Sie fährt, sie fährt nicht, dann fährt sie wieder – aber jetzt soll sie eine ganze Woche zwangspausieren. Die Bahn. Denn die Lokführer-Gewerkschaft GDL will es offensichtlich wissen, wie weit man gehen kann. Da kommt vieles unter die Räder

Und täglich grüßt das Murmeltier. So in etwa lässt sich zusammenfassen, wie sich mittlerweile der Konflikt zwischen der Lokführer-Gewerkschaft GDL und der Deutschen Bahn für viele Menschen darstellt. Die Bahn fährt (mehr oder weniger), dann streikt die GDL zwei oder drei Tage, dann fährt sie wieder und nach einiger Zeit zurück auf Streik seitens der Lokführer. Und vor wenigen Tagen hat die GDL erneut die Verhandlungen mit der Bahn abgebrochen, das von der Bahn-Spitze vorgelegte Angebot sei keinesfalls akzeptabel. Man ahnte es schon – das Muster sollte sich wiederholen. Aber alles hat mal ein Ende und offensichtlich will es die GDL jetzt so richtig wissen, wie weit man gehen kann. Die Eilmeldungen überschlagen sich derzeit: Lokführer streiken sechs Tage langEine Woche Bahnstreik ab Montag oder Lokführer streiken die ganze nächste Woche, um nur drei davon zu zitieren.

Bahnreisende müssen sich von Dienstag an auf den bisher längsten Streik der Lokführer im Tarifkonflikt bei der Bahn einstellen. Der Ausstand soll im Personenverkehr sechs Tage lang von 5. Mai um 2.00 Uhr morgens bis 10. Mai um 9.00 Uhr dauern, teilte die Gewerkschaft am Sonntag in Frankfurt am Main mit. Im Güterverkehr soll bereits ab Montag um 15.00 Uhr gestreikt werden. Es wäre bereits der achte Streik in dem Tarifkonflikt. Um was es da geht? Das ist gar nicht so ein fach zu beschreiben.

Die Gewerkschaft hatte am Donnerstag das neue Tarifangebot des Unternehmens zurückgewiesen. Die Bahn hatte angeboten, die Löhne sollten vom 1. Juli an in zwei Stufen um insgesamt 4,7 Prozent steigen. Dazu komme eine Einmalzahlung von insgesamt 1.000 Euro bis zum 30. Juni. Die GDL fordert für die Beschäftigten fünf Prozent mehr Geld und eine Stunde weniger Arbeitszeit pro Woche.  Aber die Differenz zwischen Angebot und Forderung auf dieser Ebene ist noch nicht einmal der eigentliche Knackpunkt. Die GDL will nicht nur für Lokführer, sondern auch für Zugbegleiter und Rangierführer eigene Verträge abschließen. Dies strebt auch die größere, konkurrierende Gewerkschaft EVG an. Die Bahn will unterschiedliche Abschlüsse für dieselbe Berufsgruppe vermeiden.

Hinzu kommt – sicher ein Motiv für die für viele unerwartete Härte der Lokführer-Gewerkschaft: Die GDL befürchtet, unter die Räder des Terifeinheitsgesetzes zu geraten, das derzeit im Bundestag seinen Gang nimmt und das dann bald in Kraft treten könnte, so dass Streikaktionen der GDL möglicherweise nicht mehr zulässig wären. Die GDL unterstellt der Bahn, sie spiele auf Zeit und lasse die Gewerkschaft am ausgestreckten Arm verhungern, bis es zu der gesetzlichen Neuregelung gekommen ist. Vor diesem Hintergrund wäre die Eskalation der GDL aus deren Binnensicht ein durchaus logischer Schritt – allerdings, wie noch zu diskutieren sein wird – mit ganz erheblichen und teilweise unabsehbaren Konsequenzen. Auch für die GDL selbst, die scheinbar in den Selbstzerstörungsmodus gewechselt ist. Aber blicken wir zuerst noch einmal kurz zurück auf den bisherigen Stand vor der nun erfolgten Ankündigung des Mega-Streiks.

Eine gute Übersicht über das, was im vergangenen Jahr passiert ist, liefert der Artikel Deutsche Bahn AG. Tarifrunde 2014 des WSI-Tarifarchivs:

»Die Tarifrunde 2014 bei der Deutschen Bahn AG verlief besonders konfliktreich und war zum Jahresende auch noch nicht abgeschlossen. Ursache dafür waren die besonderen (tarif)-politischen Rahmenbedingungen in diesem Tarifbereich. Seit über zehn Jahren streiten zwei Gewerkschaften bei der Deutschen Bahn um Einfluss und Zuständigkeiten. Anders als in anderen Wirtschaftszweigen gibt es keine funktionierende Tarifkooperation, sondern lediglich einen seit 2008 befristet festgeschriebenen „Waffenstillstand“, der die Tarifkonkurrenz zwischen den beiden Gewerkschaften EVG (bis 2010: Transnet/GDBA) und GDL aber nicht befriedet hat.«

