Weniger als die Hälfte der Arbeitnehmer arbeiten in Unternehmen mit einem Tarifvertrag. Nicht-tarifgebundene Betriebe dominieren die Wachstumsfelder der Beschäftigung

Alle vier Jahre macht das Statistische Bundesamt eine umfangreiche Verdienststrukturerhebung, die letzte fand im Jahr 2014 statt. Die berücksichtigt Angaben von über einer Million Beschäftigungsverhältnissen in 60.000 Betrieben. Für das Berichtsjahr 2014 wurden erstmals auch die Kleinstbetriebe mit weniger als zehn Beschäftigten befragt – ein wichtiger Aspekt für das Thema, das hier angesprochen werden soll. Es geht um die Tarifbindung der Arbeitnehmer in den Betrieben, in denen sie arbeiten. Also ob in ihrem Unternehmen ein Branchen- oder Firmentarifvertrag Anwendung findet oder eben nicht. Die Daten zeigen eine deutliche Schieflage hinsichtlich der Betriebsgröße, denn in den Kleinbetrieben mit weniger als 10 Beschäftigten fallen 89 Prozent unter keine tarifvertragliche Regelung. Am anderen Ende des Spektrums ist es genau anders herum, denn in den Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten arbeiten 82 Prozent unter dem Dach eines Tarifvertrags.

Im Jahr 2014 arbeiteten rund 45 Prozent der Arbeitnehmer in Deutschland in einem tarifgebundenen Betrieb, das heißt in einem Betrieb, der entweder einem Branchen- (41 Prozent) oder Firmentarifvertrag (4 Prozent) unterlag. Wie das Statistische Bundesamt nach weiter mitteilt, lag der Anteil der tarifgebundenen Betriebe im Jahr 2014 bei knapp 15 Prozent (vgl. dazu 45 % der Beschäftigten arbeiteten 2014 in tarifgebundenen Betrieben).

Die Abbildung verdeutlicht nicht nur die Zusammenhänge der (Nicht-)Tarifbindung mit der Größe der Unternehmen, sondern zeigt auch die erheblichen Unterschiede auf zwischen den einzelnen Wirtschaftszweigen.

»Das Ausmaß der Tarifbindung der Beschäftigten variierte zwischen den Wirtschaftszweigen stark. In den Bereichen Öffentliche Verwaltung, Verteidigung; Sozialversicherung (100 %), Energieversorgung (85 %) sowie Erziehung und Unterricht (83 %) war die Tarifbindung am größten. Diese Wirtschaftszweige sind vornehmlich durch die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes sowie durch die Beamtenbesoldungsgesetze geprägt. Die niedrigste Tarifbindung der Beschäftigten hatten die Bereiche Land- und Forstwirtschaft, Fischerei (13 %), Erbringung von freiberuflichen, wissenschaftlichen und technischen Dienstleistungen (20 %), Kunst, Unterhaltung und Erholung (21 %), Grundstücks- und Wohnungswesen (22 %), Information und Kommunikation (22 %) sowie das Gastgewerbe (23 %), bei denen jeweils weniger als ein Viertel der Beschäftigten in tarifgebundenen Betrieben arbeiteten. Die Tarifbindung ist somit in weiten Teilen des Dienstleistungsbereichs unterdurchschnittlich«, so das Statistische Bundesamt.

Diese erheblichen Unterschiede sind nicht folgenlos, findet man doch gerade in den hinsichtlich des Beschäftigungswachstums wichtigen Dienstleistungsbereichen eine unterdurchschnittliche Tarifbindung, mit den bekannten Auswirkungen für die Beschäftigungen bei deren Arbeitsbedingungen, zu denen auch die Entlohnung gehört und die ist im Regelfall niedriger als in den tarifgebundenen Unternehmen.

