Von Werkverträgen in der S-Klasse-Welt, einem „Unschuldslamm“ aus dem Ländle und dem SWR-Intendanten, der für eine Reportage 250.000 Euro zahlen soll, ersatzweise Ordnungshaft

Hin und wieder brauchen wir neue Kategorien: Wie wäre es mit „Unschuldslamm aus dem Ländle“? Für die Besetzung dieser Rolle hat sich kein geringerer als Herr Zetsche, Generalbevollmächtigter des Weltkonzerns Daimler, selbst ins Spiel gebracht. Aber der Reihe nach: Es heißt ja oftmals, die Mühlen der Bürokratie mahlen langsam, wenn das stimmt, dann muss es bei Daimler sehr viel Bürokratie geben. Denn konkret geht es um die im Mai 2013 in der ARD ausgestrahlte Reportage „Hungerlohn am Fließband: Wie Tarife ausgehebelt werden“, das Ergebnis einer monatelangen Recherche des SWR-Journalisten Jürgen Rose. Dort wurde berichtet, wie Werkvertragsarbeitnehmer im Untertürkheimer Mercedes-Werk eingesetzt werden. Hinsichtlich der Art und Weise der konkreten Tätigkeit gab es zahlreiche Indizien, dass es sich eigentlich um unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung handelt. Der Beitrag und die am Tag der Ausstrahlung unmittelbar sich anschließende Thematisierung in der Sendung „Hart aber fair“ mit Frank Plasberg hatte Daimler kalt erwischt, die standen gerade kurz vor der Präsentation ihrer – sagen wir mal nicht gerade kostengünstigen – neuen S-Klasse. Schlagzeilen, dass es in den Daimler-Werken nicht nur unterschiedliche Klassen von Arbeitnehmern gibt, sondern dass dort teilweise so wenig verdient wird, dass aufstockender Hartz IV-Anspruch bestand, musste eine mehr als irritierende Wirkung entfalten. Die angesprochenen Indizien entstammen Aufnahmen mit versteckter Kamera, die der Autor der Reportage über zwei Wochen lang in dem Mercedes-Werk in Untertürkheim gemacht hat. Wie dem auch sei, der Konzern hat einige Zeit gebraucht, um in die Gänge zu kommen. Denn heute meldet die Stuttgarter Zeitung: „Daimler verklagt den SWR. Streit um Undercover-Reportage„.

Dabei schien zwischenzeitlich alles in eine andere Richtung zu gehen: In dem Artikel von Andreas Müller in der Online-Ausgabe der Stuttgarter Zeitung finden wir den folgenden Passus:

»Mit seiner Erwiderung, es habe schon alles seine Richtigkeit, drang der Konzern nur schwer durch. Später schlug er nachdenklichere Töne an: Bei den Werkverträgen dürfe man nicht „blind vertrauen“, bekannte der Personalvorstand Wilfried Porth im StZ-Interview; im Einzelfall laufe manches „nicht so, wie es vertraglich vereinbart war“. Ende 2013 kündigte der Daimler-Betriebsrat dann an, 1400 Entwickler und IT-Kräfte am Standort Sindelfingen, die bisher per Werkvertrag beschäftigt waren, würden zu Leiharbeitern aufgewertet.«

Bereits Anfang 2014 konnte man dem Artikel unter der bezeichnenden Überschrift „Weniger Werkverträge bei der Daimler AG“ von Hermann G. Abmayr entnehmen:

»“Ohne den ARD-Film ‚Hungerlohn am Fließband‘ wären wir heute bei Daimler längst nicht so weit“, sagt Christa Hourani. Die Stuttgarter Betriebsrätin war selbst einmal über einen Werkvertrag für den Autobauer tätig und setzt sich seit Jahren für Leih- und Werkvertragsbeschäftigte ein. Mit wenig Erfolg. „Doch seit Mai standen Geschäftsleitung und Betriebsrat unter Handlungsdruck“, sagt die gelernte Programmiererin. Auch der Besuch von Fahndern der „Finanzkontrolle Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung“ habe Wirkung gezeigt, ergänzt der Techniker Georg Rapp, der früher mit einem Werkvertrag in der Entwicklung gearbeitet hat und jetzt ebenso fest angestellt ist. Nach den Publikationen in Folge der ARD-Enthüllung trauten sich betroffen Leiharbeiter und Leihingenieure ihr Rechte einzufordern oder vor dem Arbeitsgericht auf Festanstellung zu klagen. In zwei Stuttgarter Fällen klagte der Betriebsrat wegen illegaler Werkverträge. Und in den Daimler-Werken in Bremen, Sindelfingen und Wörth am Rhein kam es wegen drohender Fremdvergabe über Werkverträge zu kurzfristigen Arbeitsniederlegungen.«

