Und ewig lockt die Statistik. Was fantastisch viele Ehrenamtliche mit möglicherweise ganz anderen PISA-Ergebnissen zu tun haben

Mit Zahlen kann man Politik machen, ach was: Mit ihnen macht man ganz handfest Politik. Die einen durchforsten unendliche Zahlenkolonnen im Ersatz für die eigentlich zu führenden Gespräche mit den Menschen selbst, die anderen leiten das, was sie sagen, aus dem ab, was ihnen die Zahlen sagen. Und Wissenschaftler lieben die Zahlen sowieso und rümpfen nicht selten die Nase, wenn jemand „empiriefrei“ zu argumentieren wagt, auch wenn er oder sie ganz nah bei den Menschen ist. Das kann man verurteilen, kritisieren und ablehnen, es ändert alles nichts. Wenn die Währungseinheit Statistik ein eigenständiger Machtfaktor geworden ist, dann muss man eben kritisch auf die präsentierten „Daten und Fakten“ schauen, ob sie halten, was sie versprechen. Oder ob durch die Herstellung entsprechender Zahlenwelten Potemkinsche Dörfer aufgebaut werden als Kulisse für eine Zufriedenheitsproduktion.

In diesen Tagen wurde man von zahlreichen Seiten mit erfreulichen Nachrichten aus der Welt des ehrenamtlichen Engagements beglückt, denn am 5. Dezember wird alljährlich der internationale Tag des Ehrenamtes begangen. Da darf es nicht an lobenden Worten fehlen, die in diesem Fall aus der Politik nur zu gerne ausgereicht werden, denn die hat in mehrfacher Hinsicht einen Gewinn vom ehrenamtlichen Tun der vielen Menschen in unserem Land. Und die Politik vermeldet Höchststände beim ehrenamtlichen Engagement in unserem Land. Endlich mal gute Nachrichten.

Dabei gibt es natürlich auch die kritischen Stimmen und Berichte, die vor einer Überhöhung und Instrumentalisierung warnen. „Das Ehrenamt muss als Lückenfüller herhalten“, so ist beispielsweise ein Interview überschrieben mit Maria Ebert, die sich im Medibüro Berlin engagiert, wo sie Menschen ohne Krankenversicherung ärztliche Versorgung vermittelt. Almuth Knigge berichtet aus Bremen, immer wieder vorgetragene Bedenken teilweise bestätigend: Ohne Ehrenamtliche geht wenig: »Viele Millionen Menschen setzen sich in Deutschland für gemeinnützige Zwecke ein. In manchen Bereichen ersetzen sie inzwischen den Staat.« Und bereits im März dieses Jahres wurde die NDR-Dokumentation Ehrenamt unter Druck ausgestrahlt, dessen redaktionelle Beschreibung durch das Zitieren der quantitativen Bedeutung des Ehrenamts gut überleitet zu dem Aspekt, der in diesem Beitrag verfolgt werden soll:

»Man mag sich nicht ausdenken, was ohne das Engagement Zehntausender ehrenamtlicher Helfer, die sich um Flüchtlinge kümmern, geschehen würde. Aber nicht nur bei der Flüchtlingshilfe sind Ehrenamtliche im Einsatz. Sie engagieren sich für Obdachlose, sind in Altenheimen aktiv, arbeiten in Bahnhofsmissionen und Tafeln, im Umweltschutz, bei der freiwilligen Feuerwehr, in Sportvereinen und vielen anderen Bereichen. Beeindruckend allein die Zahlen. In ganz Deutschland engagieren sich 23 Millionen Menschen ehrenamtlich: In Schleswig-Holstein sind 40 Prozent der über 14-Jährigen ehrenamtlich tätig, in Niedersachsen 41 Prozent und in Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern immerhin noch 29 Prozent.«

Da wird der eine oder andere Leser sicher denken, dass das a) eine ganz tolle Sache ist mit dem Engagement, dass aber b) die Engagement-Differenzen zwischen Schleswig-Holstein und  Mecklenburg-Vorpommern ganz erheblich daherkommen. 40 zu 29 Prozent, so hat man es uns mitgeteilt.

Und schon sind wir mittendrin in der Zahlenwelt. Astrid Ehrenhauser hat sich in ihrem Artikel Zu fantastisch, um wahr zu sein kritisch mit der Statistik zum ehrenamtlichen Engagement auseinandergesetzt: »Früher haben sich rund 36 Prozent der Menschen in Deutschland ehrenamtlich betätigt. Jetzt sollen es knapp 44 Prozent sein. 20 Prozent mehr freiwilliges Engagement seit 2009?«
„Science-Fiction“ nennt der Sozialwissenschaftler Roland Roth die servierten Zahlen. Ein starker Vorwurf. Und der Mann ist nicht irgendwer bei diesem Thema, denn er »war sachverständiges Mitglied der Expertengruppe des zweiten Freiwilligensurveys von 2004. Er kritisiert die zwei Millionen Euro teure Umfrage von 2014 scharf. Das Bundesfamilienministerium finanziert die Freiwilligensurveys, die nun zum ersten Mal vom Deutschen Zentrum für Altersfragen durchgeführt und im April 2016 veröffentlicht wurde. Die ersten drei Wellen des Freiwilligensurveys wurden in den Jahren 1999, 2004 und 2009 erhoben.«

Das nunmehr für 2014 ausgewiesene deutlich größere ehrenamtliche Engagement beruht, so die Roth’sche Kritik,  eher „auf veränderten Berechnungsgrundlagen“. Roth wird so zitiert: „Die Standards für Tätigkeiten, die als freiwilliges Engagement gelten sollen, wurden abgesenkt.“ So würden jetzt selbst „Kicken im Park oder das Wandern und Chorsingen im Altenverein als Beispiele für freiwilliges Engagement aufgeführt“. Und andere Studien wie etwa das Sozioökonomische Panel und die Shell-Jugendstudie, sehen diesen drastischen Anstieg nicht.