Auch das IAB veröffentlicht regelmäßig Daten zur Tarifbindung der Beschäftigten. Datenbasis dafür ist das IAB-Betriebspanel. Jährlich werden von Ende Juni bis Oktober bundesweit knapp 16.000 Betriebe aller Wirtschaftszweige und Größenklassen befragt. Die Befragung wird in persönlich-mündlichen Interviews durchgeführt. Die aktuellsten Daten (vgl. Tarifbindung der Beschäftigten, 01.06.2016) zeigen: »2015 arbeiten hochgerechnet etwa 51 Prozent der westdeutschen und 37 Prozent der ostdeutschen Beschäftigten in Betrieben, die branchentarifgebunden sind. Firmentarifverträge gelten für 8 Prozent der westdeutschen und rund 12 Prozent der ostdeutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Für 41 Prozent der Beschäftigten im Westen und 51 Prozent im Osten gibt es keinen Tarifvertrag.« Die Abbildung verdeutlicht zudem mit Blick auf den Zeitraum von 1996 bis 2015 die abnehmende Tarifbindung sowohl in West- wie in Ostdeutschland sowie die Niveauunterschieden zwischen West uns Ost.

Wenn dein starker Arm will und macht, aber das Bundesarbeitsgericht eine teure Rechnung präsentiert. Das Streik-Urteil gegen die Gewerkschaft der Flugsicherung

Die Mühlen der Justiz mahlen langsam, aber sie mahlen. Und auch Arbeitskampfmaßnahmen landen immer wieder vor der Arbeitsgerichtsbarkeit, man denke hier nur an die Streiks der Lokführer. Oder denken wir zurück an den Anfang des Jahres 2012. Damals wurde der Flugverkehr auf dem Frankfurter Flughafen lahmgelegt durch einen Streik der in der Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF) organisierten „Vorfeldlotsen“.  Die GdF vertritt die berufs- und tarifpolitischen Interessen des Flugsicherungspersonals und hat bundesweit etwa 4.000 Mitglieder. Sie hatte mit der Betreibergesellschaft des Frankfurter Flughafens – der Fraport AG (Fraport) – einen Tarifvertrag für die Beschäftigten in der Vorfeldkontrolle und Verkehrszentrale geschlossen. Die Regelungen in § 5 bis § 8 des Tarifvertrags waren erstmalig zum 31. Dezember 2017 kündbar, die übrigen bereits zum 31. Dezember 2011. Nach Teilkündigung des Tarifvertrags mit Ausnahme von § 5 bis § 8 durch die GdF zum 31. Dezember 2011 verhandelten diese und Fraport über einen neuen Tarifvertrag. Ein vereinbartes Schlichtungsverfahren endete mit einer Empfehlung des Schlichters.

Am 15. Februar 2012 kündigte die GdF gegenüber Fraport an, ihre Mitglieder zu einem befristeten Streik mit dem Ziel der Durchsetzung der Schlichterempfehlung aufzurufen. Der am 16. Februar 2012 begonnene Streik endete aufgrund einer gerichtlichen Unterlassungsverfügung am 29. Februar 2012. In der Folgezeit ging es los mit der juristischen Aufarbeitung des Streiks – so klagten zwei Airlines (Lufthansa und Air Berlin) auf Schadensersatz gegen die Gewerkschaft aufgrund der Flugausfälle. Diese wurden allerdings zurückgewiesen. Auch ihre gegen diese Entscheidungen gerichtete Revisionen vor dem Bundesarbeitsgericht hatten keinen Erfolg. Als Drittbetroffene haben sie keinen Schadensersatzanspruch, so das BAG, dass das breite in einem Urteil von 2015 so fixiert hat. Aber eine andere Entscheidung des höchsten Arbeitsgerichts trifft die Gewerkschaft schmerzhaft und materiell in Form eines Schadensersatzanspruchs der erfolgreichen Gegenseite (vgl. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 26. Juli 2016 – 1 AZR 160/14).

