Ein „Kuckuckskind“ inmitten der „historischen Reform“ der Leiharbeit? Eine handfeste Rosstäuscherei? Auf alle Fälle eine Verschlechterung und ein „toller Trick“

Es ist schon ein Kreuz mit der Sozialpolitik und ihren Baustellen in diesen Tagen. Da wird jahrelang über Möglichkeiten des dringend erforderlichen Bürokratieabbaus für die Jobcenter diskutiert, zahlreiche Vorschläge gemacht und am Ende kommt nach langem Fingerhakeln in der Großen Koalition der Entwurf eines „Rechtsvereinfachungsgesetzes“ heraus, das nicht nur so gut wir keinerlei substanzielle Vereinfachungen enthält, sondern ganz im Gegenteil wurden an zahlreichen Stellen faktische Rechtsverschärfungen zuungunsten der Hartz IV-Empfänger eingebaut, die noch für manchen Ärger sorgen werden. Und man muss es an dieser Stelle deutlich sagen – dieser Entwurf stammt aus einem sozialdemokratisch geführten Ministerium und die SPD befindet sich derzeit ganz offensichtlich auf dem Sinkflug. Zum einen sicherlich von einem Teil der Medien herbeiberichtet, zum anderen aber eben auch, weil sozialdemokratisches Kernkapital erneut vernichtet wird mit dieser doch oft sehr einseitig und zuungunsten der Arbeitnehmer und der Hilfeempfänger daherkommenden, zudem kleinteilig angelegten und nicht selten nur noch als krämerhaft zu bezeichnenden sozialpolitischen Gesetzgebung. Das merken die Menschen.

In so einer Gemengelage ist es für die Verantwortlichen immer besonders wichtig, etwas, was man als Erfolg verkaufen will und muss und meint zu können, zu feiern und das nicht durch irgendwelche Kritik verunreinigen zu lassen. Man braucht was für die Bilanz. Und diese Tage waren wir Zeugen einer solchen Inszenierung, deren Gelingen immer auch voraussetzt, dass die Kritik oder die Hinweise darauf, dass es eigentlich gar nicht so ist wie behauptet, nicht zu schnell kommt, denn nach einiger Zeit haben die Menschen die Sache abgespeichert und vergessen und übrig bleibt das Bild im Kopf, dass da eine ordentliche Regelung auf den Weg gebracht wurde. Gemeint ist hier der gefeierte Durchbruch bei der Regulierung der Leiharbeit.

Dass man das, was da abgefeiert wurde, durchaus kritisch sehen kann, wurde bereits am 13. Mai 2016 in diesem Beitrag angedeutet: Ein „historischer Schritt“ oder doch eher nur Reformsimulationsergebnisse? Auf alle Fälle hat die Bundesregierung das ungeliebte Thema Leiharbeit und Werkverträge (vorerst) vom Tisch. Und Arbeitgeber und Gewerkschaften geben sich gemeinsam erleichtert. Und zwischenzeitlich zeichnen sich immer deutlicher die Konturen der Folgen einer Umsetzung dessen ab, was in den bisherigen Referentenentwürfen (vgl. dazu den letzten Referentenentwurf vom 14.04.2016) unter Berücksichtigung der noch einzuarbeitenden Kompromisspunkte aus dem Koalitionsausschuss vom 10.05.2016.

Während auch die Presse weitgehend unkritisch die Jubelbotschaft von der gelungenen Verbesserung der Lage der Leiharbeiter unters Volks getragen hat, kommen Fachleute zu teilweise völlig anderen Bewertungen als beispielsweise die Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD), die es als großen Fortschritt feiert, das Leiharbeiter endlich „verbriefte Rechte“ bekommen werden.

Als Beispiel sei hier der renommierte Arbeitsrechtler Peter Schüren in den Zeugenstand gerufen, seines Zeichens Direktor des Instituts für Arbeits-, Sozial- und Wirtschaftsrecht an der Universität Münster. Schüren hat der Sendung „Arbeitsplatz“ (SWR 1) am 14.05. 2016 ein Interview gegeben: Konzept gegen den Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen – Großer Wurf oder fauler Kompromiss?, so die Fragestellung des Gesprächs (» Audio-Datei). Auf die Frage, ob sich nun die Situation für die Leiharbeiter verbessern wird, antwortet er mit nein, er sieht sogar eher eine Verschlechterung gegenüber dem Status Quo. Das lässt aufhorchen. Er macht die angesprochene Verschlechterung beispielsweise daran deutlich, dass seit 2011 eine Überlassung von Arbeitnehmern nur vorübergehend folgen darf. Genau diese Begrenzung wird jetzt aufgehoben, was Schüren kritisiert. Aber wird nicht überall herausgestellt, dass ein Punkt im neuen Gesetz die Begrenzung auf 18 Monate ist als Normalfall, für die längstens ein Arbeitnehmer verliehen werden darf?
Hier nun gilt zum einen, dass vorgesehen ist, dass diese maximale Überlassungsdauer durch tarifvertragliche Regelungen in der – wohlgemerkt – Entleihbranche, also beispielsweise der Metallindustrie, sogar ohne gesetzgeberische Begrenzung nach oben verlängert werden kann. Das ist schon heftig, wenn man normalerweise das Bild vor Augen hat, dass mit Tarifverträgen die Situation der Arbeitnehmer verbessert werden soll. Aber ein zweiter Punkt ist noch entscheidender: Die maximale Einsatzdauer von 18 Monaten bezieht sich nämlich auf den einzelnen Leiharbeitnehmer und nicht auf den Arbeitsplatz im Einsatzbetrieb. Das ist eben kein trivialer Unterschied.

Auf das Grundproblem habe ich bereits 2013, als es um die Vereinbarung im Koalitionsvertrag ging, in einem Interview mit Spiegel Online hingewiesen (vgl. „Karussell für Leiharbeiter“ vom 28.11.2013): »Schon jetzt sieht das Karussell für viele Leiharbeiter doch so aus: Sie werden von einer Leiharbeitsfirma angestellt, die verleiht sie an einen Betrieb. Nach der vorgeschriebenen Frist müssen sie dort gehen, werden vom Arbeitnehmerüberlasser gekündigt. Dann sind sie arbeitslos, bis das Spiel von vorne anfängt.«

Der jetzt im Jahr 2016 vorliegende Referentenentwurf lässt genau das zu: Ein Dauerbedarf beim Entleiher kann mit einer endlosen Kette von Leiharbeitern befriedigt werden. Das wird nunmehr ganz legal gestellt.

Dazu passt dann auch, dass ein Ergebnis des im Koalitionsausschusses vom 10. Mai 2016 gefundenen „Durchbruchs“ lautet: »Bei der Errichtung der Überlassungszeit eines Arbeitnehmers werden die sog. „Unterbrechungszeiten“ verkürzt von sechs auf drei Monate.« Wie praktisch. Wenn jemand 18 Monate auf einem Arbeitsplatz im Entleihunternehmen gearbeitet hat, muss er oder sie nur drei Monate woanders eingesetzt werden oder arbeitslos gewesen sein, um auf dem gleichen Arbeitsplatz wieder entliehen zu werden und er oder sie fängt dann wieder bei Null an.

Man könnte mit Blick auf die faktischen Verschlechterungen im Kontext des von den Protagonisten derzeit bejubelten“Fortschritts“, dass nach 9 Monaten im Grunde „equal pay“ erreicht werden muss (es sei denn, es bestehen – wieder – tarifvertragliche Sonderregelungen, konkret: Branchenzuschläge, die einen längeren Übergang ermöglichen) auch darauf hinweisen, dass bislang die Rechtslage so war, dass eigentlich ab dem 1. Tag „equal pay“ vorgeschrieben ist. Es sei denn, es gibt eine davon abweichende tarifvertragliche Regelung in der Verleihbranche mit den Gewerkschaften. Genau die gibt es bekanntlich zwischen den Leiharbeitarbeitgebern und der DGB-Tarifgemeinschaft Zeitarbeit. Und die normieren eigene Tarife für die Leiharbeiter und heben damit das „equal pay“-Gebot aus. Diese Tarifverträge laufen derzeit noch bis 31.12.2016. Wenn die Gewerkschaften dieses Tarifverträge auslaufen lassen würden und zugleich erklären würden, dass sie keine Folgeverträge aushandeln würden, dann wäre ein tarifloser Zustand gegeben und mithin „equal pay“ ab dem ersten Tag vorgeschrieben, also ab dem 1.1.2017, weil auch eine Nachwirkung verhindert wird durch die Erklärung, keinen neuen Tarifvertrag abzuschließen zu wollen. Nur mal so als Anmerkung, was man durchaus machen könnte, wenn man sich denn vorstellen könnte, zu wollen.