Schon im vergangenen Jahr hat das Agieren der GDL polarisiert:

»Die Streiks der GDL führten zu einer sehr kontroversen öffentlichen Debatte. Zum einen wurden die Arbeitsniederlegungen als unverhältnismäßig kritisiert. Der GDL und speziell ihrem Vorsitzenden Claus Weselsky wurde vorgeworfen, aus purem Organisations- und Machtinteresse heraus zu streiken … Rufe nach einer Begrenzung des Streikrechts im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge wurden laut. Auf der anderen Seite gab es auch explizit positive Stimmen, die die GDL für ihr Vorgehen ausdrücklich lobten …«

Aber auch im neuen Jahr ist der Konflikt weiter gegangen und nach einem weiteren „normalen“, das heißt hier zweitägigen Streik (vgl. dazu beispielsweise den Artikel Die Paralleluniversen von Bahn und GDL), steht nun der große Konflikt vor der Haustür. Die Gespräche seit Mitte vergangenen Jahres drehen sich immer wieder um dieselbe Frage: Welche Gewerkschaft darf welche Berufsgruppe im Bahn-Konzern vertreten? Denn neben der kleineren GDL, die übrigens keine DGB-Gewerkschaft ist, sondern unter den Fittichen des Deutschen Beamtenbundes segelt, gibt es noch die größere Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG). Die waren und sind bislang in einer sehr unkomfortablen Position, laufen sie doch immer im Windschatten der überaus öffentlichkeitswirksamen Aktionen der GDL und müssen zugleich zunehmend Anfragen der eigenen Mitglieder hinsichtlich ihres vergleichsweise sehr friedlichen Umgangs mit dem Arbeitgeber Deutsche Bahn zur Kenntnis nehmen – sicher auch ein Grund für solche Meldungen: Jetzt drohen auch die anderen Eisenbahner mit Streik. Irgendwie kommen die jetzt natürlich immer mehr in Zugzwang, gegenüber den eigenen Mitgliedern zu demonstrieren, dass sie auch noch da sind.

Bahnstreik und kein Ende? Das fragen sich viele Menschen. So auch die Überschrift eines Artikels, in dem über ein Gespräch mit dem Streikforscher Heiner Dribbusch von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung berichtet wurde. Auch Dribbusch verweist auf die direkt-indirekt fatalen Auswirkungen des laufenden Gesetzgebungsprozesses im Kontext der Tarifeinheit:

»Da das Gesetz noch vor der Sommerpause vom Bundestag verabschiedet werden soll, laufe der GDL aber auch langsam die Zeit davon. Insofern habe Entwurf des Tarifeinheitsgesetzes zur Verhärtung beigetragen und vermutlich auch die Auseinandersetzung in die Länge gezogen. Denn die Bahn scheine auf Zeit zu spielen und zu hoffen, mit Hilfe des Tarifeinheitsgesetzes die GDL als Tarifvertragspartei letztlich ausschließen zu können. Ob dies in allen 300 Bahnbetrieben wirklich gelingen würde, sei zwar unklar. Aber das Management hoffe, zumindest die Verhandlungsposition der GDL nach einer Neuregelung zu schwächen. Die EVG wiederum zögere mit der Bahn zum Abschluss zu kommen, solange nicht klar ist, welche Zugeständnisse das Management der GDL macht. All dies verhindere eine schnelle Lösung.«

Schon beim letzten, zweitägigen Streik der Lokführer im April dieses Jahres lief die Anti-GDL-Berichterstattung auf Hochtouren. Neben den betroffenen Reisenden wurde diesmal besonders auf die – angeblichen und tatsächlichen – volkswirtschaftlichen Schäden abgestellt, die durch die Arbeitsniederlegungen der Lokführer hervorgerufen werden.

»Streikbedingte Schäden können von einstelligen Millionenbeträgen schnell auf bis zu 100 Millionen Euro Schaden pro Tag wachsen«, warnte Dieter Schweer, Mitglied der Hauptgeschäftsführung im Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Besonders hart betroffen seien Branchen, die auf die Bahn angewiesen seien, etwa Chemie-Gefahrguttransporte, die Stahlindustrie oder die Autowirtschaft. Auch der Chefökonom des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Alexander Schumann, sprach am Mittwoch in »Bild« von einem bis zu 100 Millionen Euro großen Schaden durch den aktuellen 66-stündigen Streik im Güterverkehr«, so Rainer Balcerowiak in seinem diese Argumentation kritisierenden Artikel Kein Grund für Horrorszenarien. Er spricht von „Fantasiezahlen“ und sieht „Panikmache und Anti-GDL-Propaganda“ am Werke. Seine Begründung dafür:

»Ein Sprecher des DIHK räumte … ein, dass es »keine konkreten Zahlen gibt« und man auch keinerlei konkrete Angaben von einzelnen Branchen oder Betrieben über die möglichen Auswirkungen des Streiks habe. Vielmehr handele es sich um »Modellrechnungen« für den Fall eines längeren flächendeckenden Streiks im Güterverkehr. Für ein bis zwei Tage seien Firmen in der Lage, Produktionsausfälle weitgehend zu vermeiden. Kohle- und Stahlfirmen, die zu den Großkunden der Bahn zählen, besitzen nach eigenen Angaben sogar einen Puffer von fünf bis sieben Tagen. Zudem kann die Bahn trotz der Arbeitsniederlegung besonders terminsensible Großkunden weiter bedienen, weil sie nicht streikberechtigte verbeamtete Lokführer einsetzen kann.«

Auch der Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME) sieht derzeit keinen Grund für Horrorszenarien. »Erst nach drei Tagen wird es bei den meisten kritisch«, so wird deren Sprecher Gunnar Gburek in dem Artikel zitiert – eine Grenze, die allerdings bei dem nunmehr angekündigten Ausstand von einer Woche mehr als überschritten würde, was die neue Qualität dessen verdeutlicht, was wir seit heute zur Kenntnis zu nehmen haben.

Die Hinweise auf die Schäden durch die Streikaktionen müssen auch vor dem Hintergrund gesehen werden, über eine solche Argumentation den Gesetzgeber zum Einschreiten zu bewegen. Noch vor der Ankündigung der neuen Streikaktionen findet man dann beispielsweise in der FAZ die folgende Kommentierung von Heike Goebel unter der bezeichnenden Überschrift: Ran ans Streikrecht! Auch sie sieht den Zusammenhang mit dem Tarifeinheitsgesetz der großen Koalition, zieht allerdings eine „interessante“ Schlussfolgerung:

»An der Eskalation ist die große Koalition mitschuldig. Ihr Tarifeinheitsgesetz bedroht die Existenz der Sparten-Gewerkschaften, auch deswegen kämpft die GdL so rücksichtslos. Die Regierung sollte das Gesetz einstampfen und stattdessen das Streikrecht begrenzen, zumindest da, wo solche Konflikte das öffentliche Leben unter hohen Kosten für Dritte empfindlich stören. Eine gute Debattengrundlage sind die Vorschläge des CDU-Wirtschaftsflügels, die andere Länder erfolgreich anwenden: Streiks sollten erst nach einem Schlichtungsversuch erlaubt sein, es muss längere Ankündigungsfristen geben und höhere Abstimmungshürden.«

Genau diese Entwicklung wurde bereits kritisch in dem Beitrag Die Katze aus dem Sack lassen. Unionspolitiker fordern eine explizite Verankerung des Streikverbots für kleine Gewerkschaften und in der „Daseinsvorsorge“ Einschränkungen des Streikrechts für alle vom 20. April 2015 behandelt.

Noch wesentlich weiter geht Werner Rügemer in seinem Beitrag DB im GdL-Streik: „Bewusst eine Sackgasse herbeiführen“: »Polizei- und Geheimdienstmethoden gegen streikbereite Gewerkschaften wie die GdL. Strategische Beratung durch Zürcher Union Busting-Institut SNI«, so beginnt sein Artikel, in dem er darauf hinweist, dass auch seitens der Deutschen Bahn „Union Busting“-Methoden Anwendung finden.

Man kann es drehen und wenden wie man will – bei einem Streik in der Größenordnung, wie ihn die GDL heute angekündigt hat, wird es erhebliche negative Auswirkungen geben müssen. Dazu und hier besonders relevant kommt hinzu: In den kommenden Tagen wird die gesamte mediale Aufmerksamkeit auf den Ausstand der in der GDL organisierten Lokführer gezogen werden und man braucht keine prognostische Expertise um vorauszusagen, dass die (ver)öffentliche Meinung massiv gegen die Aktion der GDL ausgerichtet wird. Auch für viele bislang Gutmütige wird der Rubikon diesmal überschritten sein.

Nun lebt die GDL nicht auf einer Insel, auch wenn man den Eindruck bekommen könnte, dass das bei der Führungsebene dort so ist. Denn es gibt noch andere Konfliktfelder in Arbeitsbereichen, die deshalb von großer Bedeutung sind, weil Streikaktionen in diesen Bereichen aufgrund der unmittelbaren Betroffenheit vieler Menschen eine ganz andere Wahrnehmung bekommen, als wenn beispielsweise die IG Metall bei einem Metallunternehmen streiken würden. Das kann für das Unternehmen bis zur Existenzfrage gehen, für die normale Bevölkerung wäre das nicht oder nur ganz am Rande relevant.