Unter der neutral daherkommenden Überschrift Arbeitskampf – Verletzung der Friedenspflicht – Schadensersatzanspruch teilt das Bundesarbeitsgericht nun mit:

»Ein Streik, dessen Kampfziel auch auf die Durchsetzung von Forderungen gerichtet ist, welche die in einem Tarifvertrag vereinbarte Friedenspflicht verletzen, ist rechtswidrig. Er verpflichtet bei schuldhaftem Handeln zum Ersatz der dem Kampfgegner entstandenen Schäden. Die streikführende Gewerkschaft kann nicht einwenden, die Schäden wären auch bei einem Streik ohne friedenspflichtverletzende Forderungen entstanden.«

Mit ihrer Klage hat die Fraport AG von der GdF den Ersatz ihr aufgrund des Streiks entstandener Schäden verlangt. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die hiergegen von der Fraport AG eingelegte Revision hatte vor dem Ersten Senat des Bundesarbeitsgerichts nun Erfolg.
Das Einfallstor für die höchstrichterliche Bewertung der Rechtswidrigkeit des Streiks sind die unterschiedlichen Laufzeiten der tarifvertraglichen Regelungen – denn die Regelungen in § 5 bis § 8 des Tarifvertrags waren erstmalig zum 31. Dezember 2017 kündbar, die anderen zum 31.12.2011 – sowie die Tatsache, dass die Empfehlung des Schlichters, für dessen Durchsetzung die Gewerkschaft zu Arbeitskampfmaßnahmen aufgerufen hatte,  auch Ergänzungen zu dem noch ungekündigten Teil des Tarifvertrags enthielt. An dieser Stelle dockt das Bundesarbeitsgericht an:

»Hinsichtlich dieser Regelungen galt nach wie vor die tarifvertraglich vereinbarte erweiterte Friedenspflicht. Diese verwehrte es der GdF, Änderungen mit Mitteln des Arbeitskampfes durchzusetzen. Ihr Einwand, sie hätte denselben Streik auch ohne die der Friedenspflicht unterliegenden Forderungen geführt (sog. rechtmäßiges Alternativverhalten), ist unbeachtlich. Es hätte sich wegen eines anderen Kampfziels nicht um diesen, sondern um einen anderen Streik gehandelt. Weil die GdF schuldhaft gehandelt hat, ist sie Fraport gegenüber aus Delikt und wegen Vertragsverletzung zum Ersatz von streikbedingten Schäden verpflichtet.«

Die genaue Höhe der Schadenersatzzahlungen muss nun das Hessische Landesarbeitsgericht festlegen. Die Fraport AG selbst hat im Verfahren von Einnahmeverluste in Höhe von 5,2 Mio. Euro durch Hunderte ausgefallene Flüge gesprochen.

Der Fall betrifft aber nicht nur die kleine Gewerkschaft der Flugsicherung. »Das Grundsatzurteil zum Streikrecht kann nach Einschätzung von Fachleuten Auswirkungen auf Arbeitskämpfe auch anderer Gewerkschaften haben. Schadenersatzzahlungen von Gewerkschaften für die Folgen von Arbeitskämpfen sind bisher in Deutschland eher die Ausnahme«, kann man dem Artikel Fraport gewinnt gegen Vorfeldlotsen entnehmen.

Tina Groll kommentiert die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts schon in ihrer Überschrift mehr als deutlich: Streik-Urteil ist fatal für Arbeitnehmerrechte. Der gesamte Streik sei auf illegaler Grundlage erfolgt, argumentierten die höchsten Arbeitsrichter, weil einzelne Forderungen der Gewerkschaft noch der Friedenspflicht unterlagen. Die Vorinstanz, das hessische Landesarbeitsgericht, hatte hier noch eine andere Rechtsauffassung vertreten. Denn die Arbeitsniederlegung hätte so oder so stattgefunden, weil die wesentlichen Forderungen eben nicht mehr der Friedenspflicht unterlegen hätten.

