Fangen wir mal ganz simpel an: Wenn man die Menschen fragen würde, was denn eine Betriebsrente ist, wie wird wohl die Antwort in den meisten Fällen ausfallen? Na klar, es handelt sich um eine zusätzliche Rente, die der Arbeitnehmer von seinem Betrieb bekommt. Als eine Leistung, die an die Arbeit in dem Unternehmen gebunden ist. Und die vom Arbeitgeber kommt. Der zahlt mir eine Betriebsrente. Soweit die Theorie oder der naive Glaube an die einfachen Zusammenhänge – wobei das durchaus mal so war, früher, wo wahrlich nicht alles besser, manches hingegen einfacher und korrekter war. Die »Betriebsrente hat ein entscheidendes Merkmal: Der Arbeitgeber sagt seinem Arbeitnehmer eine Rente zu und steht dafür gerade, dass sie später fließt.« Das kann man diesem Artikel entnehmen – also doch. Oder? Man muss weiterlesen: »Das heißt aber nicht, dass der Arbeitgeber die Rente auch bezahlt. Neben der arbeitgeberfinanzierten Betriebsrente gibt es arbeitnehmerfinanzierte Spielarten. Durch sogenannte Entgeltumwandlung wird dann ein Teil des Bruttolohns direkt als Beitrag zur Betriebsrente abgezweigt«, steht da. Moment, wird der eine oder andere an dieser Stelle einwenden, das würde ja bedeuten, dass der Arbeitnehmer seine Betriebsrente selbst finanziert, aus seinem eigenen Lohn? Ja, so ist das.
Bereits im Juni 2015 hatte der Rentenexperte Johannes Steffen auf der Basis der Arbeitskostenerhebung der statistischen Ämter des Bundes und der Länder für das Jahr 2012, in der auch die betriebliche Altersvorsorge erhoben wurde (in Unternehmen mit zehn und mehr Beschäftigten), herausgearbeitet, dass damals bereits die ausschließlich von Arbeitnehmern finanzierten Aufwendungen für Anwartschaften auf eine betriebliche Altersversorgung im Osten mit fast 40 Prozent doppelt so hoch ausfallen wie im Westen. Und man muss berücksichtigen, dass die betriebliche Altersversorgung im Osten mit 45 Prozent dominiert wird von der (obligatorischen) Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes (Westdeutschland: knapp 26 Prozent), wo es eine Arbeitgeberbeteiligung gibt, so dass sich die Situation in der Privatwirtschaft nochmals schlechter darstellt.
Mit der „Riester-Reform“, die 2002 einen Rechtsanspruch auf betriebliche Altersvorsorge im Wege der steuer- und sozialabgabenfreien Entgeltumwandlung brachte und dem mit ihr vollzogenen Paradigmenwechsel in der Alterssicherungspolitik (Abschied vom Ziel der Sicherung des Lebensstandards durch die gesetzliche Rentenversicherung, Privatisierung sozialer Risiken) hat der Umfang der arbeitnehmerfinanzierten betrieblichen Altersvorsorge deutlich zugenommen.
Gleichzeitig – und das ist von entscheidender Bedeutung für ein Verständnis dessen, was jetzt mit dem Betriebsrentenstärkungsgesetz auf den Weg gebracht wurde, hat sich die Situation für die Unternehmen, die vor allem in Westdeutschland „echte“ klassische Betriebsrenten mit einer Leistungszusage anbieten, in den vergangenen Jahren erheblich verschlechtert. Dazu muss man lediglich in Rechnung stellen, dass es sich hierbei um kapitalgedeckte System handelt und wenn man eine spätere Leistung verspricht, dann muss man die auch a) erwirtschaften können und b) man muss die Aufwendungen dafür bilanziell abbilden und Rückstellungen vornehmen – bzw. wenn das nicht (ausreichend) passiert ist, dann muss man die Betriebsrentenleistungen aus der laufenden Geschäftstätigkeit finanzieren. Das hat im Zusammenspiel mit der seit Jahren anhaltenden Niedrig-, Niedrigster- und Nullzinsphase dazu geführt, dass einige Unternehmen sogar in eine existenzielle Schieflage geraten sind, zum anderen und wesentlich bedeutsamer hat das einen Rückzug aus der bisherigen Form der betrieblichen Altersvorsorge befördert. Übrigens haben nicht nur privatwirtschaftliche Unternehmen damit erhebliche Schwierigkeiten – auch die Zusatzversorgungswerke des öffentlichen Dienstes und daran angelehnt die der Kirchen haben massive Probleme in diesem Bereich (vgl. dazu den Beitrag Wenn selbst das Beten nicht mehr hilft. Auch die zusätzliche kirchliche Altersversorgung kann (und muss) in schwieriges Fahrwasser geraten vom 22. Juni 2016).