In diesem Beitrag soll es aber vor allem um einen weiteren Punkt in der Liste der Verschlechterungen gehen: Es geht um das leidige Thema der illegalen Arbeitnehmerüberlassung und der damit – eigentlich – verbundenen Rechtsfolgen. Das habe ich bereits in dieser 2013 publizierten Veröffentlichung angesprochen:

Sell, Stefan: Lohndumping durch Werk- und Dienstverträge? Problemanalyse und Lösungsansätze. Remagener Beiträge zur Sozialpolitik 13-2013, Remagen 2013

Dort findet man auf den Seiten 6-7 folgende Hinweise:

»Eigentlich ist die Sache relativ einfach: Wenn unter dem Deckmantel eines Werk- oder Dienstvertrags faktisch eine Arbeitnehmerüberlassung betrieben wird, dann sind die Konsequenzen, die bereits heute im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz geregelt sind, hart und einfach: Der Schein-Vertrag ist nichtig, der Arbeitsvertrag zwischen dem faktischen Verleiher und den überlassenen Arbeitnehmern ebenfalls und der überlassene Arbeitnehmer wird zum Arbeitnehmer des Entleihers mit allem daraus resultierenden Ansprüchen. Besonders bedrohlich für den Entleiher ist die Strafbarkeit wegen Beitragshinterziehung gemäß § 266a StGB. Besonders aus diesem Bedrohungsszenario könnte eine wirkungsvolle Abschreckung funktionieren, so dass viele Unternehmen, die in Inhouse-Outsourcing praktizieren, darauf achten müssen, die Grenzen zu Arbeitnehmerüberlassung nicht zu überschreiten. Was aber soll an dieser Stelle das „könnte“ im letzten Satz? Es soll überleiten zu dem bereits erwähnten Schlupfloch, mit dem man den dadurch erreichen Abschreckungseffekt wieder neutralisieren kann. Denn „erfreulicherweise“ für den Auftraggeber funktioniert die skizzierte Abschreckungswirkung heute nicht richtig – und zwar dann nicht, wenn der Scheinwerkunternehmer oder Scheindienstleister über eine Überlassungserlaubnis verfügt. Wenn das der Fall ist, dann tritt die beschriebene Rechtsfolge eines Arbeitsverhältnisses zum Entleiher nicht ein. Die Ansprüche des eigentlich überlassenden Arbeitnehmers richten sich in diesem Fall nicht gegen das Entleih-Unternehmen, sondern gegen das Verleih-Unternehmen. Und genau diese Konstruktion ist in der Praxis weit verbreitet: Die Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis fungiert demnach als „Reservefallschirm“ bei verdeckter Überlassung. Im Ergebnis bedeutet das, dass der faktische Entleiher bei einem Scheinwerk- oder Scheindienstvertrag praktisch kein Risiko eingeht, aber die Kostenvorteile, die sich realisieren lassen, mitnehmen kann.«

Und bereits damals habe ich mit Bezug auf den Arbeitsrechtler Peter Schüren darauf hingewiesen, dass man das relativ einfach heilen kann, wenn man denn gesetzgeberisch will:

»Aus der Logik einer anzustrebenden Abschreckungswirkung liegt der Lösungsansatz für dieses Problem auf der Hand: Man muss durch eine gesetzgeberische Änderung im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz den Durchgriff der Sanktionen auf den Auftraggeber sicherstellen.
Der Arbeitsrechtler Peter Schüren hat hierzu einem handhabbaren – und gesetzgeberischen Willen vorausgesetzt auch schnell umsetzbaren – Vorschlag entwickelt: Um zu verhindern, das Schein-Werk- bzw. Schein-Dienstverträge unter dem „Schirm“ einer vorhandenen Überlassungserlaubnis gelangen, sollte der bestehende Gesetzeswortlaut im § 9 Nr. 1 AÜG geändert werden. Vorgeschlagen wird die folgende Ergänzung des § 9 Nr. 1 AÜG (die Ergänzung ist hier kursiv hervorgehoben):
„Unwirksam sind:
1. Verträge zwischen Verleihern und Entleihern sowie zwischen Verleihern und Leiharbeitnehmern, wenn der Verleiher nicht die nach § 1 erforderliche Erlaubnis hat oder bei vorhandener Erlaubnis die Überlassung des Leiharbeitnehmers nicht eindeutig als Arbeitnehmerüberlassung kenntlich macht,“ (Schüren 2013: 178) … Durch diese überaus scharf wirkende Ergänzung innerhalb des AÜG würde der faktische Entleiher erhebliche Sanktionen fürchten müssen, bis hin zur Strafbarkeit seines Verhaltens, was eine erhebliche Abschreckungswirkung entfalten würde.« (Sell 2013: 11).

Nun sind drei Jahre ins Land gezogen – und endlich scheint sich dieser auf Schüren zurückgehende Vorschlag in die Wirklichkeit zu begeben. Selbst die IG Metall jubelt, folgt man dem Artikel Große Koalition beendet Gesetzes-Blockade auf der Seite www.faire-werkvertraege.de. Dort findet man unter der Überschrift „Scheinwerkverträge erschwert“ folgenden Passus:

»Bei Werkverträgen macht der Gesetzesentwurf Schluss mit dem verbreiteten Etikettenschwindel: Werden Arbeitgeber bei einem illegalen Scheinwerkvertrag erwischt, drohen ihnen künftig rechtliche Konsequenzen. Eine Verleiherlaubnis „auf Vorrat“ hilft nicht mehr weiter. Vielmehr muss laut dem Gesetzesentwurf von Anfang an vertraglich klargestellt werden, ob es sich um Arbeitnehmerüberlassung oder um einen Werkvertrag handelt. Ein Umdeklarieren während der Vertragslaufzeit soll nicht mehr möglich sein. Auch die Informationsrechte von Betriebsräten werden gestärkt. Zudem sieht Gesetzesentwurf ein Beratungsrecht im Rahmen der Personalplanung bei Fremdvergabe vor.«

Also alles gut? Mitnichten.

Wem auch immer ist es gelungen, in den Referentenentwurf, der nunmehr in das Gesetzgebungsverfahren eingespeist wird, einen folgenschweren Passus einzubauen, der die Hoffnung der IG Metall, die man dem Zitat entnehmen kann, ein grausiges Ende bereiten wird. Peter Schüren hat das in einem Beitrag unter der Überschrift „Widerspruchsrecht gem. § 9 Nr. 1 AÜG 2017 – Ein Kuckuckskind im Koalitionsvertragsnest?“ (Schüren, jurisPR-ArbR 19/2016 Anm. 1) so auf den Punkt gebracht:

»Das fingierte Arbeitsverhältnis zum Entleiher ist seit 1972 die Rechtsfolge bei der Überlassung eines Arbeitnehmers ohne Erlaubnis. Die Folgen sind bekannt, furchterregend und folglich abschreckend. Ein Unternehmen, das Scheinwerkverträge zur Kostensenkung nutzt, geht ein großes Risiko ein.
Der BMAS-Entwurf (3. Versuch, Fassung vom April 2016) sieht für die illegale Überlassung ein Widerspruchsrecht des einzelnen Arbeitnehmers gegen das fingierte Arbeitsverhältnis vor …
Auf den Punkt gebracht: Das Widerspruchsrecht bei illegaler Überlassung schützt nur den illegalen Entleiher – den schützt es freilich sehr wirksam.«

Das geplante Widerspruchsrecht konterkariert vollständig die seit langem geforderte und an sich folgenschwere sowie konsequente Inhaftnahme des faktischen Entleihers bei Scheinwerkverträgen.
»Die Regelung wäre für einige ein Segen: Unternehmen, die sich illegal Personal ausleihen, könnten damit viele Millionen sparen. Und die beteiligten Führungskräfte würden besser schlafen, weil sie sich nicht mehr vor dem Staatsanwalt fürchten müssen«, so Peter Schüren.