Tina Groll bewertet das so: »Das Urteil ist fatal für Gewerkschaften und Arbeitnehmerrechte. Es schwächt die Arbeitnehmervertreter und kann auf lange Sicht zu einem noch stärkeren Ungleichgewicht zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern auf dem Arbeitsmarkt führen.«

Wie kommt sie zu so einer Einschätzung?

» … auch wenn der von den obersten Arbeitsrichtern ausgedrückte Formalismus juristisch korrekt sein mag, trifft die Rechtsprechung nicht die Realität in der Arbeitswelt. Branchen, Unternehmen und Geschäftsmodelle werden immer flexibler, nicht zuletzt durch den digitalen Wandel. Entsprechend rasant verändern sich die Arbeitsbedingungen, die ebenso agil angepasst werden müssen. Darauf müssen Gewerkschaften und Arbeitnehmervertreter aber genau so schnell und flexibel reagieren können, um soziale und materielle Standards für die Beschäftigten abzusichern – etwa in Tarifverhandlungen. Daher sind die Forderungen dort meist ein Paket von Einzelpunkten, die miteinander zu tun haben … Genau hier könnte die BAG-Rechtsprechung aber negative Folgen haben: Tarifarbeit wird unmöglich, wenn aus formaljuristischen Gründen für einzelne Details nicht gestreikt werden darf, die sehr wohl wesentlich für das Gesamtpaket sind.«

Wenn mögliche millionenschwere Schadensersatzansprüche wie ein Damoklesschwert über Tarifauseinandersetzungen hängen, dann wird sich das Kräfteverhältnis zuungunsten der Gewerkschaften verschieben, die sich dann sehr gut überlegen müssen, ob sie zu Arbeitskampfmaßnahmen greifen (können).

Und das angesprochene Kräfteverhältnis weist bereits eine erhebliche Asymmetrie auf. Dazu Groll: »Immer mehr Unternehmen wandeln sich massiv, auch um sich vor der sozialen Verantwortung für die Beschäftigten zu drücken und damit Kosten zu sparen. Da werden Töchter als tariflose Gesellschaften ausgegründet. Da werden Abteilungen und Unternehmensteile umstrukturiert, sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse abgebaut und stattdessen Freelancer, Leiharbeiter oder Dienstleister beschäftigt. All das unterläuft Flächentarife und mit ihnen die Gewerkschaften.«

Foto: © Stefan Sell

Tarifflucht bei einem privaten Reha-Konzern sowie neben dem Kreuz. Und Kommunen mit (schein)selbständigen Musikschullehrern sollten aufpassen

Wieder einmal wächst die Sammlung zum Thema Tarifflucht. Beginnen wir mit einem Beispiel aus der Welt der privaten, auf Gewinn gerichteten Gesundheitskonzerne, denen man das irgendwie auch zutraut und werfen wir dann den kritischen Blick in das große Lager der unter der Flagge kirchlicher Trägerschaft segelnden Einrichtungen.

Die Median Kliniken GmbH ist der größte private Betreiber von Reha-Einrichtungen in Deutschland. Das Berliner Unternehmen mit rund 13.000 Beschäftigten und 78 Standorten deutschlandweit soll nun Tarifflucht in richtigem großen Stil praktizieren, so der Vorwurf der Gewerkschaft ver.di: Größter privater Reha-Konzern Median begeht Tarifflucht im großen Stil – Fast alle Tarifverträge gekündigt – Betriebsräte erteilen Verhandlungsabsage.

Der Konzern will keine Tarifverträge mehr für die Beschäftigten abschließen. Seit Dezember 2014 ist das Unternehmen in Besitz des niederländischen Investmentfonds Waterland.

Median hat inzwischen für fast alle Kliniken die Manteltarifverträge gekündigt, die unter anderem Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen regeln. Mit der Begründung, so ein „marktorientiertes Handeln“ zu ermöglichen, will das Unternehmen Entgelte und Arbeitsbedingungen künftig mit Betriebsräten und einzelnen Beschäftigten aushandeln.

