Jenseits des gewöhnlichen Rentners: Die mit einem statistisch langen Leben beglückten Beamten und ihre Pensionen

Überall redet man von Renten und Rentenreformen, wobei die einen darunter die Fortsetzung der bisherigen Deckelungs- und Kürzungspolitik verstehen, während einige andere das Rentenniveau wieder anheben und an anderen Stellschrauben im System der gesetzlichen Rentenversicherung drehen wollen, um die finanzielle Lage der Rentner zu verbessern. Noch andere – wie beispielsweise die CDU – wollen gar nichts sagen zur Rentenpolitik bis zur Bundestagswahl (vgl. Union verzichtet im Wahlkampf auf eigenes Rentenkonzept), während die anderen Parteien wie jüngst die SPD Rentenreformvorschläge in die Öffentlichkeit getragen haben, über die man natürlich sofort hergefallen ist – ein besonders fragwürdiges Beispiel für den offensichtlich asymmetrischen Wahlkampf, der hier inszeniert wird, denn wenn man keine inhaltliche Position bezieht, dann kann man auch nicht kritisiert werden und die anderen bekommen ihr Fett weg, was bei vielen Wählern hängen bleibt, weniger aber das Wegtauchen der Union in dieser Frage. Aber da gibt es noch ein anderes, ganz und gar eigenes Alterssicherungssystem neben der gesetzlichen Rentenversicherung: die Pensionen der Beamten.

Nein, hier soll jetzt nicht das Fass mit möglichen Neiddebatten über die (angeblich bzw. tatsächlich) gute Versorgung der im Ruhestand befindlichen Staatsdiener aufgemacht werden, nicht einmal die offensichtlichen Ungleichbehandlungen und daraus resultierende Gerechtigkeitsfragen stehen hier im Mittelpunkt. Dazu könnte man viel sagen und das wird auch hin und wieder an die Oberfläche der öffentlichen Diskussion gespült. »Alle reden über Rentenreformen – aber warum packt keiner die Pensionen der Beamten an? Deren Altersbezüge sind hoch. Nur sie selber streiten das gern ab«, so beginnt beispielsweise ein Artikel von Nadine Oberhuber aus dem Juni 2016 über Beamtenpensionen.

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Die halbierte Betriebsrentenreform, eine „kommunikative Herausforderung“ gegenüber den Arbeitnehmern und das von vielen totgesagte Pferd Riester wird erneut gedopt

Fangen wir mal ganz simpel an: Wenn man die Menschen fragen würde, was denn eine Betriebsrente ist, wie wird wohl die Antwort in den meisten Fällen ausfallen? Na klar, es handelt sich um eine zusätzliche Rente, die der Arbeitnehmer von seinem Betrieb bekommt. Als eine Leistung, die an die Arbeit in dem Unternehmen gebunden ist. Und die vom Arbeitgeber kommt. Der zahlt mir eine Betriebsrente. Soweit die Theorie oder der naive Glaube an die einfachen Zusammenhänge – wobei das durchaus mal so war, früher, wo wahrlich nicht alles besser, manches hingegen einfacher und korrekter war. Die »Betriebsrente hat ein entscheidendes Merkmal: Der Arbeitgeber sagt seinem Arbeitnehmer eine Rente zu und steht dafür gerade, dass sie später fließt.« Das kann man diesem Artikel entnehmen – also doch. Oder? Man muss weiterlesen: »Das heißt aber nicht, dass der Arbeitgeber die Rente auch bezahlt. Neben der arbeitgeberfinanzierten Betriebsrente gibt es arbeitnehmerfinanzierte Spielarten. Durch sogenannte Entgeltumwandlung wird dann ein Teil des Bruttolohns direkt als Beitrag zur Betriebsrente abgezweigt«, steht da. Moment, wird der eine oder andere an dieser Stelle einwenden, das würde ja bedeuten, dass der Arbeitnehmer seine Betriebsrente selbst finanziert, aus seinem eigenen Lohn? Ja, so ist das. 