Der hat gemeinsam mit Sabrina Fasholz bereits 2015 auf das Scheunentor hingewiesen, das nunmehr offensichtlich geöffnet werden soll: In dem Artikel „Inhouse-Outsourcing und Diskussionsentwurf zum AÜG – Ein Diskussionsbeitrag“, erschienen in der Neuen Zeitschrift für Arbeitsrecht (Heft 24/2015, S. 1473 ff.), führen die beiden mit Blick auf die vorgesehene „schriftliche Erklärung“, beim Verleiher bleiben zu wollen, aus:

»Indessen legt die Regelung ist dem vorausschauenden Verleiher und dem vorsichtigen Entleiher nahe, alle Arbeitnehmer, die im Rahmen eines dubiosen Werk- oder Dienstvertrags überlassen werden, eine solche Erklärung vor Arbeitsantritt beim Kunden vorsorglich unterschreiben zu lassen. Dann könnte die neue Regelung tatsächlich ein „Riesenproblem“ lösen: Die fingierten Arbeitsverhältnisses zum Endlager mit der anknüpfenden Beitragspflicht in den Zweigen der Sozialversicherung wären weg.
Will das BMAS den großen „Reservefallschirm“ Überlassungserlaubnis beseitigen – und dann durch viele kleine Reservefallschirme ersetzen? So wie der Vorschlag jetzt ist, gleicht die schriftliche Erklärung der möglicherweise illegal überlassenen Arbeitnehmer, sie wollten beim Verleiher bleiben, in ihrer Wirkung den teils dubiosen Entsendebescheinigungen (A1), die bei ausländischen Scheinwerkunternehmen „zur Sicherheit“ für die Mitarbeiter aus der Heimat mitgebracht werden und die so ein fingiertes Arbeitsverhältnis bei illegaler Überlassung seit 2006 verhindern.« (Schüren/Fasholz 2015: 1475).

Auch Wolfgang Hamann von der Universität Duisburg-Essen hat in einem Beitrag in der Zeitschrift „Arbeit und Recht“ (Heft 4/2016) darauf hingewiesen:  »Ob die geplante Neuregelung geeignet ist, das Ende der „Vorratserlaubnis“ einzuläuten, muss bezweifelt werden. Eher werden zukünftig die im Rahmen grenzwertiger Werkverträge zum Einsatz kommenden Arbeitnehmer selbst für das „Auffangnetz“ sorgen. Sie werden vor oder spätestens bei Aufnahme der Arbeit im Fremdbetrieb in einem ihnen von ihrem Arbeitgeber oder dessen Auftraggeber vorgelegten Formular erklären, dass sie an den Arbeitsvertrag mit ihrem Vertragsarbeitgeber festhalten. Derartige Erklärungen sind der Entwurfsfassung zufolge nicht ausgeschlossen.« (S. 136).

Diesen problematischen Punkt behandeln auch Klaus Ernst und Jutta Kielmann in ihrer Kommentierung: Die Bundesregierung plant Verschlechterungen bei Leiharbeit und Werkverträgen – Kritik am Referentenentwurf des BMAS (April 2016), Berlin, 12.05.2016. Sie schreiben:

»Wenn das neue Widerspruchsrecht eingeführt ist, wird das Unternehmen, das solches Fremdpersonal einsetzt, schon bei Arbeitsaufnahme von jedem Fremdmitarbeiter verlangen, dass er einen solchen Widerspruch abgibt. Dann ist der illegale Entleiher in Sicherheit: Es gibt kein Arbeitsverhältnis zum Entleiher, keine Lohnzahlungspflicht und zwangsläufig keine Strafbarkeit wegen Beitragshinterziehung mehr. Der illegale Entleiher stünde nach dieser „Reform“ sogar besser da als ein legaler Entleiher, denn er haftet nicht einmal als Bürge für die Sozialversicherungsbeiträge – diese Haftung gibt es bei legaler Überlassung.«

Möglicherweise fragt sich an dieser Stelle der eine oder die andere, warum überhaupt bzw. mit welcher Begründung die Bundesregierung diese Regelung aufgenommen hat in den Gesetzestext für den Entwurf: Man will den Arbeitnehmer davor „schützen“,  dass er vom Entleiher in ein festes Arbeitsverhältnis übernommen werden müsste. Das nun wiederum ist ein wirklich putziges Argument angesichts der empirischen Realität. Dazu wieder Peter Schüren:

»Aus der Praxis ist kein einziger Fall bekannt, in dem ein Arbeitnehmer erfolgreich gezwungen wurde, nach einer illegalen Überlassung beim Entleiher zu bleiben. Normalerweise muss sich ein Arbeitnehmer gegen harten Widerstand einklagen, wenn er tatsächlich im fingierten Arbeitsverhältnis bleiben will. Auch das BMAS hat keinen solchen Fall gefunden, in dem ein Arbeitnehmer über das fingierte Arbeitsverhältnis seinen Arbeitsplatz beim illegal tätigen Verleiher gegen seinen Willen wegen der Fiktion verloren hat.
Aber es gäbe in Zukunft mit Sicherheit tausende von Fällen der illegalen Überlassung, in denen das Widerspruchsrecht die Führungskräfte der illegalen Entleiher vor der Strafbarkeit wegen Beitragshinterziehung schützen könnte.«

Vor diesem Hintergrund hat Schüren die vorgesehene Widerspruchsregelung in seinem SWR-Interview auch als einen „tollen Trick“ bezeichnet – aber nicht für die betroffenen Leiharbeiter, sondern für die illegalen Arbeitnehmerüberlasser.

Fazit: Wir sind hier mit einem echten Schildbürgerstreich konfrontiert, wenn es denn einen um die Begrenzung der missbräuchlichen Inanspruchnahme von Leiharbeit geht. Oder steckt da mehr hinter als nur ein Versehen, eine gesetzgeberische Tollpatschigkeit? Das wäre ein starkes Stück, aber nicht wirklich überraschend.

Man kann folglich nur hoffen, dass im Gesetzgebungsverfahren diese Verschlechterung noch gekippt wird. Die Gewerkschaften müssten – eigentlich – ein großes Interesse daran haben, das zu erreichen. Wenn nicht, dann müsste man über deren wahren Interessen nochmals nachdenken. Aber vielleicht ist es ja auch so, dass das mit dem „tollen Trick“ für die anderen einfach noch nicht wirklich angekommen ist. Das wäre zu hoffen.

Die Leiharbeitsbranche selbst versucht derzeit, von diesen wirklichen Problemen abzulenken. So berichtet die FAZ unter der Überschrift: Zeitarbeit sorgt sich um Tausende Arbeitsplätze:  »In einer aktuellen Umfrage durch die Marktforschungsgesellschaft Lünendonk rechnen die 25 größten Anbieter für Leiharbeit im laufenden Jahr nur noch mit einem Marktwachstum von 2,9 Prozent. Im vergangenen Jahr legte die Branche noch um 6,4 Prozent auf knapp 30 Milliarden Euro zu. Die Zahl der Leiharbeiter stieg um 3,5 Prozent auf rund 930.000, wie aus der Studie hervorgeht«, berichtet Sven Astheimer in seinem Artikel:

»Die Unsicherheit der Unternehmen entspringt vor allem Nahles’ Vorgabe, dass Zeitarbeiter und Stammkräfte des Einsatzunternehmens nach neun Monaten gleich bezahlt werden müssen. Aber bis heute sieht das Gesetz keine Definition vor, welche Bestandteile das umfasst: nur das Grundgehalt oder ist die komplette Vergütung gemeint? Dann müsste das Zeitarbeitsunternehmen bei der Bezahlung seiner Mitarbeiter vielleicht auch den Kantinen-, Dienstwagen- oder Kitazuschuss der vergleichbaren Stammbelegschaft des Kunden abbilden. Geklärt würde die Frage dann wohl vor Gericht, eine Prozesslawine droht.«

Und weiter: »Denn wenn die Rechtsunsicherheit so hoch bleibe, würden viele Zeitarbeitskonzerne und Kunden auf Nummer Sicher gehen und ihre Mitarbeiter vor Ablauf der neun Monate abziehen.« Klar, das werden sie sowieso in vielen Fällen machen, das sieht man doch schon heute als Normalfall. Und darüber hinaus gibt es ja auch noch eine andere Option:

»Wenn das Gesetz in den kommenden Wochen ausgearbeitet wird, will die Branche bei Nahles deshalb darauf dringen, dass den Tarifpartnern die Möglichkeit für eine Pauschalierung der Gleichbezahlung gegeben wird. Die IG Metall habe schon angedeutet, dass sie sich auf die Lösung „Stundenentgelt plus Zulagen“ einlassen würde, das sei akzeptabel. Damit wäre die hohe Rechtsunsicherheit ausgeräumt.«

Man könnte auf die Idee kommen, dass die Gewerkschaften ein Interesse haben (müssen), auch diesen Punkt abzuräumen – so jedenfalls die Interpretation, die sich aufdrängt, wenn man dem Artikel folgt. Sollte es wirklich so sein, dass die mächtigen Betriebsräte der großen Unternehmen wie Daimler und andere sich durchgesetzt haben dergestalt, dass man die Leiharbeiter als Flexibilitätsreserve für die Absicherung der Stammbelegschaften braucht? Das wäre keine ehrenrührige Debatte, sie müsste nur mal endlich mit offenen Visier geführt werden.