Die Gewerkschaft wirft dem Reha-Unternehmen vor, Betriebsräte an den einzelnen Standorten massiv unter Druck zu setzen, um so schnell wie möglich Betriebsvereinbarungen abzuschließen. Die Betriebsräte erteilten dem Ansinnen der Konzernspitze jedoch eine Absage. Für Verhandlungen auf betrieblicher Ebene »stehen wir nicht zur Verfügung«, heißt es in einer von zahlreichen Betriebsräten unterzeichneten Resolution.

„Das ist ein Schlag ins Gesicht der Beschäftigten, die jeden Tag und rund um die Uhr einen engagierten und wichtigen Job machen“, wird ver.di-Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler zitiert. Ohne Tarifverträge seien die Beschäftigten der Willkür des Arbeitgebers ausgeliefert.

Die Gewerkschaft hat versucht, auch mit Arbeitsniederlegungen auf die Herausforderung zu reagieren, darüber wurde im Juni berichtet, beispielsweise in diesem Artikel: Streiksaboteur des Tages: Median Kliniken GmbH.  So waren Beschäftigte der Rehaklinik Berlin-Kladow zum Streik aufgerufen.

»Streik? Ohne mich!« konterte das Unternehmen in einem Flugblatt … Median wolle »nicht zurück in die kapitalistische Steinzeit«, beteuert der Konzern in dem Propagandafoyer … Nur Tarifverträge soll es nicht mehr geben. Statt dessen will man »faire flexible Lohnmodelle« mit den Betriebsräten und einzelnen Beschäftigten aushandeln.«

Nun hatte die Gewerkschaft ver.di ja darauf hingewiesen, dass die Betriebsräte angekündigt haben, dass sie nicht für Einzelverhandlungen zur Verfügung stehen. Das war wohl auch so, am Anfang, wie das Beispiel der Fontana-Klinik in Bad Liebenwerda zeigt. Über die Situation dort wurde noch am 16. Juni 2016 berichtet: »In einer Resolution beharren Betriebsräte unterschiedlicher Median-Standorte demnach auf Verhandlungen mit der Gewerkschaft. Das bestätigt Gewerkschaftssekretär Ralf Franke für den Standort Bad Liebenwerda. Der dortige Betriebsrat habe diese Resolution ebenfalls unterzeichnet, wolle sich aber dennoch die Vorschläge der Geschäftsführung anhören.«
Das hat mittlerweile stattgefunden und offensichtlich mehr, denn am 27. Juni 2016 meldet der Konzern in einer Mitteilung: MEDIAN Fontana-Klinik: Gemeinsam flexibles Lohnmodell für alle Beschäftigen beschlossen:

»Geschäftsleitung und Betriebsrat der MEDIAN Fontana-Klinik in Bad Liebenwerda haben am Donnerstag einen Durchbruch erzielt und sich … bei gemeinsamen Gesprächen auf höhere Bezüge für die Beschäftigten geeinigt. Damit hat man es an der Klinik trotz heftigem Gegenwind durch die Gewerkschaft ver.di geschafft, hausintern eine schnelle und von beiden Seiten getragene Lösung zu finden. Bereits zum 1. Juli werden sich danach Löhne und Gehälter an der Fontana-Klinik in erster Stufe flexibel und berufsgruppenspezifisch erhöhen. Gleichzeitig wurden die Eckpunkte einer Arbeits- und Sozialordnung definiert.«

Und in einem anderen Artikel wird Dieter Stocker, Geschäftsbereichsleiter Ost bei MEDIAN, mit diesen Worten zitiert: „Wir gehen aber nicht mit der Gießkanne vor, wie bei der klassischen gewerkschaftlichen Tariferhöhung, sondern schauen genau, gemeinsam mit dem Betriebsrat, was in den einzelnen Berufsgruppen möglich ist. Dieses Modell könnte auch für andere Standorte von MEDIAN Schule machen.“

Man erkennt, dass es dem Konzern hier darum geht, die Gewerkschaft rauszudrängen bzw. zu verhindern, dass sie noch irgendwas mitzureden hat hinsichtlich der Arbeitsbeziehungen und man das vor Ort mit den Betroffenen selbst „regeln“ will. Dabei wird man auch am Anfang den Betriebsräten einige Zugeständnisse machen, um sie rüberzuziehen. Offensichtlich ist das an dem Standort bereits gelungen.