Wenn man nun berücksichtigt, dass aber die offizielle Rentenpolitik seit dem Paradigmenwechsel Anfang des Jahrtausends darauf setzt, die durch politische Entscheidungen bewusst vorgenommene Absenkung des Rentenniveaus in der ersten Säule des Alterssicherungssystems und die damit verbundenen teilweise erheblichen Sicherungslücken durch verstärkte „Eigenvorsorge“ der Arbeitnehmer (übrigens eine völlig deplatzierte Begrifflichkeit, denn auch die Beiträge an die gesetzliche Rentenversicherung sind doch eine Eigenvorsorge; es handelt sich vielmehr um eine einseitige Verlagerung der Finanzierungslast auf den Arbeitnehmer in Form einer Privatisierung eines Teils der Altersvorsorge, was sich natürlich ganz anders anhört als „Eigenvorsorge“) in der „dritten“ Säule (also private Altersvorsorge, Stichwort „Riester-Rente“) sowie nun auch durch eine Ausweitung der „zweiten“ Säule, also der betrieblichen Altersvorsorge, zu kompensieren, dann wird verständlich, dass man aus dieser Logik heraus auf der einen Seite der Medaille, also aus der Perspektive der Unternehmen deren Haftung für die Zusagen in der betrieblichen Altersvorsorge lockern bzw. beseitigen muss, um überhaupt einen Anreiz zu setzen, weiterhin Betriebsrenten anzubieten. Insofern haben wir jetzt das bekommen, was bereits in der Überschrift zu diesem Beitrag vom 27. September 2016 noch als Zielgröße so formuliert wurde: Neues Spiel, neues Glück? Die „neue“ Betriebsrente soll kommen – arbeitgeberzugewandt, tarifvertragsorientiert und noch mehr staatlich gepampert).
Eine zentrale Komponente des Betriebsrentenstärkungsgesetzes ist die verschleiernd „Zielrente“ im „Sozialpartnermodell“ genannte Variante einer im Ergebnis „entkernten“ Betriebsrente: Der Arbeitgeber muss seinen Beschäftigten damit nicht mehr eine bestimmte Rentenhöhe zusagen, sondern nur sicherstellen, dass die Sparbeiträge ordnungsgemäß zurückgelegt und verwaltet werden. Die gerade in der Niedrigzinsphase oft drückenden Kapitalmarkt- und Haftungsrisiken sind die Unternehmen im Modell der Zielrente los. Eingeführt wird also die Möglichkeit einer reinen Beitragszusage ohne weitere Verpflichtungen – für die Arbeitgeber besonders attraktiv, folgt das doch dem Modell „pay and forget“. Gerade durch die Enthaftung erhöht man ohne Zweifel die Anreize für die Unternehmen. Man muss sich klar machen, dass die Haftungsfreistellung der Arbeitgeber bei der „Zielrente“ im „Sozialpartnermodell“ erfolgen muss – das bedeutet im Ergebnis: Zu den fünf bisher existierenden Modellen der Betriebsrente (Direktzusage, Unterstützungskasse, Direktversicherung, Pensionskasse und Pensionsfonds) wird ein weiterer Weg hinzugefügt und die anderen Wege bleiben bestehen, was das „System“ der betrieblichen Altersvorsorge – nun ja – nicht gerade übersichtlicher macht, um das nett zu formulieren.