Was sagen die Kritisierten? Claudia Vogel, Mitherausgeberin der Studie, widerspricht Roth: »Höhere Lebenserwartung und ein „Engagement-Hype“ erklärten den Anstieg. Sie räumt jedoch ein, dass die Definition von Engagement erweitert wurde: So sei Singen im Chor in die Berechnung eingeflossen, „weil es einen Teamcharakter“ habe.«

In nach oben getriebenen Zahlen das Engagement betreffend liegt eine große Gefahr für das ehrenamtliche Engagement: die Politik ruht sich auf den „Erfolgen“ der eigenen Engagementpolitik aus. Roth spricht von einer »Neigung zu Hochglanz, zu postfaktischer Selbstdarstellung.«
Und die Ehrenamtsorganisationen? Sie schweigen, für Roth nicht wirklich überraschend: „Die direkte Abhängigkeit von öffentlichen Mitteln begünstigt leider eine Kultur, in der Kritik oft nur hinter vorgehaltener Hand vorgetragen wird.“

Ein anderes Beispiel: Heute überschlagen sich die Medien mit Berichten über die neuen PISA-Ergebnisse. Die Befunde aus PISA 2015 (vgl. auch diese Übersichtsseite der OECD) werden von den einen freudig, von den anderen hysterisch und von noch anderen distanziert aufgenommen. Darum soll es hier gar nicht weiter gehen, sondern um die in vielen Berichten vorgenommenen Vergleiche mit den PISA-Vorläuferstudien und der immer wieder gestellten (oft einzigen) Frage: Sind wir jetzt besser oder schlechter geworden oder gleich geblieben? Und wie stehen wir im Ranking mit den anderen Ländern? Das hat die gleiche „Gebt mir eine einzige Zahl“-Qualität wie die punktuelle Frage, wie viele Menschen in Deutschland sind denn arm.
Möglicherweise aber kann man sich die gesamte Vergleicherei mit den früheren Ergebnissen sparen. Warum? Schauen wir auf die Selbstbeschreibung von PISA 2015:

»Im April und Mai 2015 nahmen 253 Schulen mit 10.500 Schülerinnen und Schülern in ganz Deutschland am PISA-Test teil. Die Aufgaben aus den Bereichen Naturwissenschaften (Schwerpunkt), Mathematik, Lesen sowie Problemlösen im Team werden weltweit von Schülern in 73 Ländern bearbeitet.
Bei PISA 2015 werden nach 2006 zum zweiten Mal die naturwissenschaftlichen Kompetenzen der 15-jährigen Schülerinnen und Schülern als Schwerpunkt getestet. Das bedeutet, dass ein Großteil der Testaufgaben aus dem Gebiet der Naturwissenschaften stammt und jeweils ein kleinerer Teil zu den Bereichen Lesekompetenz und Mathematik gehört.«

So weit, so bekannt. Am man sollte weiterlesen:

»Neu ist, dass die Testaufgaben komplett computerbasiert bearbeitet werden. Dies gilt auch für die in dieser PISA-Runde enthaltenen übergreifenden Kompetenzen des Problemlösens im Team. Die Jugendlichen müssen hier am Computer Problemlöseaufgaben bearbeiten, in denen sie nicht auf sich allein gestellt sind, sondern virtuell Mitschüler oder Partner haben.«

Marcel Grzanna hat sich in seinem Artikel Computer statt Papier mit dieser grundlegenden Veränderung der Vorgehensweise bei PISA genauer beschäftigt. Die Ergebnisse der jüngsten internationalen Schülervergleichsstudie basieren erstmals auf einer digitalen Erhebung. Das eröffnet den Forschern ganz neue Möglichkeiten, die sie vorher nicht hatten, denn sie können Zusatzinformationen sammeln. Zum Beispiel darüber, wie lange die 15-Jährigen brauchen, um einzelne Aufgaben zu bewältigen.

»Allerdings stellt sich auch die Frage, ob die aktuelle Pisa-Studie mit den früheren überhaupt noch vergleichbar ist.« Diese Frage ist mehr als berechtigt und eben nicht nur ein methodischer Nebenaspekt. Wenn man sich die folgenden Erläuterungen von Grzanna durchliest, dann wird einem klar, dass hier massive Veränderungen am Testverfahren vorgenommen worden sind:

„Durch das neue Verfahren wird der Test authentischer und dynamischer. Wir wollen Kompetenzbereiche erfassen, die man nur sehr schwer mit handschriftlichen Verfahren erreichen kann“, sagt Andreas Schleicher, Chef der OECD-Direktion Bildung und Kompetenz in Paris. Ein Teil der Aufgaben stützt sich jetzt auf die Interaktion der Schüler mit der Software, besonders im Bereich Naturwissenschaften. Die Jugendlichen konnten bei manchen Aufgaben verschiedene Varianten ausprobieren und bekamen vom System eine Reaktion auf ihre Versuche. Daraus konnten sie neue Schlüsse ziehen, um schließlich ihre Antworten zu formulieren.
Durch die Interaktion mit der Software können die Forscher die Schüler auf ihrem Lösungsweg begleiten und besser verstehen, was in deren Köpfen vorgeht. Neu ist auch, dass Fragen nicht mehr zurückgestellt werden können. Das System fordert eine sofortige Bearbeitung und registriert, wie lange ein Schüler an einer Aufgabe tüftelt. Jeder Mausklick wird gespeichert.

Nun handelt es sich um seriöse Wissenschaftler und denen war im Vorfeld natürlich schon klar, dass das neue Vorgehen vielleicht nicht in allen der 73 teilnehmenden Ländern unter gleichen Bedingungen durchgeführt werden kann, was sie dann auch getestet haben. Mit diesem Ergebnis: »Es stellte sich heraus, dass die Kinder in manchen Ländern schneller unkonzentriert wurden, weil Computer und Bildschirme veraltet waren. Nachteile hatten auch Schüler aus Ländern, in denen Jugendliche es nicht gewohnt sind, am Computer zu arbeiten, und deshalb mehr Mühe haben, digitale Texte zu lesen und zu verstehen. Mancherorts kam es auch vor, dass die Internetleitung zusammenbrach oder der Strom ausfiel.«

Und welche Konsequenz hat man daraus gezogen?

