Schon wieder eine „Reform“ – jetzt die „der“ Pflege. Von Beitragsmitteln und ihrer Verwendung, einem neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff in der Dauerschleife des täglich grüßenden Murmeltiers und anderen Merkwürdigkeiten

Bekanntlich zucken viele Menschen – und das nicht ohne Grund – zusammen, wenn sie in einem der vielen Felder der Sozialpolitik die Ankündigung einer „Reform“ zu hören bekommen. Denn damit war in den zurückliegenden Jahren – seien wir ehrlich – oftmals weniger Fortschritt und Verbesserung verbunden, sondern Einschränkungen und Abbau, zuweilen auch Exklusion.
Hinsichtlich der von der Großen Koalition angestrebten nächsten „Pflegereform“ – die korrekter (wieder einmal) primär als Reform der Pflegeversicherung bezeichnet werden muss – gibt es auf den ersten Blick mehrere sehr ambitionierte Zielsetzungen: Es soll mehr Geld für die Pflege organisiert , endlich ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff in die Versorgungsrealität gehoben werden, es soll mehr Personal geben und einiges anderes mehr. Offensichtlich – so könnte man meinen – hat die Politik nun endlich die immer lauter werdenden Stimmen aus der Pflege selbst vernommen, die dringend konkrete Verbesserungen anmahnen und sich in der Öffentlichkeit zu Wort melden  – ob mit breiten Zusammenschlüssen wie dem „Bündnis für gute Pflege„, in dem sich zahlreiche Wohlfahrts-, Sozial- und Pflegeverbände zusammengeschlossen haben oder dem Aktionsbündnis „Pflege am Boden„, die mit bundesweiten Flashmob-Aktionen um Aufmerksamkeit für ihr Anliegen streiten.

Doch noch ist nichts in trockenen Tüchern bei der anstehenden Pflegereform und ob es sich wirklich um Verbesserungen handeln wird, darüber kann und muss man mit einer gehörigen Portion Skepsis streiten. Unterstützung für das Lager der Skeptiker kann man auch solchen Überschriften entnehmen: „Verschenktes Geld“ – Streit um Rücklagen für die Pflege, so hat Rainer Woratschka seinen Beitrag überschrieben oder wie wäre es damit: „Es wird nicht nur Gewinner geben“. Laumann über die Pflegereform, so hat Anno Fricke ein Interview mit Karl-Josef Laumann, seines Zeichens „Bevollmächtigter der Bundesregierung für Patientenrechte und Pflege“ im Rang eines Staatssekretärs im Bundesgesundheitsministerium, überschrieben.

Und in diesem Interview findet sich ein interessantes Zitat des Herrn Laumann: Seiner Meinung nach sollte bei der nun umzusetzenden Pflegereform ein Aspekt stärker beachtet werden: »… nämlich dass das Beitragsgeld ausschließlich für die Pflegebedürftigen da ist, und für diejenigen, die die Pflegearbeit leisten.«

Da kann man nur zustimmen. Aber schauen wir genauer hin, was denn mit dem Geld des Beitragszahlers eigentlich geplant ist. Das hat Rainer Woratschka so zusammengefasst:

»Bisher ist vorgesehen, den Pflegebeitrag für die geplante Reform Anfang 2015 um 0,3 Prozentpunkte zu erhöhen – und davon ein Drittel in die Rücklage fließen zu lassen. Das entspräche 1,2 Milliarden Euro pro Jahr. Mit der Reserve soll der vorhergesagte Ausgabenanstieg in den Jahren zwischen 2035 und 2055 abgefedert werden, wenn die geburtenstärksten Jahrgänge ins Pflegealter kommen. Die restlichen 2,4 Millionen Euro sollen in sofortige Leistungsverbesserungen fließen.
Für einen zweiten Reformschritt, den versprochenen neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff, soll der Beitrag Anfang 2017 um weitere 0,2 Punkte steigen. Vorgesehen ist etwa eine differenziertere Einstufung der Pflegebedürftigen, die Abschaffung der so genannten Minutenpflege und mehr direkte Zuwendung statt bloß körperbezogener Leistungen. Davon sollen vor allem Demenzkranke profitieren.«

Diesen Ausführungen kann man zwei zentrale Sollbruchstellen entnehmen: Zum einen die Frage der Einführung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs und zum anderen die angesprochene Rücklage für die Zukunft, auch als „Vorsorgefonds“ tituliert.