Nun hat jede Medaille zwei Seiten und auf der anderen Seite, bei den Arbeitnehmern, sieht die Bilanz dann schon anders aus, denn die werden eigentlich doppelt in die Mangel genommen – zum einen haben sie keine Garantie mehr, was sie später mal für eine Betriebsrente bekommen werden und im schlimmsten Fall kann es sogar sein, dass eine Teil der eingezahlten Beiträge unterwegs verloren geht, denn man öffnet zugleich diese Form für risikoreichere Anlageentscheidungen (die eine höhere Rendite ermöglichen können, aber eben immer auch mit dem Risiko eines Vermögensverlustes verbunden sind). Zum anderen verlagert man die konkrete Finanzierung der „Betriebsrenten“ immer stärker auf die Arbeitnehmer allein – durch deren Entgeltumwandlung.
Und damit nicht genug: Die steuer- und sozialabgabenfreie Entgeltumwandlung in der Sparphase führt nicht nur zu heutigen Beitragsausfällen in der Sozialversicherung in Milliardenhöhe (bereits 2015 berichtete Johannes Steffen dazu: Die Bundesregierung schätzt die jährlichen Mindereinnahmen der Sozialversicherung durch abgabenfreie Entgeltumwandlung aktuell auf rund drei Milliarden Euro, wovon fast die Hälfte alleine auf die Rentenversicherung entfällt), sondern das sich das zu vorbeitragende Lohneinkommen der Beschäftigten verringert, reduzieren sich auch die Entgeltpunkte in der gesetzlichen Rentenversicherung, so dass man später dort ein niedrigeres Niveau hat. Das drückt dann die gesetzliche Rente zusätzlich zur allgemein wirksamen Rentenniveauabsenkung.
Hört sich nicht wirklich überzeugend nach einem guten Geschäft an für die Arbeitnehmer. Ist es auch nicht. Für manche Koalitionspolitiker ist die Verkaufe der arbeitnehmerfinanzierten „Betriebsrente“ ohne Leistungsgarantie eine „kommunikative Herausforderung“, man könnte das auch beherzt anders ausdrücken.
Aber das Betriebsrentenstärkungsgesetz (vgl. dazu Bundestag beschließt Förderung der betrieblichen Altersversorgung sowie zur Anhörung im zuständigen Ausschuss Experten fordern Nachbesserung beim Entwurf zu Betriebsrenten; die Materialien zum Gesetzgebungsprozess findet man hier und eine hilfreiche Übersicht zu allen Änderungen durch das Betriebsrentenstärkungsgesetz hat Johannes Steffen zusammengestellt; aus der Presseberichterstattung vgl. nur als Beispiel So sieht das neue Konzept für Betriebsrenten aus sowie mit einer bemüht nicht-neutralen Überschrift Warum sich eine Betriebsrente lohnen kann) hat noch eine zweite zentrale Stellschraube, an der man herumgefummelt hat: Die Förderung der Betriebsrenten aus Steuermitteln.
Dazu enthält das nun verabschiedete Betriebsrentenstärkungsgesetz die folgenden Regelungen:
➔ Bei reiner Beitragszusage muss im Falle der Entgeltumwandlung im Tarifvertrag geregelt werden, dass der Arbeitgeber 15 Prozent des umgewandelten Entgelts zusätzlich als Arbeitgeber-Zuschuss an die Versorgungseinrichtung weiterleiten muss, soweit der Arbeitgeber durch die Entgeltumwandlung Sozialversicherungsbeiträge einspart. Bei Entgeltumwandlung über externe Durchführungswege (Direktversicherung, Pensionskasse, Pensionsfonds) wird der Arbeitgeber – allerdings tarifdispositiv – verpflichtet, den 15 Prozent-Zuschuss ab 2019 zu leisten. Für individuelle wie kollektive Entgeltumwandlungsvereinbarungen, die vor 2019 abgeschlossen wurden, gilt die Regelung erst ab 2022.
