Die Vergessenen in real existierenden Kita-Welten. Von einem löchrigen Rechtsanspruch, schon heute und demnächst so richtig fehlenden Fachkräften und ja, dem Kindeswohl

In den zurückliegenden Monaten gab es eine durchaus intensiv zu nennende Diskussion über die Situation sowohl in der Krankenhaus- wie vor allem in der Altenpflege. Allerdings kann man derzeit schon ein gewisses Abflauen der Berichterstattung erkennen, nachdem sich die meisten Medien – und darunter nicht wenige effektheischend mit skandalisierend daherkommenden Reportagen – über den Pflegenotstand ausgelassen haben. Es ist sicher nicht völlig weltfremd, wenn man den Pflegekräften und den betroffenen Pflegebedürftigen zuruft, dass sie aufpassen müssen, nicht in die gleiche Falle zu laufen wie man das in einem benachbarten Feld der „personenbezogenen Dienstleistungen“ erleben musste. Gemeint sind hier die Kindertageseinrichtungen und die (nicht nur) pädagogischen Fachkräfte, die dort arbeiten.

Wir erinnern uns – vor allem seit 2007 wurde in Westdeutschland das Angebot an Kinderbetreuungsplätzen für Kinder auch unter drei Jahren ausgebaut. In Ostdeutschland gab es noch als Folge der ehemaligen DDR auch nach der Wiedervereinigung eine ganz andere Struktur und vor allem eine deutlich besser ausgebaute Infrastruktur. Und damals hatte man in das hier einschlägige Gesetz – dem SGB VIII – einen Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz ab dem vollendeten ersten Lebensjahr geschrieben, allerdings mit einer mehrjährigen Übergangsperiode, damit die dafür zuständigen Kommunen genügend Zeit hatten, die erforderlichen Kita-Plätze zu organisieren. Ab dem 1. August 2013 sollte dann der Rechtsanspruch scharf gestellt werden. Manche westdeutsche Kommune hat im Vorfeld darauf spekuliert, dass das schon nicht so heiß gegessen wird und man den Rechtsanspruch verschieben wird, wenn klar wird, dass das Angebot an Betreuungsplätzen für die unter dreijährigen Kinder nicht ausreichen wird. Das allerdings ist nicht geschehen, der Rechtsanspruch wurde ins Leben gerufen – und rund um den August 2013 gab es eine intensive öffentliche Diskussion über den „Kita-Notstand“ angesichts der vielerorts fehlende Kita-Plätze. Dann aber wurde das Thema schnell wieder aus dem Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit verdrängt, nicht wegen einer erfolgreichen Umsetzung des Rechtsanspruchs für die Eltern, die einen Bedarf haben. Sondern weil es sich bei der Frage, ob man einen Kita-Platz bekommt oder eben nicht, um eine individualisierte Frage handelt, die zwar Hunderttausende oder gar mehr betrifft, die aber keine kollektive Größe darstellen, da es keine Interessenvertretung der betroffenen Eltern mit ihren Kindern gibt, sondern jeder sehen muss, wie er und sie damit klar kommt, wie man das vor Ort organisiert bekommt. Oder eben nicht.

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Kommen jetzt die 24-Stunden-Kita-Kombinate? Über ein gar nicht so neues Ferkel, das durchs Sommer-Dorf getrieben wird

Auf eines kann man sich verlassen – auf die Reflexe im politischen Raum, die Zuckungen und Wortsalven auslösen, nur weil man ein bestimmtes Reizwort vernommen hat. Und diese Schnellschuss-Reflexe funktionieren besonders gut, wenn es irgendwie um „die“ Familien geht und deren kleinen Kinder. Das haben wir erleben müssen im Vorfeld der Einführung eines Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz ab dem ersten Lebensjahr und der parallelen Debatte über das so genannte „Betreuungsgeld“. Was für eine „Entweder-Oder-Debatte“. Der oftmals nur ideologisch, leider aber auch nicht selten lediglich parteipolitisch-strategisch inszenierte Kreuzzug für oder gegen irgendwas hat sich zwischenzeitlich wieder abgekühlt, momentan bieten sich andere Baustellen an, wo man seinen Emotionen freien Lauf lassen kann, beispielsweise die griechische Dauer-Tragödie.

Nun aber gibt es scheinbar wieder Stoff für diejenigen, deren Puls schon beim Normalfall einer Kita-Betreuung – in manchen Kreisen auch als „Fremdbetreuung“ semantisch klassifiziert – nach oben geht. Und eine Menge Vorurteile lassen sich aktivieren – so der Hinweis, dass die Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) ja aus „dem Osten“ kommt und letztendlich die Welt der DDR in der Kinderbetreuung allen friedliebenden Mitbürgern in Deutschland überzustülpen gedenkt. Was hat sie wieder angerichtet? Alles begann mit dieser Meldung: Bund will Millionen in neue 24-Stunden-Kitas investieren, so die Überschrift eines Artikels, der in der „Freien Presse“ erscheinen ist. Alessandro Peduto berichtet darin von diesem Vorhaben: »In Kitas sollen Betreuungsangebote für die Abend- und Nachtstunden massiv ausgebaut werden. Das sehen Pläne von Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) vor. Ein entsprechendes Förderprogramm im Umfang von bis zu 100 Millionen Euro für 2016 bis 2018 will das Ministerium nach eigenen Angaben in Kürze auf den Weg bringen. Das Geld stammt aus zusätzlichen Investitionsmitteln des Bundes. Teil des Vorhabens sind sogenannte 24-Stunden-Kitas.«

„Für Menschen, die im Schichtdienst arbeiten – im Krankenhaus oder in der Pflege, als Polizisten oder im Einzelhandel – , ist es wichtig, dass es auch in sogenannten Randzeiten eine Möglichkeit gibt, die Kinder gut betreut zu wissen.“ Mit diesen Worten wird die Bundesfamilienministerin Schwesig zitiert. Hört sich erst einmal doch gang nachvollziehbar an. Den Plänen zufolge geht es nicht um eine längere Betreuung der Kinder, sondern um Angebote zu anderen Zeiten.

