Beginnen wir mit der nüchternen Berichterstattung des Statistischen Bundesamtes: »Die Zahl der Kinder unter drei Jahren in Kindertagesbetreuung ist zum 1. März 2019 … auf insgesamt 818.500 Kinder gestiegen … die Betreuungsquote (lag) am Stichtag bundesweit bei 34,3 % (2018: 33,6 %). In den westdeutschen Bundesländern betrug sie durchschnittlich 30,3 %. In Ostdeutschland (einschließlich Berlin) lag sie bei 52,1 % … In den einzelnen Altersjahren sind die Betreuungsquoten sehr unterschiedlich: So waren bundesweit 1,9 % der Kinder unter einem Jahr in Kindertagesbetreuung. Dagegen haben die Eltern von gut einem Drittel der Einjährigen (37,1 %) ein Angebot der Kindertagesbetreuung in Anspruch genommen, bei den Zweijährigen waren es schon fast zwei Drittel (63,2 %). Seit dem 1. August 2013 gibt es für Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr einen bundesweiten Rechtsanspruch auf einen öffentlich geförderten Betreuungsplatz.« Und das sind „nur“ die Kinder unter drei Jahren, hinzu kommen die „klassischen“ Kindergartenkinder bis zum Schuleintritt. Dafür braucht man eine Menge Einrichtungen und Personal, wie das Statistische Bundesamt ebenfalls bilanziert: »Anfang März 2019 gab es bundesweit 56.708 Kindertageseinrichtungen … Die Zahl der dort als pädagogisches Personal oder als Leitungs- und Verwaltungspersonal beschäftigten Personen stieg … auf 653.800. Gleichzeitig erhöhte sich auch die Zahl der Tagesmütter und -väter leicht … auf 44.734.«
Eine von oben betrachtet gewaltige Erfolgsgeschichte – der Ausbau der Kindertagesbetreuung in den vergangenen Jahren, vor allem in Westdeutschland
Die Bundesstatistiker haben es in ihrer Pressemitteilung erwähnt – seit dem 1. August 2013 gibt es den Rechtsanspruch auf eine Kindertagesbetreuung ab dem vollendeten ersten Lebensjahr des Kindes. Und viele werden sich noch erinnern können an die mehr als heftigen, oftmals mit mehr oder weniger offen vorgetragenen ideologischen Argumenten grundierten Debatten über Pro und Contra der zeitweisen Kindertagesbetreuung außerhalb der engeren Familie vor dem Rechtsanspruch, der ja schon Jahre vorher beschlossen wurde. Und über die Aufgeregtheiten hinsichtlich eines „Kita-Chaos“, weil in vielen Kommunen die Angebote nicht ausreichen (würden), um die Nachfrage seitens der Eltern bedienen zu können. Dazu ist es ja dann durchaus vielerorts gekommen – und auch wenn die große gesellschaftliche Debatte über den Ausbau der Kindertagesbetreuung vor allem in den Medien verschwunden ist, kämpfen zahlreiche Eltern jeden Tag und oftmals mehr als verzweifelt darum, überhaupt irgendeinen Kita-Platz zu bekommen oder eine Kindertagespflegeperson zu finden.
Im Sommer des Jahres 2019 veröffentlichte die am Deutschen Jugendinstitut (DJI) angesiedelte „Weiterbildungsinitiative Frühkindliche Fachkräfte“ (WIFF) eine Pressemitteilung unter dieser Überschrift: Der Arbeitsmarkt Kindertagesbetreuung erreicht eine neue historische Höchstmarke – Personalfrage gewinnt an Brisanz. Die bezieht sich auf diese umfangreiche Studie: Fachkräftebarometer Frühe Bildung 2019. Das Fachkräftebarometer liefert auf Basis amtlicher Daten ausführliche Informationen über Personal, Arbeitsmarkt, Erwerbssituation sowie Ausbildung und Qualifizierung in der Frühpädagogik.