Zur Einführung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs: Man muss an dieser Stelle daran erinnern, dass ein neuer Pflegebedürfigkeitsbegriff kein neuer konzeptioneller Schritt ist, vielmehr pflastern Kommissionen und Gutachten seinen bisherigen Weg – und ein erkennbares Muster, das sich rückblickend so zusammenfassen lässt: schieben, verschieben, aufschieben:

Im Herbst 2006 wurde der erste Pflegebeirat ins Leben gerufen, der die Aufgabe hatte, das Modellvorhaben mit dem Titel „Maßnahmen zur Schaffung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs und eines Begutachtungsinstruments zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI“ zu begleiten. Der Bericht des „Beirats zur Überprüfung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs“ wurde am 29. Januar 2009 an die damalige Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt übergeben.  Im Mai 2009 wurde durch den Beirat der Umsetzungsbericht fertiggestellt. »Zum 1. März 2012 wurde durch Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr erneut einen Expertenbeirat einberufen, der fachliche und administrative Fragen zur konkreten Umsetzung klären sollte. Am 27. Juni 2013 hat der Expertenbeirat den „Bericht zur konkreten Ausgestaltung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs“ dem Bundesministerium für Gesundheit übergeben. Politische Entscheidungen, den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff gesetzlich zu verankern, stehen bisher aus«, so der GKV-Spitzenverband.
Und was sagt Pflegebeauftragter Laumann im Frühjahr 2014?

»Man braucht Zeit, um den Pflegebedürftigkeitsbegriff vernünftig umzusetzen. Zunächst müssen wir untersuchen, ob es Gewinner und Verlierer gibt. Das müssen wir mit den MDK und einer Reihe von Menschen, die neu pflegebedürftig werden, quer durch alle Bundesländer untersuchen. Der neue Begriff bedeutet auch, dass mit den Einrichtungen Pflegesätze neu verhandelt werden müssen. Das geht nicht von heute auf morgen. Eines muss ganz klar sein: Wir müssen den neuen Begriff in dieser Wahlperiode komplett umsetzen, ganz eindeutig.«

Da von allen Seiten akzeptiert wird, dass die Umsetzung eines neuen Pflegebdürftigkeitsbegriffs mehr Geld kosten wird (wobei die konkrete Höhe durchaus umstritten ist, aber: Dass die anvisierten 2,4 Milliarden Euro für das Vorhaben nicht reichen, ist Konsens unter vielen Experten) und gleichzeitig in der dargestellten Finanzplanung eine Anhebung des Beitragssatzes zur Finanzierung dieses Teils der Pflegereform erst für 2017 vorgesehen ist – also in dem Jahr, in dem die nächste Bundestagswahl stattfinden wird – können sich die Aufschiebe-Skeptiker bestätigt fühlen.

Zur Einführung eines (kapitalgedeckten) „Vorsorgefonds“ in der gesetzlichen Pflegeversicherung: Man muss sich in einem ersten Schritt einmal grundsätzlich klar machen, was die Große Koalition hier beabsichtigt: Innerhalb einer umlagefinanzierten Sozialversicherung soll aus Beitragsmitteln gespeist ein kapitalgedeckter Fonds angelegt werden.
Das hat es aus guten Gründen noch nie gegeben.

In dem Artikel von Woratschka wird der Bremer Wissenschaftler Heinz Rothgang zitiert, ein Experte auf dem Gebiet der Pflegefinanzierung, mit Blick auf die Zeitachse: Der Fonds sei „genau dann wieder leer, wenn die höchste Zahl an Pflegebedürftigen erreicht wird“.

Laut Koalitionsvertrag soll die nicht näher bezifferte Rücklage bis zu ihrer Verwendung von der Bundesbank verwaltet werden. Doch die bedankt sich. Angesichts des Auf und Ab beim GKV-Zuschuss traut die Bundesbank der Stetigkeit der öffentlichen Hand nicht, so die Zusammenfassung unter der Überschrift „Bundesbank hält wenig von Vorsorgefonds in Staatsregie“ in der Ärzte Zeitung.

Dazu schreibt die Bundesbank selbst in ihrem Monatsbericht März 2014:

»Ab 2015 soll … der Beitragssatz schrittweise um insgesamt 0,5 Prozentpunkte angehoben werden. Davon sollen 0,4 Prozentpunkte unmittelbar zur Finanzierung der laufenden Ausgaben eingesetzt werden und das den verbleibenden 0,1 Prozentpunkten entsprechende Beitragsaufkommen zunächst in eine (von der Bundesbank verwaltete) Rücklage geleitet werden. Das ausgedehnte Leistungsvolumen wird künftige Generationen noch stärker zusätzlich belasten, weil die schrumpfende Gruppe der für das Beitragsaufkommen besonders relevanten Erwerbstätigen die Pflegeleistungen für die wachsende Gruppe der Leistungsempfänger im Wesentlichen wird finanzieren müssen. Mit dem Aufbau einer Rücklage können die heutigen Beitragszahler zwar stärker und mit dem Abschmelzen zukünftige Beitragszahler weniger zusätzlich belastet werden. Nach dem Verzehr der Finanzreserven wird das höhere Ausgabenniveau dann aber durch laufend höhere Beiträge gedeckt werden müssen. Inwiefern die beabsichtigte Beitragsglättung tatsächlich erreicht wird, hängt von den weiteren Politikreaktionen ab. Nicht zuletzt die aktuelle Erfahrung zeigt, dass Rücklagen bei den Sozialversicherungen offenbar Begehrlichkeiten entweder in Richtung höherer Leistungsausgaben oder auch zur Finanzierung von Projekten des Bundes wecken. Zweifel an der Nachhaltigkeit einer kollektiven Vermögensbildung unter staatlicher Kontrolle erscheinen umso eher angebracht, je unspezifischer die Verwendung der Rücklagen festgelegt wird« (Deutsche Bundesbank, Monatsbericht März 2014, S. 10).
Eine deutliche Kritik.