Das ist sofort von den Medien aufgegriffen worden: Familienministerium will mehr 24-Stunden-KitasRegierung plant 24-Stunden-Kitas oder der hier: Schwesig will 24-Stunden-Kitas fördern. In diesem Artikel findet man auch den Hinweis: In der Koalition gefällt das nicht jedem.
Es wird uns nicht wirklich überraschen, dass dazu an vorderster Front die CSU zu zählen ist, deren Vertreter sogleich in den Modus der Schnappatmung gewechselt sind:

Generalsekretär Andreas Scheuer sagte in München: „Staatlich verordnete 24-Stunden-Kitas – da schütteln alle den Kopf.“

Erde an München: Wie kommt man auf das Gerede von „staatlich verordneten 24-Stunden-Kitas?“ Das ist nun allerbilligste Propaganda, ausschließlich darauf gerichtet, dass die nachweislich falsche Botschaft mit hohem Erregungspotenzial beim Hörer oder Leser hängen bleibt und genau die Assoziationen ausgelöst werden, auf die am Anfang des Beitrags hingewiesen wurde: Die letztendlich immer noch „ostdeutsche“ Ministerin will das DDR-Kita-System über das Land ausbreiten. Auch auf Bayern, aber da – so die Botschaft – ist der bayerische Löwe vor. Wenn es nicht ein ernsthaftes Thema wäre, könnte man jetzt ein LOL markieren („Laughing Out Loud“) und sich wieder anderen Dingen widmen. Aber so einfach wollen wir es uns dann doch nicht machen.

Da wäre zum einen dieser Hinweis: Auch die CDU – und aufgepasst: gemeinsam mit der CSU – sind mit ähnlichen Versprechen in den Bundestagswahlkampf 2013 gezogen:

»Wir treiben den Ausbau von Kindertagesstätten weiter entschlossen voran. Auch am Ausbau der Kinderbetreu­ung wollen wir gemeinsam mit Ländern, Städten und Ge­meinden weiterarbeiten. Dazu gehört beispielsweise auch, 24­-Stunden­-Kitas und andere flexible Betreuungs­angebote einzurichten, um Eltern mit wechselnden Ar­beitszeiten die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu er­ leichtern.«

Diesen Passus findet man auf der Seite 39 des Wahlprogramms der Unionsparteien 2013 (damals schon ganz unprätentiös Regierungsprogramm 2013-2017 in Vorwegnahme des siegreichen Abschneidens bei der Bundestagswahl 2013 genannt). Schön und gefährlich zugleich, dass man in den heutigen Zeiten der Digitalisierung alles so schnell wiederfinden kann, wenn man es ordentlich abspeichert.

Nun kann man durchaus argumentieren, die Versprechungen in einem Wahlprogramm sind – nun ja – eben Inaussichtstellungen einer möglichen Möglichkeit, wenn …

Und die Bundesfamilienministerin bekommt durchaus auch Unterstützung und nicht nur angebliches Kopfschütteln von allen Seiten. Beispielsweise kommentiert Thorsten Denkler in der Süddeutschen Zeitung unter der Überschrift Warum 24-Stunden-Kitas notwendig sind: »Familienministerin Schwesig will mehr Geld in 24-Stunden-Kitas investieren. Das ist überfällig.« Und warum? Denkler versucht es lebenspraktisch:

»Das Problem kennen viele in dieser oder ähnlicher Form: Er auf Montage im Ausland, sie Nachtschicht auf der Intensivstation. Die Kinder zwei und vier Jahre alt. Oma und Opa leben weit weg, die Freunde winken inzwischen ab, wenn die Kinder mal wieder einen Schlafplatz brauchen. Babysitter? Zu teuer für das trotz Doppel-Einkommen schmale Budget.
Entweder einer von beiden schmeißt den Job hin. Oder die Kita bleibt über Nacht auf. Der Bedarf ist da. Wenn er auch nicht immens sein dürfte. In jeder mittleren Stadt dürften ein oder zwei Kitas mit Nachtbetreuung reichen, um die größte Not zu lindern.«

Das klingt irgendwie plausibel. Lebensnah halt. Aber lesen wir weiter. Der folgende Passus sollte zum Nachdenken anregen – und nicht zur sofortigen Zustimmung:

»Die Frage ist längst nicht mehr, ob 24-Stunden-Kitas pädagogisch wertvoll sind oder nicht. Sie sind schlicht notwendig. Der Arbeitsmarkt verlangt heute maximale Mobilität und Einsatzbereitschaft. In der Nacht genauso wie an Wochenenden. Und das oft zu viel zu niedrigen Löhnen.
Viele Familien brauchen das zweite Einkommen, um halbwegs über die Runden zu kommen. Und nicht zu vergessen: Immer mehr Frauen wollen sich nicht länger auf die Nur-Mutter-Rolle reduzieren lassen.«

Das nun wieder wird eine Kritiklinie öffnen, die sich nicht speist aus einer generellen und letztendlich tradierten Ablehnung der „Fremdbetreuung“ der Kinder in Kindertageseinrichtungen, sondern aus einer Skepsis gegenüber der Unterwerfung von Familien mit kleinen Kindern unter die Nutzungsbedingungen eines Arbeitsmarktes, der die Anforderungen, die Kinder nun mal mit sich bringen, externalisiert an die Familien und zu deren Problem definiert, das dann wiederum der Staat jetzt „lösen“ helfen soll.