Und auch hier springen einem die großen Zahlen ins Auge, damals noch mit Bezug auf das Jahr 2018: »Mit fast 770.000 Beschäftigten arbeiteten 2018 mehr Menschen in Kindertageseinrichtungen und in der öffentlich geförderten Kindertagespflege als jemals zuvor. 57.000 junge Menschen werden im Schuljahr 2018/19 voraussichtlich eine Ausbildung abschließen, die zu einer Tätigkeit in der Frühen Bildung befähigt – so viele wie noch nie.« Und man muss die gewaltige Expansion dieses Bereichs in den zurückliegenden Jahren zur Kenntnis nehmen: »Seit 2006 ist die Zahl der pädagogisch und leitend Tätigen um 76% auf aktuell 620.700 gestiegen. Mit der Expansion gewachsen sind auch die Kindertageseinrichtungen und ihre pädagogischen Teams. Die durchschnittliche Anzahl der pädagogisch und leitend Tätigen in den Teams ist von 7,5 im Jahr 2007 auf 11 Personen 2018 gestiegen. In jeder vierten Einrichtung sind Teams mit mehr als 14 Fachkräften tätig. Während die Beschäftigung in Kindertageseinrichtungen anhaltend boomt, verzeichnet die Kindertagespflege dagegen kaum Personalzuwachs. Die Zahl der Tagesmütter und -väter ist im selben Zeitraum nur um 1,6% auf 44.200 gestiegen.«
Das spiegelt sich auch in den Kinderzahlen: »So ist die Zahl der Kita-Kinder unter drei Jahren von 279.000 im Jahr 2007 auf über 665.000 im Jahr 2018 gestiegen. Mittlerweile nehmen vier von fünf Kindertageseinrichtungen auch unter Dreijährige auf.«
Mit Blick auf das pädagogische Personal in den den weit über 50.000 Kitas des Landes dominiert mit Abstand eine Berufsgruppe: Erzieherinnen und Erzieher, die 2018 einen Anteil von 67 Prozent hatten, mit Abstand gefolgt von der Gruppe der Kinderpfleger/innen mit 11 Prozent. Alle anderen Qualifikationen rangieren unter ferner liefen, auch die seit Mitte der 2000er Jahre an einigen Hochschulen ausgebildeten Kindheitspädagogen (1 Prozent des pädagogischen Personals insgesamt).
Die Ausbildung der pädagogischen Fachkräfte – alles gut?
Für die dargestellte Expansion der Kindertagesbetreuung braucht man qualifiziertes Personal und ein erster Blick auf das Ausbildungssystem scheint auch hier hier eine Erfolgsgeschichte anzudeuten: »Um die Zahl der dringend benötigen Nachwuchskräfte weiter zu erhöhen, haben die Länder die Fachschulen für Sozialpädagogik, an denen Erzieherinnen und Erzieher ausgebildet werden, enorm ausgebaut. 32.000 Absolventinnen und Absolventen haben dort im Schuljahr 2016/17 eine Ausbildung abgeschlossen. Eine zuvor nie erreichte Zahl von 38.000 Personen hat im Schuljahr 2017/18 eine Ausbildung zur Erzieherin und zum Erzieher begonnen. Doch die jährlichen Zuwächse bei den Anfängerinnen und Anfängern werden schwächer und auch die demografische Entwicklung zeigt nach unten … Um dennoch genügend angehende Erzieherinnen und Erzieher zu gewinnen, bieten die Länder neben der Regelausbildung, die in Vollzeit und ohne Vergütung erfolgt, weitere Modelle in Teilzeit oder berufsbegleitend, mit und ohne Anstellungsvertrag in einer Einrichtung an. Ein hohes Rekrutierungspotenzial verspricht sich die Politik vor allem durch die vergütete, praxisintegrierte Ausbildung (PIA), die 2018 in Bayern, Baden-Württemberg, Bremen, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein angeboten wurde. In diesen Ländern sind die Anfängerinnen- und Anfängerzahlen im Zeitverlauf insgesamt stabiler.«
Die Wachstumsdynamik der zurückliegenden Jahre hat sich auch bei den Absolventenzahlen niedergeschlagen – allerdings findet man im „Fachkräftebarometer“ die Prognose, dass sich die Zahl der Absolventinnen und Absolventen, die in den nächsten Jahren die Fachschulausbildung beenden wird, auf rund 31.000 Personen pro Jahr einpendeln wird. Hierbei sollte man der Vollständigkeit halber darauf hinweisen, dass die Erzieher/innen-Ausbildung nicht nur für eine Tätigkeit in einer Kindertageseinrichtung qualifiziert, wenngleich hier das Hauptarbeitsfeld liegt. Erzieher/innen finden sich im gesamten System der Kinder- und Jugendhilfe, also auch in vielen Bereichen außerhalb der Kitas wie beispielsweise ambulanten und stationären Jugendhilfe-Angeboten.