Kurzum, der Beitrag hat eine Menge bewegt, nicht nur skandalisiert, sondern auch positive Entwicklungen eingeleitet. Und die allgemeine Anerkennung für die Reportage war groß: Jürgen Rose wurde für seine „herausragende journalistische Arbeit“ wurde mit dem Willi-Bleicher-Preis der IG Metall gewürdigt. Ein Branchenblatt mit hochkarätiger Jury wählte Rose unter die „Wirtschaftsjournalisten des Jahres“.

Und seien wir ehrlich – die Zeit geht heute sehr schnell über viele Themen hinweg und eigentlich spricht doch schon gar keiner mehr von dieser Angelegenheit.

Aber jetzt geht es wieder in eine andere Richtung. Was berichtet die Stuttgarter Zeitung nun genauer über die Klage von Daimler, die so oder so das alles wieder an die Oberfläche holen wird?

»Eine Viertelmillion Euro soll der SWR als Ordnungsgeld zahlen, wenn er die von Rose gedrehten Bilder noch einmal zeigt. Ersatzweise sei Ordnungshaft zu verhängen, „zu vollziehen an dem Intendanten“, also Peter Boudgoust. So fordert es der Autokonzern, vertreten durch den Vorstandschef Dieter Zetsche, in einer beim Landgericht Stuttgart eingereichten Klageschrift.«

Der Artikel beschreibt dann weiter, worum es im Detail geht.

Als Verfasser dieses Beitrags bin ich insofern befangen, da ich selbst in der Reportage mit mehreren arbeitsmarktlichen Einordnungen auftauche. Gerade zu der Frage, die wohl, so der Artikel der Stuttgarter Zeitung, im Mittelpunkt des Verfahrens stehen wird:

»Vor Gericht dürfte es vor allem um die Frage gehen, ob die Reportage überhaupt Missstände aufgedeckt hat und welche Qualität diese hatten. Heimlich gedrehte Aufnahmen dürften nur dann verwendet werden, wenn sie rechtswidriges Verhalten belegten, argumentiert der Daimler-Anwalt; das sei aber nicht der Fall. Doch dieser Punkt ist noch keineswegs abschließend geklärt. Anhaltspunkte für „verbotene Arbeitnehmerüberlassung“ sah nicht nur der in der Sendung zitierte Arbeitsmarktforscher Stefan Sell aus Remagen; auch Daimler-Betriebsräte äußerten sich in diesem Sinne. Eine entsprechende Anzeige ging zudem bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart ein, die aufgrund des Film bereits von sich aus tätig geworden war. Bis heute – neun Monate danach – prüft die Behörde laut einer Sprecherin den Vorgang, förmliche Ermittlungen seien aber noch nicht eingeleitet worden«, so Andreas Müller in seinem Artikel „Daimler verklagt den SWR“.

Man darf gespannt sein, wie das ausgeht. Auf alle Fälle hat sich politisch zwischenzeitlich einiges getan, das Thema Werkverträge hinsichtlich seiner missbräuchlichen Inanspruchnahme wie aber auch die bei durchaus legaler Verwendung immer wieder anzutreffenden Variante der Tarifflucht ist ganz oben auf der Agenda angekommen und Handlungsbedarf wird nicht nur von irgendwelchen Außenseitern gesehen, sondern hat es bis in den Koalitionsvertrag zwischen SPD und den Unionsparteien geschafft. Das ist doch schon mal was.