»Um eine Verzerrung der Resultate wegen äußerer Faktoren zu vermeiden, wurden die Aufgaben nur in 58 der 73 Teilnehmerländer digital gestellt. In den anderen Staaten lösten die Schüler die Aufgaben weiterhin auf Papier.«

Da liegt dieser Hinweis mehr als nahe: »Experten warnen davor, die neue Rangliste mit der aus dem Jahr 2012 direkt zu vergleichen und aus möglichen Verbesserungen oder Verschlechterungen bei der Platzierung vorschnell Schlussfolgerungen zu ziehen … Der Anschluss an die Ergebnisse aus dem Jahr 2012 könne nicht reibungslos funktionieren, weil eine neue Form des Arbeitens hinzugefügt worden sei.«

Auch Thomas Kerstan beklagt in seinem Kommentar Modernisiert, ohne die Folgen auszutesten:

»Man weiß gar nicht genau, ob die deutschen Schüler im Vergleich zu 2012 besser oder schlechter geworden sind. Denn die Pisa-Forscher haben dieses Mal anders getestet … An insgesamt acht Schrauben wurde gedreht, um die Pisa-Studie zu modernisieren. Das widerspricht einer wissenschaftlichen Leitlinie: Wenn du Veränderung messen willst, dann verändere nicht die Messung, lautet sie.«

Leistungstrends lassen sich also erst 2018 nach der nun vorgenommenen Umstellung auf computerbasierte Testung ableiten. Aber was machen viele Medien und Kommentatoren heute? Es wird viele nicht überraschen: Sie vergleichen die neuen Werte mit den alten und leiten daraus munter Schlussfolgerungen ab für die Bildungspolitik. Wenn die Experten von der methodischen Unzulässigkeit wissen, dann handeln sie fahrlässig und getreu dem Motto: Wird schon keiner von den Lesern oder Zuhörern merken. Wenn sie das nicht wissen, dann sind sie keine Experten, sondern wollen ihr (politisches, ideologisches) Süppchen kochen auf dem kurzlebigen Medienhype um das Thema. Bis die nächste Sau durchs Dorf getrieben wird.

Schloss Salem & Co. als lebender Verfassungsverstoß? Wieder einmal die Privatschulen und die – viel größere – Frage nach der Selektion im Bildungssystem

Was für eine Überschrift: „Würde man das Grundgesetz ernst nehmen, müsste Schloss Salem geschlossen werden“, so die Süddeutsche Zeitung. Muss etwa Karlsruhe höchstselbst einschreiten gegen die Privatschulen im tiefen Süden des Landes? Susanne Klein scheint in ihrem Artikel ein gewichtiges Geschütz aufzufahren: »Kinder von Eltern mit hohem Einkommen besuchen deutlich häufiger Privatschulen als Kinder von Eltern mit niedrigem oder mittlerem Einkommen. Das ist Realität. Doch ist es auch rechtens? Mit dem sozialen Ungleichgewicht an staatlich anerkannten Schulen in freier Trägerschaft befasst sich eine … Studie des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB). Die Untersuchung geht der Frage nach, welchen Anteil die Schulpolitik daran hat, dass sich viele der 5770 Privatschulen in Deutschland sozial abschotten. Die Antwort des Wissenschaftszentrums lässt sich in einem Vorwurf bündeln: Bei ihren Regeln und Kontrollen für Privatschulen missachten die meisten Bundesländer das Grundgesetz.« Das macht neugierig, also schauen wir einmal vorbei beim Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB).

Dort finden wir unter der Überschrift Genehmigung von Privatschulen: Bundesländer missachten Grundgesetz diese Informationen: »Die laut Verfassung verbotene „Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern“ an Privatschulen wird durch die Schulpolitik und Verwaltungspraxis unterlaufen. Die vom Grundgesetz beabsichtigte soziale Durchmischung der Privatschulen findet nicht statt. Das belegen Michael Wrase und Marcel Helbig vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) in einer Studie, die jetzt in der Neuen Zeitschrift für Verwaltungsrecht erschienen ist.« Es handelt sich um diese, nicht frei zugängliche Arbeit:

Michael Wrase und  Marcel Helbig: Das missachtete Verfassungsgebot – Wie das Sonderungsverbot nach Art. 7 IV 3 GG unterlaufen wird, in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht, Heft 22/2016, S. 1591 ff.

Im Zentrum der kritischen Überlegungen steht mit Artikel 7 Absatz 4 GG die Verfassung unseres Landes. Die Platzierung des Gewährleistungsrechts, Privatschulen einrichten zu dürfen (Art. 7 GG zählt zu den Grund- und Menschenrechten), resultiert aus der Erfahrung im Nationalsozialismus. Um eine Gleichschaltung der Bildung zu vermeiden, wird das Bestandsrecht von Schulen in freier Trägerschaft garantiert. Vor allem der Satz 3 des Artikels ist hier von Relevanz:

»(4) Das Recht zur Errichtung von privaten Schulen wird gewährleistet. Private Schulen als Ersatz für öffentliche Schulen bedürfen der Genehmigung des Staates und unterstehen den Landesgesetzen. Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn die privaten Schulen in ihren Lehrzielen und Einrichtungen sowie in der wissenschaftlichen Ausbildung ihrer Lehrkräfte nicht hinter den öffentlichen Schulen zurückstehen und eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert wird. Die Genehmigung ist zu versagen, wenn die wirtschaftliche und rechtliche Stellung der Lehrkräfte nicht genügend gesichert ist.«

Es gibt also einen Anspruch auf Genehmigung einer privaten Schule, wenn „eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert wird.“
Man ahnt es schon – in der wirklichen Wirklichkeit geht es wieder einmal um das Geld (und das in mehrfacher Hinsicht, wie wir noch sehen werden). Bei den Privatschulen geht es vor allem um das Institut des Schulgeldes, mit dem man natürlich, je nach Ausgestaltung und vor allem Höhe, steuern und lenken kann, wenn man will (oder muss):