Vor dem Hintergrund des generell weiter stark steigenden Personalbedarfs aufgrund einer zunehmenden Nachfrage vor allem im deutlich personalintensiveren Bereich der Kindertagesbetreuung der sehr jungen Kinder kann es nicht überraschen, dass seit längerem zunehmend von teilweise erheblichen Stellenbesetzungsproblemen in den Kitas berichtet wird. Dabei muss man einen Tatbestand berücksichtigen, der in einem benachbarten Arbeitsfeld – hier der Pflege – auch oftmals „vergessen“ wird, wenn mit bundesweiten Zahlen operiert wird: Sowohl in der Pflege wie auch bei den pädagogischen Fachkräften für Kindertageseinrichtungen haben wir keinen relevanten bundesweiten Arbeitsmarkt, in der Regel auch keinen überregionalen, sondern wir sind mit einer Vielzahl an sehr kleinteilig (auf den „Tagespendelbereich“) ausgerichteten Teilarbeitsmärkten konfrontiert. Anders formuliert: Wenn beispielsweise in Frankfurt am Main, Stuttgart oder Ludwigshafen dringend pädagogische Fachkräfte gesucht werden, dann nutzt es in der Regel nichts, wenn man im Hunsrück oder in der Eifel möglicherweise Erzieherinnen hat, die eine Stelle suchen, denn die werden nicht in die genannten Städte umziehen, zum einen aufgrund der vielfach gegebenen familiären Bindungen, zum anderen reden wir hier über Berufsfelder, in denen man finanziell sicher keinen Blumentopf gewinnen kann, wenn man in die genannten Großstädte ziehen würde, ganz im Gegenteil würde man sich mit hoher Wahrscheinlichkeit erheblich verschlechtern.
Das sollte immer auch im Hinterkopf behalten werden, wenn es um die von der Bundesagentur für Arbeit genannten statistischen Größen geht, mit denen von dieser Seite ein (Nicht-)Fachkräftemangel analysiert wird. Also beispielsweise die Relation von gemeldeten offenen Stellen zu den gemeldeten Arbeitslosen in einem bestimmten Berufsfeld.
Die Bundesagentur für Arbeit und ihr Blick auf „den“ Arbeitsmarkt im Bereich der Kindertagesbetreuung
Ein Beispiel für die angedeutete Vorsicht, die man bei den gängigen Analysen der Situation in „einem“ bestimmten Arbeitsmarktausschnitt an den Tag legen sollte, kann man diesem Bericht der Bundesagentur für Arbeit (BA) entnehmen:
➔ Bundesagentur für Arbeit (2019): Fachkräfte in der Kinderbetreuung und -erziehung, Nürnberg, Oktober 2019
»Mit dem stark gestiegenen Fachkräftebedarf geht einher, dass immer häufiger über einen zunehmenden Erziehermangel berichtet wird. Die statistischen Daten lassen keinen eindeutigen Schluss zu: Auf der einen Seite wird die Fachkräfteknappheit an der geringen Zahl an Arbeitslosen deutlich: So signalisiert die berufsspezifische Arbeitslosenquote mit 1,4 Prozent Vollbeschäftigung. Gleichzeitig fällt die Zahl der Arbeitslosen deutlich geringer aus als die Zahl der gemeldeten Arbeitsstellen. Gegen einen allgemeinen Erziehermangel sprechen aber auf der anderen Seite die Vakanzzeiten der gemeldeten Arbeitsstellen für Erzieher(innen). Diese fallen im Vergleich zu anderen Berufsgruppen sehr gering aus.« (BA 2019: 16).