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Die gesetzliche Rente könnte sicher sein, wenn man sie stärken würde. Arbeitnehmerkammer Bremen plädiert für eine „zukunftsorientierte Rolle rückwärts“

»Die Große Koalition hat eine umfassende Reform der Alterssicherung vorerst vertagt. Dabei gäbe es einiges zu tun«, kommentierte Cordula Eubel Ende November 2016 unter der Überschrift Der Rentenwahlkampf ist eröffnet! zu den damals präsentierten Reformvorschlägen der Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD). Das genau wollen andere möglichst vermeiden: Roßbach warnt vor Renten-Wahlkampf: »Rentenversicherungs-Chefin empfiehlt Rentenpolitik im Konsens der großen Parteien.« Vgl. dazu auch das ausführliche Interview mit Roßbach. Wie dem auch sei – die Alterssicherung und damit deren größte und wichtigste Säule wird Thema im anlaufenden Bundestagswahlkampf werden (müssen). Zu groß ist der offensichtliche Reform-, wenn nicht Systemwechselbedarf. Einiges ist hier schon in Bewegung – man denke nur an die aktuelle Rentenkampagne des DGB, die vor allem auf das (derzeit im Sinkflug befindliche) Rentenniveau abzielt (vgl. zum gar nicht so einfachen Thema „Rentenniveau“ auch den Beitrag Das große Durcheinander um Rentenniveau, Niveau der Renten, Rente als Wahlkampfthema. Und eine rechnerische Gewissheit mit fatalen Folgen vom 8. Oktober 2016). An dieser Stelle setzt auch die Arbeitnehmerkammer Bremen an: „Um auskömmliche Renten für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu erreichen, muss das Ziel der Lebensstandardsicherung wieder in den Mittelpunkt der Rentenpolitik rücken. Dafür ist die Stabilisierung und mittelfristige Anhebung des Rentenniveaus auf mindestens 50 Prozent notwendig“, fordert Ingo Schierenbeck, Hauptgeschäftsführer der Arbeitnehmerkammer Bremen.

Durch die grundlegenden Rentenreformen und die kontinuierliche Absenkung des Rentenniveaus seit 2001 ist die gesetzliche Rentenversicherung immer weniger in der Lage, eine verlässliche Lebensstandardsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zu gewährleisten, was lange Zeit ihre Funktion war. Zentrales Ziel der Reformen war die Begrenzung der Sozialversicherungsbeiträge, um die Lohnnebenkosten auch im demografischen Wandel zu stabilisieren. Das Rentenniveau beträgt heute nur noch 48 Prozent und könnte bis 2045 auf knapp 42 Prozent sinken. Das heißt, die Rente koppelt sich weiter von der Lohnentwicklung ab.

Das heißt, die Rente koppelt sich weiter von der Lohnentwicklung ab. Die Abbildung am Anfang des Beitrags verdeutlicht das exemplarisch – während im Land Bremen seit dem Jahr 2000 die Löhne um ein Drittel und die Verbraucherpreise um ein Viertel gestiegen sind, haben die Renten im gleichen Zeitraum nur um ein Sechstel zugelegt.

Die Rentenlücke soll durch private und betriebliche Altersvorsorge geschlossen werden. „Dieser Drei-Säulen-Ansatz hat sich nicht bewährt, da viele Beschäftigte nur über geringe und fast 30 Prozent sogar über gar keine zusätzlichen Vorsorgeansprüche verfügen“, wird Ingo Schierenbeck zitiert.

Was tun? Zu dieser Frage hat sich die Kammer mit einem Positionspapier an die Öffentlichkeit gewandt:

Magnus Brosig (2017): Alterssicherung – Für eine starke gesetzliche Rente, Bremen: Arbeitnehmerkammer Bremen, April 2017

Darin findet man diese Forderungen:

  • Grundsätzliche Stärkung der GRV statt Ausweitung der Förderung alternativer Vorsorge auf Kosten der Sozialversicherung
  • Anhebung des Nettorentenniveaus vor Steuern auf mindestens 50 %, anschließend dauerhafte Stabilisierung durch Änderung der Rentenanpassungsformel
  • Verbesserungen bei Erwerbsminderungsrenten: Ausweitung von Zurechnungszeiten bis zur Regelaltersgrenze und Abschaffung von Abschlägen
  • Dauerhafte Fortführung der Rente nach Mindestentgeltpunkten
  • Bessere Rentenanwartschaften auch bei Arbeitslosigkeit
  • Anrechnungsfreibeträge in der Grundsicherung im Alter, insbesondere auch für gesetzliche Renten – Vorsorge muss sich immer lohnen
  • Erwerbstätigenversicherung durch umfangreiche Einbeziehung von Selbstständigen
  • Schaffung sozialer Altersübergänge
  • Abschaffung der „Zwangsverrentung“ bei ALG II-Bezug
  • Verlässliche Leistungen auch bei betrieblichen und privaten Renten 

Im Fazit des Positionspapiers bilanziert Brosig (2017: 19) die Notwendigkeit einer nur vermeintlich paradoxen „zukunftsorientierten Rolle rückwärts“:

»Eine mit ihrem Katalog und Niveau leistungsstarke gesetzliche Rentenversicherung hat sich historisch bewährt und ist – das zeigen Erfahrungen und Modellrechnungen für die kommenden Jahrzehnte – auch in Zeiten eines keinesfalls neuen demografischen „Umbruchs“ nachhaltig finanzierbar. Dies gilt insbesondere dann, wenn eine überfällige Reform der GRV hin zur Erwerbstätigenversicherung vorgenommen wird. Notwendig ist nun eine nur vermeintlich paradoxe Ausrichtung der Reformpolitik – nämlich eine „zukunftsorientierte Rolle rückwärts“: Einerseits gilt es, zurückzukehren zu einer umlagefinanzierten gesetzlichen Rentenversicherung mit hohem Niveau, breitem Risikoschutz und verlässlichen Anpassungen, sodass Rentenbezieher nicht vom Rest der Gesellschaft abgekoppelt werden. Andererseits bedarf es einer umfassenden Reaktion auf strukturelle Veränderungen des Arbeitsmarktes: Erforderlich sind eine Ausweitung des Versichertenkreises und solidarische Ausgleichsmechanismen, ohne dass diese das Äquivalenzprinzip und damit den Statuserhalt gefährden. Als Beispiel für eine solcherart progressive Reformorientierung in einem „althergebrachten“, aber nur vermeintlich „überholten“ Sozialversicherungssystem kann Österreich dienen, wo eine zur Erwerbstätigenversicherung erweiterte allgemeine Rentenversicherung (dort: Pensionsversicherung) zu einem etwas höheren Beitragssatz und trotz einer vergleichbaren demografischen Entwicklung anhaltend erheblich höhere, tatsächlich noch lebensstandardsichernde Leistungen erbringen kann. Die Entscheidung für ein solches, im Vergleich zum Mehrsäulenmodell gerechteres, leistungsfähigeres, günstigeres und flexibleres Gesamtsystem kann selbstverständlich politisch getroffen werden und verbietet sich eben nicht aufgrund vermeintlicher finanzieller Hindernisse, die letztlich nur als Vorwand für einen Systemumbau zulasten der Arbeitnehmer herangezogen werden.«

Ein großer Teil der Antwort würde viele Arbeitnehmer beunruhigen. Zur Frage nach dem Sinn einer weiteren Erhöhung des Renteneintrittsalters

Wir erinnern uns alle noch an die Auseinandersetzung über die „Rente mit 67“, die vielen Proteste dagegen und die dann dennoch erfolgte Verabschiedung durch die alte große Koalition. Der damalige sozialdemokratische Bundesarbeitsminister Franz Müntefering war es gewesen, der das vorangetrieben hat – immer natürlich mit Hinweis auf „die“ demografische Entwicklung, die einem gar keine andere Wahl lässt als den Weg einer Verlängerung des Erwerbsarbeitslebens zu gehen. Und nun wird von Monat zu Monat das gesetzliche Renteneintrittsalter schrittweise angehoben, bis dass der – nicht zufälligerweise geburtenstärkste – Jahrgang 1964 voll von der dann neuen Regelaltersgrenze 67 betroffen sein wird. Auch die im Zuge des „Rentenpakets 2014“ eingeführte abschlagsfreie „Rente mit 63“ ist nur eine temporäre Unterbrechung für diejenigen, die die Voraussetzungen erfüllen und außerdem wächst die Altersgrenze schrittweise auf 65 mit. Die Rente mit 67 ist nicht abgeschafft worden, sondern Realität. Aber offensichtlich reicht das einigen nun immer noch nicht. Da geht offensichtlich in den Köpfen noch mehr.

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Jenseits der Psycho-Spiele: Griechenland nach fünf Jahren Abstieg, einer Schneise der Verwüstung im Gesundheitswesen – und das Märchen von den griechischen Luxusrenten