Völlig anders sieht das aus in Bereichen wie der Kindertagesbetreuung, der Paketzustellung oder der Pflege. Hier sind zumeist Millionen Menschen direkt oder indirekt betroffen. Und diese Bereiche werden deshalb an dieser Stelle erwähnt, weil wir hier gegenwärtig ebenfalls mit Streikaktionen konfrontiert wurden bzw. werden. Man denke nur daran, dass die Gewerkschaft ver.di die Erzieher/innen der kommunalen Kindertageseinrichtungen zur Urabstimmung über unbefristete Arbeitskampfmaßnahmen aufgerufen hat und wenn sie die erforderliche Zustimmung bekommen, dann sollte sich eigentlich ab Ende der nächsten Woche, also ab dem 8. Mai 2015, der Streikzug in Bewegung setzen (vgl. hierzu beispielsweise Kita-Streik der Erzieher startet wohl vielerorts am 8. Mai). Wohlgemerkt, in einem Bereich, der viele Eltern treffen wird, die einen Warnstreik von einem Tag locker wegstecken können, die aber erhebliche Probleme bekommen werden, wenn die Kitas mehrere Tage geschlossen bleiben. Für ver.di ergibt sich aus der heutigen Ankündigung der GDL, einen Mega-Streik durchzuführen, eine überaus unangenehme Lage, denn sie drohen mit ihrem Streikvorhaben unter die Räder eines durch den Lokführer-Streiks extrem negativ aufgeheizten Klimas in der Gesellschaft zu geraten, obgleich sie mit der GDL nichts zu tun haben.
Auch auf eine andere Großbaustelle muss an dieser Stelle hingewiesen werden: Die Pflege und die Pflegekräfte. Vor kurzem fand in Berlin an der Charité eine wichtige zweitägige Warnstreikaktion von Pflegekräften statt, deren Hauptforderung darin bestand und besteht, dass mehr Pflegekräfte verbindlich eingesetzt werden. Also mehr Personal und gar nicht einmal höhere Löhne (vgl. hierzu Ein krankes System: »Der Charité-Ausstand ist im Kern ein politischer Streik – er fordert nicht nur die Universitätsklinik, sondern das Gesundheitswesen heraus«. Oder „Gravierender Warnstreik“ an der Charité – 400 Operationen fallen aus sowie Diagnose: Heilung kaum mehr möglich).

Es steht zu befürchten, dass die mehr als berechtigten Anliegen in diesen Arbeitsfeldern in den kommenden Tagen und Wochen unter die Räder geraten dessen, was in berechtigter wie auch hochgespielter Ablehnung des Lokführerstreiks im Mittelpunkt der öffentlichen Debatte stehen wird. Das wäre schade und kontraproduktiv.

Der Bahn und der GDL wie auch der EVG kann man wohl nur noch von außen helfen. Aber nicht im Sinne der Forderung nach einer Beschränkung des Streikrechts, sondern im Sinne einer echten Schlichtung. Sonst kommen die da nicht mehr raus.

Teilkasko-Dilemmata: Die Pflege zwischen steigenden Heimkosten und Eltern, die ihre Kinder brauchen bzw. die von den Sozialämtern gebraucht werden

Bewohner von Pflegeheimen müssen immer mehr selbst zahlen, so Timot Szent-Ivanyi in seinem Artikel Kosten für Pflegeheime steigen deutlich. Dabei sind die Leistungen aus der Pflegeversicherung doch erst zum 1. Januar 2015 angehoben worden. Aber die Heimbewohner  müssen mehr aus der eigenen Tasche bezahlen als vor dem Inkrafttreten der Reform. Das zumindest zeigen Berechnungen des Verbandes der privaten Krankenversicherung (PKV). Die Zahlen aus der PKV-Pflegedatenbank gelten für alle Versicherten, da die private und die gesetzliche Pflegeversicherung die gleichen Leistungen haben. Szent-Ivanyi berichtet über die Situation am Beispiel der rund 380 Pflegeheime, wobei die Daten auch zeigen, dass die durchschnittlichen Heimkosten in der Hauptstadt über dem bundesdeutschen Durchschnitt liegen. Die Ursache für die steigenden Eigenbeträge der Pflegebedürftigen ist einfach: Die Kosten für einen Heimplatz steigen stärker als die Leistungen aus der Pflegeversicherung. »Die wachsenden Eigenanteile bestätigen einen längerfristigen Trend: Die Leistungen der Pflegeversicherung werden schleichend entwertet, weil die Kosten stärker steigen als die Zuweisungen aus der Pflegeversicherung. Berechnungen haben ergeben, dass die Leistungen seit Einführung der Pflegeversicherung im Jahre 1995 mehr als 25 Prozent an Wert verloren haben. Auch die zum 1. Januar diesen Jahres erfolgte Erhöhung der Zahlungen um vier Prozent hat den Wertverfall nicht stoppen können«, bilanziert Timot Szent-Ivanyi.