Übrigens: Man kann die Reportage „Hungerlohn am Fließband. Wie Tarife ausgehebelt werden“ auf YouTube anschauen. Noch.

Das Bundesarbeitsgericht verweigert sich. Definition und Sanktionierung einer nicht mehr „vorübergehenden“ Leiharbeit ist Aufgabe des Gesetzgebers. Jetzt bleibt – wie so oft – die Hoffnung

»Wie lange darf ein Unternehmen einen Leiharbeiter leihen? Dazu urteilt heute das Bundesarbeitsgericht. Von dem Urteil hängt eine Menge ab. Womöglich drohen Unternehmenspleiten.« Mit diesen düster daherkommenden Worten wurde man in dem Artikel „Gericht entscheidet über die Leiharbeit“ konfrontiert. Der Artikel orakelt weiter: »Für Leiharbeitnehmer im Dauereinsatz könnte an diesem Dienstag eine neue Ära in ihrem Arbeitsleben beginnen.« Könnte ist das Wort des Tages. Oder eben auch – vorerst – nicht. Denn das Gericht hat geurteilt. Und das eindeutig. Unter der auf den ersten Blick keine Richtung anzeigenden Überschrift „Rechtsfolge einer nicht nur vorübergehenden Arbeitnehmerüberlassung“ berichtet das Bundesarbeitsgericht in seiner Pressemitteilung Nr. 73/13 mit harter Diktion:

»Besitzt ein Arbeitgeber die nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG erforderliche Erlaubnis, als Verleiher Dritten (Entleihern) Arbeitnehmer (Leiharbeitnehmer) im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit zu überlassen, kommt zwischen einem Leiharbeitnehmer und einem Entleiher kein Arbeitsverhältnis zustande, wenn der Einsatz des Leiharbeitnehmers entgegen der Regelung in § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG nicht nur vorübergehend erfolgt.«

Damit bleiben die weitreichenden Folgen eines von den einen erhofften und den anderen befürchteten Urteils des Bundesarbeitsgerichts aus: Hätte das BAG den Verstoß gegen die Norm einer nur „vorübergehenden“ Arbeitnehmerüberlassung nach § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG so gewertet, dass dadurch aus der Beschäftigung beim Verleihunternehmen eine (unbefristete) Beschäftigung beim Entleihunternehmen wird, dann »könnten Tausende von Leiharbeitnehmer vor Gericht darauf pochen, dass sie auf die Gehaltsliste von Unternehmen kommen, die sie niemals einstellen wollten, sondern nur „eingekauft“ haben.« Falscher Alarm, wie man nun der neuen Entscheidung des BAG entnehmen kann. Denn die Bundesarbeitsrichter finden das scharfe Schwert des Zustandekommens eines Arbeitsverhältnisses mit dem Entleihunternehmen nur im § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG, dort für den Fall, dass das verleihende Unternehmen keine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung hat.

Das Gericht erläutert uns die Nicht-Übertragbarbeit auf den Fall, in dem der Verleiher über eine gültige Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis verfügt:

»Der Gesetzgeber hat bei einer nicht nur vorübergehenden Arbeitnehmerüberlassung bewusst nicht die Rechtsfolge der Begründung eines Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiher angeordnet. Das Unionsrecht gibt kein anderes Ergebnis vor. Die Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Leiharbeit (Leiharbeitsrichtlinie) sieht keine bestimmte Sanktion bei einem nicht nur vorübergehenden Einsatz des Leiharbeitnehmers vor. Art. 10 Abs. 2 Satz 1 der Leiharbeitsrichtlinie überlässt die Festlegung wirksamer, angemessener und abschreckender Sanktionen bei Verstößen gegen Vorschriften des AÜG den Mitgliedstaaten. Angesichts der Vielzahl möglicher Sanktionen obliegt deren Auswahl dem Gesetzgeber und nicht den Gerichten für Arbeitssachen.«

Wer sich für den hinter dieser Entscheidung stehenden Sachverhalt interessiert, der wird in der Termin-Voranankündigung des BAG zum 10.12.2013 „Vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung – Rechtsfolge dauerhafter Überlassung“ fündig:

»Die Beklagte zu 1. betreibt mehrere Krankenhäuser. Die Beklagte zu 2. ist eine hundertprozentige Tochter der Beklagten zu 1. Sie hat eine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis und beschäftigt ca. 450 Arbeitnehmer. Einen Teil ihrer Beschäftigten überlässt sie auf der Grundlage von Arbeitnehmerüberlassungsverträgen der Beklagten zu 1. Der Kläger wurde 2008 von der Beklagten zu 2. als IT-Sachbearbeiter eingestellt und ausschließlich in Einrichtungen der Beklagten zu 1. eingesetzt. Die Beklagte zu 1. kündigte den auf den Kläger bezogenen Arbeitnehmerüberlassungsvertrag mit der Beklagten zu 2. zum 31. Oktober 2011. Die Beklagte zu 1. schaltete im November und Dezember 2011 mehrere Stellenangebote für IT-System-Administratoren für den Bereich EDV/IT in einem ihrer Krankenhäuser. Dabei wies sie darauf hin, dass die Einstellung bei der Beklagten zu 2. erfolge.
Der Kläger will festgestellt wissen, dass zwischen ihm und der Beklagten zu 1. ein Arbeitsverhältnis als IT-Sachbearbeiter besteht. Außerdem verlangt er Differenzvergütung für November 2011. Er meint, die Beklagte zu 2. betreibe verbotene Arbeitnehmerüberlassung und werde lediglich als „Strohfrau“ für die Beklagte zu 1. tätig. Sie sei nur Scheinverleiherin. Er sei nicht vorübergehend überlassen worden. Das habe zur Folge, dass zwischen ihm und der Beklagten zu 1. ein Arbeitsverhältnis begründet worden sei. Die Beklagte zu 1. habe ihn nach Entgeltgruppe E 9 TVöD zu vergüten. Daraus ergebe sich sein Anspruch auf Differenzvergütung. Die Beklagten sind der Ansicht, zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 1. sei kein Arbeitsverhältnis zustande gekommen. Die Überlassung des Klägers habe geltendem Recht entsprochen. Der Kläger sei nicht dauerhaft überlassen worden. Zudem sei auch eine dauerhafte Überlassung von der Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis gedeckt.«

Für alle, die eine Übersetzungshilfe brauchen, hier eine andere Darstellung: »Im aktuellen Fall hatten die Kreiskliniken im badischen Lörrach eine Tochterfirma gegründet, die 450 Beschäftigte deutlich unter Tarif bezahlte und viele von ihnen zum Dauereinsatz an die Kliniken auslieh. Der Kläger, ein IT-Sachbearbeiter, war bei der Verleihfirma angestellt und klagte nach rund dreijähriger Beschäftigung auf Festanstellung in der Klinik. Er begründete dies damit, dass die Klinik-Tochter eine verbotene Arbeitnehmerüberlassung betreibe und als „Scheinverleiherin“ eine „Strohfrau“ der Klinik sei.«

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision wollten die Beklagten das erstinstanzliche Urteil wiederhergestellt wissen, was ihnen nunmehr mit der Entscheidung des 9. Senats des BAG auch gelungen ist.

Warum der eine oder die andere eine andere Entscheidung des Gerichts erwartet hat, wird von Corinna Burdas in ihrem Artikel angedeutet: »Schon im Juli sorgte das Bundesarbeitsgericht für einen Paukenschlag: Dort stellten die Erfurter Richter erstmals fest, dass Unternehmen gegen das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz verstoßen, wenn sie Leiharbeitnehmer unbefristet in ihren Betrieben einsetzen. Grund dafür ist eine Gesetzesänderung, die seit nunmehr zwei Jahren in Kraft ist und seither für viele Diskussionen gesorgt hat. Sie stellt klar, dass Leiharbeitnehmer nur noch „vorübergehend“ eingesetzt werden dürfen.«