Aber zurück zu der wohlwollenden Kommentierung der Ankündigung von Schwesig: Nicht umsonst greift Denkler auf die Figur des Schichtarbeiters zurück. Auf diese Personengruppe bezieht sich eine lange Traditionslinie der Debatte über das Für und Wider einer 24-Stunden-Kita. Beispielsweise in den Artikel Wenn Mama zur Nachtschicht muss von Lisa Erdmann aus dem Juni 2012: »… richtig kompliziert wird es für Eltern, die im Schichtdienst arbeiten – und das werden immer mehr. Wohin mit den Kindern morgens um fünf oder abends um zehn? In die 24-Stunden-Kita. Die wenigen, die es gibt, können sich vor Anfragen kaum retten.« Sie berichtet dann beispielhaft aus einer real existierenden 24-Stunden-Kita, die immer wieder als Aushängeschild für diese Spezies herhalten muss: Es geht um die Kita „nidulus/nidulus duo“ in Schwerin, der Landeshauptstadt von Mecklenburg-Vorpommern. Lisa Erdmann berichtete 2012 in ihrem Artikel:

»Rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr betreuen die zwölf Erzieher 58 Kinder im Alter von drei Monaten bis zur Einschulung. „Alle unsere Eltern arbeiten im Schichtdienst“, erklärt Grit Brinkmann, 41, Leiterin der Kita. „Ärzte, Feuerwehr, Polizei, Krankenschwestern. Wir prüfen jeden Einzelfall genau.“ Die Kita kann sich vor Anfragen kaum retten, berichtet Brinkmann.«

Und dann kommt auch bei ihr ein primär bzw. ausschließlich arbeitsmarktpolitisches Argument für die 24-Stunden-Kitas:

„Der Trend geht in Richtung individualisierte Arbeitszeit“, sagt der Frankfurter Sozialforscher Harald Seehausen. Im Einzelhandel etwa, wo der Supermarkt um die Ecke sogar samstags bis 22 Uhr geöffnet hat. „Kita-Öffnungszeiten von 8 bis 16 Uhr? Das geht heute eigentlich gar nicht mehr.“ Seehausen prognostiziert einen steigenden Bedarf an 24-Stunden-Angeboten. „Als Folge der Globalisierung werden wir vor allem im Dienstleistungsbereich noch ausgedehntere Arbeitszeiten bis hin zum Rund-um-die-Uhr-Einsatz sehen.“

Also auch hier eine Anpassung an die sich verändernden Verwertungsbedingungen des Kapitals, die man eben bringen und deshalb auch organisieren müsse?

Aber man kann noch weiter zurückgehen. Im April 2007 wurde in der Frauenzeitschrift „Brigitte“ unter der lapidaren Überschrift Die 24-Stunden-Kita ein Artikel veröffentlicht, der auch damals schon einen großen Bedarf in den Raum gestellt hat: »Während Koalition und Kirchenvertreter noch darüber streiten, ob der Ausbau der Krippenplätze moralisch vertretbar ist, geht eine Kita in Brandenburg schon viel weiter: Seit 2003 bietet der Verein „Schnatterenten“ aus Schwedt eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung an. Mit Erfolg: Die Eltern sind begeistert, die Kinder zufrieden, die Wartelisten lang.«

Oder wie wäre es damit? „Kinderhotels und mehr – Mosaiksteine einer vielfältigen Betreuungslandschaft“, so ist ein Artikel von mir überschrieben, der im Heft 7/2005 (S. 24-26) der Fachzeitschrift „Theorie und Praxis der Sozialpädagogik“ veröffentlicht worden ist und in dem ich einige damals bekannte Ausformungen der Rund-um-die-Uhr-Betreuung skizziert habe.

Was diese Hinweise andeuten sollen – es handelt sich um nichts neues, sondern ganz offensichtlich gibt es a) die Debatte über die „24-Stunden-Kitas“ schon seit vielen Jahren, b) wurde schon immer ein großer Bedarf postuliert, der durch die vorhandenen Angebote aber nicht gedeckt werden kann und c) ist trotz dieses angeblich sehr großen Bedarfs bislang überschaubar wenig passiert, denn neben der immer wieder gerne zitierten Schweriner Kita gibt es auch noch in anderen größeren Städten wie Berlin, Hamburg oder Dresden vergleichbare Angebote, die sich allerdings an wenigen Fingern abzählen lassen.