Auf der anderen Seite – so schlecht scheint es der Branche nicht zu gehen, wenn man solche Zahlen zur Kenntnis nehmen muss:

»An der Spitze stand auch im vergangenen Jahr der niederländische Randstad-Konzern, der auf einen Umsatz von knapp 2 Milliarden Euro in Deutschland kam. Wenn sich die gute Entwicklung des ersten Quartals fortsetzt, könnte die Marke von 2 Milliarden Euro im Jahresverlauf geknackt werden. Der weltgrößte Personaldienstleister Adecco aus der Schweiz hat mit 1,65 Milliarden Euro den zweiten Platz souverän behauptet. Auf Rang drei der Liste kehrte Manpower mit 775 Millionen Euro Jahresumsatz zurück.«

Aber auch hier darf die Tränenvase für die „arme Branche“ nicht fehlen:

»Eine weitere Entwicklung, die das Wachstum der Branche bremst, sind zunehmende Engpässe an Personal. Gerade in Süddeutschland, wo vielerorts Vollbeschäftigung herrscht, sei es kaum noch möglich, qualifiziertes Personal zu finden, heißt es. Selbst Helfer seien mancherorts rar. Deshalb rekrutieren die Unternehmen verstärkt im Ausland, etwa in Polen oder Tschechien.«

Wundert es uns an dieser Stelle, dass die betroffenen Unternehmen sogleich Forderungen an den Staat richten? Nicht wirklich: „Die Anerkennung von Qualifikationen ist aber weiterhin ein großes Problem“, wird Reiner Dilba, Geschäftsführer der Leiharbeitsfirma Orion, zitiert. Da bekommt das BMAS doch gleich neue Hausaufgaben.

Während die Verleiher munter weiter vor sich hinfordern, sollte man die wirklich enttäuschende Regelungsfolgen, die in diesem Beitrag angesprochen worden sind, nicht vergessen. Wenn das so bleibt, dann ist die „Reform“ des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes ein trojanisches Pferd im Arbeitnehmerlager. Das kann doch nicht gewollt sein. Oder?

Ein „historischer Schritt“ oder doch eher nur Reformsimulationsergebnisse? Auf alle Fälle hat die Bundesregierung das ungeliebte Thema Leiharbeit und Werkverträge (vorerst) vom Tisch. Und Arbeitgeber und Gewerkschaften geben sich gemeinsam erleichtert

Starke Worte auf allen Kanälen: »Bundesarbeitsministerin
Andrea Nahles zeigte sich als gute Verkäuferin. Die Einigung zur Regulierung
der Arbeitsverhältnisse von mehr als 900.000 Zeitarbeitern am Dienstagabend sei
ein historischer Schritt, sagte die Sozialdemokratin: „Wir haben zum ersten Mal
in der Geschichte überhaupt eine gesetzliche Regelung, die ganz eindeutig die
Rechte der Leiharbeitnehmer stärkt“,« berichtet Sven Astheimer in seinem
Artikel Nahles hat die Zeitarbeit vom Tisch, wobei die Überschrift eher darauf
hindeutet, dass man hier irgendwas endlich abgearbeitet hat, weniger nach einem
historischen Ereignis. Die sich hier abzeichnende Ambivalenz wird auch in
diesem Beitrag von Max Haerder erkennbar: »Andrea Nahles (SPD) spazierte am Dienstagabend
sichtlich gelöst aus dem Kanzleramt und vor die TV-Kameras. Sie wollte
offenkundig die erste Botschaft senden und den von ihr gewünschten Ton
vorgeben: Sie, die Arbeitsministerin, habe sich durchgesetzt. Das lange von der
CSU erbittert blockierte Gesetz zu Zeitarbeit und Werkverträgen werde nun
endlich auf den Weg gebracht, der Knoten sei geplatzt. Nahles schaute in die
milde Dämmerung und freute sich.« So beginnt ein Artikel, dessen Überschrift
allerdings nicht so ganz passen will zu der frohen Botschaft: AndreaNahles dreht bei. Auf der einen Seite der Medaille »kann Nahles alle
SPD-Versprechen des Koalitionsvertrages – Beschränkung der Zeitarbeit auf 18
Monate, gleicher Lohn für Zeitarbeiter nach 9 Monaten, bessere Definition gegen
den Missbrauch von Werkverträgen – halten.« Der Eindruck, alles wurde
erfolgreich abgearbeitet, wurde bereits in dem Blog-Beitrag Die Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) hält Wort beim Thema Leiharbeit undWerkverträge vom 16. November 2015 in die Überschrift gepackt. Und damals
ging es um den ersten Referentenentwurf,
der zwischenzeitlich noch verändert worden ist. Also doch alles gut?


Beschränken wir uns mal auf das Thema Leiharbeit, denn daran
kann man aufzeigen, was die – auslegungsfähige – Formulierung, sie habe Wort
gehalten, meint: Im Koalitionsvertrag
zwischen Union und SPD findet man unter der Überschrift
„Arbeitnehmerüberlassung weiterentwickeln“ die folgende Vereinbarung:

»Wir präzisieren im AÜG die Maßgabe, dass die Überlassung
von Arbeitnehmern an einen Entleiher vorübergehend erfolgt, indem wir eine
Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten gesetzlich festlegen. Durch einen
Tarifvertrag der Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche oder aufgrund eines
solchen Tarifvertrags in einer Betriebs- bzw. Dienstvereinbarung können unter
Berücksichtigung der berechtigten Interessen der Stammbelegschaften abweichende
Lösungen vereinbart werden.
Die Koalition will die Leiharbeit auf ihre Kernfunktionen
hin orientieren. Das AÜG wird daher an die aktuelle Entwicklung angepasst und
novelliert:
Die Koalitionspartner sind sich darüber einig, dass
Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer künftig spätestens nach neun Monaten
hinsichtlich des Arbeitsentgelts mit den Stammarbeitnehmern gleichgestellt
werden.
Kein Einsatz von Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmern
als Streikbrecher.
Zur Erleichterung der Arbeit der Betriebsräte wird
gesetzlich klargestellt, dass Leiharbeitnehmer bei den
betriebsverfassungsrechtlichen Schwellenwerten grundsätzlich zu berücksichtigen
sind, sofern dies der Zielrichtung der jeweiligen Norm nicht widerspricht.«

Und was ist rausgekommen? Dazu aus dem Übersichtsbeitrag Koalitionseinigung zur Leiharbeit – Die Eckpunkte von Philip
Wiesenecker:

»Die Überlassungshöchstdauer
wird auf 18 Monate begrenzt, und kann in Einzelfällen auf bis zu 24 Monate
ausgeweitet werden; dabei wird auch klargestellt, dass die Überlassungsgrenze
pro Arbeitnehmer, nicht pro Arbeitsplatz zählt, und dass Unterbrechungen von
weniger als sechs Monaten nicht zählen (§ 1 Abs. 1b AÜG). Neu seit gestern:
Auch im nicht tarifgebundenen Unternehmen soll von einer festen Obergrenze
abgewichen werden können, also ein Einsatz auch länger als 24 Monate möglich
bleiben – wenn im Tarifvertrag eine abweichende Obergrenze durch
Betriebsvereinbarung vorgesehen ist.

Der Anspruch des Leiharbeitnehmers auf Equal Pay nach 9, im Ausnahmefall spätestens nach 15 Monaten wird
gesetzlich kodifiziert. Neu: Zuvor waren maximal 12 Monate Ausdehnung möglich.
Letzte Klarstellung gestern: Es zählen erst Überlassungszeiten seit
Inkrafttreten des Gesetztes.