In diese Entscheidung wurde aber mehr hineininterpretiert, als man aus ihr herausziehen kann. Dies wurde in diesem Blog bereits in einem ausführlichen Hintergrund-Beitrag zur Problematik der nur „vorübergehenden“ Arbeitnehmerüberlassung am 12.09.2013 entfaltet: Da kann die vielbeschäftigte Kanzlerin auch schon mal durcheinander kommen: Zu den Untiefen der Leiharbeit und der anscheinend nicht eindeutigen Bedeutung des Wörtchens „vorübergehend“. Aber sie will sich ja „kümmern“: Seit dem 01.12.2011 sieht § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG vor, dass die Überlassung von Arbeitnehmern „vorübergehend“ zu erfolgen hat. Leider hat der Gesetzgeber nicht näher definiert, was er unter „vorübergehend“ versteht – weswegen man sich auch prima darüber streiten kann. Der Gesetzgeber hat wieder mal zu einem unbestimmten Rechtsbegriff gegriffen, um eine Klarheit der Norm zu vermeiden. Man muss sehen, dass sich die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts aus dem Juli dieses Jahres – Beschluss vom 10. Juli 2013 – 7 ABR 91/11 –   auf die besondere Frage des Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates bezog: »Der Betriebsrat des Entleiherbetriebs kann seine Zustimmung zum Einsatz von Leiharbeitnehmern verweigern, wenn diese dort nicht nur vorübergehend eingesetzt werden sollen,« so das BAG in seiner damaligen Pressemitteilung „Einsatz von Leiharbeitnehmern – Zustimmungsverweigerung des Betriebsrats“. Und dort findet man den entscheidenden Passus:

»Danach erfolgt die Überlassung von Arbeitnehmern an Entleiher „vorübergehend“. Die Bestimmung enthält nicht lediglich einen unverbindlichen Programmsatz, sondern untersagt die nicht nur vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung. Sie dient zum einen dem Schutz der Leiharbeitnehmer. Zum andern soll sie auch die dauerhafte Aufspaltung der Belegschaft des Entleiherbetriebs in eine Stammbelegschaft und eine entliehene Belegschaft verhindern. Der Betriebsrat des Entleiherbetriebs kann daher seine Zustimmung zur Einstellung von Leiharbeitnehmern verweigern, wenn diese im Entleiherbetrieb nicht nur vorübergehend beschäftigt werden sollen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob und ggf. welche Rechtsfolgen sich aus einem Verstoß gegen § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG für das Rechtsverhältnis des einzelnen Leiharbeitnehmers zum Entleiher ergeben.«

Aber der durchaus naheliegenden Aufgabe, das Wörtchen „vorübergehend“ zu definieren, hatte sich das Bundesarbeitsgericht elegant entzogen: »Der Streitfall verlangte keine genaue Abgrenzung des Begriffs „vorübergehend“. Der Arbeitgeber beabsichtigte, die Leiharbeitnehmerin ohne jegliche zeitliche Begrenzung statt einer Stammkraft einzusetzen. Das ist jedenfalls nicht mehr „vorübergehend“.«

Wie dem auch sei: Hier ging es um die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates bei der Frage des Einsatzes von Leiharbeitern. Nicht um den unbestimmten Rechtsbegriff der „vorübergehenden“ Arbeitnehmerüberlassung. In der Kommentierung wurde in dem Blog-Beitrag ausgeführt: »… man (kann) die Richter aber auch verstehen, denn warum sollen sie wieder den Job machen, der gefälligst vom Gesetzgber zu erledigen ist.«

Und genau da stehen wir auch jetzt wieder. Der Ball wird zurückgeschossen in das Spielfeld der Politik und damit an die im Entstehen begriffene GroKo.