Aus der bisherigen Rechtsprechung haben die beiden Wissenschaftler neun Grundsätze abgeleitet, die eine effektive Einhaltung des Sonderungsverbots (Art. 7 Abs. 4 Satz 3 GG) gewährleisten müssten.
Wrase und Helbig haben dann einschlägige Gerichtsurteile und Gesetze sowie Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften der Bundesländer ausgewertet hinsichtlich einer »Konkretisierung des Sonderungsverbots in Landesgesetzen, Verordnungen oder Verwaltungsvorschriften; die Benennung einer Höchstgrenze für das Schulgeld; die Befreiung vom Schulgeld für Geringverdiener bzw. Sozialleistungsempfänger und die Kontrolle der Aufnahmepraxis.«

Das Ergebnis ihrer Analyse ist ernüchternd: »Von den 16 Bundesländern erfüllen nur Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen zumindest fünf der neun Grundsätze. Bundesländer wie Thüringen oder Bremen beachten keine dieser Vorgaben«, berichtet das WZB. Die Befunde kommen ernüchternd daher (vgl. auch die Übersicht über die Regelungen zum Sonderungsverbot in den deutschen Bundesländern):

»Die Mehrheit der Länder konkretisiert das Sonderungsverbot nicht in eigenen Landesgesetzen. Für Genehmigungsbehörden und Schulträger ist somit nicht klar, wie Schulgelder ermittelt und bis zu welcher Höhe sie erhoben werden können. „Diese gesetzliche Nicht-Regelung fordert eine uneinheitliche Verwaltungspraxis geradezu heraus“, schreiben die Forscher.
So benennen die meisten Länder gar keine Höchstgrenze für das Schulgeld. In Ländern mit einer Obergrenze liegt diese über den 160 Euro, die von der Rechtsprechung als Maximum für das durchschnittliche Schulgeld angesehen wird. In Berlin wird den Privatschulen sogar gewährt, 100 Euro und mehr monatliches Schulgeld von SGB II-Empfängern zu erheben.
Die tatsächliche Aufnahmepraxis an den Privatschulen auf Einhaltung des Sonderungsverbots wird von keinem einzigen Bundesland überprüft.«

Das ist tatsächlich verfassungsrechtlich problematisch, denn das Bundesverfassungsgericht hat in mehreren Entscheidungen die „strikte“ Einhaltung des Sonderungsverbots gefordert und dies zur Grundlage der staatlichen Förderung von Privatschulen gemacht. Nur wenn die Zulassung in der Praxis unabhängig vom Einkommen der Eltern erfolgt und dies auch effektiv kontrolliert wird, werde eine Sonderung der Kinder durch die Genehmigung der Ersatzschule nicht gefördert.

Das muss man vor dem Hintergrund sehen, dass Selektion bei der Zulassung nicht nur wegen des Schulgeldes zu befürchten sei, sondern weil Privatschulen lieber Schüler mit einkommensstarken Eltern aufnehmen würden, da diese die Schule mit Spenden und sonstigem materiellen Engagement unterstützen. Im Ergebnis führt das dann zu solchen Schlagzeilen: „Bei Privatschulen ist soziale Selektion Programm“:

»Wrase und Helbig verweisen darauf, dass der Anteil des Privatschulbesuchs bei Kindern, von denen mindestens ein Elternteil Abitur hat, zwischen 1997 und 2007 um 77 Prozent angestiegen ist, bei Kindern mit Eltern, die die mittlere Reife besitzen, hingegen nur um 1,9 Prozent. Kinder von Eltern in den sozial höchsten Berufsgruppen (etwa Ärzte, Ingenieure, Lehrer, Professoren) seien zu 14,3 Prozent auf Privatschulen. Kinder von Industriearbeitern, Taxifahrern oder Reinigungskräften nur zu 3,5 Prozent.«

Die Lage ist verworren, wenn man etwas genauer hinschaut. Beispiel Berlin:

»Die Autoren der Studie kritisieren, inzwischen habe sich eine Reihe von Privatschulen etabliert, die eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen ihrer Eltern „geradezu zum Programm gemacht haben“. In Berlin seien die „Berlin Cosmopolitan School“ und die „Berlin Metropolitan School“ solche Fälle, internationale Schulen mit Standorten in Mitte und Prenzlauer Berg. Erstere erhebe zwar gestaffelte Beiträge – allerdings ab 135 monatlich aufwärts, wobei für das obligatorische Nachmittagsprogramm noch einmal 105 Euro dazukommen. Selbst auf der günstigsten Stufe – für Einkommen bis 30 000 Euro – koste die Schule also 245 Euro. Ermäßigungen oder gar Befreiungen seien bis auf begrenzte Stipendien nicht vorgesehen. Ähnlich sehe das Schulgeld bei der Berlin Metropolitan School aus, auf der Webseite „World’s Luxury Guide“ werde sie als Privatschule von „Schauspielern, Medienschaffenden und Unternehmern“ gepriesen. Aufgrund ihrer Gebühren und ihres Konzepts hätten beide Schulen „von vorneherein nicht genehmigt werden dürfen“, heißt es in der Studie.«

Der Berliner Senat hat zwischenzeitlich schon auf die WZB-Studie reagiert: Berlin will Vorwürfe gegen Privatschulen prüfen.