Anfang Juni 2015 gab es im Tagesspiegel den Versuch, nach den Ursachen für diese offensichtliche Diskrepanz zu suchen: »Politiker fordern längere Öffnungszeiten für Kitas – sogar bis zu 24 Stunden. Doch Versuche zeigen: Die Hemmschwelle ist oft hoch«, schreibt Sylvia Vogt in ihrem Artikel 24-Stunden-Kita: Späti für die Kleinen. Ausgangspunkt ist auch in Berlin eine – erneute – Debatte über den angeblichen Bedarf an einer deutlichen zeitlichen Ausweitung der Betreuungsangebote. Aber dann wird viel Wasser in den möglichen Wein gegossen, denn Vogt gelangt zu folgender Einschätzung:

»Ob … eine 24-Stunden-Kita kommt, darf bezweifelt werden. Denn solche Versuche gab es schon in Berlin, doch sie sind wieder eingestellt worden – aufgrund mangelnder Nachfrage, wie die Senatsjugendverwaltung mitteilt. Auch in Teltow, wo es seit einiger Zeit eine solche Einrichtung gibt, wird das Angebot kaum genutzt, wie kürzlich bekannt wurde. „Es hat sich nicht gerechnet“, sagt Regine Schallenberg-Diekmann, pädagogische Geschäftsführerin beim Träger Ina-Kindergärten, der von 2008 bis 2011 eine Rund-um-die-Uhr-Kita an der Charité betrieb. Zunächst sei die Kita als Modellprojekt von der Robert-Bosch-Stiftung unterstützt worden, doch nachdem diese Gelder ausliefen, habe man nur noch ein Jahr durchhalten können.«

Landeselternsprecher Norman Heise zweifelt ebenfalls an der Umsetzbarkeit einer 24-Stunden-Kita, können wir dem Artikel entnehmen. Und er eröffnet eine – scheinbare – Alternative, die es jetzt schon geben würde: der ergänzenden Tagespflege. Aber immer diese Aber:

»Ergänzende Tagespflege, das sind Tagesmütter und -väter oder auch andere Personen, die Kinder außerhalb der Kitazeiten betreuen, wenn die Eltern den Bedarf nachweisen. Die Eltern können sich selbst eine geeignete Person suchen, manchmal helfen die Jugendämter bei der Vermittlung. Allerdings ist die Bezahlung schlecht: Das Jugendamt zahlt nur rund fünf Euro pro Stunde. Zwar soll der Satz bis 2017 auf 8,50 Euro erhöht werden, teilte die Jugendverwaltung mit. Aber vielleicht liegt es auch daran, dass bisher nur die Eltern von 505 Kindern in Berlin das Angebot wahrnehmen.«

Hinzu kommt, aber das wäre wieder ein eigenes Thema für einen längeren Beitrag: Die Stundensätze in der Kindertagespflege sind kalkuliert im Grunde auf der Basis einer Vollauslastung (also möglichst fünf Kinder und die dann gute acht Stunden pro Tag, an fünf Tagen pro Woche. Wenn aber Kindertagespflegepersonen ein Angebot machen sollen, das beispielsweise bis in den späten Abend oder sogar über die Nacht reichen soll, dann wird das sicher nicht gleichzeitig vier oder fünf Kindern betreffen. Und die Betreuung eines einzigen Kindes zu den Bedingungen ist nun wirklich nicht attraktiv.

Da wären wir auch bei einem weiteren überaus wirksamen Hemmnis für eine Ausbreitung der „24-Stunden-Kitas“. Man muss sich deutlich vor Augen führen, dass das eine teure Sache werden würde, wenn man nur die minimal erforderlichen Personalschlüssel realisiert, die man braucht, um nicht in die Zone der Kindeswohlgefährdung abzurutschen. Und das, weil Lidl & Co. immer länger ihre Geschäfte aufmachen? Weil mehr Schichtarbeit anfällt, mehr Wochenendarbeit und generell eine kontinuierliche Beschleunigung der Zeitanforderungen (und das dann auch noch vor allem in eher sehr schlecht bezahlten Frauenberufen)? Müsste man dann nicht auf die naheliegende Idee kommen, eine Umlagefinanzierung dieser zusätzlichen Angebote über die Unternehmen einzufordern? Warum sollte diese sehr teure und über die normale Grundversorgung mit einer familienergänzenden und -entlastenden Betreuung vom Steuerzahler oder gar von den betroffenen Arbeitnehmern selbst finanziert werden?

Und wenn wir schon beim Personal sind: Wir erreichen doch derzeit noch nicht einmal im Bereich der Regelversorgung, also bei der ganz normalen Kita-Betreuung tagsüber, die aus fachlicher Sicht notwendigen Personal- und daraus abgeleitet (besonders wichtig) Fachkraft-Kind-Schlüssel. Wenn man dann ein 24-Stunden-Angebot macht, müsste man zudem besondere, also zusätzliche Ressourcenanforderungen stellen, allein schon aufgrund der Ausnahmesituation, die das für viele Kinder darstellen würde. Gleichzeitig wird man kaum eine Vollauslastung hinbekommen, so dass Leerkosten mitfinanziert werden müssten.

Das sind alles fachlich-ökonomisch hergeleitete Zweifel, dass außer der Ankündigung eines neuen Programms und der Einweihung von zwei oder drei Programm-„Leuchttürmen“ irgendwas substanziell geschehen wird, ohne dass deshalb der Ansatz einer 24-Stunden-Kita für ganz bestimmte, allerdings sehr eng gefasste Fallkonstellationen grundsätzlich verworfen wird. Man ist geneigt, zum einen der Politik zuzurufen: Macht erst einmal eure Hausaufgaben bei den ganz normalen Kitas und dem, was die immer jüngeren Kinder, die tagsüber immer länger in den Einrichtungen bleiben (müssen), brauchen.