Man kann das angesprochene Auseinanderlaufen von Heimkosten und Leistungen aus der Pflegeversicherung am Beispiel von Berlin verdeutlichen:

»Zum 1. Januar 2015 wurden mit der Pflegereform die Zuweisungen für einen Heimplatz je nach Pflegestufe zwischen 41 und 62 Euro angehoben. In der höchsten Pflegestufe III werden derzeit beispielsweise 1.612 Euro gezahlt. Die durchschnittlichen Heimkosten kletterten jedoch stärker, und zwar abhängig vom Pflegebedarf zwischen 56 und 77 Euro. Wer die Pflege nach der Stufe I benötigt, muss derzeit in Berlin für einen Heimplatz im Schnitt 2.756 Euro zahlen. In Stufe II sind 3.336 Euro fällig, in Stufe III 3.750 Euro. Im Bundes-Schnitt sind die Heime jeweils rund 300 Euro billiger.
Damit steigen die Anteile, die die Hilfebedürftigen in Berlin selbst aufbringen müssen, trotz verbesserter Pflegeleistungen an. Der Eigenanteil in Pflegestufe I wächst um rund 15 Euro auf 1.692 Euro, in der Stufe II um 18 Euro auf 2.006 Euro und um 15 Euro auf 2.138 Euro in der Stufe III.«

Das sind erhebliche Beträge, die natürlich bei vielen Menschen weit über dem liegen, was sie an Renten haben. Kann ein Pflegebedürftiger diese Beträge nicht aus seinen Alterseinkünften und/oder seinem Vermögen zahlen, ist er auf Sozialhilfe angewiesen. Die Sozialämter können sich das Geld bei den Kindern zurückholen, womit wir schon bei der nächsten großen Baustelle wären.

Kathrin Gotthold greift dieses in den vor uns liegenden Jahren mit Sicherheit an individueller Betroffenheit und gesellschaftlicher Brisanz gewinnende Thema in ihrem – etwas reißerisch überschriebenen – Artikel So riskieren Eltern die Existenz ihrer Kinder ausführlich auf.

»2,63 Millionen pflegebedürftige Mitmenschen gab es bereits Ende 2013 in Deutschland. Das sind 125.000 mehr als 2011 – ein Anstieg um fünf Prozent. Im Jahr 1999 zählte Deutschland noch rund zwei Millionen Pflegebedürftige. Prognosen zufolge steigt ihre Zahl bis 2050 um weitere rund zwei Millionen.«

Gotthold bezieht sich dabei auf die aktuellsten Daten der Pflegestatistik 2013, deren Deutschlandergebnisse vom Statistischen Bundesamt vor kurzem veröffentlicht worden sind. Für das Thema hier besonders relevant: 764.000 Pflegebedürftige, das sind 29% aller Pflegebedürftigen, wurden vollstationär in 13.000 Pflegeheimen mit 675.000 Beschäftigten betreut.

Können Eltern im Alter die Kosten für die Pflege oder die Heimunterbringung nicht mehr aufbringen, wendet sich das Sozialamt an die Kinder. Und dann merken erst viele, dass es nicht nur eine Unterhaltsverpflichtung der Eltern gegenüber ihren Kindern gab, sondern es gibt auch den umgekehrten Weg, den „Elternunterhalt“ nach § 1601 BGB – und immer mehr Sozialämter gehen konsequent diesen Weg, um sich ein Teil der steigenden Ausgaben für die Hilfe zur Pflege von den Kindern wieder zurückzuholen und diese an der Finanzierung vor allem der teuren Heimkosten zu beteiligen. Dabei kann nicht nur auf das Einkommen der Kinder zurückgegriffen werden, sondern abzüglich bestimmter Schonwerte auch auf deren Vermögen. So kann das Sozialamt verlangen, dass Kinder ein Ferienhaus oder auch ein unbebautes Grundstück verkaufen. Sicher geschützt ist hingegen das selbst genutzte Familienheim. Unterhaltspflichtig sind nur die Kinder des Berechtigten. Schwiegerkinder sind davon nicht betroffen (BGH, Urteil vom 14.01.2004, Az. XII ZR 69/01). Aber das ist dem Grunde nach nicht begrenzt auf die eigenen Eltern: Grundsätzlich besteht nach dem Gesetz auch eine Unterhaltspflicht der Enkel gegenüber ihren Großeltern. Weil die näheren Verwandten gemäß § 1606 Abs. 2 BGB vor den entfernteren Verwandten haften, müssen Enkelkinder für den Unterhalt der Großeltern aber nur dann zahlen, wenn deren Kinder selbst nicht verpflichtet sind, weil ihr Einkommen und Vermögen zu gering sind.