Und Susanne Klein berichtet in ihrem Artikel: »Für besonders besorgniserregend halten die Wissenschaftler die Situation bei den als sozial engagiert geltenden Reformschulen und nennen ein Beispiel aus Berlin-Kreuzberg: Dort erhebt die Freie Waldorfschule je nach Einkommen monatlich bis zu 730 Euro pro Kind, mindestens aber 110 Euro – in einem Bezirk, in dem mehr als 40 Prozent der unter 15-Jährigen Sozialleistungen empfangen.«

Aber da gibt es auch eine andere Position: » Geschäftsführerin Martina Plümacher wirft den Autoren vor, nicht richtig recherchiert zu haben. Es gebe einen von den Eltern organisierten Solidarkreis an der Schule, sozial benachteiligte Eltern könnten darüber sehr wohl weitere Erlasse der Gebühren beantragen, die dann andere Eltern übernehmen, sagt Plümacher. De facto würden dadurch von den insgesamt 731 Schülerinnen und Schülern 70 Kinder weniger als 70 Euro zahlen, weitere 177 zwischen 70 und 100 Euro.«

Außerdem wird berichtet: »So ist die soziale Zusammensetzung an den katholischen Schulen in Berlin verschieden, heißt es aus dem Erzbischöflichen Ordinariat. In Neukölln seien bis zu 50 Prozent komplett vom Schulgeld – 55 bis 80 Euro im Monat – befreit, im Westend kaum einer.«

Das verweist zugleich darauf, dass das, was sich hinter dem scheinbar eindeutigen Begriff „Privatschulen“ verbirgt, von ausgeprägter Heterogenität ist. Viele Menschen denken – ob bewusst oder unbewusst – bei Privatschulen an elitär daherkommende Einrichtungen wie Schloss Salem aus der Welt der Internate. Andere haben eher konfessionelle, also vor allem katholische und evangelische Schulen vor Augen oder eine Waldorfschule. Das sind alles Schulen, die unter dem Sammelbegriff Privatschule subsumiert werden. Von den über 5.700 Privatschulen sind zwei Fünftel berufliche Schulen.

Zwischenfazit: Es gibt ein in der Verfassung verankertes Recht auf Einrichtung von Privatschulen, zugleich aber schreibt das Grundgesetz auch vor, dass es keine „Sonderung“ der Schüler nach dem Einkommen der Eltern geben darf, was aber faktisch durchaus der Fall ist. Aber wie finanzieren sich dann die Privatschulen? Dazu Anja Kühne, Tilmann Warnecke und Amory Burchard in ihrem Artikel:

»Da die Privatschulen ihre Schüler nicht gemäß dem Portemonnaie ihrer Eltern auswählen dürfen, steht ihnen staatliche Unterstützung zu – das hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Grundsatzurteil von 1987 festgestellt. Der Anspruch besteht aber nur, um das „Existenzminimum“ der Privatschulen zu sichern.
In der Praxis erhalten Schulen in freier Trägerschaft immer staatliche Zuschüsse, im Schnitt zwei Drittel der Schülerkosten«, so der Verband Deutscher Privatschulverbände (VDP).
Dabei würden Kosten für die Instandhaltung der Gebäude, für Reinigung und für Materialkosten oft nicht berücksichtigt.«

Die Privatschulen wollen die Kritik der Wissenschaftler nicht auf sich sitzen lassen.

»Die Studie sei ärgerlich und in der Summe falsch, erklärte Pater Siebner, Rektor des Aloisiuskollegs in Bonn-Bad Godesberg. Entsprechend der Vorgabe des Landes Nordrhein-Westfalen, das Schulgeld generell verbiete, werde am AKO gar kein Schulgeld genommen. Dafür kostet das angeschlossene Internat rund 1.600 Euro im Monat«, kann man dem Bericht Elite-Internate dürfte es in Deutschland eigentlich nicht geben des Deutschlandfunks entnehmen.
Das Aloisius-Kolleg ist ein Gymnasium mit rund 740 Schülern, von denen 80 im dazugehörigen Internat wohnen. »Für die Externen würden lediglich Gebühren für die Übermittagsbetreuung von 115 Euro im Monat erhoben, auch für Sport und Nachmittagsangebote würden zusätzliche Gebühren berechnet. Und man würde von den Eltern außerdem erwarten, für den Förderverein zu spenden. Es gebe Stipendien sowohl für das Internat als auch für die Übermittagsbetreuung.«

Der Schulleiter ist offensichtlich stinksauer über die Studie (und ihre mediale Resonanz):

„Natürlich gibt es hier ein bürgerliches Milieu, das sich hier an der Schule wiederfindet, das kann man als wohlhabend, meinetwegen auch als elitär bezeichnen, was auch immer die beiden Herren damit meinen, aber wir haben hier das Ländchen, wir haben hier einfache Handwerkerfamilien, wir haben hier Hartz-IV-Empfänger an der Schule. Wir haben syrische Flüchtlingskinder bei uns an der Schule, ich weiß gar nicht, was die wollen!“

 Wie hoch der Anteil der Stipendien und der syrischen Flüchtlingskinder ist, bleibt jedoch offen. Hier müssten – eigentlich – die Bundesländer für Transparenz sorgen.

Und was sagt der Dachverband der Privatschulen, der VDP? Der meldet sich unter dieser Überschrift zu Wort: WZB-Studie: Privatschulen werden nicht ausreichend finanziert. Man stellt auf das alte Finanzierungsdilemma ab: »Privatschulen haben grundsätzlich zwei Einnahmequellen: den aus der Verfassung garantierten Zuschuss und das Schulgeld. Grundlage für den Zuschuss sind die Kosten, die an einer Schule entstehen. Je nach Bundesland erhalten Privatschulen allerdings einen unterschiedlich hohen Ausgleich davon. Dieser reicht in den meisten Fällen nicht aus, um die Gebäude-, Sach- und Personalkosten zu decken. Die restlichen Kosten müssen über das Schulgeld gedeckt werden.« Der Präsident des VDP, Klaus Vogt, wird mit diesen Worten zitiert: „Dies bedeutet, dass durch eine ausreichende staatliche Finanzierung private Schulen auf die Erhebung von Schulgeld verzichten könnten“.

Hinsichtlich der in der WZB-Studie kritisierten Schulgeldhöhe fordert der VDP eine Differenzierung: »Je nach Angebot sind Extraleistungen wie zum Beispiel Ganztagsbetreuung, Unterbringung oder Verpflegung im Schulgeld enthalten. Diese Leistungen dürfen beim Vergleich mit staatlichen Schulen nicht berücksichtigt werden. Um soziale Härten zu vermeiden und möglichst allen Interessenten den Schulbesuch zu ermöglichen, gibt es an privaten Schulen zum Beispiel Stipendien oder Geschwisterermäßigungen.«

Aber genau hinsichtlich des letzten Punktes gibt es – so die WZB-Kritik – eine erhebliche Intransparenz.