Super, da ist sie doch, die „Arbeitgeberbeteiligung“. Aber Vorsicht ist bekanntlich die Mutter der sozialpolitischen Porzellankiste. Es handelt sich hierbei nicht um einen wirklich zusätzlichen, vom Arbeitgeber aufzubringenden Betrag „aus seinen Mitteln“, sondern – man achte auf die Formulierung „soweit der Arbeitgeber durch die Entgeltumwandlung Sozialversicherungsbeiträge einspart“ – lediglich um die Weitergabe eines Teils der Einsparungen, die der Arbeitgeber bei Entgeltumwandlung des Arbeitnehmers bisher bei sich verbuchen konnte.
An einer anderen Stelle hingegen werden die Arbeitgeber direkt gefördert. Arbeitgeber erhalten künftig eine Steuervergünstigung, wenn sie Beschäftigten mit weniger als 2200 Euro Bruttoeinkommen im Monat eine Betriebsrente gewähren. 30 Prozent des Zahlbetrags können sie dann mit der abzuführenden Lohnsteuer verrechnen. Wenn sie also einen Rentenzuschuss zwischen 240 Euro und 480 Euro jährlich einzahlen, sparen sie beim Fiskus zwischen 72 und 144 Euro.
Zwischenfazit: Das ist alles eine sehr einseitig angelegte „Reform“.
Die Gewerkschaften müssen aber auch noch angesprochen werden, denn die stehen nicht etwa außerhalb dessen, was hier geändert wurde, sondern sie spielen eine wie wir sehen werden höchst ambivalente Rolle. Bereits angesprochen wurde das „Sozialpartnermodell“ und zu denen gehören neben den Arbeitgeberverbänden weben auch die Gewerkschaften. Und ein – ursprüngliches – Ziel der Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) war die Stärkung der Tarifparteien und explizit der Tarifverträge. Ursprünglich sollten die Tarifparteien branchenweite Fonds für die Verwaltung der Beiträge einführen; dazu wäre es nötig geworden, ihre Tarifverträge für allgemeinverbindlich zu erklären, also auch jenen Betrieben vorzuschreiben, die nicht im Arbeitgeberverband sind. Das wäre durchaus eine Art „trojanisches Pferd“ für ein anderes Ziel, die Stärkung der Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen zu befördern. Man kann sich vorstellen, dass die Arbeitgeber davon not amused waren und dieser Zahn wurde dann auch gezogen (vgl. dazu den Beitrag Die nächste rentenpolitische Baustelle mit der Noch-Hoffnung auf einen großen Wurf ante portas: Betriebliche Altersvorsorge vom 20. Juli 2016).
Nach den nun verabschiedeten Regelungen stellt sich die Lage so dar: Voraussetzung für die Zielrente ist ein Tarifvertrag, der von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände in den einzelnen Branchen abgeschlossen werden muss – sowie die Beteiligung an „gemeinsamen Einrichtungen“, zumindest aber die Vertretung in den Versorgungseinrichtungen. Davon würden zunächst nur die Beschäftigten in tarifgebundenen Betrieben profitieren. Und jetzt kommt das „aber“: Nicht-tarifgebundene Betriebe sollen sich den Zielrenten-Vereinbarungen der Tarifparteien und deren Versorgungskassen anschließen dürfen. Auch deren Beschäftigte hätten dann Aussicht auf eine Zielrente. Und aus der inneren Systemlogik haben die Tarifparteien sogar ein Interesse daran, die „Trittbrettfahrer“ mit aufzunehmen – weil hohe Teilnehmerzahlen und große Anlagetöpfe Vorteile bei der Kapitalanlage bringen.