Betrachtet man also wie hier geschehen nur zwei sehr wichtige Komponenten der anstehenden „Pflegereform“, dann wird das Lager der Skeptiker eher gestärkt aus der aktuellen Bestandsaufnahme herausgehen. Wir lassen uns aber natürlich gerne vom Gegenteil überzeugen.

Die Pflege und das Geld: Wiederbelebungsversuche der „Bürgerversicherung“ und Wiederauferstehung der Kapitaldeckung im Mäntelchen eines „Vorsorgefonds“

Der Pflegebedürftigkeit werden viele von uns nicht entkommen. Betrachtet man die Lebenszeitprävalenz, standardisiert auf die Altersverteilung der Sterbefälle in Deutschland 2011, dann liegt diese bei 48% für Männer und bei den Frauen sogar bei 67%, wie Berechnungen zeigen, die im „BARMER GEK Pflegereport 2013“ veröffentlicht wurden. Jeder zweite Mann und drei von vier Frauen. Und dass die Zahl der Pflegebedürftigen in den vor uns liegenden Jahren aufgrund der demografischen Entwicklung massiv ansteigen wird, ist mittlerweile sicher überall angekommen.
Daraus ergeben sich zwei zentrale Schlussfolgerungen: Wenn wir auch weiterhin eine dann auch noch halbwegs humane Versorgung der pflegebedürftigen Menschen sicherstellen wollen, dann brauchen wir erheblich mehr Personal in der Pflege – und das meint nicht nur deutlich mehr Professionelle, sondern auch in und um die Familien herum bis in den ehrenamtlichen Bereich angesichts der großen Zahl an Menschen, die von Pflegebedürftigkeit betroffen sein werden. Zum anderen muss deutlich mehr Geld in das Pflegesystem hinein gegeben werden – und das auch unabhängig von der Frage, ob es nicht „Ineffizienzen“ in der Art und Weise der pflegerischen Versorgung gibt, die man abbauen könnte und müsste.

Die Finanzierung der Pflege ist eine komplexe Angelegenheit, obgleich in der öffentlichen Diskussion immer wieder der Eindruck erweckt wird, dass hierbei alles an der Pflegeversicherung hängt, die zwar eine wichtige Rolle im Finanzierungsmix spielt, aus deren Leistungen aber eben nur einen Teil der Pflegekosten refinanziert wird. Hinzu kommen die privaten Anteile der Betroffenen (und ihrer Kinder) sowie seit Jahren wieder ansteigend die kommunal zu finanzierenden Ausgaben der Hilfe zur Pflege im Rahmen der Sozialhilfe (SGB XII). Dem „Pflegereport 2013“ kann man zur Einordnung entnehmen: Derzeit wird gut die Hälfte aller Ausgaben bei Pflegebedürftigkeit durch die Soziale Pflegeversicherung getragen, die damit das wichtigste Leistungssystem bei Pflegebedürftigkeit ist (S. 51). Übrigens – immer wieder wird vergessen, dass es neben der „normalen“ Pflegeversicherung mit 69,6 Mio. Versicherten auch noch die private Pflegeversicherung gibt mit 9,7 Mio. Versicherten.

Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass erneut die Frage auf die Tagesordnung gesetzt wird, wie denn die steigenden Ausgaben für die Pflege finanziert werden sollen. Die Zahl der Pflegebedürftigen wird sich bis 2030 verdoppeln. Um das zu finanzieren, müssen alle Bürger in die Pflegeversicherung einzahlen, so die Forderung von AWO-Chef Wolfgang Stadler in einem Interview („Pflege ist ein Knochenjob„). Ein Ergebnis der Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD ist die Entscheidung, dass der der Beitragssatz in der Pflegeversicherung in dieser Wahlperiode schrittweise um 0,5 Prozentpunkte steigen soll. Das kritisiert Stadler als nicht ausreichend, denn wenn man nur bei den gesetzlich Versicherten diese Beitragserhöhung umsetzt, dann werden die daraus generierbaren Mehreinnahmen nicht ausreichen, um beispielsweise den seit langem vor sich her geschobenen neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff im Sinne der Abkehr von einer zeitabhängigen und somatisch fixierten Pflege finanzieren zu können. Stadler fordert statt dessen:

»Eine Bürgerversicherung wäre aus unserer Sicht die beste Lösung … Die Zahl derjenigen, die in die Pflegeversicherung einzahlt, sinkt. Nur eine integrierte, alle Bürger umfassende gesetzliche Pflegeversicherung und eine Beitragspflicht, die alle Einkommen erfasst, gewährleisten eine hinreichende Finanzierungsgrundlage. Dann bliebe der Beitrag nach unseren Gutachten immer noch unter drei Prozentpunkten und man kann den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff konsequent umsetzen.«