Die BA erläutert zu dem hier bedeutsamen Begriff der „Vakanzzeiten“: »Die Vakanzzeit misst die Zeit vom gewünschten Besetzungstermin bis zur tatsächlichen Abmeldung der Stelle beim Arbeitgeberservice.« Das bedeutet, dass es zum einen hier nur um die den Arbeitsagenturen/Jobcentern auch gemeldeten offenen Stellen geht und noch wichtiger: die Laufzeit einer offenen Stelle nach dieser Statistik darf nicht gleichgesetzt werden mit einer tatsächlichen Besetzung der Stelle, denn die Laufzeit endet mit der „Abmeldung“ als offene Stelle.
Eine neue IAB-Studie: Engpässe bei den Erzieher/innen werden immer deutlicher erkennbar und an Brisanz zunehmen
Die Forschungseinrichtung der Bundesagentur für Arbeit, das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg, hat nun eine hier relevante neue Studie veröffentlicht, mit teilweise anderen Ergebnissen als die aus der Arbeitsmarktberichterstattung der BA:
➔ Anja Warning (2020): Rekrutierungssituation im Beruf der Erzieherin/des Erziehers. Engpässe werden immer stärker sichtbar. IAB-Kurzbericht Nr. 2/2020, Nürnberg 2020
»Die zuletzt wieder gestiegene Anzahl an Geburten, der Ausbau der Betreuungsangebote für Kinder unter drei Jahren und der geplante Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung an Grundschulen wird den Bedarf an Erzieherinnen und Erziehern weiter steigen lassen. Dabei sind bereits heute Fachkräfte in diesem Bereich knapp«, kann man der auf die neue Studie hinweisenden Pressmitteilung des IAB entnehmen, die unter der Überschrift Bedarf an Erzieherinnen und Erziehern steigt weiter veröffentlicht wurde.
»Daten der IAB-Stellenerhebung, einer repräsentativen Arbeitgeberbefragung, zeigen überdurchschnittlich starke Rekrutierungsprobleme im Erzieherberuf. Während es bei Stellenausschreibungen in anderen Berufen durchschnittlich elf Bewerbungen gibt, sind es bei Erzieherstellen nur fünf. Bei der Hälfte der Stellenbesetzungen im Erzieherbereich gibt es aus Arbeitgebersicht Probleme wie zu wenig Bewerbungen oder unzureichende Qualifikationen der Bewerber. Die Personalsuche dauert auch überdurchschnittlich lange: So vergehen im Durchschnitt mehr als 100 Tage zwischen dem Beginn der Suche durch den Arbeitgeber und dem tatsächlichen Arbeitsbeginn der eingestellten Person. Die Besetzung dauert bei anderen Berufen im Schnitt weniger als 90 Tage.«
Und mit Blick auf die vor uns liegenden Jahre wird prägnant formuliert: »Der weitere Ausbau der Kinderbetreuung und das relativ hohe Alter der Beschäftigten in diesem Beruf werden den Bedarf an Fachkräften in naher Zukunft weiter steigern.« (Weiteres) Wachstum und ein allein schon demografisch hoch problematisch großer Ersatzbedarf – so lassen sich zwei bedeutsame Herausforderungen zusammenfassen. Und wir haben hier mit noch keinem Wort darüber gesprochen, welche qualitativen Anforderungen und Weiterentwicklungen bei den Fachkräften eigentlich notwendig wären.
Auch die neue Studie legt den Finger auf eine offene Wunde der sich selbst verstärkenden negativen Prozesse (wie wir sie auch beispielsweise aus der Pflege kennen): »Kindertagesstätten können bei Personalmangel kurzfristig nicht über eine Verringerung der Zahl der zu betreuenden Kinder gegensteuern. Unbesetzte Stellen bringen deshalb besonders hohe Belastungen beim vorhandenen Personal mit sich. Personalmangel gefährdet die Qualität der Bildungsarbeit und nicht zuletzt die Attraktivität des Erzieherberufs«, so Warning (2020:1).