Also werfen wir einen Blick in den Koalitionsvertrag, der ja nun schon seit längerem vorliegt. Und wir werden fündig auf der Seite 69 unter der Überschrift „Arbeitnehmerüberlassung weiterentwickeln“:

»Wir präzisieren im AentG die Maßgabe, dass die Überlassung von Arbeitnehmern an einen Entleiher vorübergehend erfolgt, indem wir eine Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten gesetzlich festlegen.«

Das ist doch mal eine Präzisierung der Grenze, aber der ein Entleih nicht mehr vorübergehend wäre. Wenn da nicht wieder diese Folgesätze wären:

»Durch einen Tarifvertrag der Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche oder auf Grund eines solchen Tarifvertrags in einer Betriebs- bzw. Dienstvereinbarung können unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen der Stammbelegschaften abweichende Lösungen vereinbart werden.«

Nun, das schränkt das wieder ein, denn hier haben wir offensichtlich eine generelle Öffnungsklausel für die Tarifparteien, die die Unumstößlichkeit der 18 Monate wieder relativieren.
Übrigens sieht der Koalitionsvertrag eine zweite Zeitgrenze vor: »Die Koalitionspartner sind sich darüber einig, dass Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer künftig spätestens nach 9 Monaten hinsichtlich des Arbeitsentgelts mit den Stammarbeitnehmern gleichgestellt werden« (S. 69). Bei dieser Grenze geht es um die Anwendung der „Equal Pay“-Regelung (dazu auch skeptisch das Interview „Karussell für Leiharbeiter“).

Nun wird man also abwarten müssen, wie der Gesetzgeber, wenn er sich dann mal konstituiert hat, dieses Versprechen einer klaren Zeitgrenze in das Gesetz einbauen wird. Er muss jetzt tätig werden.

Katharina Schneider bemerkt in ihrem Artikel „Arbeitsrichter enttäuschen Leiharbeiter“ zutreffend: »Bloß nicht zu weit aus dem Fenster lehnen – das war heute wohl die Devise des Bundesarbeitsgerichts. Es hätte das System der Leiharbeit in Deutschland grundlegend verändern können, verwies aber an den Gesetzgeber.«

Man darf also weiter hoffen, wenn einem an der Begrenzung des Entleihs etwas liegt. Eine grundsätzliche, radikale Reform könnte hingegen an einem ganz anderen Tatbestand ansetzen: Eine echte Umsetzung von „equal pay“ – also ab dem ersten Tag des Entleihs – würde helfen, die Leiharbeit wieder auf ihre eigentliche Funktion zu reduzieren, vorübergehende Arbeitsausfälle mit flexiblen – und das muss heißen: teureren – Personal zu überbrücken. Dann würde man sich richtig aus dem Fenster lehnen.

Der Staat sorgt sich um sich: Leiharbeit minus für die „normale“ Wirtschaft, Leiharbeit plus für öffentliche Arbeitgeber?

Wie war das noch mal mit dem Wasser predigen und Wein trinken? Über ein neues „sehr merkwürdig“ daherkommendes Stück aus der Serie „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“ muss an dieser Stelle zur Anzeige gebracht werden. Es geht um Leiharbeit – und um einen Staat, der einerseits diesen Teil der Wirtschaft unter regulatorischen Druck gesetzt hat, z.B. in Form von neuen Verboten oder Auflagen, der aber andererseits sich selbst gerne außerhalb der damit verbundenen Unannehmlichkeiten sehen möchte.

Die SPD hat sich in den zurückliegenden Jahren auf den harten Bänken der Opposition im Bundestag als aufrechte Kämpferin gegen den Missbrauch und die Ausbreitung der Leiharbeit zu profilieren versucht. Und tatsächlich ist es im Zusammenspiel vor allem mit der negativen Berichterstattung in den Medien dann auch dazu gekommen, dass der Leiharbeit einige – unter der rot-grünen Bundesregierung Anfang der 2000er Jahre eingeführte – Vergünstigungen wieder weggenommen wurden und dass man zugleich versucht hat, einzelne immer wieder beobachtbare missbräuchliche Ausformungen der Nutzung des Instruments Leiharbeit zu verunmöglichen. Damit ist aber Aufwand verbunden, zwangsläufig und unvermeidbar. Nur – was man den normalen Unternehmen meint zumuten zu können, das möchte sich der Staat selbst nicht antun, jedenfalls muss das so rüberkommen, wenn man den Beitrag „SPD plant Staatsprivileg für Zeitarbeit“ liest, der in der Online-Ausgabe der FAZ veröffentlicht wurde.