»Ein im Pflegeheim untergebrachter Elternteil hat Anspruch auf Unterhalt in Höhe der notwendigen Heimkosten zuzüglich eines Barbetrags für die Bedürfnisse des täglichen Lebens (BGH, Urteil vom 19.02.2003, Az. XII ZR 67/00). Letzterer beläuft sich nach § 27b Abs. 2 S. 2 SGB XII derzeit auf mindestens 107,73 Euro im Monat. Die Summe soll die Aufwendungen für Körper- und Kleiderpflege, Zeitschriften, Schreibmaterial und den sonstigen Bedarf des täglichen Lebens decken. Häufig geht der Sozialhilfeträger zunächst in Vorleistung und holt sich das Geld dann von den Kindern zurück. Die zuständige kommunale Behörde macht laut § 94 SGB XII den Anspruch des Heimbewohners seinen Kindern gegenüber geltend und hat auch das Recht, von diesen Auskunft über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse zu verlangen«, so Britta Beate Schön in ihrem Beitrag Unterhalt von Kindern für ihre Eltern. In einem ersten Schritt wird das bereinigte Nettoeinkommen der Kinder berechnet und davon dann der Selbstbehalt abgezogen nach Maßgabe der Düsseldorfer Tabelle. »Dem Unterhaltspflichtigen steht seit dem 1. Januar 2015 ein Selbstbehalt von 1.800 Euro und für den Ehepartner von 1.440 Euro pro Monat zu. Der Familienselbstbehalt beläuft sich damit derzeit monatlich auf 3.240 Euro. Hinzu kommen Freibeträge für eigene Kinder, die sich ebenfalls nach der Düsseldorfer Tabelle richten.« Und dann kommt die entscheidende Vorschrift: »Tatsächlich an Unterhalt zahlen müssen Kinder von diesem bereinigten und um den Selbstbehalt verminderten Nettoeinkommen die Hälfte.« Beispiel: »Bei einem bereinigten Nettoeinkommen von 2.000 Euro und einem Selbstbehalt von 1.800 Euro ergibt sich ein Unterhaltsanspruch in Höhe von 50 Prozent von 200 Euro, also 100 Euro im Monat.«

Kathrin Gotthold befürchtet in ihrem Artikel eine „Welle von Pflegeverweigerern“ auf die deutschen Gerichte zurollen. Dabei ist eine grundsätzliche Verweigerung des Elternunterhalts nach der bereits vorliegenden Rechtsprechung nur auf wenige, sehr eng abgegrenzte Fallkonstellationen beschränkt. Dazu Britta Beate Schön in ihrem Beitrag: »Elternunterhalt kann nur durch schwere Verfehlungen gegen das Kind nach § 1611 BGB verwirkt werden. Das ist jedoch auf Ausnahmefälle beschränkt (BGH, Urteil vom 15.09.2010, Az. XII ZR 148/09). Eine schwere Verfehlung liegt selbst dann nicht vor, wenn der Vater den Kontakt zu seinem Kind seit 40 Jahren abgebrochen hat und ihn durch Testament bis auf den gesetzlichen Pflichtteil enterbt hat (BGH, Urteil vom 12.02.2014, Az. XII ZB 607/12). Das Kind musste trotzdem zahlen.«

Wenn man sich vor Augen führt, in welchem Ausmaß in den vor uns liegenden Jahren die Zahl der Pflegebedürftigen ansteigen wird und wie viele Menschen darunter sein werden, bei denen die Lücke zwischen dem, was sie aus der eigenen Rente, geringem bis gar nicht vorhandenen Vermögen und den Leistungen aus der Pflegeversicherung zur Abdeckung der Pflegekosten beitragen könnten, und den erwartbar weiter stark ansteigenden Pflegekosten erheblich sein wird, dann muss man keine Studie machen, um zu erkennen, dass die Inanspruchnahme der Kinder über den Elternunterhalt erheblich an Bedeutung gewinnen wird. Und damit zwangsläufig auch die Konfliktintensität, die hier grundsätzlich begründet liegt. Wenn es auch – wie bereits dargelegt – nur sehr wenige Möglichkeiten gibt, sich dem Elternunterhalt zu entziehen, werden dennoch die Gerichtsverfahren deutlich zunehmen, da die Betroffenen mit den Sozialämtern über die konkrete Festlegung der Unterhaltsverpflichtung streiten werden. Dafür werden alleine die vielen Rechtsanwälte sorgen, die sich auf dieses Themenfeld bereit spezialisiert haben bzw. das tun werden. Allerdings gibt es auch Möglichkeiten, wenn man denn zahlen muss, den Staat an den dann zu übernehmenden Pflegekosten zu beteiligen, in dem man diese steuerlich geltend macht (vgl. hierzu den Beitrag So beteiligen Sie den Staat an den Pflegekosten von Barbara Brandstetter).

Darüber hinaus ist das Thema von einer grundsätzlichen sozialpolitischen Bedeutung, zeigt sich an dieser Stelle doch erneut, was es bedeutet, dass die Pflegeversicherung eine Teilkaskoversicherung ist, also eben gerade nicht die gesamten Kosten der Pflegebedürftigkeit, sondern diese nur anteilig abdeckt.