Man kann darüber hinaus mit Blick auf die Tatsache, dass die „Zielrente“ ohne Leistungszulage an das „Sozialpartnermodell“ und damit an die direkte Mitwirkung der Gewerkschaften gebunden ist, die Frage stellen, ob sich die wirklich bewusst werden, was sie sich möglicherweise an Konflikten mit den eigenen Mitgliedern ins Haus holen, wenn die erst einmal realisieren, wer hier Geschäfte zu ihren Lasten macht. Dazu Frank Oliver Paschen, Vorstandsvorsitzender Dresdener Pensionskasse VVaG, in seinem Beitrag Von Paralleluniversen, Klientelpolitik und doppelten Böden…:
»Ein Novum ist sicherlich, dass mit Frau Nahles ausgerechnet eine Sozialdemokratin durch das Zielrentensystem bewährte Garantien für Arbeitnehmer abschafft und so sämtliche Risiken auf diese überwälzt. Nicht erkennbar ist, welches Interesse Gewerkschaften daran haben sollten, diese verschlechterte Position ihrer Mitglieder bzw. Arbeitnehmer durch tarifvertragliche Regelungen zu ermöglichen.«
Gute und berechtigte Frage. Möglicherweise werden sich die Gewerkschaften nochmal ärgern, dass sie sich (wieder) derart einbinden lassen.
Und schlussendlich werden wir auch wieder – man hatte sie ja fast schon abgeschrieben – mit der alten Tante Riester-Rente konfrontiert. Das Geschäft der Finanzindustrie mit dieser aus Steuermitteln gepamperten Altersvorsorge-Variante ist merklich eingebrochen und bei vielen ist angekommen, dass das hochproblematische Produkte sind. Und was macht man? Man dopt das totgesagte Pferd, natürlich wieder mit Steuermitteln und weiteren Anreizen zur Aufhübschung des Produkts:
➔ Die staatliche Förderung für die Riester-Rente steigt. Die Grundzulage wächst von jetzt 154 Euro im Jahr auf künftig 175 Euro. Die Kinderzulage (185 Euro für bis Ende 2007 geborene und 300 Euro für ab 2008 geborene Kinder) bleibt dagegen unverändert.
➔ Bei Riester-Renten, die vom Arbeitgeber organisiert werden, müssen bisher zwei Mal Krankenversicherungsbeträge bezahlt werden: Bei der Einzahlung in die Rente und dann später nochmals bei der Auszahlung. Diese Doppelbelastung wird beseitigt, aber nur bei den Riester-Renten.
Das ist schon eine deutliche Privilegierung der Riester-Rente. Aber damit nicht genug – und aus sozialpolitischer Sicht überaus problematisch:
Man hat in der Bundesregierung auf den immer wieder vorgetragenen Vorwurf reagiert, Riester- Renten (die nicht nur privat, sondern auch als Betriebsrente abgeschlossen werden können), lohnen sich für Geringverdiener nicht, weil wenn die später auf Grundsicherung im Alter angewiesen sind, dann werden ihnen die Leistungen aus Betriebsrenten und/oder Riester-Renten auf die Grundsicherung vollständig angerechnet. Hier greift jetzt diese Neuregelung:
Betriebliche und private Riester-Renten werden künftig nicht mehr voll auf die Grundsicherung im Alter (Mindestrente auf Niveau von Hartz-IV) und bei Erwerbsminderung angerechnet. Künftig können die Betroffenen aus diesen Renten bis zu 200 Euro behalten. Der Betrag wird mit den Regelsätzen dynamisiert.