Das ist sie also wieder, die Idee der „Bürgerversicherung“, die vor der Bundestagswahl von der SPD noch hochgehalten wurde, aber bereits bei den Koalitionsverhandlungen in der Versenkung verschwunden ist, hatte die Sozialdemokratie dem Koalitionspartner mit der „Rente mit 63“ und dem Mindestlohn schon einiges „zugemutet“, so dass für systemverändernde Maßnahmen auf der Einnahmenseite kein Platz mehr war. Aber es wurde auch noch nicht einmal diskutiert.
Statt dessen also der Griff in die Beitragskasse der Sozialen Pflegeversicherung – und das in einem höchst problematischen doppelten Sinn.
Werfen wir zuerst einen Blick auf die finanzierungsseitigen Vereinbarungen im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD vom Dezember 2013:

»Der paritätische Beitragssatz zur Pflegeversicherung wird spätestens zum 1. Januar 2015 um 0,3 Prozentpunkte erhöht. Aus dieser Erhöhung stehen die Einnahmen von 0,2 Prozentpunkten zur Finanzierung der vereinbarten kurzfristigen Leistungsverbesserungen, insbesondere für eine bessere Betreuung der Pflegebedürftigen sowie der für 2015 gesetzlich vorgesehenen Dynamisierung der Leistungen zur Verfügung. Die Einnahmen aus der weiteren Erhöhung um 0,1 Prozentpunkte werden zum Aufbau eines Pflegevorsorgefonds verwendet, der künftige Beitragssteigerungen abmildern soll. Dieser Fonds wird von der Bundesbank verwaltet.
In einem zweiten Schritt wird mit der Umsetzung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs der Beitrag um weitere 0,2 Prozentpunkte und damit insgesamt um 0,5 Prozentpunkte in dieser Legislaturperiode angehoben« (Koalitionsvertrag CDU, CSU und SPD 2013: 61)

Was wir diesen wenigen Sätzen zur Pflegefinanzierung in der nun laufenden neuen Legislaturperiode entnehmen können ist eine Wiederauferstehung des Gedankens der Kapitaldeckung. Es muss an dieser Stelle daran erinnert werden, dass bereits im Koalitionsvertrag zwischen der Union und der FDP aus dem Jahr 2009 vorgesehen war, dass es eine Ergänzung durch eine „Kapitaldeckung“ bei der Pflegefinanzierung geben sollte. Herausgekommen ist in der letzten Legislaturperiode aber lediglich der so genannte „Pflege-Bahr“, also zulagengeförderte freiwillige private Versicherungsverträge.
  • Dieses neue Instrument sieht einen Förderbetrag in Höhe von fünf Euro pro Monat bzw. 60 € pro Jahr vor, wenn mindestens zehn Euro pro Monat Prämie für einen privaten Pflegeversicherungsvertrag gezahlt werden. Die Kritik an dieser Förderung ist umfassend und stellt ab auf die Punkte geringe Reichweite des Versicherungsschutzes, umverteilen Wirkung der Förderung im Sinne von „Mitnahmeeffekte durch Vermögende“ (so eine treffende Charakterisierung seitens der Deutschen Bundesbank), ein unzureichender Versicherungsschutz sowie die Tatsache, dass keine Dynamisierung der staatlichen Förderung vorgesehen ist, sehr wohl aber Prämiensteigerungen möglich sind und auch eintreten werden. Bösartig formuliert könnte man die steuerfinanzierte Zulage gleichsam als Lockmittel in solche Versicherungsverträge hinein verstehen. Der „Pflege-Bahr“ steht stellvertretend für die in der vergangenen Legislaturperiode so dominante „Playmobil-Sozialpolitik“, zu der beispielsweise auch das „Betreuungsgeld“ in Höhe von 100, später einmal 150 € pro Monat gehört, die für diejenigen geleistet werden, die keine öffentliche Kindertagesbetreuung in Anspruch nehmen.
Quelle der Abbildung: PKV

Der Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV) hat aktuell die Präsentation der Geschäftszahlen 2013 unter die Überschrift „Rasantes Wachstum in privater Pflegevorsorge“ gestellt: «So wurden im Jahr 2013 allein 353.400 geförderte Pflegezusatzversicherungen abgeschlossen. Dazu kommen noch 174.100 ungeförderte Policen, sodass der Gesamtbestand an Pflegezusatzversicherungen um mehr als eine halbe Million auf insgesamt über 2,7 Millionen Versicherungen anstieg«, so die Jubelmeldung des Verbandes – schaut man sich allerdings die Relationen genauer an, dann offenbart sich, dass gerade einmal nur 3,4% der Pflegepflichtversicherten eine Pflegezusatzversicherung abgeschlossen haben, wie die vom PKV-Verband selbst veröffentlichte Abbildung zeigt.