Wenn man dann noch berücksichtigt, dass die beschrieben Überlastung des (noch) vorhandenen Personals auch dadurch gesteigert wird, dass wir bei den Fachkräften in der Kindertagesbetreuung mit einem überdurchschnittlichen Krankenstand konfrontiert sind, was den beschriebenen Problemdruck durch unbesetzte Stellen ergänzt, dann wird in Umrissen erkennbar, dass die Personalprobleme in den konkreten Einrichtungen, bei denen es sich auch oftmals um überschaubar große, also eher kleine Einrichtungen handelt, bereits durch ein oder zwei längere Ausfälle die Betriebsorganisation an den Rand der Handlungsunfähigkeit bringt. Mit allen daraus resultierenden und sich selbst verstärkenden negativen Folgen.
Und man muss an dieser Stelle darauf hinweisen, dass seit langem darauf hingewiesen wird, dass die bestehende Personalausstattung der meisten Kindertageseinrichtungen deutlich zu schlecht ist. So auch die Befunde, die man dem jährlich von der Bertelsmann-Stiftung publizierten Ländermonitoring Frühkindliche Bildungssysteme entnehmen kann. «Die nicht kindgerechte Personalsituation in Kitas ist ein Problem. Zwar hat sich die Zahl der pädagogischen Fachkräfte durch den Kita-Ausbau deutlich erhöht, doch die Personalschlüssel verbessern sich vielerorts zu langsam. Der Personalmangel belastet nicht nur die Kita-Qualität, sondern auch die Erzieherinnen und Erzieher und erschwert es, mehr Menschen für den Beruf zu begeistern«, so die Stiftung unter der Überschrift Kitapersonal braucht bessere Arbeitsbedingungen. Die Personalschlüssel sorgen vielerorts nach wie vor dafür, dass in zahlreichen Kitas nicht kindgerecht betreut werden kann und die Arbeitsbelastung für die Fachkräfte sehr hoch ist. Zum Thema Personalschlüssel vgl. auch diese neue Publikation:
➔ Statistisches Bundesamt (2020): Der Personalschlüssel in Kindertageseinrichtungen 2019. Methodische Grundlagen und aktuelle Ergebnisse, Wiesbaden, Januar 2020.
Und was passiert in der Praxis? Von konzeptionellen Spielereien mit einem Downgrading dessen, was eine Fachkraft ist bis hin zu Seiten- und Quereinsteigern
In diesem Beitrag wurden bereits mehrfach Vergleiche zu den Entwicklungen in der Pflege gezogen. Und der aufmerksame Leser wird sich fragen, ob das, was wir in Teilbereichen der Pflege, vor allem in der Altenpflege als (verzweifelte) Versuche einer Bewältigung der vorhandenen und weiter zunehmenden Mangelsituation beobachten müssen, wie beispielsweise eine (weitere) Absenkung des Qualifikationsniveaus oder der Versuch einer Beseitigung von Fachkraft-Standards (wie der 50-Prozent-Fachkraftquote im Bereich der stationären Altenpflege) auch parallel im angespannten Feld der Beschäftigung in der Kindertagesbetreuung beobachten müssen.
Dazu sollte man auf zwei Entwicklungen aufmerksam machen. Zum einen auf den bekannten (und innerhalb der gegebenen Systemlogik durchaus auch naheliegenden) Versuch, den Begriff „Fachkraft“ dergestalt zu verändern, dass man die tatsächliche Ausfüllung dessen, was eine Fachkraft ist, abzusenken versucht. Hierzu sei auf diese Veröffentlichung verwiesen:
➔ Kirsten Fuchs-Rechlin und Thomas Rauschenbach (2019): Wie aus einer „Fachassistentin“ eine „Fachkraft“ wird – oder: Ist die Erzieherinnenausbildung noch zu retten?, München: Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte (WIFF), 12.12.2019
Dort finden wir diesen, erst einmal unverfänglich daherkommenden Hinweis: »In seiner Sitzung am 20./21.09.2018 September beauftragte der Ausschuss „Berufliche Bildung“ der Kultusministerkonferenz (KMK) eine Ad-hoc-Arbeitsgruppe damit, Empfehlungen und Verfahrensvorschläge zur Weiterentwicklung der Ausbildung zur Erzieherin und zum Erzieher zu erarbeiten.« Da könnte man durchaus auf die Idee kommen, dass es hier um eine Aufwertung des Berufsbildes gehen wird. Aber:
»Auf der Grundlage der Ergebnisse der Ad-hoc-Arbeitsgruppe liegt nun eine Beschlussvorlage vor, die im Wesentlichen darauf fußt, unterhalb der fachschulischen Ausbildung zur staatlich anerkannten Erzieherin bzw. zum staatlich anerkannten Erzieher eine neue dreijährige Ausbildung auf Berufsfachschulniveau zu installieren und die so ausgebildete „staatlich geprüfte Fachassistentin für frühe Bildung und Erziehung“ als Fachkraft im Sinne des SGB VIII für eine Tätigkeit in Kindertageseinrichtungen anzuerkennen. Zugleich soll diese Ausbildung vergütet werden – eine Maßnahme, die eine zusätzliche Zugkraft für potenzielle Schülerinnen und Schüler entfalten dürfte … Folgenreich ist …, dass die zukünftigen Fachassistentinnen und Fachassistenten auf DQR-4-Niveau und nicht mehr wie bislang die Erzieherinnen und Erzieher auf DQR-6-Niveau qualifiziert wären.« Aber es wären halt „Fachkräfte“.