Eine rechtlich schwierige und von Anfang an kritisierte
Regelung behält der Entwurf bei, und verbietet
den Einsatz von Leiharbeitnehmern
als Streikbrecher
. Letzte Änderung gestern: Es wird klargestellt, dass eine
Beschäftigung im Streik nicht generell untersagt ist, sondern Leiharbeitnehmer
weiter eingesetzt werden können, wenn sie keine Aufgaben Streikender erledigen.«

Wie bereits erwähnt, begrüßen sowohl die Arbeitgeber wie
auch die Gewerkschaften die nun gefundene Einigung. So erfährtman beispielsweise von der IG Metall:
Der DGB und die IG Metall bewerten den Gesetzentwurf
insgesamt positiv – und als längst überfällig .Bei der Leiharbeit sieht der
Erste Vorsitzende der IG Metall, Jörg Hofmann, die Tarifvertragsparteien
gestärkt. „Die bisher erreichten tariflichen Regelungen können
weitergeführt und auf Grundlage des Gesetzes noch verbessert werden.“
Aber es gibt auch kritische Stimmen. Als ein Beispiel dafür sei
hier der Kommentar Völlig wirkungslos von Pascal Beucker zitiert: »Der Entwurf von Arbeitsministerin
Andrea Nahles ist ein halbgarer Kompromiss. Die meisten Leiharbeiter haben von den
Regelungen überhaupt nichts,« so seine zentrale These. Er argumentiert, »nicht
nur die jeweils möglichen tarifvertraglichen Ausnahmen sind problematisch. Der
noch größere Haken: Die meisten Leiharbeiter haben von beiden Regelungen
überhaupt nichts. Denn mehr als die Hälfte ihrer Beschäftigungsverhältnisse
endet bereits nach drei Monaten. Eigentlich war die Leiharbeit dazu gedacht,
kurzfristige Arbeitsspitzen möglichst einfach auffangen zu können. Tatsächlich
wurde sie jedoch in großem Umfang zum Lohndumping missbraucht.«
Zu dem Aspekt der für viele Leiharbeiter sehr kurzen
Beschäftigungsdauern schreibt die Bundesagentur für Arbeit in ihrem Bericht „Der
Arbeitsmarkt in Deutschland –  Zeitarbeit
– Aktuelle Entwicklungen“ aus dem Jahr 2015:

»Von den 605.000 im zweiten Halbjahr 2014 beendeten Arbeitsverhältnissen
in der Zeitarbeit dauerte knapp die Hälfte (46 Prozent) drei Monate oder
länger. Im Vorjahreszeitraum lag dieser Anteil bei 44 Prozent, vor zehn Jahren
bei 39 Prozent … Nach wie vor scheinen Verleiher ihren Personalbestand somit
möglichst elastisch ihrer Auftragslage anzupassen.« (S. 17)

Aber selbst für die länger beschäftigten Leiharbeiter wird
sich kaum etwas verändern, worauf auch Sven Astheimer hingewiesen
hat:

»Ein Kernbestandteil ist die gleiche Bezahlung von
Leiharbeitern und Stammmitarbeitern des Einsatzunternehmens bei annähernd
gleicher Tätigkeit, auch „equal pay“ genannt. Das ist jedoch bisher schon im
Arbeitnehmerüberlassungsgesetz vorgeschrieben, sofern  nicht ein Tarifvertrag andere Regelungen
festlegt. Künftig muss die Gleichbezahlung nach neun Monaten erfolgen,
allerdings sind die bestehenden Tarifverträge über stufenweise
Branchenzuschläge weiterhin gültig. Da diese für nahezu alle relevanten
Branchen mit größeren Lohnlücken bestehen, dürfte sich in der Praxis wenig
ändern.«

Die Einschätzung von Markus Krüsemann aus dem Februar 2016 zu dem damals vom BAMS veröffentlichten Referentenentwurf, der jetzt noch in einigen Punkten weiter abgeschwächt werden wird nach der Einigung im Koalitionsausschuss, in seinem Beitrag Der Versuch, Leiharbeit zu begrenzen und Werkvertragsarbeit einzuhegen, ist gescheitert
kann vor diesem Hintergrund mit einiger Berechtigung heute wieder aufgerufen werden:

»Die Wirtschafts- und Unternehmensverbände können sich jetzt
schon zufrieden zurücklehnen. Es bleibt mehr oder weniger alles beim Alten. In
den Betrieben wird es weiterhin ein Drei-Klassen-System geben von relativ gut
gesicherten Stammbelegschaften, schlechter entlohnten und prekär beschäftigten
Leiharbeitern und noch schlechter entlohntem Fremdpersonal auf
Werkvertragsbasis. Schlechte Arbeit, Missbrauch und Lohndumping bleiben auf
absehbare Zeit also an der Tagesordnung.«

Und auf die Tagesordnung gesetzt werden dann weitere Fragen, die sich aus dem Umsetzung der gesetzlichen Formulierungen ergeben werden. Beispielsweise die eben nur scheinbar eindeutige Forderung, nach einer bestimmten Frist „equal pay“ zu gewährleisten. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit – das ist nicht nur eine alte gewerkschaftliche Forderung, sondern auch die Bundesregierung behauptet, dass das mit der Neuregelung erreicht werden kann (wie wir gesehen haben, wird sich das aber in vielen Fällen als Illusion herausstellen). Aber selbst wenn – was ist denn „equal pay“ nun genau? Das muss operationalisiert werden, und hier stellen sich sofort Konkretisierungsfragen, die sicher alle vor Gericht aufschlagen werden, worauf auch hier hingewiesen wird: »… unter vielen Arbeitsrechtlern stößt der unbestimmte Begriff auf Kritik. Es sei unklar, ob darunter nur das Grundgehalt, oder auch die Zuschläge oder sogar Zuschüsse für die Stammmitarbeiter etwa zur Kantine oder zur Betriebskita zu verstehen sind. Dies alles für einen kurzen Einsatz eines Zeitarbeiters abzubilden, könnte enormen bürokratischen Aufwand verursachen.«

Die einen wachsen (scheinbar), die anderen tun sich schwer: Die Leiharbeit auf der einen und der Bundesfreiwilligendienst in der Flüchtlingshilfe auf der andern Seite

Immer diese Zahlen. Man muss einerseits genau hinschauen, andererseits kann man ihnen auch viel entnehmen. Verdeutlichen kann man das an zwei aktuellen Beispielen aus der Arbeitsmarktstatistik.
Beginnen wir mit der Leiharbeit, ein bekanntlich sehr umstrittenes Beschäftigungssegment. »Leiharbeit ist in Deutschland auf dem Vormarsch. Wie aus der Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Grünen-Fraktion hervorgeht, nahm die Zahl sogenannter Verleihbetriebe in den vergangenen drei Jahren zu. Demnach zählte die Bundesagentur für Arbeit 2015 insgesamt 50.293 Betriebe, die Arbeitnehmer anderen Betrieben überlassen. Im Jahr 2013 waren es noch 46.755 solcher Firmen. Entsprechend hat sich auch die Zahl der Leiharbeiter in Deutschland erhöht: Von 867.535 vor zwei Jahren auf 961.162 Beschäftigte im vergangenen Jahr«, kann man dem Artikel Leiharbeit soll häufiger unangekündigt kontrolliert werden entnehmen. Dort bezieht man sich auf die Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfrage der Grünen Leiharbeit – Fakten und Kontrollen vom 24.02.2016. Der eine oder andere wird stutzig geworden sein bei der Zahl von 50.000 Verleihbetrieben. So auch Markus Krüsemann, der das in seinem Beitrag Warum es statt 18.000 plötzlich 50.000 Verleihbetriebe gibt thematisiert hat.

»In der Arbeitnehmerüberlassungsstatistik der Bundesagentur für Arbeit (BA) wurde die Zahl der Verleihbetriebe jahrelang mit deutlich unter 20.000 angegeben. In aktuellen Presseberichten ist hingegen von mehr als 50.000 Betrieben die Rede, die Beschäftigte an andere Unternehmen ausleihen würden.« Das ist natürlich ein richtig heftiger Unterschied. Sollten innerhalb kürzester Zeit aus 18.000 gut 50.000 Verleihbetriebe geworden sein? Hat es einen derart großen Gründungsboom in der Arbeitnehmerüberlassung gegeben?