Und denjenigen, die jetzt die Lufthoheit über den Stammtischen anstreben und von – bei der Ministerin „natürlich“ DDR-infizierten – Kita-Kombinaten und einer Zwangskollektivierung der deutschen Kleinkinder fabulieren, den sei ins Stammbuch geschrieben: Wir haben mehr als 50.000 Kindertageseinrichtungen in Deutschland und auch nach dem Programm der Frau Ministerin werden es eine Handvoll 24-Stunden-Kitas sein. Regt euch wieder ab. Die Verhältnisse werden es schon richten. Und die DDR ist definitiv verstorben.

Noch nie so viele. Kinder unter 3 Jahren in Kitas und Tagespflege. Und viele Fragen jenseits der nackten Zahlen

Es ist ganz offensichtlich eine Erfolgsgeschichte, die sich in den Zahlen niederschlägt. Gemeint ist der Ausbau der Kindertagesbetreuung für die ganz kleinen Kindern unter drei Jahren in den vergangenen Jahren. Im Jahr 2006 wurden 286.905 Kinder im Alter bis drei Jahre in einer Kita oder in der Kindertagespflege betreut – bis zum März 2014 ist diese Zahl auf 662.701 Kinder angestiegen, was einer Steigerungsrate von 131% innerhalb der letzten acht Jahre bedeutet. Das Statistische Bundesamt meldet sich nun mit der folgenden Schlagzeile zu Wort, die einen weiteren Hinweis darauf gibt, dass wir es mit einer echten Erfolgsstory zu tun haben: Betreuungs­quote unter 3-jähriger Kin­der in West­deutsch­land deutlich gestiegen. Das kann man der neuen gemeinsamen Veröffentlichung der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder Kindertagesbetreuung regional 2014 entnehmen, die Daten zur Situation der Kindertagesbetreuung in allen 402 Stadt- und Landkreisen in Deutschland zur Verfügung stellt.

Kurz zur Erinnerung: »Auf dem Krippengipfel von Bund, Ländern und Kommunen im Jahr 2007 wurde vereinbart, bis zum Jahr 2013 bundesweit für 35 % der Kinder unter 3 Jahren ein Angebot zur Kindertagesbetreuung in einer Kindertageseinrichtung oder durch eine Tagesmutter beziehungsweise einen Tagesvater zu schaffen. Die damalige Planungsgröße wurde auf 750.000 Plätze beziffert. Mittlerweile wird der Bedarf sogar auf rund 780.000 Plätze für unter 3-Jährige geschätzt, was einer Betreuungsquote von gut 39 % entspricht. Da der Bedarf regional unterschiedlich hoch sein wird, kann es auf regionaler Ebene zu deutlichen Abweichungen nach oben oder auch nach unten kommen. Seit dem 1. August 2013 hat in Deutschland jedes Kind ab Vollendung des ersten Lebensjahres einen gesetzlichen Anspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege«, schreiben die Statistiker in ihrer Veröffentlichung (S. 5). Schaut man auf den in der Abbildung dargestellten aktuellen Wert, dann könnte man geneigt sein zu bilanzieren: Mission Accomplished. Allerdings bestände dann auch die Gefahr, dass man der gleichen Fehleinschätzung unterliegt wie der damalige amerikanische Präsident George W. Bush am 1. Mai 2003 auf dem Flugzeugträger USS Abraham Lincoln in seiner Fernsehrede an die amerikanische Nation, in der er „mission accomplished“ hinsichtlich des Irak-Kriegs verkündete. Bekanntlich ging es dann erst richtig los. Und dem aufmerksamen Leser wird nicht entgangen sein, dass zwischen den für 2014 ausgewiesenen 662.701 tatsächlich betreuten Kindern unter drei Jahren und den als Zielgröße ausgewiesenen 750.000 bzw. mittlerweile auf 780.000 Betreuungsplätzen zur (angeblichen) Rechtsanspruchserfüllung noch eine ordentliche Lücke klafft. Und die Insider wissen, dass auch diese Quote von 39 % von vielen Fachleuten als zu niedrig angesetzt eingeschätzt wird, der tatsächliche Bedarf also eigentlich einen noch höheren Wert zur Folge haben müsste. Haben wir es also mit einem „Bush-Effekt“ in der Kindertagesbetreuung zu tun?

Schauen wir also etwas genauer auf die harten Zahlen der Bundes- und Landesstatistiker, die jeweils im März eines jeden Jahres die lebend betreuten Kindern in Kitas und in der Tagespflege zählen und in Relation setzen zu den insgesamt vorhandenen Kindern der jeweiligen Altersgruppe, woraus sich dann die „Betreuungsquote“ ergibt. In der neuen Veröffentlichung wird die (quantitative) Betreuungssituation der Kinder, vor allem der unter dreijährigen Kinder, in allen Stadt- und Landkreisen der Bundesländer ausgewiesen.

Die für das Frühjahr 2014 ermittelte bundesweite Betreuungsquote lag mit 32,4 % unter der Zielgröße von 35 % und erst recht unter den neuerdings gesetzten 39 %. Der Blick auf die für die einzelnen Bundesländer ausgewiesenen Quoten zeigt mehrere Auffälligkeiten. Zum einen erkennt man das weiterhin existierende erhebliche Gefälle zwischen Ost und West, denn in den ostdeutschen Bundesländern lag die Quote um bzw. deutlich über 50 %, während im Westen teilweise erhebliche Streuungen gegeben sind, von um die 27% in den süddeutschen Bundesländern Bayern und Baden-Württemberg bis hin zu 43 % im Stadtstaat Hamburg. Aber nicht nur zwischen den Bundesländern, sondern auch zwischen den Land- und Stadtkreisen innerhalb eines Bundeslandes gibt es teilweise erhebliche Unterschiede bei den Betreuungsquoten.
Eine weitere Auffälligkeit ist die ausgeprägte Streuung der Bedeutung der Kindertagespflege zwischen den Bundesländern. In Sachsen-Anhalt mit 1,9 % und in Thüringen mit 4 % der betreuten Kinder spielt diese Betreuungsform so gut wie keine relevante Rolle, während der Anteil der Tagesmütter und wenigen -väter in Nordrhein-Westfalen fast 30 % erreicht.