Heike Haarhoff schreibt hierzu in ihrem Kommentar „Aus Flop mach Top„: »1,5 Millionen Neu-Verträge allein binnen des ersten Jahres, das war Bahrs – schriftlich verankertes – Versprechen … Jetzt stellt sich heraus: Gerade 400.000 Menschen haben einen „Pflege-Bahr“ abgeschlossen – nicht in den ersten 12, sondern in den ersten 14 Monaten seit Einführung. Das ist nicht nur weniger als ein Drittel des angepeilten Ziels. Das ist blamabel.« Und inhaltlich kritisiert sie: »Die Stiftung Warentest hat dem Pflege-Bahr unlängst jeglichen Zusatznutzen abgesprochen: Die staatlich geförderte Police biete keine finanziellen Vorteile gegenüber herkömmlichen Produkten der privaten Pflegeversicherung. Überdies, das beklagen Sozialverbände, schließen diejenigen Menschen mit hohem Pflegerisiko – also Arme und Kranke – den Pflege-Bahr gar nicht ab. Ihnen fehlt schlicht das Geld für den Eigenanteil. Aber auch die Einkommensstärkeren, die jetzt in die Privatvorsorge investieren, können nicht sicher sein, am Ende zu profitieren: Niemand weiß, wie sich die Prämien entwickeln. Ein vorzeitiges Aussteigen aber ist bei Risikoversicherungen stets mit extremen finanziellen Einbußen verbunden.«

Betrachtet man in diesem Kontext die Vereinbarungen in dem neuen Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD, dann wird verständlich, warum man tatsächlich von einer wirklichen „Wiederauferstehung“ des Gedankens der Kapitaldeckung innerhalb der Pflegefinanzierung sprechen kann und muss. Die Verwendung des Begriffs Wiederauferstehung soll daran erinnern, dass in der Anfangsphase der Pflegeversicherung von durchaus unterschiedlichen Seiten eine ergänzende Kapitaldeckung angesichts des besonderen Risikocharakters der Pflegebedürftigkeit vorgeschlagen bzw. gefordert wurde und es wurde darauf hingewiesen, dass man mit dieser ergänzenden Kapitaldeckung für die jüngeren Jahrgänge rechtzeitig anfangen müsse, um überhaupt Entlastungswirkungen haben zu können – aktuell wird allerdings darauf hingewiesen, dass der „richtige“ Zeitpunkt für eine solche ergänzende Teil Kapitaldeckung verpasst worden ist. 
Unter dem euphemistisch daherkommenden Terminus „Vorsorgefonds“ wurde seitens der Großen Koalition nicht nur vereinbart, erhebliche Mittel in den kommenden Jahren anzusparen, sondern aus Sicht des bisherigen Systems tatsächlich systemverändernd ist die Tatsache, dass dieser kapitalgedeckte Fonds über Beitragsmittel aus einer umlagefinanzierten Sozialversicherung gespeist werden soll. Das hat es nun wirklich noch nicht gegeben.

Noch sind die Details dieses tiefen Eingriffs in die Systematik einer umlagefinanzierten Sozialversicherung gar nicht geklärt, da wird das dann zusätzlich aufgeladen mit weiteren höchst umstrittenen Forderungen, konkret einer Differenzierung der Belastung zwischen Familien und Kinderlosen. So müssen jedenfalls die Ausführungen des gesundheitspolitischen Sprechers der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Jens Spahn, verstanden werden. Das Interview mit ihm ist überschrieben worden mit „Kinderlose sollen mehr Beiträge zahlen„. Auch Spahn betont den paradigmatischen Punkt der Koalitionsvereinbarung: »Zunächst einmal hat das Ganze eine hohe Symbolkraft: Zum ersten Mal sparen wir in der gesetzlichen Sozialversicherung ganz gezielt Geld, um uns auf die Alterung der Gesellschaft einzustellen. Das hat es bisher noch nicht gegeben und ist daher ein Wert an sich.«

Ab 2015 sollen jährlich 1,2 Mrd. Euro in den „Vorsorgefonds“ zurückgelegt werden – wohlgemerkt, aus Beitragsmitteln der „normalen“ Pflegeversicherten. Auf die kritische Vorhaltung, dass die auf diesen Weg angesparten Beträge kaum ausreichen werden, lässt Spahn dann die perspektivische Katze aus dem Sack:

»Wer sagt denn, dass wir künftig nicht mehr sparen? Ich werde mich jedenfalls dafür einsetzen, dass wir die Sparsumme für den Fonds mittelfristig erhöhen. Fair und gerecht wäre es, wenn vor allem die Kinderlosen einen größeren Beitrag zur Vorsorge leisten. Die Eltern, die künftige Beitragszahler großziehen, haben ihren Anteil ja schon geleistet. Ich kann mir daher vorstellen, dass wir den Beitragssatz für Kinderlose künftig weiter erhöhen und diese zusätzlichen Einnahmen dann in den Fonds stecken. Eine stärkere Belastung der Kinderlosen zur Entlastung der Familien sollte ein generelles Prinzip in der Sozialversicherung werden.«

So kann man sich das vorstellen – schrittweiser Ausbau der nunmehr verpflichtend eingeführten Teilkapitaldeckung innerhalb der Sozialversicherung und die von immer mehr geforderte stärkere Belastung der Kinderlosen umlenken in die Kapitaldeckung.