Und dass die Gewerkschaft, also ver.di, Schwierigkeiten hat, in den Einrichtungen des Sozial- und Gesundheitswesens überhaupt Fuß fassen zu können, was ja Voraussetzung ist, um was für die Beschäftigten überhaupt tun zu können, liegt nicht nur in dem niedrigen Organisationsgrad begründet, sondern kann auch mit der Trägerschaft der Einrichtung zu tun haben, also wenn die unter dem Dach konfessioneller Trägerschaft operiert und damit die Sonderregelungen des kirchlichen Arbeitsrechts für sich beanspruchen kann.

Und auch aus diesem Lager gibt es wieder ein Beispiel für Tarifflucht, gleichsam in fortgeschrittenem Stadium, zu berichten. Konkret geht es um das katholische Dominikus Krankenhaus in Berlin, ein konfessionelles Krankenhaus in der Trägerschaft der Dominikus-Krankenhaus Berlin-Hermsdorf GmbH, die wiederum bei der Caritas Mitglied ist.
Und dieses Unternehmen macht auch gerade Schlagzeilen: „Vorne beten, hinten treten“ – ver.di kritisiert Kündigung von  über 80 Beschäftigten bei der Dominikus Service GmbH. So hat die Gewerkschaft ver.di Berlin-Brandenburg eine Pressemitteilung überschrieben. Der kann man entnehmen:

»Das katholische Dominikus Krankenhaus (Caritas) in Berlin löst seine Tochterfirma die Dominikus Service GmbH (DSG) auf und entlässt über 80 Beschäftige zum Ende des Jahres. Ein entsprechendes Kündigungsschreiben haben die Beschäftigten der DSG erhalten. In der DSG sind die Bereiche Küche/Cafeteria, Logistik, Reinigung, Hauswirtschaft und Bettenaufbereitung ausgelagert. Die Tätigkeiten sollen zukünftig von der Firma Klüh erbracht werden. Die Geschäftsführung begründet ihre Maßnahme, mit Einsparpotentialen durch die Vergabe an Klüh.«

Nun muss man wissen, dass mit der DSG bereits Tarifflucht begangen wurde, denn  jetzt wird in diesem Bereich des Krankenhauses nicht nach den Arbeitsvertragsrichtlinien der Caritas (AVR Caritas) bezahlt, sondern nur nach den branchenüblichen Löhnen. Das war das Ziel der damaligen Ausgliederung. So auch die Überschrift »Caritas hat schon Tarifflucht begangen« zu einem Interview mit Kalle Kunkel, Gewerkschaftssekretär bei ver.di. Offensichtlich gibt es eine gewisse Irritation über die Motive des nun anstehenden Abstoßens der DSG:

»Warum das Management von Dominikus diese Entscheidung getroffen hat, wissen wir nicht. Denn der größte Teil der bei der Servicegesellschaft Beschäftigten arbeitet im Reinigungsbereich. Auch in der Logistik, sowohl im Patienten- wie im Gütertransport, sind einige tätig. Ebenfalls in der Service GmbH angesiedelt sind die Stationsassistenz und die Küche. Für die meisten dieser Bereiche wird das Entgelt durch Mindestlohnregelungen oder allgemeinverbindliche Tarifverträge bestimmt. Im Reinigungsbereich liegt der Mindestlohn bei etwas unter zehn Euro. Das muss auch bei der neuen Firma gezahlt werden.«