Aufschlussreich ist auch der Blick auf die differenzierte Altersverteilung der in Kitas und Tagespflege betreuten Kinder unter drei Jahren. Man erkennt sehr deutlich, dass eine außerfamiliale Betreuung im ersten Lebensjahr des Kindes kaum vorkommt, die Anteilswerte liegen hier bei 2,5 % in Westdeutschland und selbst in Ostdeutschland sind es nur 4,3%. Bei den Kindern zwischen einem und zwei Jahren wird dann eine erhebliche Auseinanderentwicklung zwischen Ost und West sichtbar – in dieser Altersgruppe befinden sich in Ostdeutschland bereits 65,1 % in einer Kita oder bei einer Tagespflegeperson, während der Durchschnittswert über die westdeutschen Länder und Stadtstaaten hier bei 27% liegt. Ab dem vollendeten zweiten Lebensjahr kann man mit Blick auf die ausgewiesenen Betreuungsquoten durchaus davon sprechen, dass die Familien hier auf dem Weg sind, dass eine stundenweise Betreuung zum Normalmodell in dieser Altersgruppe wird, so wie das bereits für die Kindergartenkinder, also die Altersgruppe der 3- bis 6-Jährigen schon der Fall ist.

Nun stecken hinter diesen abstrakt daherkommenden Zahlen reale und höchst unterschiedliche Kinder und deren Eltern sowie Kitas und Tagespflegepersonen. Und folgt man den aktuellen Berichten in den Medien, dann liegt in der Praxis einiges im Argen. Beginnen wir mit dem Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz ab dem vollendeten ersten Lebensjahr. Während in den den Monaten vor dem Inkrafttreten des Rechtsanspruchs eine breite Debatte über das „Kita-Chaos“ und den „Kita-Notstand“ geführt wurde, eingebunden in eine typisch deutsche, also vor allem ideologisch fundierte Entweder-Oder-Diskussion über Sinn und Unsinn einer frühen außerfamilialen Betreuung, haben die Medien in den Monaten nach dem 1. August 2013 schnell das Interesse an der Materie verloren, als es nicht zu Tumulten aufgebrachter Eltern vor den Jugendämtern gekommen ist und die Bundesländer nette Pressemitteilungen verschickten, man habe alles im Griff mit dem Rechtsanspruch, teilweise wurde sogar geäußert, es würde schon zu viele Kita-Plätze für die ganz Kleinen geben.

Wenn die Betreuungswelt so schön wäre, dann müsste man solche Artikel als reine Phantasieprodukte klassifizieren: Der verzweifelte Kampf um einen Kita-Platz, so hat beispielsweise Katharina James ihren Bericht aus den Niederungen der Kita-Suche überschrieben: »Mütter ziehen mit frischer Kaiserschnittnarbe von Kita zu Kita, Väter bieten saftige Spenden an: Warum trotz Ausbaus der Betreuungsangebote die Platzvergabe Eltern den letzten Nerv raubt«, fragt sich die Autorin. In diesem Artikel werden aber nicht nur die Erfahrungen verzweifelter Eltern geschildert, sondern es gibt auch illustrative Hinweise auf die ganz handfest-praktischen Probleme, mit denen sich die Kitas und ihre Träger herumschlagen müssen. Ein Beispiel:

»Damit ein Kind aufgenommen werden kann, muss eins gehen – in größerer Zahl passiert das nur im Sommer, wenn die ältesten Kinder eingeschult werden. Wolfgang Freier, bei dem Berliner Kita-Träger Gemeinnützige Boot GmbH zuständig für zehn Einrichtungen mit je 150 bis 200 Kindern, spricht in diesem Zusammenhang vom „Tal der Unterfinanzierung von August bis November“. Ende Juli verlässt gut ein Viertel der Kinder seine Einrichtungen, entsprechend bekommt er für sie kein Geld mehr, „aber ich kann weder meine Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken, noch kann ich 40 bis 60 Kinder innerhalb von vier Wochen eingewöhnen. Das widerspricht jeder pädagogischen Räson.“
Die Boot-Kitas sehen zu, dass sie die freien Plätze bis Ende November gefüllt bekommen, Anwärter gibt es schließlich genug. Gerne würde er mehr Neuaufnahmen über das Jahr verteilt ermöglichen, sagt Freier, doch Plätze noch länger frei zu halten, sei finanziell nicht machbar. Bei kleineren Kinderläden und Elterninitiativen mit nur 20, 25 Kindern sei der Druck noch viel größer, vermutet er. „Um der Lebensrealität gerecht zu werden, dass Kinder eben das ganze Jahr über geboren werden, müsste ein Anteil von Plätzen als Vorhaltungsplätze finanziert werden.“«

Zu welchen skurril daherkommenden, für die Betroffenen aber höchst problematischen Folgen sich das auswachsen kann, verdeutlicht auch dieser Artikel aus Nordrhein-Westfalen, konkret aus der Stadt Leverkusen: Kita-Eltern sind über das Land enttäuscht. Was ist das Problem? »Damit der Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz für unter dreijährige Kinder (U3) erfüllt werden kann, sollen über Dreijährigen (Ü3) nach dem Willen der Stadt die Kita wechseln.« Das wird an einem Beispiel illustriert:

»In einem offenen Brief … legt der Elternrat der Kita Burgweg die Problematik dar – „vor allem auch deshalb, weil für einige Familien massive Einschnitte in die eigene Lebenssituation (Jobverlust, etc.) verbunden sein können. Den Kitas wird vorgegeben, wie viele Kinder unter drei Jahren aufgenommen werden müssen. Für unsere Kita sind dies 32 U3-Plätze. Gleichzeitig ist die Kita aktuell für eine maximale Belegung mit 60 Kindern ausgelegt. Nun werden mehr Kinder drei Jahre alt und damit zu Ü3-Kindern, als Kinder die Kita verlassen: Der Platz reicht dann nicht mehr, wenn es weiter 32 U3-Plätze bleiben müssen.“ Dies bedeute für die Rheindorfer Kita: Im Sommer müssten 19 Kündigungen erfolgen.«

Man kann es auch so ausdrücken: Es verlassen weniger Kinder die Kita als von unten nachwachsen und das ist dann ein echt praktisches Problem. Auch für die Stadt, die aus Sicht der Eltern hier Probleme macht, denn auch die hat ein Problem – mit dem Land: Denn die Landesmittel in den neu eingerichteten U3-Plätzen werden nur zugeschossen, wenn die Plätze mit U3-Kindern belegt werden. Bei Fehlbelegung droht der Stadt, die Fördermittel zurückzahlen zu müssen. Alles klar?

Ein anderes Thema wäre die Situation der Fachkräfte in den Kindertageseinrichtungen sowie in der Kindertagespflege. Und gerade auch Befürworter eines Ausbaus der Kindertagesbetreuung haben immer schon deutlich davor gewarnt, den Ausbau der Angebote quantitativ auf eine Quoten-Erfüllung zu verengen, gerade angesichts der Verletzlichkeit der sehr kleinen Kinder, um die es doch eigentlich gehen soll. An vielen Stellen dokumentiert und diskutiert ist die erhebliche Unterausstattung mit Personal sowie die teilweise sehr problematischen Arbeitsbedingungen. Das wird sich auch auswirken auf die nun anlaufende Tarifrunde für die Kita-Beschäftigten in den kommunalen Einrichtungen (vgl. hierzu ausführlich und auch mit kritischen Untertönen den Blog-Beitrag Erzieher/innen verdienen mehr. Tarifpolitik für und mit den Kita-Beschäftigten: Gut gemeint, aber mit welchem Risiko? vom 19. Januar 2015).

Seit langem wird darüber diskutiert, aber so, wie es derzeit aussieht, wird sich bis zum Ende der laufenden Legislaturperiode nichts mehr bewegen – gemeint ist die Forderung nach einem „Bundesqualitätsgesetz“, mit dem die teilweise skandalösen Unterschiede bei wichtigen Parametern der Strukturqualität zwischen den Bundesländern angegangen werden sollen (vgl. dazu bereits aus dem vergangenen Jahr den Blog-Beitrag Die Hoffnung stirbt zuletzt und wenn, dann in der nächsten Legislaturperiode. (Zwei) Wohlfahrtsverbände und die Gewerkschaft GEW fordern ein „Bundesqualitätsgesetz“ für die Kindertagesbetreuung). Das ist nicht nur höchst problematisch für die Fachkräfte, die in den Kitas arbeiten, es liefert auch Steilvorlagen für die, die aus einer grundsätzlichen Haltung herummäkeln an dem Ausbau der Betreuungsangebote, die ja auch Erziehungs- und Bildungsarbeit leisten (sollen), was in den letzten Jahren im Kontext der quantitativen Expansionsphase irgendwie abhanden gekommen ist.

Bevor wir uns abschließend dieser Spezies widmen sei an dieser Stelle nur wenigstens ein Hinweis auf die besonderen Probleme der Kindertagespflege erlaubt, die zumeist unter dem Tisch fällt in der öffentlichen Debatte, aber auch in der fachwissenschaftlichen und -politischen Diskussion völlig untergewichtet ist. Formal, also nach den Buchstaben und dem Geist des SGB VIII, handelt es sich um eine den Kitas gleichgestellte Form der Betreuung, Erziehung und Bildung der Kinder. Aber die dort arbeitenden Tagespflegepersonen – im vergangenen Jahr wurden seitens der Bundesstatistik 45.000 Tagesmütter und -väter ausgewiesen – stehen vor mehrfachen und sehr speziellen Problemen. Zwei Stichworte: Die Vergütung der Kindertagespflege ist immer noch – bei erheblichen lokalen Schwankungen – teilweise abgründig schlecht, zugleich drohen ihnen ab dem kommenden Jahr erhebliche finanzielle Belastungen bei den Krankenversicherungsbeiträgen und dann sind viele Tagespflegepersonen auch noch damit konfrontiert, dass es vor Ort für sie hoch problematische Konkurrenzbeziehungen gibt, die dazu führen, dass sie an das Ende der „Verwertungskette“ katapultiert werden.