In ihrer Analyse und Bewertung weisen Fuchs-Rechlin/Rauschenbach (2019: 8) darauf hin: »Mit dem neuen Qualifikationsprofil wird der Versuch unternommen, eine primärqualifizierende Ausbildung zu implementieren, die direkt in die Kindertagesbetreuung und dort in eine Tätigkeit als Fachkraft mündet. Die Praxisintegration verspricht eine frühe und (möglicherweise) längerfristige Anbindung an den Anstellungsträger, was sicherlich auch dadurch verstärkt wird, dass den Absolventinnen und Absolventen aufgrund der Spezialisierung auf Kindertagesbetreuung andere Arbeitsfelder der Kinder- und Jugendhilfe tendenziell verschlossen bleiben. Dies macht die Ausbildung jedoch für junge Menschen auch unattraktiver, da sie weniger Optionen für die Gestaltung längerfristiger Berufswege eröffnet.« Dem einen oder anderen werden an dieser Stelle sofort in Analogie zur Pflege die dortigen Aktivitäten einer weiterhin abgesenkten Altenpflege-Ausbildung einfallen.
Fazit: »Mit der Einführung einer grundständigen Ausbildung auf DQR-4-Niveau wird möglicherweise ein sehr viel umfassenderes „Downgrading“ des Arbeitsfeldes Frühe Bildung in Gang gesetzt als das bislang bedacht worden ist. In jedem Fall würde eine solche Umsteuerung auf Ausbildungsebene Prozesse der De-Professionalisierung initiieren, die den Beruf der Erzieherin bzw. des Erziehers noch weiter von allen anderen bildungs- und sozialpädagogischen Berufen entkoppeln würde. Während sich die anderen Arbeitsfelder der Kinder- und Jugendhilfe in den letzten Jahrzehnten längst nach und nach akademisiert haben, tritt die Frühe Bildung in dieser Hinsicht auf der Stelle. Zum Vergleich: Zuletzt lag die Akademikerquote in den Arbeitsfeldern jenseits der Kindertagesbetreuung bei insgesamt 41%, in vielen Arbeitsfeldern sogar deutlich darüber, und in einigen Arbeitsfeldern ist dort mittlerweile im Kern eine Vollakademisierung erreicht … Im Unterschied dazu liegt der Anteil fachlich einschlägig qualifizierter Akademikerinnen und Akademiker im Bereich der Kindertagesbetreuung bei lediglich knapp 6%.« (Fuchs-Rechlin/Rauschenbach 2019: 9)
Und in der Praxis gibt es eine weitere hier zu diskutierende Entwicklung: »Berlin setzt auf „multiprofessionelle Teams“ auch für die ganz Kleinen – darunter zunehmend Quereinsteiger«, so beginnt der Artikel Anteil der „echten“ Erzieher sinkt in den Berliner Kitas von Susanne Leinemann.