Ein Blick auf die Zahl der Leiharbeitnehmer in Deutschland zeigt zwar am aktuellen Rand einen Anstieg der so Beschäftigten um mehr als 100.000 innerhalb eines Jahres, aber das reicht offensichtlich für eine Ausdehnung der Leiharbeitsbranche in dem genannten Umfang nicht wirklich aus. Krüsemann geht in seinem Beitrag dieser Frage nach und klärt uns etwas auf: »Wo kommen plötzlich all die Betriebe her? … Die Antwort liegt in einer Umstellung der Statistik.« Er führt weiter aus:

»Während die Daten der Arbeitnehmerüberlassungsstatistik bis 2015 noch aus den halbjährlich versandten Meldungen der Verleihbetriebe stammten, hat die BA die Statistik zur Arbeitnehmerüberlassung auf das Meldeverfahren zur Sozialversicherung und damit auf eine andere Datenquelle umgestellt. Die Datenbasis für die neue Statistik bilden seitdem die laufenden Meldungen der Arbeitgeber im Rahmen des Meldeverfahrens zur Sozialversicherung. Die Umstellung erlaubt eine sehr viel genauere Erfassung der Beschäftigten und der Betriebe … ein Großteil der Arbeitgeber mit Verleiherlaubnis hat nicht für jeden seiner Betriebe einen gesonderten Meldebeleg abgegeben, sondern meist nur für das gesamte Unternehmen. Die genaue Anzahl der Betriebe mit mindestens einem Leiharbeitnehmer konnte so nicht erfasst werden. Klar war nur, dass sie deutlich höher liegen würde.«

Krüsemann bezieht sich auf den Methodenbericht Statistik zur Arbeitnehmerüberlassung auf Basis des Meldeverfahrens zur Sozialversicherung der Bundesagentur für Arbeit aus dem Dezember 2015.

Bei der Interpretation der alten und neuen Zahlen zu den Verleihbetrieben sollte man allerdings diesen Hinweis aus dem Methodenbericht der BA (S. 21) zur Kenntnis nehmen:
»Bei der Interpretation der statistischen Ergebnisse ist es wichtig zu beachten, dass in der Beschäftigungsstatistik Betriebe mit Leiharbeitnehmern gezählt werden. Diese Zahl ist nicht zu verwechseln mit der Anzahl der Arbeitgeber, welche eine Verleiherlaubnis besitzen. Ein solcher Arbeitgeber kann durchaus sehr viele Betriebe in verschiedenen Regionen besitzen, in der Leiharbeitnehmer beschäftigt sind. Über die Anzahl der Arbeitgeber, welche eine Verleiherlaubnis besitzen, kann die Beschäftigungsstatistik keine Aussagen machen, da eine Zuordnung von Betrieben zu Unternehmen, welche letztendlich Erlaubnisinhaber sind, nicht möglich ist.«
Wenn man allerdings de Zahl der Betriebe aus der alten und der neuen Statistik-Welt vergleicht, deren Schwerpunkt überwiegend oder ausschließlich die Arbeitnehmerüberlassung ist, dann zeigen sich keine erkennbaren Abweichungen.

Fazit: Die Erfassung der Betriebe ist genauer geworden, aber keineswegs kann man davon sprechen, dass sich die „Verleihunternehmen“ mehr als verdoppelt haben.

Es bleibt aber zum einen der Befund, dass die Zahl der Leiharbeiter zugenommen hat (und das trotz des insgesamt günstigen arbeitsmerklichen Umfelds, das dazu führt, dass der eine oder andere, der früher einen Leiharbeitsjob annehmen musste, weil es nichts anderes gab, heute bessere Auswahlmöglichkeiten hat). Das liegt auch daran, dass in immer mehr Bereichen auf das Instrument der Leiharbeit zurückgegriffen wird, was auch Auswirkungen hat auch die Zahl der Verleihbetriebe. Dazu nur ein Beispiel aus der bayerischen Provinz: In dem Artikel Leiharbeiter vom Maschinenring? wird über die Jahreshauptversammlung des Maschinen- und Betriebshilfsring Erding berichtet:

»Der Maschinen- und Betriebshilfsring Erding erschießt sich neue Arbeitsfelder, vor allem im Bereich der Betriebshilfe. Nach einer Strategiekonferenz gibt es Überlegungen, externe Kräfte auf Höfen einzusetzen, die dafür Bedarf anmelden. Mit einem solchen Service im Wege der Arbeitnehmerüberlassung würde der Ring dem Beispiel anderer Organisationen folgen: also Leiharbeit anbieten. Dazu müsse eine „Maschinenring Personaldienstleister GmbH“ gebildet werden.«

Solche Beispiele könnte man ohne Probleme  beliebig erweitern. Die Leiharbeit ist und bleibt offensichtlich ein Wachstumsfeld.

Abschließend ein Blick auf einen ganz anderen Bereich, den Bundesfreiwilligendienst. Aus dieser Welt kommt so eine Meldung zu uns: »10.000 neue Jobs im Bundesfreiwilligendienst sollten ehrenamtliche Flüchtlingshelfer entlasten. Bisher ist aber nur ein Bruchteil der Stellen vergeben«, berichtet Nils Wischmeyer in seinem Artikel Neue Freiwilligendienst-Stellen kaum besetzt.  Auch hier geht es vordergründig um nackte Zahlen, hinter denen allerdings höchst komplexe und angesichts des Themenfeldes Flüchtlingshilfe auch überaus relevante Tatbestände stehen. Die Bestandsaufnahme kommt ernüchternd daher:

»Das Ziel der Bundesregierung war klar: die erschöpften, ehrenamtlichen Helfer in der Flüchtlingshilfe entlasten. Dafür wollte das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (Bafza) ab dem 1. Dezember jährlich 10.000 neue Stellen im Bundesfreiwilligendienst schaffen. 50 Millionen Euro will das Bafza bis 2018 jährlich investieren. Doch mehr als drei Monate nach Beginn des Programms ist die Bilanz ernüchternd. Von den 10.000 zusätzlichen Stellen sind Anfang März gerade einmal knapp 1.800 besetzt, davon knapp 330 von Flüchtlingen.«

Dabei hieß es noch Anfang Dezember 2015: „Es gibt einen regelrechten Ansturm auf die Stellen“, so wird der Sprecher des BAFzA, Peter Schloßmacher, zitiert. Die Stellen dürfen nur von Flüchtlingen selbst oder Menschen, die Angebote für Flüchtlinge organisieren, besetzt werden.
Verteilt werden die 10.000 Stellen nach dem sogenannten Königsteiner Schlüssel. Dieser regelt in Deutschland auch die Verteilung der Flüchtlinge auf die Bundesländer. Nach diesem Schlüssel stehen Thüringen knapp 270 neue Stellen zu, Bayern etwa 1.500. Die Streuung zwischen den Bundesländern bei der Umsetzung ist erheblich:

»So waren Mitte Februar bereits 100 der 270 Stellen in Thüringen besetzt. Das entspricht knapp 40 Prozent. In den westlichen Bundesländern ist der Anteil an vergebenen Jobs wesentlich geringer: Das Bundesland Bayern hatte Mitte Februar gerad einmal 80 der angedachten 1.500 Stellen und damit 5,3 Prozent vergeben.«

Vor dem Hintergrund der besonderen Konzeption, bei diesen Stellen vor allem Flüchtlinge selbst zu beschäftigen, sind diese Befunde mehr als ernüchternd:

»Nur drei Prozent der Stellen – knapp 330 – wurden von Flüchtlingen besetzt.«

Wie kann das sein? Es gibt doch genügend Flüchtlinge, sollte man meinen. Warum dann nur so ein überschaubares Ergebnis?

»Der Grund dafür sei ein einfacher: bürokratische Hürden. Als schwerwiegendstes Problem sehen die Johanniter die Notwendigkeit eines gesicherten Aufenthaltstitels. Denn wollen Flüchtlinge einen Bundesfreiwilligendienst antreten, müssen sie bereits als Flüchtlinge anerkannt sein. Migranten, die bisher nur geduldet oder noch im Asylverfahren sind, werden von den Stellen ausgeschlossen. Doch viele Geduldete würden über Jahre in Deutschland bleiben und sich gerne engagieren, sagt ein Sprecher der AWO.«

Hinzu kommen weitere bürokratische Hemmnisse: »Eine Schulleiterin aus Berlin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will, berichtet, dass sie gerne einen Flüchtling engagieren würden. Doch der bräuchte dafür ein erweitertes Führungszeugnis. Bis er das hat, würden aber noch Monate vergehen. Bis dahin müsse man nun warten.«

Und natürlich – wieder einmal das Geld, denn für den Bundesfreilligendienst wird zurzeit ein sogenanntes Taschengeld von maximal 372 Euro gezahlt, das bei den Flüchtlingen aber mit den sonstigen Sozialhilfen verrechnet wird.