Die scheinbar einfachste Möglichkeit des Umgangs mit dem erwartbar ansteigenden Problemdruck wäre eine Dynamisierung der Leistungen aus der beitragsfinanzierten Pflegeversicherung an die Entwicklung der Pflegekosten, vor allem der Heimkosten. Eine solche Regelung ist nicht nur aus Gründen der Budgetbegrenzung relativ unwahrscheinlich. Sie würde auch zu nicht-trivialen Verteilungseffekten führen, denn von einer Anhebung der Leistungen der Pflegeversicherung würden eben auch und gerade diejenigen profitieren, die über höhere Einkommen und Vermögen verfügen, die sie dann nicht mehr zur Gegenfinanzierung der Pflegekosten einbringen müssten.
Wieder einmal zeigt sich an diesem Beispiel die gleichsam doppelte Bedeutung der Kinder: Zum einen stellen sie die Beitragszahler in der umlagefinanzierten Pflegeversicherung und sorgen damit auch für die Aufbringung der Mittel für die Kinderlosen. Und dann werden sie im Bedarfsfall und bei Erfüllung der Voraussetzungen auch noch ergänzend zum Unterhalt der eigenen Eltern in Anspruch genommen.

Abbildung: Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV): Lücken der Pflegepflichtversicherung (25.04.2015)

Pflege-TÜV: Die Pflegenoten werden abgeschafft. Gut. Und jetzt?

Es war tatsächlich kein Aprilscherz, als der Pflegebevollmächtigten der Bundesregierung, Staatssekretär Karl-Josef Laumann, am 1. April mitteilen ließ: »Die Pflegenoten werden durch eine gesetzliche Regelung zum 1. Januar 2016 ausgesetzt, da sie keinen echten Qualitätsvergleich zwischen Einrichtungen ermöglichen.« Weg damit. Angesichts der Tatsache, dass die bundesdeutsche Durchschnittsnote über alle Einrichtungen mit hervorragenden 1,3 ausgewiesen wird, bekommt dieses Vorhaben den Charakter einer konsequenten Entscheidung, denn was sagt denn so etwas noch wirklich aus? Haben wir wirklich paradiesische Qualitätszustände in den Pflegeeinrichtungen, was diese Bewertung nahelegt? Was ist dann mit den unzähligen Berichten über teilweise eklatante Pflegemissstände? Alles nur Ausnahmen? Wohl kaum.

Vor diesem Hintergrund wurde die Ankündigung von vielen begrüßt: Notensystem ist am Ende, so ist ein Bericht dazu in der Ärzte Zeitung überschrieben. Zugleich findet man da aber auch den Hinweis: »Das umstrittene Notensystem soll nächstes Jahr abgeschafft werden, ein neues Bewertungssystem kommt aber nicht vor 2018.« Als „Übergangslösung“ wird eine gesetzliche Regelung in Aussicht gestellt, nach der Kassen und Pflegeeinrichtungen die Prüfergebnisse des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherungen in der bisherigen Form weiterhin veröffentlichen sollen, allerdings ohne die viel kritisierte Durchschnittsnote. Man kann an dieser Stelle schon die Frage aufwerfen, warum das Notensystem erst zum 1. Januar 2016 eingestellt und nicht sofort suspendiert wird.

2009 wurde das Notensystem eingeführt. Und steht seitdem in der Kritik. »Das System ermöglicht  selbst Heimen mit erheblichen Mängeln, eine gute Gesamtnote zu erzielen. Denn die Dutzenden Kriterien zur Notenvergabe sind untereinander nicht gewichtet«, so Berit Uhlmann in ihrem Artikel Pflegenoten werden wieder abgeschafft. Es geht immerhin um 77 Einzelwerte, die in einen Topf geworfen werden. »Die Spitzennoten kommen zustande, weil pflegerische Mängel zum Beispiel durch gute Küche und Freizeitangebote ausgeglichen werden können. Erst im Februar war in Bonn ein Pflegeheim wegen unhaltbarer Pflegemängel geschlossen worden, das mit einer Einser-Note für sich werben konnte«, so Anno Fricke in seinem Artikel. Ein anderes Bild: »Es wirkt so, als hätte der Bundestag vor mehr als 50 Jahren die Stiftung Warentest mit der Vorgabe aus der Taufe gehoben, nie ein Produkt schlechter als gut zu bewerten«, verdeutlicht Anno Fricke in dem Artikel Eine Ad hoc-Reform überfordert das System.
Aber was soll an die Stelle dessen gesetzt werden, was bislang über den Pflege-TÜV mit Notensystem erreicht werden sollte?

Eine der Lebensweisheitsempfehlungen lautet: Wenn man nicht mehr weiter weiß, dann gründet man einen Arbeitskreis. Offenbar will man diesem Motto auch diesmal eine Bühne geben:

»Zum 1. Januar 2016 soll ein „Pflegequalitätsausschuss“ gegründet werden, der Kriterien für künftige Heim-Prüfungen erarbeitet. In diesem Ausschuss sollen auch die Verbände der Pflegebedürftigen und der Pflegeberufe gleichberechtigt vertreten sein … Das Gremium wird bei seiner Arbeit durch ein neu zu gründendes „Pflegequalitätsinstitut“ mit unabhängigen Wissenschaftlern unterstützt. Bis Ende 2017 soll der Ausschuss seine Vorschläge vorlegen«, so Uhlmann in ihrem Artikel.