Auch der Bund der Freien Waldorfschulen – der Verband der derzeit 238 Waldorfschulen in Deutschland – stößt ins Finanzierungshorn: Bundesländer missachten Grundgesetz – Freie Waldorfschulen fordern eine deutliche Verbesserung der öffentlichen Finanzierung für Ersatzschulen, so ist deren Pressemitteilung überschrieben. Henning Kullak-Ublick, Vorstand im Bund der Freien Waldorfschulen, wird mit diesen Worten zitiert:

„Freie Schulen werden durch die zu niedrigen Finanzhilfen überhaupt erst in eben jene private Nische gedrängt, die man ihnen anschließend zum Vorwurf macht. Wir haben es, jedenfalls bei den gemeinnützigen Schulträgern, mit einer gesetzlich erzeugten Sonderung zu tun.“

Im Bundesdurchschnitt bekommen die Freien Waldorfschulen 71,97 Prozent ihrer Betriebskosten aus öffentlichen Mitteln erstattet. Der Rest wird durch Schulgelder und Spenden finanziert. Ein Schüler einer allgemeinbildenden Schule kostete nach aktuellen Erhebungen des Statistischen Bundesamtes im Jahr 2013 im Bundesdurchschnitt rund 7.100 Euro. Die Zuschüsse für Freie Waldorfschulen liegen hingegen im Durchschnitt bei 4.820 Euro.

Ebenfalls zu Wort gemeldet hat sich der Bildungsjournalist Christian Füller mit einer durchaus als ätzend zu bezeichnenden Kritik an der WZB-Studie in diesem Blog-Beitrag: Sturm auf Salem & Co? Das Zitat „Würde man das Grundgesetz ernst nehmen, müssten Schulen wie Schloss Salem oder das Bonner Aloisiuskolleg sofort geschlossen werden“ von Marcel Helbig könnte für Füller direkt aus dem Wohlfahrtsausschuss stammen. Und weiter:

Die Behörden »sollten den Privatschulen auf die Finger schauen, aber sie sollten dann endlich aufhören, ihnen auf die Finger zu hauen. Denn das Problem der Privatschulen – und des deutschen Bildungssystems – ist nicht, dass die soziale Spaltung etwa durch sie produziert würde. Sondern dass der Staat Privatschulen zu schlecht fördert. Und sie so zwingt, teure Schulgebühren zu erheben. Und wegen denen er sie nun wieder zusperren soll.«

Wenn man wirklich gegen die „Sonderung“ der Schüler vorgehen wollte, dann sollten die „Bildung-Jakobiner“, so die beißende Terminologie von Füller, lieber weiter ziehen. Zum Gymnasium an sich, denn darüber komme die eigentliche Sonderung in die Welt. Die empirischen Befunde dafür, dass die Gymnasien die Gesellschaft sozial spalten, seien erdrückend. Und er kommt dann so richtig in Fahrt, wenn er schreibt:

»Man kann gerne ein paar Privatschulen auflösen, das deutsche Bildungssystem wird dadurch keinen Deut gerechter. Denn entscheidend ist, und das lehrt uns jede Pisastudie aufs Neue, die Zahl der Risikoschüler zu verringern, jene also, die am unteren Ende stehen, die ein Blatt Papier lesen, aber nicht wiedergeben können, was darauf steht. Das ist das deutsche Gerechtigkeitsproblem.«

Und auch bei ihm taucht das Beispiel Berlin auf: So beklagt er die Entscheidung des Bezirks Berlin, eine Privatschule verhindert zu haben, die dazu gedacht war, gerade Migrantenkinder zu fördern (vgl. dazu auch sein Artikel Privates Engagement für Schüler? Nicht in Kreuzberg! aus dem Mai 2016).
»Kreuzberg hat weiter mit das miserabelste Schulsystem Deutschlands. In Kreuzberg liegt die Zahl der Drittklässler, die kaum lesen können, zwischen 38 (Kreuzberg Süd) und 46 Prozent (Kreuzberg Nord)«, so Füller.

Wie so oft werden wir mit einer Grundsatzfrage konfrontiert, die man nicht hat beantworten wollen oder können und deshalb einfach liegen gelassen hat. Will ich ein möglichst homogenes staatliches Schulsystem mit Schulen, die sich in staatlicher Trägerschaft befinden oder will ich mit den Privatschulen auch andere Trägerschaften zulassen. Und wenn ja, warum eigentlich? Weil es die schon immer irgendwie gab? Oder weil das Wahlrecht der Eltern ein hohes Gut ist, das man nicht so einfach über Bord werfen kann und sollte? Und/oder weil wenigstens etwas Wettbewerb auf der Ebene der Konzepte einem staatlichen Schulsystem nur gut tun kann?

Und auch wenn man es mal den reichen Eltern von Salem & Co. zeigen wollte und alle Privatschulen schließen würde – ändern sich dann die Verhältnisse in den öffentlichen Schulen? Werden die ausgeschlossenen Kindern in Folge besser betreut und gebildet?

Auf der anderen Seite ist natürlich klar, wo es klemmt und weh tut: Sollte man die Grundsatzentscheidung für die Heterogenität der Schullandschaft treffen, dann müsste man konsequenterweise eine Finanzierung finden, die nicht zu einer strukturellen Benachteiligung der Privatschulen führt, also einfach gesagt: das würde teurer werden als heute. Damit die Privatschulen das „Sonderungsverbot“ auch wirklich umsetzen können, ohne sich in das eigene existenzielle Fleisch schneiden zu müssen. Was aber macht man dann mit dem staatlichen Schulsystem, wenn die Eltern mit den Füßen abstimmen würden und der Zulauf an den Privatschulen stärker wird als heute?
Auf der anderen Seite sollte man berücksichtigen, dass nur jeder 11. Schüler in Deutschland eine Privatschule besucht. Die ganz große Mehrheit geht weiter an eine mehr oder weniger ordentliche staatliche Schule. Aber Gefühl bleibt, dass die sicher nicht weniger Wettbewerb brauchen als sie heute (noch) haben.