Bei Gelegenheit müsste die SPD dann schon mal die Frage beantworten, wie sie es selbst bewerten will, dass sie bis vor der Wahl das Konzept der „Bürgerversicherung“ propagiert hat und nach der Wahl eine weitaus stärkere Kapitaldeckung implementieren lässt, als es die schwarz-gelbe Koalition auch nur ansatzweise geschafft hat. Das hat schon eine gewisse Ironie.
Abschließend zur Kapitaldeckung ein Hinweis auf die private Kranken- und Pflegeversicherung, denn die kennen sich damit aus. In der Pressemitteilung zum Jahresergebnis 2013 teilt der PKV-Verband mit: »Einen Teil der Beiträge ihrer Kunden legt die Private Krankenversicherung auf dem Kapitalmarkt an. Aus diesem Geld werden die im Alter steigenden Gesundheitskosten der Versicherten finanziert. Diese Alterungsrückstellungen erhöhten sich bis Ende 2013 auf 190 Milliarden Euro – 164 Milliarden Euro in der Krankenversicherung und 26 Milliarden Euro in der Pflegeversicherung.« Das ist mal ein Sparstrumpf.

Die (professionelle) Altenpflege wächst, die (selbst zu tragenden) Kosten dafür besonders und im Schatten müht sich weiter das schwarze Schaf der Pflegefamilie

Der „Pflegereport 2013„, herausgegeben von der Krankenkasse Barmer GEK und von Heinz Rothgang, Rolf Müller und Rainer Unger vom Zentrum für Sozialpolitik (ZeS) an der Universität Bremen verfasst, bescheinigt der Altenpflege ein anhaltendes Wachstum, was angesichts der allgemeinen Daten nicht überrascht: »Die Zahl Pflegebedürftiger ist mit 2,5 Millionen (2011) auf einem neuen Höchststand und wird bis 2050 auf 4,5 Millionen steigen. Wesentliche Ursache ist der demografische Wandel. Es gibt große regionale Unterschiede. So wird die Zahl der Pflegebedürftigen bis 2030 in Brandenburg um 72 Prozent steigen, in Bremen nur um 28 Prozent. Im Bundesdurchschnitt wird ein Plus von 47 Prozent erwartet.«

Es zeigt sich ein Trend hin zu professioneller Versorgung. Besonders stark sind die ambulanten Pflegedienste gewachsen: Sie haben 2012 fast 23 Prozent der pflegebedürftigen Menschen betreut – so viele wie nie zuvor (2008 waren es noch 20,9 Prozent gewesen). Dagegen stagnierte der Anteil der Heimpflege in den letzten Jahren und sank zuletzt leicht auf 28,8 Prozent. »Dementsprechend sind laut Report die Personalkapazitäten in der ambulanten Pflege zwischen 1999 und 2011 mit 64 Prozent schneller gewachsen als die Zahl der Betten in Pflegeheimen. Diese hätten um 36 Prozent zugenommen« („Ambulante Pflege nimmt weiter Fahrt auf„).

Wer den gesamten Pflegereport 2013 – der dieses Jahr als Schwerpunktthema die Rehabilitation bei Pflege behandelt – lesen möchte, der kann den hier abrufen als PDF-Datei:

Heinz Rothgang, Rolf Müller und Rainer Unger: BARMER GEK Pflegereport 2013. Schwerpunktthema: Reha bei Pflege (= Schriftenreihe zur Gesundheitsanalyse, Band 23), Siegburg 2013 » PDF-Datei

Erneut gestiegen sind nach Berechnungen der Bremer Wissenschaftler die Eigenanteile, die privat zur Finanzierung der Pflege aufgebracht werden müssen.

Bei den Leistungen der Pflegeversicherung handelt es sich um pauschalierte bzw. gedeckelte Leistungen, die nicht bedarfsdeckend sind. Nicht umsonst sprechen wir hier auch von einer „Teilkaskoversicherung“. Aufgrund der bis 2007 fehlenden und seitdem unzureichenden Leistungsdynamisierung steigen die Eigenanteile an den Pflegekosten, die vom Pflegebedürftigen selbst zu tragen sind, weiter an. In der stationären Pflege übersteigt inzwischen der insgesamt aufzubringende Eigenanteil die Pflegeversicherungsleistungen in allen Pflegestufen deutlich, und auch bei den rein pflegebedingten Kosten, die gemäß der ursprünglichen Planung bei Einführung der Pflegeversicherung vollständig von der Versicherung übernommen werden sollten, betrugen die durchschnittlichen Eigenanteile Ende 2011 bereits monatlich 346 Euro (Pflegestufe I), 532 Euro (Pflegestufe II) bzw. 760 Euro (Pflegestufe III), erläutern die Bremer Wissenschaftler in ihrer Pressemitteilung zum neuen Pflegereport. Die Pflegeversicherungsleistungen decken deutlich weniger als die Hälfte des Gesamtheimentgelts ab. Der Tabelle aus dem Pflegereport 2013 mit der Entwicklung der einzelnen Komponenten kann man entnehmen, dass bereits im Jahr 2011 der privat aufzubringende Eigenanteil der Pflegebedürftigen bei stationärer Versorgung im Durchschnitt über die drei Pflegestufen zwischen 1.380 bis 1.802 Euro lag.