Die erste Stufe der Tarifflucht war also die Auslagerung der Beschäftigten in die DSG und deren Abkoppelung von der katholischen AVR-Vergütung. Der zweite Schritt ist nun zum einen die weitere Verschärfung der Situation, indem die langjährigen Beschäftigten vor die Tür gesetzt werden. Denn es handelt sich nicht um einen Betriebsübergang, die betroffenen Arbeitnehmer müssen also nicht weiterbeschäftigt werden. Sie können sich dann bei dem neuen Unternehmen bewerben, aber haben keinen Anspruch auf Übernahme und vor allem nicht zu den alten Konditionen. Und zum anderen – so eine plausible These -, erhofft man sich weitere Einsparungen schlichtweg dadurch, dass der neue Dienstleister mit (noch) weniger Personal versuchen wird, die Bereiche abzudecken.

Anders formuliert: Der Träger entsorgt die bereits ausgelagerten Beschäftigten. Und er wird auf keinen Widerstand stoßen, selbst der Gewerkschaftsfunktionär merkt frustriert an:

Die Beschäftigten sehen für sich keine Perspektive, noch etwas zu erreichen. Deren Stimmung ist nicht so, dass sie sagen: »Morgen gehen wir in den Arbeitskampf.«

Sein Fazit: »Da zeigt sich mal wieder, dass die kirchlichen Unternehmer betriebswirtschaftlich kalkulierende Arbeitgeber wie alle anderen auch sind. Das christliche Aushängeschild, dass sie sich dranhängen, hat wenig Aussagekraft. Zumindest nicht in Bezug auf den Umgang mit den Beschäftigten, insbesondere, wenn es um die unteren Lohngruppen geht.«

Gibt es denn für Arbeitnehmer nicht wenigstens irgendwelche positiv daherkommenden Botschaften? Bei denen sie mal nicht das Nachsehen haben?

Wie wäre es vielleicht mit diesem Fall, der sicher zahlreichen Kommunen einige Schweißperlen auf die Stirn treiben wird: Sozialversicherungspflicht für „selbständigen“ Musikschullehrer, so ist der Bericht über ein Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Nordrhein-Westfalen in Essen überschrieben (Az.: L 8 R 761/14). „Selbstständige“, auf Honorarbasis bezahlte Lehrer an Musikschulen sind bei einer regelmäßigen umfassenden Tätigkeit gar nicht selbstständig. Sind zudem Arbeitsort, Zeit und auch die Lehrpläne vorgegeben, spricht dies für eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, so die Quintessenz.

Zum Sachverhalt, der vielen anderen Kommunen sehr bekannt vorkommen wird:

»Der Musiklehrer war zwischen 2005 bis 2007 noch in der Musikschule angestellt. Aus Kostengründen beschloss 2008 der Rat der Stadt, die Musiklehrer nur noch als Honorarkräfte einzusetzen.
Zwischen 2011 und 2014 war der Gitarrenlehrer daraufhin nur noch eine Honorarkraft. Die Musikschule vereinbarte mit ihm ausdrücklich eine „selbstständige Tätigkeit als freier Mitarbeiter“.
Doch so „selbstständig“ war der Musiklehrer gar nicht, urteilte das LSG. Er war vielmehr mit seinem Unterricht an das Lehrplanwerk des Verbandes deutscher Musikschulen vertraglich gebunden. Weder hinsichtlich Arbeitszeit noch Arbeitsort oder gar bei der Auswahl der Schüler sei er frei gewesen. Auch habe er kein Unternehmerrisiko getragen, dem gleichwertige unternehmerische Chancen gegenübergestanden hätten.«

Diese Entscheidung des LSG NRW wird so einige Kommunen ins Grübeln bringen (müssen). Denn wie schreibt das LSG NRW in seiner Pressemitteilung zu dieser Entscheidung: »Der Senat hat die hergebrachten Rechtsgrundsätze zur Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit angewen­det und deshalb die Revision nicht zugelassen. Das Urteil hat dennoch grund­sätzliche Bedeutung für den Status von Lehrern an Musikschulen.«