das zu einer echten Zangengeburt zu entwickeln, wenn denn irgendeiner überhaupt mal die Zange in die Hand nimmt. Vielleicht in der Nacht.

Nachtrag 1: Am frühen Morgen des 09.12.2016 (03:54 Uhr) meldet beispielsweise die Süddeutsche Zeitung: Bund und Länder ordnen ihre Finanzbeziehungen neu. Und zu unserem Thema finden wir diesen Hinweis: »Nach dem mehr als achtstündigen Spitzengespräch im Kanzleramt sagte Merkel, es seien „noch einige Dinge in der Feinheit zu klären“. So seien etwa Details bei der Finanzierung der Ausweitung des Unterhaltsvorschusses für Alleinerziehende offen – die Kosten müssen zum Teil von den Ländern getragen werden. Auch zu „wenigen anderen Themen“ seien weitere Beratungen nötig, „aber im Grundsatz ist das heute ein Riesenschritt“.«


Nachtrag 2: Der Deutsche Städtetag zitiert in der Pressemitteilung Deutscher Städtetag begrüßt Grundsatzeinigung zu Finanzbeziehungen. Länder müssen Kommunen nun finanziell besser ausstatten – Solide Lösung beim Unterhaltsvorschuss erforderlich die Präsidentin des Deutschen Städtetages, Oberbürgermeisterin Dr. Eva Lohse aus Ludwigshafen mit diesen Worten: »Zum Thema Unterhaltsvorschuss begrüßte sie, dass die Ausweitung der Leistungen nun nicht mehr so kurzfristig zum 1. Januar in den Kommunen umgesetzt werden muss, was die Städte vor unlösbare Probleme gestellt hätte. Bund und Länder müssten bei ihren weiteren Gesprächen zum Unterhaltsvorschuss eine solide Lösung finden, die den Alleinerziehenden helfe und gleichzeitig Doppelbürokratie bei der Auszahlung der Leistungen abbaue, mahnte Lohse. Bei den Gesprächen über die Details sollten die Kommunen in einem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren einbezogen werden.«

Wenn Hartz IV bedarfsgemeinschaftlich „ansteckend“ wird – aber nicht für jeden. Nachtrag zur Kommentierung der neuen Hartz IV-Entscheidung des BVerfG

Das Bundesverfassungsgericht hatte mit Beschluss vom 27. Juli 2016 – 1 BvR 371/11 wieder einmal ein „Hartz IV-Urteil“ gesprochen. Es geht um die Einkommensanrechnung in einer „Bedarfsgemeinschaft“ eines Vaters mit einer Erwerbsunfähigkeitsrente, der seinen bedürftigen Sohn bei sich in der Wohnung aufgenommen hat. Diese sei rechtmäßig und auch der abgesenkte Regelbedarf des noch nicht 25 Jahre alten Sohnes ebenfalls. Der Beschluss und die dort vorgenommene Argumentation wurde bereits in einer ersten Kommentierung auf dieser Seite kritisch unter die Lupe genommen: Das Bundesverfassungsgericht fordert elterlich-monetäre Solidarität mit den Kindern und fördert zugleich die Auflösung der familiären Bande? Ein Kommentar zum Beschluss 1 BvR 371/11 vom 7. September 2016.

Bevor der Staat Hartz IV nach den Regeln des SGB II zahlt, erzwingt er die Unterstützung von Partner und Familie – wenn alle in einem Haushalt leben. Dass das BVerfG diesen Tatbestand für rechtens erklärt hat, ist wenig überraschend – es segnet damit nur die gängige Praxis ab. Also grundsätzlich, aber eben nicht immer, worauf in der ersten Kommentierung bereits angewiesen wurde, denn vereinfachend und zuspitzend formuliert gilt das nur für die „gutmütigen“ Familien, nicht aber für die – ob faktisch oder nur auf dem Papier – „zerrütteten“ und auch die gut bestückten eigentlichen Bedarfsgemeinschaften können sich der Verpflichtung mehr oder weniger elegant entziehen.