Zu dem angekündigten neuen „Pflegequalitätsinstitut“ kann man beim Pflegebevollmächtigten der Bundesregierung lesen: »Das Institut muss schlank sein und aus bereits vorhandenen Mitteln finanziert werden.«

Der Pflegebeauftragte skizziert den zu gründenden Arbeitskreis so: »Zum 1. Januar 2016 wollen wir deshalb einen Pflegequalitätsausschuss errichten, der ein neues Qualitätsprüfungs- und Veröffentlichungssystem für Pflegeeinrichtungen berät und als Richtlinie beschließt. In diesem Ausschuss müssen neben den Einrichtungs- und Kostenträgern künftig auch die Verbände der Pflegebedürftigen und der Pflegeberufe gleichberechtigt mit Stimmrecht vertreten sein.« Es geht also primär um eine institutionelle Veränderung, inhaltliche Fragen sollen an das zu schaffende Gremium delegiert werden. Aber die kurze Beschreibung offenbart natürlich auch schon eine erwartbare und aus der Vergangenheit bekannte Schwachstelle dieses Ansatzes, denn es sind vorrangig Interessenvertreter, die in dem Gremium platziert werden und dort natürlich versuchen müssen, ihre eigenen Interessen zu vertreten. Wozu das bereits in der Vergangenheit geführt hat, wird an dem folgenden Zitat erkennbar, entnommen dem Beitrag „Ungenügend“ von Udo Ludwig et al. aus der Print-Ausgabe des SPIEGEL (Heft 15/2015, S. 46):

»Der CDU-Sozialexperte Willi Zylajew plädiert dafür, beide Seiten, Kassen wie Heime, aus der Überprüfung herauszuhalten. Die Politik solle über ein neues Bewertungssystem bestimmen, „die Selbstverwaltung ist gescheitert“. Zylajew, früher in der Caritas zuständig für mehrere Pflegeheime, hatte im Jahr 2008 für die Union den Pflege-TÜV mit ausgehandelt. Vernünftige Vorschläge seien damals untergegangen, etwa die Forderung nach unangekündigten Kontrollen abends und an den Wochenenden.«

Steht so etwas wieder vor der Tür? Überraschend wäre das nicht. Ein Teil der Akteure beginnt sich bereits zu positionieren: »Der GKV-Spitzenverband will die Entwicklung eines neuen Pflege-TÜVs dominieren«, meldet die Ärzte Zeitung in einem Artikel. Ganz unbescheiden plädiert man dafür, dass »dem GKV-Spitzenverband … im Rahmen einer Richtlinienkompetenz der Auftrag erteilt werden (sollte), für die Pflegetransparenz die Kriterien der Veröffentlichung einschließlich der Bewertungssystematik zu entwickeln.« Gegen dieses Dominanzstreben regt sich natürlich sofort der Widerstand der Anbieter von Pflegeleistungen, die aus ihrer Sicht verständlich an der Entwicklung und gesetzgeberischen Definition von messbaren Qualitätskriterien beteiligt werden wollen.
Insofern überraschen solche Frontstellungen nicht, von denen der SPIEGEL berichtet:

»Interessenvertreter haben ihre Wünsche bereits formuliert. Die Pflegekassen wollen, dass der Einfluss der Heimträger beschnitten wird: Es gebe keine objektiven Noten, wenn die Kontrollierten mitentscheiden dürfen, wie und was kontrolliert wird. Die Vertreter der Pflegeheime dagegen möchten die Macht der Kassen beschneiden: Die Prüfer des Medizinischen Dienstes der Pflegekassen seien schon mächtig genug – und denen gehe es nicht um Qualität, sondern um Kostensenkung.«

Bereits im Jahr 2008 wurde der Wissenschaftler Klaus Wingenfeld von der Universität Bielefeld beauftragt, ein alternatives Bewertungsmodell zu entwerfen. 250 Pflegeheime in Deutschland wenden es heute an. »„Wir beurteilen nicht die Dokumentationsarbeit der Mitarbeiter, sondern das Ergeb- nis der Pflege, indem wir uns alle sechs Monate die Akten der Pflegeheimbewohner ansehen“, sagt Wingenfeld. Auch die Statistiken jeder Einrichtung würden ausgewertet, etwa über Stürze und Druckgeschwüre, ganz wichtig sei zudem, wie sich die Mobilität der Bewohner entwickelt habe. Am Ende stehe eine von drei Bewertungen: unterdurchschnittlich, durchschnittlich, überdurchschnittlich.« Er könne sich vorstellen, »dieses System durch Sterne zu ersetzen, wie bei Hotels. In den USA habe sich ein Fünfsternesystem bewährt.«

Wie dem auch sei und was immer als neues System auf die Welt gebracht wird – man muss sich wohl eingestehen, dass eine wirkliche Qualitätssicherung nur von innen durch eine Internalisierung bem Personal und in der Unternehmenskultur sowie zugleich durch permanente Begleitung von außen, also vor allem durch Angehörige und durch kommunale „Kümmerer“, erreicht werden kann.