Hinter solchen Zahlen stecken zahlreiche ganz unterschiedliche Schicksale und man sollte auch die Folgewirkungen solcher Eigenanteilsbeträge nicht unterschätzen. Zum einen steigt die finanzielle Überforderung vieler betroffener Pflegebedürftiger, die auf eine Heimunterbringung angewiesen sind – und das bedeutet nicht nur die Verwertung des gesamten eigenen Vermögens (sofern solches vorhanden  ist) und den Rückgriff auf die Verwandten ersten Grades, also die Kinder, die teilweise erhebliche Beträge abführen müssen, sondern bei vielen mittellosen bzw. einkommens- und  vermögensschwachen Personen muss das Sozialamt einspringen mit der „Hilfe zur Pflege“ nach dem SGB XII. Die Ausgaben dafür steigen (wieder) kontinuierlich an.

Zum anderen sind die Pflegekosten auch ein Grund mit für die Ausbreitung eines höchst umstrittenen, aber weit verbreiteten Phänomens in der Pflege und Betreuung der Pflegebedürftigen in ihrem häuslichen Kontext: Gemeint ist hier der Einsatz osteuropäischer Pflege- und Betreuungskräfte, zumeist in halblegaler bzw. illegaler Form in den Haushalten der Betroffenen.

»Immerhin gibt es nach Angaben des Statistischen Bundesamtes rund eine Million Deutsche, die zu Hause betreut werden. Offiziell durch ihre Angehörigen. Inoffiziell, schätzt das Deutsche Institut für angewandte Pflegeforschung, beschäftigen rund 150.000 Familien Osteuropäerinnen, die mit im Haushalt wohnen und die Alten pflegen. Da viele Pflegerinnen sich alle paar Wochen abwechseln, kommen die Forscher auf rund 400.000 schwarz arbeitende Frauen. Das Arrangement scheint vielen eine einfache Lösung für das Problem mit dem plötzlichen Pflegefall in der Familie zu sein. Die Frauen bekommen 1.000 bis 1.400 Euro, bar auf die Hand«, so Anette Dowideit in ihrem Artikel „Viele Kinder nennen ihre Mütter ‚Bankautomat‘„. In dem Artikel werden Maria und Agnieszka aus Polen porträtiert. Nur in Deutschland können sie genug Geld verdienen, um ihre Familien zu versorgen. Beispielsweise Agnieszka, die hier bei einem älteren Ehepaar auf 1.300 Euro im Monat kommt. Das sind fast drei mal so viel, wie sie in Polen in einem Vollzeitjob verdienen könnte. »Sie schläft im Haus und ist so rund um die Uhr verfügbar. Muss die Frau nachts zur Toilette, steht sie mit auf, um ihr zu helfen.«

Aber alles hat seinen Preis und viele der Osteuropäerinnen hinterlassen Kinder in ihrer Heimat, die zuweilen völlig auf sich allein gestellt sind – und darauf will Anette Dowideit aufmerksam machen:

»Pendelmigration, wie Soziologen das nennen, ist ein großes Problem für Osteuropa. Ganze Generationen von Kindern wachsen wegen des Lohngefälles zwischen West und Ost ohne Mütter auf. In Polen sind es mindestens 100.000, rechneten Forscher der Universität Warschau vor drei Jahren aus. Je weiter östlich man geht, umso verbreiteter ist das Problem. In der Ukraine sollen fünf bis sieben Millionen Kinder betroffen sein, schätzt der Verein Caritas International. Das sei nicht nur sozial, sondern auch wirtschaftlich eine Katastrophe, sagen Experten. Es verursache eine „neue Klasse von Straßenkindern“, ohne soziale Vorbilder, durch Omas oder Tanten versorgt, aber nicht erzogen, die schlechte Leistungen in der Schule ablieferten, viel Alkohol tränken, Drogen nähmen.«

Und – leider – durchaus passend vor dem Hintergrund des anstehenden Weihnachtsfestes:

»Natürlich wüssten viele Auftraggeber in Deutschland, dass sie durch das Arrangement die Notlage einer polnischen Familie ausnutzen, sagt der Kölner Pflegeforscher Michael Isfort, stellvertretender Vorsitzender des Instituts für angewandte Pflegeforschung. Manche Angehörige schützten sich vor diesem Wissen, indem sie den Hintergrund der Frau ausblendeten. „Andere versuchen, den Arbeitsvertrag umzudeuten. Sie reden sich ein, eigentlich gehöre die fremde Frau doch nach kurzer Zeit zur Familie.“ Was oft nicht funktioniert. Die Pflegerin kommt mit zu Familienfesten, sitzt Weihnachten mit am Weihnachtsbaum – obwohl sie mit den Gefühlen ganz weit weg ist. „Das kann schnell für alle Beteiligten zum Krampf werden“, sagt Isfort.«