In der ersten Kommentierung wurde mit Blick auf die differenzierte Argumentation der Verfassungsrichter zusammenfassend bilanziert:

»Wenn man die niedrigeren Leistungen für das volljährige Kind und die Anrechnung elterlichen Einkommens nicht schlucken will, wird man gezwungen sein, die gerade erst wieder vom BVerfG abgesegneten elterlich-monetären Fürsorgebande zu durchtrennen über eine (reale? simulierte?) familale Zerrüttung, deren Existenz oder Behauptung ja auch in den Augen der Verfassungsrichter dazu führt, dass die Kinder nicht mehr Bestandteil der Bedarfsgemeinschaft sein können. Wie sich dann die „zerrüttete“ Familie in der Wirklichkeit verhält, kann von Alpha bis Omega reichen und entzieht sich übrigens im Fall der nur auf dem Papier bestehenden Zerrüttung und des faktischen Zusammenhaltens und -wirtschaftens der eigentlich damit verbundenen rechtlichen Konsequenzen, die nun ja auch durch das BVerfG abgesegnet worden sind. Mithin, so die nur auf den ersten Blick irritierende Zuspitzung, leistet der Beschluss des BVerfG einen aktiven Beitrag zur Auflösung der ansonsten verfassungsrechtlich so hoch gehaltenen familiären Bande.

Die offensichtlich erkennbare Malaise kann so formuliert werden: Wenn man sich dem doppelten Druck der a) Einkommensanrechnung bei den Eltern (was andere Erwachsene nicht haben) und b) dem auf 80 Prozent abgesenkten Regelbedarf (der niedriger liegt als bei den anderen Erwachsenen) entziehen will/muss, dann ist man gezwungen, die Situation einer Verweigerung der elterlichen Solidarität herbeizuführen oder – seien wir realistisch – zumindest eine solche zu simulieren. Dass die Ehrlichen wieder einmal die – vom Ergebnis her gesehen – Dummen sind, sei hier nur angemerkt.«

Gernot Kramper hat nun in seinem Kommentar diesen Aspekt und weiterführende Gedanken aufgenommen und unter der Überschrift Hartz-IV-Urteil – jetzt wird Armut ansteckend veröffentlicht.

Auch Kramper geht in seinen Ausführungen auf den Entstehungshintergrund der jetzigen Rechtslage ein, die mit der Einführung des SGB II und der damit verbundenen Ablösung der bis dahin geltenden Regelungen des Bundessozialhilfegesetzes verbunden waren und die man durchaus als Paradigmenwechsel bezeichnen muss, denn bis zum SGB II gab es ein Rückgriffsrecht des Sozialamtes bei Bedürftigkeit eines – auch erwachsenen – Kindes gegenüber den unterhaltsverpflichteten Eltern. Man hat sich, wenn was zu holen war, das Geld bei den Eltern wieder geholt und diese in die Pflicht genommen. Das wurde – eigentlich – mit dem SGB II abgeschafft bei den erwachsenen Kindern. Aber eben nur eigentlich, wie auch Kramper anmerkt:

»Mit der Agenda 2010 fand die Regierung unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD) 2005 einen cleveren, doch perfiden Dreh, die Unterhaltspflicht in der Theorie fallen zu lassen und in der Praxis noch zu verschärfen. Und das ging in etwa so: „Wir wissen, dass ihr keinen Unterhalt zahlen müsst. Aber wenn wir den Bedarf des Hartzers berechnen, rechnen wir euch trotzdem mit ein. Der kriegt einfach weniger vom Staat. Ihr werdet ihn ja nicht verhungern lassen.“ Bedarfsgemeinschaft nennt sich das Konstrukt der Schröder-Regierung. Und besonders toll: Beim Unterhalt von erwachsenen Kindern gab es immer strikte Höchstgrenzen, bei der Hartz-IV-Berechnung nicht. Hier wird so lange angerechnet, bis alle in der Bedarfsgemeinschaft auf Hartz-IV-Level sind.«

Und auch Kramper identifiziert den entscheidenden Punkt, auf den ich bereits in ersten Kommentar hingewiesen habe:

»Und der erfolgreiche Schutz vor Armut funktioniert genauso wie einst bei Lepra: Am besten meidet man jeden Kontakt zu den Befallenen. Im verhandelten Fall wurde der Vater nur Opfer seiner Gutmütigkeit und Naivität. Er war eben dumm, seinen Sohn weiter zu beherbergen. Hätte er ihn an die Luft gesetzt, wäre ihm eine Menge Ärger erspart geblieben.«

 Die Konsequenz daraus kann man mit Kramper durchaus als eine „sozial zersetzende Wirkung“ bezeichnen, denn: »Kam früher ein Familienmitglied in Not, war es der erste Impuls der Verwandten, ihm Obdach zu gewähren. Heute muss man sagen: Alles, nur das nicht! Ist der Arme erst einmal in der Wohnung, wird eine Bedarfsgemeinschaft vom Amt unterstellt und die Verwandten werden bis aufs Hemd ausgezogen. Eigeninitiative und Unterstützung von Verwandten ist schön und gut – aber mal Hand aufs Herz: Wer ist so großzügig, dass er selbst dauerhaft auf Sozialfall-Niveau absinken will?« Eine gute und notwendigerweise zu stellende Frage.

Aber Kramper geht in seiner Kritik auf eine weitere für die Lebenswirklichkeit wichtige Differenzierung ein, die hier herausgestellt werden soll: Die Inpflichtnahme der Eltern in einer Bedarfsgemeinschaft gilt – eigentlich – für alle, aber faktisch nur für die ärmeren Haushalte, wenn sie sich denn so verhalten, wie man es von ihnen erwartet, denn kann sind sie kaum bis gar nicht in der Lage, sich der Kollektivierung durch das Konstrukt der Bedarfsgemeinschaft zu entziehen: »Wer in seiner Mietwohnung mit drei Zimmern die Tochter mit Kind aufnimmt, die vor ihrem gewalttätigen Mann geflohen ist, wird schnell auf die Bedarfsgemeinschaft festgenagelt. Eine Küche, ein Bad, ein Kühlschrank – da ist es schwer zu beweisen, dass man nicht aus einem Topf wirtschaftet.« Hier schlägt dann die Verbedarfsgemeinschaftlichtung voll durch.

Aber bei anderen Familien ist das anders und damit legt Kramper den Finger auf eine weitere Wunde der eben nicht von allen eingeforderten Beteiligung der Eltern an der Bedürftigkeit des Kindes:

»Nehmen Besserverdiener und Cleverle ihre mittellose Tochter mitsamt Enkel auf, haben sie tausend Möglichkeiten der Hartz-Haftung zu entgehen. Das geht, weil sie wirtschaftlich so beweglich sind, dass sie durch passende Gestaltung der Anrechnung für die Leistungen der Tochter leicht entgehen können. Etwa so: Sie vermieten der Tochter einfach die leer stehende Einliegerwohnung. Damit umgehen sie die Bedarfsgemeinschaft – keine gemeinsame Wohnung – und lassen sich ihre Hilfsbereitschaft noch vom Amt honorieren. Vielleicht nicht fair, aber raffiniert. Doch selbst, wenn das gut situierte Elternpaar keine Einliegerwohnung hat, muss man nicht verzweifeln. Der Klassiker: Mama und Papa mieten eine Wohnung am Markt und vermieten die Bleibe an Tochter und Enkel unter.«

Man erkennt schon an diesen wenigen Zeilen, was für Gestaltungsoptionen sich denen eröffnen, die haben und die im Ergebnis nichts abgeben müssen, während die anderen, die wenig haben, auch noch in die Mangel genommen werden, wenn sie sich den „Fehler“ erlauben, familiäre Solidarität zu praktizieren auch unter sehr prekären Bedingungen. Dazu bemerkt Kramper mit Blick auf die aktuelle Entscheidung des BVerfG: Der unterlegene Kläger soll dagegen von seiner kümmerlichen Erwerbsunfähigkeitsrente abgeben. Mit 615 Euro Rente habe er schließlich „hinreichende Mittel“ und müsse „zur Existenzsicherung seines Sohnes beitragen“.