Zum Hintergrund: 2011 wurden durch die schwarz-gelbe Koalition Verschärfungen des Leiharbeitsrechts vorgenommen, darunter befanden sich auch neue Regeln zur Eindämmung der konzerninternen Arbeitnehmerüberlassung:

»Diese sollen verhindern, dass Arbeitgeber eigene Personaldienstleistungsfirmen gründen und Mitarbeiter dorthin auslagern, nur um sie dann zu schlechteren Arbeitsbedingungen einzusetzen. Nicht in jedem Fall hat konzerninterne Überlassung diesen Zweck. Doch um Missbrauch zu verhindern, müssen Firmen seither für die Arbeitnehmerüberlassung eine aufwendigere „Zuverlässigkeitsprüfung“ durch die Arbeitsagentur durchlaufen, und sie müssen belegen können, dass die einzelnen Arbeitseinsätze „vorübergehend“ sind.«

Nun gibt es aber eine neue Bundesratsinitiative SPD-geführter Bundesländer, die sowohl in der Wirtschaft wie auch bei den Gewerkschaften für mehr als Kopfschütteln sorgt: Die Länder wollen die öffentlichen Arbeitgeber durch eine Sondervorschrift von den ihrer Ansicht nach zu bürokratischen Regeln für Zeitarbeit und Arbeitnehmerüberlassung befreien. Einen Entschließungsantrag dazu haben Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein in die Bundesratssitzung an diesem Freitag eingebracht.

Die Bundesländer-Initiative hat das Ziel, den Staat als Arbeitgeber von den 2011 durch die schwarz-gelbe Koalition eingeführten Verschärfungen des Leiharbeitsrechts zu befreien. Die neuen Regeln zur Eindämmung der konzerninternen Arbeitnehmerüberlassung sind den öffentlichen Arbeitgebern nun aber für ihre eigene Personalwirtschaft offensichtlich zu kompliziert – und deshalb will man sie, aber nur sie, davon befreien:

»Die strengeren Anforderungen der Zuverlässigkeitsprüfung führten „zu einem bürokratischen Mehraufwand, der nicht mit dem Ziel des Bürokratieabbaus zu vereinbaren ist“, heißt es in der Vorlage für die Bundesratssitzung. Es entstünden Kosten von bis zu 4250 Euro, obwohl die Zuverlässigkeit öffentlicher Arbeitgeber „nicht ernsthaft in Zweifel zu ziehen ist“.«

Die Gewerkschaft Verdi findet das alles „sehr merkwürdig“, denn: »Die geplanten Sonderregeln verstärkten insgesamt den Anreiz für Kommunen, Personal in privatrechtlich organisierte öffentliche Betriebe auszulagern, für die nicht das Tarifrecht des öffentlichen Dienstes gilt.«

Die Perspektive der Wirtschaft ist die, dass innerhalb kürzester Zeit nun schon ein weiteres Mal der Staat der „normalen“ Wirtschaft Auflagen machen oder Restriktionen auferlegen will, sich selbst aber als Arbeitgeber den Folgen zu entziehen versucht:

»… in den Koalitionsverhandlungen streitet die SPD dafür, die sogenannte sachgrundlose Befristung von Arbeitsverträgen zu verbieten. Dann dürften Arbeitgeber befristete Stellen nur noch anbieten, wenn es dafür eine gesetzlich ausdrücklich zugelassene Begründung gibt. Einer der bereits heute zugelassenen Sachgründe ist ein weiteres Privileg für den Staat: Falls im öffentlichen Haushalt das Geld für dauerhafte Stellen fehlt, darf er befristen. Das Befristungverbot träfe daher nur private Unternehmen.«

Bereits heute ist es so, dass beim Staat deutlich häufiger befristet wird als in der Privatwirtschaft. Unterm Strich würde eine Umsetzung der SPD-Forderung zu einem „interessanten“ Ergebnis führen: „Mit der Abschaffung der sachgrundlosen Befristung schafft sich der Staat nahezu ein Befristungsmonopol“, so wird der Vorsitzende des Verbands Südwestmetall, Stefan Wolf, in dem FAZ-Artikel zitiert.

Ach ja, wie so oft blicken wir in den tiefen Spalt zwischen Theorie und Praxis.