So berichten immer wieder viele Tagespflegepersonen, dass auf Eltern Druck ausgeübt wird, die Kinder „rechtzeitig“, also sehr früh, in die Kitas mit U3-Plätzen zu schicken, denn neben Regionen mit einem weiter bestehenden erheblichen Bedarf gibt es auch Kommunen, in denen es gewissermaßen ein Überangebot an Plätzen in den Einrichtungen gibt. Das hat natürlich mit dem Wunsch- und Wahlrecht der Eltern nichts mehr zu tun und erst recht nicht mit einer Abwägung, was für das einzelne Kind besser wäre. Grundsätzlich – ohne das an dieser Stelle vertiefen zu können – besteht das zentrale Dilemma der Tagespflegepersonen darin, dass sie formal als Selbständige agieren (müssen/sollen/dürfen), faktisch aber durch die fortschreitende Einbindung in ein (allerdings fragwürdig ausgestaltetes) System der öffentlichen Finanzierung immer stärker „verstaatlicht“ werden, was sich beispielsweise festmachen lässt an einem in vielen Bundesländern verhängten Zuzahlungsverbot mit Blick auf die Eltern, was das Geschäftsmodell vieler Tageseltern an den Rand oder darüber hinaus getrieben hat.

Bleibt abschließend noch der bereits angedeutete Hinweis auf die Fraktion derjenigen, die dem ganzen Ansatz eines Ausbaus der Betreuungsangebote nicht selten aus rein ideologischen Motiven ablehnend gegenüber stehen. Viele höchst problematische Entwicklungen in der tatsächlichen Betreuung der kleinen Kinder liefern ihnen Wasser auf ihre Mühlen. Um es an dieser Stelle deutlich zu sagen: Auch Befürworter eines guten Systems der frühkindlichen Bildung und Betreuung weisen seit langem immer wieder darauf hin, dass die Qualitätsmängel – nicht nur, aber auch aufgrund der miserablen Rahmenbedingungen – teilweise zu kindeswohlgefährdenden Situationen für die unter Dreijährigen führen. Das muss nun gerade nicht bedeuten, deshalb den ganzen Ansatz einer Krippen- oder einer Tagespflegebetreuung in Bausch und Bogen zu verdammen, aber es gibt gar nicht so wenige Vertreter dieser Ablehnungsfraktion, die sich durchaus Gehör verschaffen können. Nur ein einziges Beispiel, das aber beliebig erweitert werden könnte: »Der Staat, schreibt Rainer Stadler in seinem Buch über das „Märchen vom Segen der Ganztagsbetreuung“, maßt sich an, der bessere Erzieher unserer Kinder zu sein.

Der Staat, schreibt Rainer Stadler in seinem Buch über das „Märchen vom Segen der Ganztagsbetreuung“, maßt sich an, der bessere Erzieher unserer Kinder zu sein.« So beginnt ein Rezensionsartikel im Tagesspiegel unter der mehr als bündigen Überschrift Krippenwahn. Bei Rainer Stadler handelt es sich um einen Vater zweier Kinder, der im Hauptberuf Redakteur bei der Süddeutschen Zeitung ist. Seine Argumentation kommt auch bei vielen nicht-konservativen Geistern sicher gut an: »Es geht um die Ökonomie, die Kinder sind da im Wege, und die Familie, die sich um diese kleine Menschen selber kümmern will, ist nicht mehr als eine brachliegende Reserve für den Arbeitsmarkt«, schreibt Christine Brinck in ihrer Rezension. Nur eine Fußnote: Die Rezensentin ist selbst Autorin eines Buches mit dem bezeichnenden Titel „Mütterkriege – Werden unsere Kinder verstaatlicht?“, das im Jahr 2007 im Herder-Verlag veröffentlicht worden ist. Stadler adressiert bewusst die Haltung vieler Eltern aus der Mittelschicht, wenn er sich auf Howard Gardners Verdikt bezieht, „dass ein Kind in den ersten vier Jahren beiläufig von seinen Eltern mehr lernt als in der gesamten Schulzeit“. Und dann kommt ein wichtiges Argumentationsmuster, das man auch an vielen anderen Stellen lesen kann und muss:

»Wenn wir von Krippen reden, reden wir von Aufbewahrungs- und Betreuungsorten für sehr kleine Kinder, heute durchaus auch schon halbjährigen Kindern. Die gehören nicht „in die Welt“, sondern auf den Schoß ihrer Mutter. Babys brauchen zunächst nur die vertrauten Allernächsten, um sicher gebunden zu sein und sich dann mit etwa zwei oder drei Jahren auf in die Welt zu machen. „Bindung kommt vor Bildung“, notiert der Bindungsforscher Karl-Heinz Brisch.«

Der aufmerksame Leser wird sich an dieser Stelle an die vom Statistischen Bundesamt präsentierten Fakten über die Inanspruchnahme von Kitas und Tagespflege nach dem Lebensalter der Kinder erinnern. Im ersten Lebensjahr kümmern sich fast ausschließlich die Eltern um ihre Kinder, erst ab dem ersten, vor allem ab dem zweiten Lebensjahr steigt dann die Inanspruchnahme einer stundenweisen, ergänzenden Kinderbetreuung – das sei an dieser Stelle ganz bewusst hervorgehoben und mehrfach unterstrichen, denn nicht selten erwecken die Beiträge aus der Riege der Ablehnungsfraktion den Eindruck, es geht um ein Entweder-Oder, Familie oder Kita, was ja nun keineswegs der Lebensrealität entspricht.

Man sieht, wir bewegen uns weiterhin in einem echten Minenfeld der Gesellschaftspolitik – und das ist deutlich mehr als die Frage nach Quoten und ihrer (Nicht-)Erfüllung.