Varoufakis gegen Schäuble und retour, Tsipras ohne Krawatte bei Merkel, angeblich-tatsächliche Stinkefinger gegen Deutschland, ein SPIEGEL-Titel mit einer Fotomontage von Merkel inmitten deutscher Wehrmachtsoffiziere an der Akropolis – ein unbefangener Beobachter könnte und müsste zu dem Befund kommen, dass die vergangenen Monate gekennzeichnet waren und sind von den ständigen Übungsversuchen einer Laienschauspielertruppe auf dem schwierigen Gelände der Psychopolitik. Aber um diese Ebene soll es hier gar nicht gehen. Es geht auch nicht um die Frage, ob Griechenland im Euro, neben dem Euro oder ganz außerhalb des Euros seine Zukunft verbringen soll und vor allem soll es nicht um Emotionen gehen, die von interessierten Medien und Politikern hier und dort gerne verstärkt und instrumentalisiert werden – und denen man sich als teilnehmender Beobachter natürlich auch nicht entziehen kann. »Viele Griechen machen die Gläubiger des Landes für das Leid verantwortlich, das ihnen widerfahren ist. Deutschland gilt als treibende Kraft des „Spardiktats“, das aus Griechenland eine „Schuldenkolonie“ gemacht hat. Viele Griechen vergessen allerdings, dass ihre eigenen Politiker – die sie ja wieder und wieder gewählt haben – ebenfalls große Schuld tragen. Sie häuften nicht nur seit den 80er Jahren jenen Schuldenberg auf, unter dem das Land jetzt stöhnt. Auch in der Krise versagten sie«, so die Einordnung von Gerd Höhler in seinem Artikel Fünf Jahre Abstieg. In diesem Beitrag sollen die handfesten sozialpolitischen Auswirkungen der letzten Jahre auf die tatsächlichen (und behaupteten) Lebenslagen der Menschen in Griechenland in den Mittelpunkt gerückt werden.

Im Frühjahr 2010 stand Griechenland vor dem Staatsbankrott. Seither sind fünf Jahre vergangenen. Die Krise hat ein Viertel der Wirtschaftskraft des Landes ausradiert und eine Million Jobs vernichtet.
»Im Frühjahr 2010 stand Griechenland vorm Staatsbankrott. Seither sind fünf Jahre vergangenen. Die Krise hat ein Viertel der Wirtschaftskraft des Landes ausradiert und eine Million Jobs vernichtet, die Arbeitslosenquote stieg von zwölf auf fast 28 Prozent. Über 230 000 kleine und mittelständische Betriebe gingen pleite. Die privaten Haushalte haben mehr als ein Drittel ihres Realeinkommens verloren. 23 Prozent der Bevölkerung leben in Armut. Das sind die Zahlen. Und dahinter verbirgt sich eine Unzahl von Tragödien – gescheiterte Lebensentwürfe, zerbrochene Familien, Kinder ohne Zukunft.«

Gerd Höhler greift in seinem Artikel eine dieser Tragödien heraus, die es vielleicht etwas konkreter, fassbarer, verstehbarer werden lässt, was da passiert ist. Es geht um das Schicksal der Athenerin Elena und ihrer Familie. 2008 hatten sie und ihr Mann Christos den Kaufvertrag für eine Eigentumswohnung abgeschlossen: 90 Quadratmeter, zwei Schlafzimmer, ein großer Balkon, ein Kinderzimmer für die damals siebenjährige Tochter Olympia. Eine schicke Wohnung im 3. Stock in einer ruhigen Seitenstraße im Athener Stadtteil Neos Kosmos. 195.000 Euro kostete das Apartment, 150.000 gab’s von der Bank als Kredit. Für nur 117.000 Euro wechselte die Wohnung im Mai 2013 den Besitzer, Elena und ihr Mann mussten verkaufen. Das Geld reichte nicht mal, um den Bankkredit zu tilgen. Wie es dazu gekommen ist? Dazu Gerd Höhler in seinem Artikel:

Es begann damit, dass Elenas Mann Ende 2011 seinen gutbezahlten Job als stellvertretender Geschäftsführer der Filiale eines großen deutschen Elektronikmarkts in Athen verlor – der Laden wurde dichtgemacht. „Sorry, wir müssen konsolidieren“, erklärte ihm sein deutscher Chef bedauernd. Auf einen Schlag war die Familie ihr Einkommen los. Statt seines Gehalts, das mit Boni und Provisionen in manchen Monaten 4000 Euro netto erreichte, bekam Christos jetzt 482 Euro Arbeitslosengeld. Ende 2012 war es auch damit vorbei. In Griechenland erhält man maximal zwölf Monate Arbeitslosenhilfe. Eine Grundsicherung wie Hartz IV oder Sozialhilfe gibt es nicht. Immerhin fand Elena einen Halbtagsjob als Sachbearbeiterin bei einem Kurierdienst. Nach sechs Monaten kündigte ihr die Firma. Drei Tage später rief der Personalchef an: Sie könne wieder anfangen – aber für 25 Prozent weniger Lohn. Zähneknirschend willigte Elena ein. „Was sollte ich denn machen? Ich hatte keine Wahl: dieser Job oder gar keiner.“