Man könnte aber neben aller berechtigten Kritik an den Regelungsvorgaben für diejenigen, die solche Programme (neben vielen anderen) umsetzen müssen, auch darauf hinweisen, dass das schlichtweg Zeit braucht, damit das ins Rollen kommt.

Wenn man die nicht hat, dann sollte man die Finger lassen von den vielgestaltigen Sonderprogrammen, Modellvorhaben und Einzelprojekten, sondern denen, die an der sozialpolitischen Front arbeiten, ein sehr flaches Regelwerk sowie ein an möglichst wenig Auflagen gebundenes Budget zur Verfügung stellen. Man könnte sich vorstellen, dass die in 95 Prozent der Fälle sehr gut und genau mit den Freiheitsgraden arbeiten können.

Das Gefälle der Sozialabgaben in der EU, der Europäische Gerichtshof (EuGH) und ein Kläger, den es gar nicht gibt, in einem Verfahren von grundsätzlicher sozialpolitischer Bedeutung. Mehr als peinlich

Wir sprechen hier nicht über irgendein Feld-, Wald- und Wiesen-Gericht, sondern über den Europäischen Gerichtshof (EuGH). Der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit Sitz in Luxemburg ist das oberste rechtsprechende Organ der Europäischen Union (EU). Und die Entscheidungen dieses Gremiums spielen auch in der Sozialpolitik eine immer bedeutsamere Rolle. Man nehme als Beleg für diese Bewertung nur die neueste Entscheidung des EuGH aus dem September 2015 zur Frage nach einem Anspruch auf Sozialleistungen von EU-Bürgern in einem anderen EU-Staat – für Deutschland nicht nur grundsätzlich von Relevanz, sondern in dem angesprochenen Fall hatte das Bundessozialgericht (BSG) selbst den EuGH angerufen mit der Bitte um eine Entscheidung (vgl. dazu ausführlicher Ist das alles kompliziert. Der EuGH über die Zulässigkeit der Nicht-Gewährung von Sozialleistungen für einen Teil der arbeitsuchenden EU-Bürger vom 15.09.2015 sowie zu den sich daran anschließenden Entscheidungen des BSG, die nun bei uns einige Verwirrung ausgelöst haben: Griechisch-rumänisch-schwedische Irritationen des deutschen Sozialsystems. Das Bundessozialgericht, die „Hartz IV“-Frage bei arbeitsuchenden „EU-Ausländern“ und eine Sozialhilfe-Antwort vom 03.12.2015). Man mag bereits an diesem Beispiel erkennen, dass wir es mit sozialpolitisch hoch brisanten Fragen zu tun haben, zu denen sich der EuGH nicht nur äußert, sondern zu dem Urteile mit handfesten Folgen gefällt werden. Wenn das so ist, dann muss man sich natürlich darauf verlassen können, dass dieses Gerichtssystem nicht missbraucht werden kann. Allerdings muss man daran einige Zweifel bekommen, wenn man sich mit dem folgenden Sachverhalt beschäftigt:

In seinem Artikel Der Kläger, der nie klagte berichtet Thomas Kirchner über einen nur auf den ersten Blick skurrilen Fall: Beim EuGH gibt es einen offiziellen Fall Namen „Chain gegen Atlanco“, doch der Pole Bogdan Chain hat nach eigener Aussage überhaupt keine Klage eingereicht.

Möglicherweise, so Kirchner, sind wir hier mit einer einzigartigen Schein-Klage konfrontiert, die um ein Haar die europäische Sozialgesetzgebung beeinflusst hätte. Und es geht nicht um irgendwelche Kleinigkeiten, sondern um die Frage, wo Arbeitnehmer, die innerhalb eines Jahres in mehr als zwei EU-Staaten tätig sind, ihre Sozialabgaben bezahlen. Damit geht es hier um einen Sachverhalt, der etwa drei Millionen Arbeitnehmer in der EU betrifft. So viele sind im Laufe eines Jahres in mehr als zwei EU-Staaten tätig. »Wo aber zahlen sie Sozialabgaben? Um die Sache zu vereinfachen und die Mobilität der Bürger nicht zu behindern, entscheidet in der EU in diesem Fall der Registrierungsort des Arbeitgebers.«

Jeder, der auch nur eine kleine Vorstellung hat von den unterschiedlichen Abgabenniveaus innerhalb der EU, kann sich bereits an dieser Stelle vorstellen, was es bedeutet, wenn man das gegebene Gefälle bei der Sozialabgabenbelastung gezielt nutzen kann, um damit Personal in einem anderen, „hochpreisigen“ EU-Land anzubieten und einzusetzen. Auf so eine Idee ist auch das Unternehmen Atlanco gekommen – und gleich am Anfang der Geschichte werden wir Zeuge einer dieser „interessanten“ Unternehmenskonstruktionen in der EU, die natürlich einen ganz bestimmten Zweck verfolgen:

»Der irischen Leiharbeiter-Firma Atlanco passte das hervorragend: Sie war auf Zypern gemeldet, wo die Sozialabgaben sehr niedrig sind. So konnte sie ihre Leute in Nordeuropa zu konkurrenzlos günstigen Bedingungen einsetzen.
Den EU-Staaten gefällt die Regelung weniger, denn sie müssen ihren Bürger Sozialleistungen gewähren, egal wo sie eingezahlt haben. 2011 entzog Zypern den Iren ohne weitere Erklärungen die Erlaubnis, woraufhin Atlanco klagte, um sein lukratives Geschäftsmodell zu retten. Im April 2014 leiteten die zypriotischen Richter den Fall nach Luxemburg weiter, wo er die Verfahrensnummer C 189/14 erhielt.«

Was aber hat Bogdan Chain aus dem südostpolnischen Stalowa Wola mit dieser Angelegenheit zu tun? Er »hatte tatsächlich einige Jahre für Atlanco gearbeitet. Und er war mehrmals Opfer des EU-Systems geworden: Norwegen hat Sozialabgaben von ihm eingefordert, die er eigentlich schon in Zypern bezahlt hatte, und Polen weigert sich, die Arztkosten zu bezahlen, die nach einer Herzattacke Chains 2014 anfielen.« So weit, so zutreffend – aber mit der in Luxemburg anhängigen Klage hat er dennoch rein gar nichts zu tun, so dass die Annahme naheliegt, dass Atlanco sich seiner Personalakte bedient hat, um einen fingierten Fall zu konstruieren.

Irische Journalisten fanden heraus, »dass der Anwalt, der Chains Sache anfänglich auf Zypern vertrat, niemals Kontakt mit seinem Mandanten hatte; seine Instruktionen habe er vielmehr von einer Brüsseler Anwaltskanzlei erhalten. Die wiederum handelte offenbar gleichzeitig im Auftrag von Atlanco, was standeswidrig wäre.«

Über das Unternehmen und deren Lohndumping-Praktiken wurde bereits vor einiger Zeit berichtet, so beispielsweise in diesem Artikel der European Federation of Building and Woodworkers (EFBWW): Another shocking documentary on cross-border social dumping practices of Atlanco Rimec:

»Polish workers, employed via local Polish subsidiaries of Atlanco Rimec, are offered Cypriot working contracts, even if they have never been in Cyprus. This “letterbox trick” is being abused on a large scale in order to post workers to large building sites as “cheap workers”. Although the company has been subject of various investigations and has been condemned several times, it continues to exploit workers as “disposable commodities” … Unfortunately, the Atlanco Rimec case is not unique. All over Europe there are labour agencies exploiting posted workers on a massive scale. Internal estimates of the EFBWW show that approximately one million workers are exploited as posted workers annually.«

Aber nun wird ja alles gut, nachdem offensichtlich geworden ist, wie es sich in Wirklichkeit verhält. Oder? Dazu Thomas Kirchner:

»Obwohl Chain beim EuGH protestierte, gab es im März 2015 eine Anhörung. Am 21. Mai stellte sich der Generalanwalt, dem EuGH-Richter meist folgen, im Schlussantrag auf Atlancos Seite. Inzwischen hat Zypern das Verfahren beim EuGH zurückgezogen, zyprische Staatsanwälte ermitteln nun. Das offizielle Schreiben sei aber erst am 28. Mai eingetroffen, sagt ein EuGH-Sprecher. Im Übrigen müsse sich das Gericht bei „Vorabentscheidungsverfahren“ auf die Angaben nationaler Gerichte verlassen.«

Man kann nur hoffen, dass hier im letzten Moment die Notbremse gezogen wird. Unabhängig davon gehört der Ball natürlich in ein ganz anderes Spielfeld, das die Gewerkschafter von der EFBWW klar benennen – und auch das Problem:

»Although the problem is well-known at European level, there is not enough interest to resolve the problem. Yes, statements have been made by the President of the European Commission, Mr Jean-Claude Juncker, that social dumping will be combated, but virtually no effective measures are undertaken. Instead of supporting Member States to strengthen their controls and to close the existing, well-known, legal and administrative European loopholes, the European Commission continues to weaken the national control measures and to facilitate these scandalous practices.«

Die Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) hält Wort beim Thema Leiharbeit und Werkverträge

Wobei die richtige Formulierung so lauten muss: Sie hält sich genau an die Worte, die in der Bibel der Großen Koalition niedergeschrieben worden sind, also dem Koalitionsvertrag aus dem Dezember 2013. Es bleibt ihr angesichts ihres nicht mehr vorhandenen Spielraums innerhalb der Großen Koalition hinsichtlich jedweder Regulierungsvorhaben auf dem Arbeitsmarkt – losgelöst von ihrer Sinnhaftigkeit – auch gar nichts anderes übrig, denn die Unionsfraktion würde weitergehende Maßnahmen schon aus Prinzip verhindern. Frau Nahles hat in der ersten Phase mit dem Mindestlohn und der „Rente mit 63“ bekommen, was der Sozialdemokratie besonders wichtig war. Also aus Sicht der Koalitionsarithmetiker. Jetzt ist Schluss.

Nun liegt endlich ein Referentenentwurf zu den beiden noch offenen Arbeitsmarkt-Baustellen vor, die man in den Koalitionsverhandlungen als regelungsbedürftig vereinbart hat. Da ist eine Menge Zeit vergangen, waren doch andere Baustellen viel größer und teurer – Rentenpaket 2014 und Mindestlohn. Da mussten sich die Leiharbeit und die Werkverträge hinten anstellen. Nun aber soll es in die gesetzgeberische Zielgerade gehen und – für den einen oder anderen vielleicht irritierend – hat Frank Specht seine Meldung zum Referentenentwurf in der Online-Ausgabe des Handelsblatts so überschrieben: Nahles verlängert Leiharbeitsdauer. War das nicht anders, also genau anders herum geplant gewesen?

Werfen wir zuerst einen Blick in den Koalitionsvertrag aus dem Dezember 2013, was denn genau vereinbart worden ist.

Zum Thema Leiharbeit findet man dort auf S. 49-50 die folgenden Ausführungen:

»Arbeitnehmerüberlassung weiterentwickeln
Wir präzisieren im AÜG die Maßgabe, dass die Überlassung von Arbeitnehmern an einen Entleiher vorübergehend erfolgt, indem wir eine Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten gesetzlich festlegen. Durch einen Tarifvertrag der Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche oder aufgrund eines solchen Tarifvertrags in einer Betriebs- bzw. Dienstvereinbarung können unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen der Stammbelegschaften abweichende Lösungen vereinbart werden.
Die Koalition will die Leiharbeit auf ihre Kernfunktionen hin orientieren. Das AÜG wird daher an die aktuelle Entwicklung angepasst und novelliert:
• Die Koalitionspartner sind sich darüber einig, dass Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer künftig spätestens nach neun Monaten hinsichtlich des Arbeitsentgelts mit den Stammarbeitnehmern gleichgestellt werden.
• Kein Einsatz von Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmern als Streikbrecher.
• Zur Erleichterung der Arbeit der Betriebsräte wird gesetzlich klargestellt, dass Leiharbeitnehmer bei den betriebsverfassungsrechtlichen Schwellenwerten grundsätzlich zu berücksichtigen sind, sofern dies der Zielrichtung der jeweiligen Norm nicht widerspricht.«  

Und was ist rausgekommen?

»Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) wird die Höchstüberlassungsdauer bei der Leiharbeit nicht strikt auf 18 Monate begrenzen. „In einem Tarifvertrag der Einsatzbranche oder aufgrund eines solchen Tarifvertrags in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung können abweichende Regelungen vereinbart werden“, heißt es im Referentenentwurf …  „In tarifgebundenen Unternehmen sind damit längere Einsatzzeiten von über 18 montan möglich“, heißt es in dem Entwurf weiter. Ausgenommen von der Ausnahmeregel sind aber Unternehmen, die zwar Mitglied in einem Arbeitgeberverband sind, aber nicht der Tarifbindung unterliegen (sogenannte OT-Mitgliedschaft).«

Ganz offensichtlich will man mit diesem Regelungsansatz zwei Fliegen mit einer Klapper schlagen: Zum einen soll den Unternehmen im Prinzip die Option offen gelassen werden, Leiharbeiter auch länger wie 18 Monate zu nutzen, also wie bisher. Zugleich verknüpft man dieses Entgegenkommen damit, dass es sich um tarifgebundene Unternehmen handeln muss. Die anderen bleiben außen vor. Zur „18-Monats-Frage“ vgl. ausführlicher die Darstellung in meinem Blog-Beitrag 18 Monate und nicht länger. Oder darf es doch mehr, also länger sein? Die Leiharbeit und die Versuche, sie zu re-regulieren vom 1. August 2015.

Und wie sieht es aus mit den Werkverträgen?

Dazu auch hier ein Blick in den Koalitionsvertrag (S. 49):

»Missbrauch von Werkvertragsgestaltungen verhindern
Rechtswidrige Vertragskonstruktionen bei Werkverträgen zulasten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern müssen verhindert werden. Dafür ist es erforderlich, die Prüftätigkeit der Kontroll- und Prüfinstanzen bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit zu konzentrieren, organisatorisch effektiver zu gestalten, zu erleichtern und im ausreichenden Umfang zu personalisieren, die Informations- und Unterrichtungsrechte des Betriebsrats sicherzustellen, zu konkretisieren und verdeckte Arbeitnehmerüberlassung zu sanktionieren. Der vermeintliche Werkunternehmer und sein Auftraggeber dürfen auch bei Vorlage einer Verleiherlaubnis nicht bessergestellt sein, als derjenige, der unerlaubt Arbeitnehmerüberlassung betreibt. Der gesetzliche Arbeitsschutz für Werkvertragsarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer muss sichergestellt werden. Zur Erleichterung der Prüftätigkeit von Behörden werden die wesentlichen durch die Rechtsprechung entwickelten Abgrenzungskriterien zwischen ordnungsgemäßen und missbräuchlichen Fremdpersonaleinsatz gesetzlich niedergelegt.«

Und was ist rausgekommen (soweit man das anhand der Meldungen der Nachrichtenagentur sagen kann, denn der Entwurf ist noch nicht unter die Leute gebracht worden, sondern die Nachrichtenagentur AFP wird als Quelle angegeben)?

»Die Informationsrechte von Betriebsräten über den Einsatz von Werkvertragsbeschäftigten werden gestärkt. Wann ein Werkvertrag vorliegt, soll anhand von acht Kriterien definiert werden, die bislang nur in der Rechtsprechung verwendet wurden. Nun werden sie explizit gesetzlich festgeschrieben.«

Da dürfen wir gespannt sein, wie man die Abgrenzungsfrage zu einem hyperkomplexen Themen- und Minenfeld wie der Abgrenzung von „echten“ Werkverträgen und illegaler Arbeitnehmerüberlassung rechtssicher mit acht Kriterien hinbekommen will.  

Insofern bewegt sich das, was sich nunmehr abzeichnet für die gesetzgeberische Umsetzung, im Rahmen dessen, was ich in meinem Blog-Beitrag Werkverträge als echtes Problem für Betriebsräte und Gewerkschaft. Und eine „doppelte Tariffrage“ für die IG Metall vom 24.09.2015 als Ausblick so formuliert habe:

»Von der nun anstehenden gesetzlichen Neuregelung der Werkverträge – auch wenn sich der Aktionstag hier ausdrücklich an Berlin gerichtet hat – werden sich die Gewerkschaften außer einem Informationsrecht für Betriebsräte nicht viel erwarten dürfen. Das von ihrer Seite aus geforderte Mitbestimmungsrecht der Betriebsräte wird es nicht geben. Dazu ist der Widerstand der Arbeitgeber an dieser Stelle viel zu groß und die politischen Handlungsspielräume der Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) innerhalb der Großen Koalition sind zu klein bzw. gar nicht mehr vorhanden, was weitere Regulierungen angeht. Die Formulierung im Koalitionsvertrag spricht nur von Informations-, nicht aber von Mitbestimmungsrechten, so dass sich die Union hier auch nicht weiter wird bewegen müssen.«