Foto: © Stefan Sell

Zur Finanzierung der Grundschulen in Deutschland und dem offensichtlich nicht wirklich geschätzten Fundament der Bildungsbiografien

Für das Bildungssystem gilt eine vergleichbare Logik wie für das gewöhnliche Bauen: Das Fundament muss stimmen, sonst ist alle filigrane Feinarbeit in den höheren Stockwerken auf eine im wahrsten Sinne des Wortes wackelige Grundlage gestellt. Und man muss nun wirklich nicht noch einmal die vielen empirischen Studien der vergangenen Jahre und Jahrzehnte aufrufen, die zeigen, dass zum einen in der frühkindlichen Phase der ersten sechs Lebensjahre und dann in der Primarstufe, also den Grundschulen, die Basis gelegt wird (oder eben auch nicht) für die weitere Entfaltung der Bildungsbiografien der jungen Menschen.

Insofern wäre es rational und konsequent, wenn in einer Welt der begrenzten Ressourcen die immer knappen Mittel hinsichtlich ihrer Verteilung so gewichtet werden, dass sie vor allem da eingesetzt werden, wo man die größten Effekte realisieren kann. Und das wäre am Anfang der Bildungsbiografien, also in den ersten zehn Jahren der Kinder. Kurzum – am Anfang müssten wir die höchsten Bildungsausgaben und die besten Bedingungen für pädagogische (und heutzutage immer mehr auch sozialarbeiterische) Arbeit vorfinden. Nun wissen die meisten Beobachter der Wirklichkeit, dass es so gerade nicht ist, sondern ganzem Gegenteil gilt die gesellschaftspolitisch hoch brisante und letztendlich nur historisch zu erklärende Formel: Je älter die Kinder und Jugendlichen, desto mehr wird ausgegeben. Und die schlechtesten Arbeitsbedingungen für das Personal findet man in den ersten Lebensjahren der Kinder.

Auf diesen beklagenswerten Tatbestand wurde diese Tage erneut mit nackten Zahlen die Finanzierung der Grundschulen betreffend hingewiesen. Dazu hat der Bildungsökonom Klaus Klemm ein Gutachten veröffentlicht, in dem er einige Daten zusammengestellt hat:

Klaus Klemm: Finanzierung und Ausstattung der deutschen Grundschulen. Gutachten im Auftrag des Grundschulverbandes e.V., Essen, Juni 2016

Geld ist für Grundschulen Glückssache, so der Titel eines der Artikel, die über das Klemm-Gutachten berichten: »Hamburg gibt am meisten für seine Grundschüler aus, NRW ist Schlusslicht, zeigt ein Gutachten. Bildungsökonomen fordern daher: Schule dürfe nicht allein Ländersache sein.« Und die mit den Zahlen aufgezeigten Unterschiede allein auf der Ebene der Bundesländer sind erheblich: Während der Stadtstaat Hamburg 8.700 Euro pro Schüler und Jahr ausgibt, sind es im Schlusslicht Nordrhein-Westfalen lediglich 4.800 Euro. Im Schnitt geben die 16 Bundesländer an den öffentlichen Grundschulen 5.600 Euro (Jahr 2013) aus, deutlich weniger als für die Sekundarstufe I (5.900) und Sekundarstufe II (7.700 Euro). Ein Grundschulkind erhält mit durchschnittlich rund 24 Wochenpflichtstunden erheblich weniger Lernzeit als Heranwachsende in den weiterführenden Schulen (31 Stunden).
Und auch innerhalb der Bundesländer gibt es ganz erhebliche Unterschiede hinsichtlich der Ausstattung zwischen den einzelnen Grundschulen.

Der Grundschulverband verweist in seiner Stellungnahme zum Klemm-Gutachten am Anfang auf die positiven Aspekte der Grundschulentwicklung trotz der schwierigen Rahmenbedingungen:

»In Deutschland sind die Grundschulen in ihrer Leistungsbilanz nicht mehr die „Hinterhöfe der Nation“ … Das hatte sich schon in den Leistungsstudien „IGLU“ (2001 ff.) angedeutet. Bei diesen internationalen Leistungsvergleichen erreichten die deutschen Schüler/innen in den letzten Jahren Plätze im oberen Viertel. Bei der Finanzierung und Ausstattung der Grundschule landet Deutschland – als einer der reichsten Staaten – inzwischen zumindest im OECD-Mittelfeld … und auch im innerdeutschen Vergleich hat die Grundschule ihren Rückstand gegenüber der Sekundarstufe I und II etwas aufgeholt … Zudem sind die Klassen bis 2014 kleiner geworden …, was sich aktuell allerdings wieder zu ändern scheint.«

Nicht zu übersehen sind die Schattenseiten der Grundschulentwicklung:

»Andere international wichtige Vergleichsländer wie die USA, das Vereinigte Königreich, Schweden, die Schweiz und Österreich geben für die ersten vier Grundschuljahre erheblich mehr aus als das reiche Deutschland: Wenn man die Ausgaben – unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Kaufkraft der Währungen – in Euro angibt, so zeigt sich, dass Deutschland mit etwa 6.100 € pro Jahr und Schüler/in deutlich weniger ausgibt als viele Länder, die mehr als jährlich 6.700 Euro verausgaben … Vor allem erhalten die Kinder in den anderen OECD- Staaten während der ersten vier Schuljahre mit durchschnittlich gut 3.000 deutlich mehr Unterricht als die Kinder in Deutschland mit durchschnittlich gut 2.800 Zeitstunden.«

In Europa liegen die Niederlande mit 3.640 Stunden ganz vorne.