Aber auch viele andere Bereiche des täglichen Lebens sind schwer getroffen worden von der andauernden Krise. Zum Beispiel des Gesundheitswesen:

»Viele Griechen sind nicht mehr krankenversichert. Ärzte arbeiten bis an die Belastungsgrenze und werden schlecht bezahlt. In den Kliniken fehlt es am nötigsten. Die Finanzkrise hat im Gesundheitssystem eine Schneise der Verwüstung hinterlassen«, so Filippos Sacharis, ein in Athen lebender Journalist in einem Gastbeitrag für die Ärzte Zeitung: Im Gesundheitssystem herrscht pures Chaos. Seine Bestandsaufnahme ist erschreckend: Die öffentlichen Krankenhäuser sind schon lange überfüllt. Zudem fehlt es den griechischen Kliniken an allem: Ärzten, Pflegekräften, Arzneimitteln, Verbandmaterial – sogar Toilettenpapier. »50 bis 70 Prozent der Griechen, so wird geschätzt, sind auf die Angebote kostenloser Gesundheitsversorgung angewiesen. Ein Viertel der Gesamtbevölkerung Griechenlands lebt von rund 500 Euro pro Monat, also an der Armutsgrenze.« Er verschweigt aber auch nicht Probleme, die schon vor den Krise im Gesundheitssystem vorhanden waren, nun aber mehrfach problematisch wirken: »Ein großes Problem der griechischen Gesundheitsversorgung hat auch mit der Korruption und den Schmiergeldzahlungen in der Gesundheitsbranche zu tun … „Fakelaki“ sind seit Jahren feste Bestandteile in der Krankenhausversorgung. Manche Ärzte zwingen Patienten, mehrmals vor oder nach Operationen Bestechungsgelder zu zahlen.«

Ein weiteres Beispiel: In der aktuellen Debatte über „die“ Griechen kursieren zahlreiche Artikel, in denen berichtet wird, dass die Griechen sogar höhere Renten beziehen als „die“ Deutschen, was natürlich deren Blutdruck in ziemliche Höhen treibt und die zunehmende Abneigung gegenüber dem Thema Hilfen für Griechenland noch verstärkt. Zu diesem Komplex sei der Artikel Das Märchen von den Luxusrenten von Rainer Hermann empfohlen, der diese Behauptung einer genaueren Examination unterzieht. Gleich am Anfang seines Beitrags bringt der Autor seine Hauptbotschaft auf den Punkt: »Renten in Griechenland funktionieren anders und sind anders aufgebaut als in Deutschland. Sie sind daher auch nicht direkt miteinander vergleichbar. Die Unterschiede sind vielmehr so gravierend, dass gerade nicht behauptet werden kann, Rentnern in Griechenland gehe es heute besser als in Deutschland.« Schauen wir genauer in seine Argumentation:

Ein erster wichtiger Unterschied besteht darin, dass in Griechenland das System der Betriebsrente so gut wie unbekannt ist, was dazu führt, dass dem Griechen lediglich die staatliche Rente bleibt, von der er über die Runden kommen muss.

»Besonders hart trifft es griechische Landwirte. Sie erhalten meist nur eine monatliche „Landwirtschaftsrente“ von 350 Euro, selbst wenn sie mindestens 35 Jahre Beiträge in die Rentenkasse eingezahlt haben. Sie gehören damit zu dem Fünftel der griechischen Rentner, die mit weniger als 500 Euro im Monat auskommen müssen.«

Hermann weist allerdings auch darauf hin: 17 Prozent erhalten eine Rente von 1.500 Euro und mehr.

Man muss wissen, dass in Griechenland die Arbeitslosenhilfe nach zwölf Monaten ausläuft. Das hat Folgewirkungen: »Häufig wird die Arbeitslosigkeit durch eine Frühverrentung kaschiert. Offiziell hat jeder vierte Grieche in den vergangenen Jahren als Folge der Krise seine Arbeit verloren; die meisten von ihnen sind Langzeitarbeitslose, werden als Rentner geführt und belasten nicht eine Arbeitslosenversicherung, sondern die Rentenkasse.«

Viele Renten, erläutert uns Hermann, sind um die Hälfte eingedampft worden. Im öffentlichen Dienst wurden die Pensionsleistungen im Durchschnitt um ein Drittel gekürzt. Man möge sich da einmal bei uns vorstellen.

Hermann beendet seinen Beitrag mit dem Hinweis, »die griechischen Rentner sind nicht in den Genuss der Hilfsprogramme der Troika für Griechenland gekommen.« Die waren primär für das Finanzsystem.