Das ist ein massiver Eingriff in die bisherige Architektur mit einer expliziten Besserstellung (nur) der Riester-Renten gegenüber allen anderen Einkommensarten. In einem Beitrag am 27. September 2016 habe ich dazu Johannes Steffen zitiert, der das nicht nur kompakt zusammenfasst, sondern auch den Finger auf eine sehr große sozialpolitische Wunde legt:
»Bei der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung handelt es sich um ein subsidiäres Sicherungssystem (Fürsorge), das unabhängig von den Ursachen (Kausalität) einer Notsituation sowie ohne das Erfordernis irgendwelcher Vorleistungen (wie etwa Beitragszahlungen in der Sozialversicherung) Hilfebedürftigkeit im Einzelfall beseitigen will (Finalprinzip). Bevor die Grundsicherung (aufstockende) Leistungen erbringt, kann und muss sie daher im Gegenzug verlangen, dass Hilfesuchende zunächst ihre eigenen Kräfte und Mittel einsetzen, um Hilfebedürftigkeit zu vermeiden, zu vermindern oder zu beseitigen. Dies betrifft bei Älteren und voll Erwerbsgeminderten vor allem den Einsatz grundsätzlich sämtlicher Einkünfte und zumutbar verwertbarer Vermögensteile (Anrechnung). Der voraussetzungslosen Bedarfsdeckung auf der einen Seite entspricht also die Bedürftigkeitsprüfung auf der anderen Seite … Einkommensfreibeträge in der Fürsorge führen allerdings c. p. zu einem (evtl. deutlichen) Anstieg des leistungsberechtigten Personenkreises, damit zu steigenden öffentlichen Ausgaben und statistisch schließlich auch noch zu einem höheren Ausweis der Grundsicherungsquote … Davon abgesehen ginge mit einer Privilegierung von Alterseinkommen aus betrieblicher bzw. privater Vorsorge ein tragender Grundsatz der Fürsorge über Bord: Die ausnahmslos final orientierte und von Vorleistungen unabhängige Leistungsbemessung. Ergebnis wäre eine »vorleistungsabhängige Fürsorge«. Mit der Privilegierung ausgewählter, vorleistungsbasierter Einkommen (-steile) in der Grundsicherung käme es wieder – wie in den historischen Anfängen der (staatlichen) Fürsorge – zu einer (sozial- / gesellschaftspolitischen) Unterscheidung zwischen bzw. Separierung in »würdige« und »unwürdige« (Alters-)Arme.«
Ich befürchte, ganz vielen Angeordneten war nicht klar, was das für Auswirkungen haben kann und wird, was sie da als „Betriebsrentenstärkungsgesetz“ in die freie Wildbahn entlassen haben.
Besonders krude ist aber die von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) und anderen vorgetragene Argumentation, die Betriebsrentenreform werde einen Beitrag zur Bekämpfung der Altersarmut bei den Geringverdienern leisten. Nur 60 Prozent der Arbeitnehmer haben angeblich Anwartschaften auf eine Betriebsrente (wobei wir uns hier immer klar machen müssen, dass es sich oftmals um sehr überschaubare Beträge handelt) und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die öffentlich beschäftigten Angestellten sowie die Beschäftigten der kirchlich gebundenen Arbeitgeber Zusatzversorgungssysteme haben, die als Betriebsrenten mitgezählt werden, ist es nicht überraschend, dass die durchschnittlich 40 Prozent in der Privatwirtschaft mit Anwartschaften auf eine betriebliche Altersversorgung ungleich verteilt sind über Branchen sowie über die Betriebsgrößen. Gerade die Geringverdiener arbeiten überwiegend in Branchen und/oder kleinen Betrieben, in denen es keine Betriebsrenten gibt (und auch nach der Reform kaum signifikant mehr als heute geben wird). Aber gerade die bräuchten eine Betriebsrente. Man kann an dieser Stelle natürlich auch ein Schritt zurücktreten und die Frage aufwerfen, was es denn für ein Sinn macht, erst durch rentenpolitische Maßnahmen in der Gesetzlichen Rentenversicherung das Rentenniveau so stark abzusenken, dass gerade bei den unteren Lohngruppen massive Sicherungslücken produziert werden (die dann auch noch oftmals fast ausschließlich auf die gesetzliche Rente angewiesen sind) und die Betroffenen dann auf die zweite und dritte Säule zu verweisen, in denen sie die Kompensation allein finanzieren müssen. Man könnte natürlich auf die naheliegende Idee kommen, dass man vielleicht die erste Säule unseres Alterssicherungssystems wieder verbessern müsste.