Man muss ganz klar sehen und es auch so deutlich sagen: Solange wir dieses erhebliche Wohlstandsgefälle innerhalb der Europäischen Union haben, wird es zahlreiche Menschen geben, die auch unter Inkaufnahme einer Pendelmigration versuchen werden, einen Teil vom Kuchen abzubekommen und die eigene materielle Lage zu verbessern. Zwar wird sich allein aufgrund der massiven Einbrüche aufgrund der demografischen Entwicklung in den osteuropäischen Staaten das Pflegepotenzial für diese intensive Form der häuslichen Betreuung und Pflege in den vor uns liegenden Jahren deutlich reduzieren, aber wir haben zum einen bereits sehr viele Osteuropäerinnen bei uns im Land und außerdem wird das auch noch einige Zeit so andauern. Insofern kann man mit wirklich guten Gründen diese Situation beklagen und die Folgen bzw. Auswirkungen für die Frauen, Aber man wird grundsätzlich an dem Tatbestand nichts verändern können, dazu ist das Wohlstandsgefälle schlichtweg zu groß. Also hat der Staat die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, im Interesse der Pflegebedürftigen, vor allem aber der Frauen aus dem Ausland, die sich hier an der Pflegefront oftmals aufopfern, deren Beschäftigung zu regulieren. Praktisch würde das bedeuten, dass man akzeptiert, dass es sich hier um einen eigenen Beschäftigungsbereich handelt, zum anderen muss man aber sicherstellen, dass die Frauen, Die per se aufgrund des Lohngefälles in einer Ausbeutungssituation stecken, wenigstens ordentlich behandelt werden und man muss sie einbinden in eine flächendeckende Infrastruktur der begleitenden Unterstützung. Schon vor Jahren wurde auf die vorhandenen Missstände wie auch auf den Bedarf an einer rechtlich (für beide Seiten) besseren Lösung hingewiesen und eine solche eingefordert. Bisher hat sich hier allerdings so gut wie gar nichts bewegt, ganz offensichtlich steckt die Politik bei diesem Thema ihren Kopf ganz tief in den Sand.

Nun aber scheint sich doch etwas zu bewegen, überschreibt doch die bereits erwähnte Anette Dowideit einen anderen Artikel mit „Schwarzarbeit in der Pflege soll legalisiert werden„: Wir müssen den Weg zurück in die Legalität ebnen, so wird der gesundheitspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Jens Spahn, zitiert. Möglicherweise sollen die Pflegekassen künftig die Sozialversicherungskosten für die Frauen übernehmen, so der Hinweis in dem Artikel auf aktuelle Überlegungen. Man muss an dieser Stelle allerdings auch darauf hinweisen, dass mit einem solchen Verfahren verbunden wäre, dass der Staat gleichsam auf der absoluten ökonomischen Abhängigkeit der betroffenen Frauen aus Osteuropa aufbaut und deren überdurchschnittlichen und eigentlich nicht rechtskonformen Arbeitseinsatz legalisiert und damit der Ausbeutung aufgrund der gegebenen Wohlstandsunterschiede Vorschub leistet und diese stabilisiert. Auf der anderen Seite ist es wohlfeil, wenn man sich auf einen rigorosen Standpunkt stellt. Das entlastet nicht von der Tatsache, dass man auch unangenehme Kompromisse eingehen muss, da sich offensichtlich zahlreiche Familien diese Option bedienen(müssen) und man vor diesem Hintergrund eine Antwort geben sollte, wie man das ganze in geordnetere Bahnen lenken könnte.

Das alles ist keine neue Idee, sondern ganz offensichtlich will man sich an die aktuelle Rechtslage in Österreich anlehnen, die schon vor Jahren den mühevollen Weg der versuchten Legalisierung der osteuropäischen Pflege- und Betreuungskräfte eingeschlagen haben.

Damit kein falscher Eindruck entsteht: man geht davon aus, dass schätzungsweise 100.000 bis 150.000 Familien auf osteuropäische Pflege-und Betreuungkräfte zurückgreifen. Insgesamt werden derzeit über eine Million Pflegebedürftige ausschließlich von ihren Angehörigen (oder mit Unterstützung der Pflege- und Betreuungskräfte aus anderen Ländern) zuhause gepflegt. In vielen Familien sind es also die Angehörigen alleine, die diese gesellschaftlich absolut wertvolle und unabdingbare Arbeit erledigen – in aller Regel handelt es sich hierbei um Frauen, die diese Aufgabe stemmen.  Die Unterstützung und Hilfestellung für diese oftmals aufreibende Arbeit muss unbedingt im Zuge der Verbesserung der Leistungen in der Pflegeversicherung wie auch durch eine entsprechende Pflegeinfrastruktur vor Ort ausgebaut werden. Wenn es uns aber gelingen würde, durch eine Legalisierung der vorhandenen und weiterhin auch erwartbaren Beschäftigung von Osteuropäerinnen gleichzeitig dazu zu kommen, dass man die Familien, die solche Arbeitskräfte einsetzen, verpflichtet, sowohl professionelle ambulante Pflegedienste regelmäßig ins Haus zu lassen und den betroffenen Frauen aus Osteuropa die Möglichkeit eröffnet, sich zu treffen, auszutauschen und von professionellen Pflegebegleitern betreut zu werden, dann kann man ganz handfeste Verbesserungen der Lebensbedingungen erreichen. Das wäre doch aller Anstrengung wert.