Und die offensichtliche Unterfinanzierung der Grundschulen muss vor dem Hintergrund gesehen werden, dass diese mit erheblich gewachsenen Anforderungen konfrontiert werden. Der Grundschulverband hebt drei Aspekte hervor.

1. Im Vergleich zu anderen Schulformen sind die Grundschulen am weitesten in der Entwicklung zu inklusiven Schulen. Die führt angesichts der knappen Personaldecke – insbesondere bei Ausfällen durch Krankheit – regelmäßig zur Überforderung des Personals im Alltag, zum Beispiel bei der Versorgung körperbehinderter Kinder.
2. Auch das Ganztagsangebot ist im Grundschulbereich am größten. Wenn der Nachmittag nicht zu einem bloßen Anhängsel werden soll, sind die Grundschulen in einem besonderen Maße bei der Planung, Abstimmung und Betreuung der pädagogischen Angebote gefordert. Hier fehlt Zeit und Geld.
3. In vielen Grundschulen kommen 30% oder mehr der Kinder aus Armutsfamilien. Das macht schon den Fachunterricht erheblich schwieriger, es überfordert die Lehrer/innen aber auch oft in ihrer Zusatzfunktion als Sozialpädagogin oder Sozialarbeiter.

Und vor diesem Hintergrund muss man dann auch zur Kenntnis nehmen, dass in der letztendlich nur ständestaatlich zu verstehenden Bildungshierarchie die Grundschullehrer/innen, wobei es unter diesen kaum noch Männer gibt, die am schlechtesten besoldete bzw. vergütete Lehrer-Gruppe ist. Und vor kurzem wurde darüber diskutiert: Grundschulleiter? Auf den Job haben Lehrer keine Lust, so haben Freia Peters und Marcel Pauly ihren Artikel überschrieben.

»In Deutschland gibt es etwa 10.000 Grundschulen, etwa 1.000 von ihnen haben keine Leitung. Am schlimmsten ist die Situation in Berlin und in Nordrhein-Westfalen. An Rhein und Ruhr haben von 2787 Grundschulen 345 keine Schulleiter und 670 keinen Stellvertreter … Schüler, Lehrer, Erzieher und Eltern leiden, wenn die Schulleitung über einen längeren Zeitraum nicht besetzt ist. Rektoren können einer Schule zum Aufstieg verhelfen – oder sie in den Abgrund treiben. Die Situation ist drastischer, als die Zahlen belegen. In Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz etwa werden die unbesetzten Stellen nicht vom Landesbildungsministerium erfasst – zuständig sind die einzelnen Regierungspräsidien und Schulämter. Aber auch hier ist die Tendenz klar. Laut dem Philologenverband bleiben etwa auch in Rheinland-Pfalz einige Schulleiterstellen sogar über mehrere Jahre unbesetzt.«

Bei der Frage nach dem Warum für diese Misere landet man auch wieder bei dem Geld. „Die Bezahlung für Schulleiter an Grundschulen ist völlig unattraktiv“, sagt Udo Beckmann, Vorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung, zitiert. »Wer in einer kleinen Schule mit weniger als 180 Schülern vom Lehrer zum Schulleiter aufsteigt, bekommt 180 Euro im Monat mehr. Da lehnen die meisten verständlicherweise dankend ab. Zu enorm ist das Mehr an Aufgaben für eine winzige Summe an zusätzlichem Gehalt.«

Und neben dem mickrigen Zuschlag zum Gehalt: „Die Leitungszeit, die Schulleiter … zugesprochen bekommen, ist viel zu gering. Die vielen Aufgaben sind in der dafür gewährten Zeit schlicht nicht zu schaffen“, so Beckmann.

»Ein Lehrer in Vollzeit muss 28 Stunden wöchentlich unterrichten. Ein Schulleiter wird nur von einem Teil des Unterrichts befreit. Bei einer kleinen Schule muss der Rektor noch die Hälfte der Stunden geben, also 14 pro Woche. Zählt man pro Stunde Unterricht eine Stunde Vorbereitung, verbleiben bei einer 40-Stunden-Woche noch zwölf Stunden, in denen sich ein Schulleiter um die Leitungsaufgaben kümmern könnte.«

Man könnte jetzt noch ergänzend anführen, dass viele Schulleiter an Grundschulen „selbstverständlich“ kein voll besetztes Schulsekretariat haben, sondern eine Schulsekretärin für eine Handvoll Stunden in die Schule kommt, weil mehr nicht bewilligt wurde. Keine Klitsche in der normalen Wirtschaft würde unter solchen Bedingungen arbeiten. Bei unseren Grundschulen ist das aber ganz normale Realität und insofern kann man sich nur wundern, dass es immer noch so viele Masochisten gibt, die sich eine Leitungsstelle antun.

Und die Leitung einer Schule ist von ganz grundlegender Bedeutung. In dem Artikel  Grundschulleiter? Auf den Job haben Lehrer keine Lust wird die engagierte Brigitte Unger, Schulleiterin der Karlsgartenschule in Berlin-Neukölln, einer großen Grundschule mit 420 Kindern in einem sozialen Brennpunkt, mit diesen Worten zitiert:
„Es gibt niemanden, der einen auf diesen Job vorbereitet“. Auf einmal muss man betriebswirtschaftliche Aufgaben erfüllen, die Kollegen sind aber alle früher Lehrer gewesen und wissen nicht, wie man Stellen ausschreibt und 300.000 Euro verwaltet.“

Und dann dieser Passus, der de Bedeutung der Leitungsebene prägnant zusammenfasst:

„Ohne Schulleitung geht es nicht“, sagt Unger. „Dann hat niemand einen Überblick über die Lehrer, die kommen nicht zu den Konferenzen, es gibt keine klare Haltung, keinen Respekt.“ Es müsse jemanden geben, der sagt, wo es langgeht, der Ideen entwickelt, mit dem Schulamt auf Augenhöhe kommuniziert. „Denen muss man auf den Füßen stehen“.

Ach ja: Brigitte Unger geht in diesem Sommer in Rente, vier Wochen ist sie noch im Dienst. Dann wird wieder eine Stelle frei.