»Die Kitas der Hauptstadt werden immer bunter – zumindest, was das Personal angeht. Nur noch 69,7 Prozent der pädagogischen Fachkräfte, die dort die Kinder betreuen, sind klassisch ausgebildete Erzieher. Vor zwei Jahren, 2017, betrug der Anteil noch 74,1 Prozent. Grund dafür ist nicht etwa, dass die Zahl der Erzieherinnen und Erzieher, die in den Berliner Kitas arbeiten, abgenommen hat. Im Gegenteil. Waren es 2018 noch 21.753 klassische Erzieher, sind es 2019 schon 22.701, also tausend Erzieher mehr.Die Kitas der Hauptstadt werden immer bunter – zumindest, was das Personal angeht. Nur noch 69,7 Prozent der pädagogischen Fachkräfte, die dort die Kinder betreuen, sind klassisch ausgebildete Erzieher. Vor zwei Jahren, 2017, betrug der Anteil noch 74,1 Prozent. Grund dafür ist nicht etwa, dass die Zahl der Erzieherinnen und Erzieher, die in den Berliner Kitas arbeiten, abgenommen hat. Im Gegenteil. Waren es 2018 noch 21.753 klassische Erzieher, sind es 2019 schon 22.701, also tausend Erzieher mehr.« Anders formuliert: Die Zahl der Mitarbeiter, die einen anderen beruflichen oder pädagogischen Hintergrund haben, steigt. Was ja erst einmal nicht unbedingt schlecht sein muss.
Schauen wir aber genauer hin: »Beispielsweise verdoppelte sich die Zahl der Sozialassistenten in zwei Jahren auf 736. Anders als bei der Erzieherausbildung ist hier kein Abitur Voraussetzung, sondern es reicht ein Mittlerer Schulabschluss (MSA) oder eine Berufsbildungsreife (BBR), die dem früheren Hauptschulabschluss entspricht. Allerdings dürfen Sozialassistenten nur begrenzt in Kitas eingesetzt werden, also beispielsweise nicht alleinverantwortlich eine Gruppe betreuen. Auch die Gruppe der „sonstigen sozialpädagogischen Kurzausbildungen“ oder „sonstigen Berufsbildungsabschlüsse“ hat zugenommen. Die größte wachsende Gruppe ist allerdings die der „noch in Berufsausbildung“ befindlichen – also der fachfremden Quereinsteiger. Ihr Anteil beträgt 12,4 Prozent des Kita-Personals, in absoluten Zahlen sind das 4032 neue Mitarbeiter. Sie machen eine berufsbegleitende Ausbildung zur Erzieherin oder zum Erzieher, besuchen nur an zwei Tagen die Fachschulen. Die klassische Erzieherausbildung findet dagegen – außer in den Praktikumsphasen – ausschließlich in den Fachschulen für Sozialpädagogik statt. Dann gibt es noch die Quereinsteiger aus den „verwandten Berufen“ wie Ergotherapie und Logopädie, die lediglich eine gewisse Anzahl an Weiterbildungsstunden machen müssen, um danach als vollwertige Erzieher zu gelten.«
Das wird durchaus kritisch gesehen, beispielsweise von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW): »Maximal 33 Prozent „fachfremdes Personal“ dürfe in einer Kita eingesetzt werden. „Gerade freie Träger machen davon Gebrauch“, sagt die Berliner GEW-Vorsitzende Doreen Siebernik. Denn häufig zahlten sie unter Tarif und kämen so auf dem Arbeitsmarkt schlechter an gut ausgebildete Erzieher. Die GEW klagt auch, dass Quereinsteigende genauso wie die nur kurz ausgebildeten Sozialassistenten im System sofort als vollwertige Fachkräfte liefen.«
Dabei geht es nicht um eine grundsätzliche Abwehr des Ansatzes einer Mischung von Professionen, was im Kern dem eigentlichen Gedanken multiprofessioneller Teams zugrundeliegt. „Von den Menschen her ist es für die Kitas oft eine Bereicherung, was allerdings die pädagogische Ausbildung angeht, sind es Lernende“, wird Doreen Siebernik zitiert. Deshalb dürfe man sie nicht gleich zu 100 Prozent auf den Personalschlüssel anrechnen, nur damit die Statistik stimmt.«
Die Wahrscheinlichkeit, dass man weiter in die angesprochene Entwicklungsrichtung marschieren wird, ist vor diesem Hintergrund hoch: »Der Druck auf den Kitaausbau in Berlin ist weiterhin groß, Kitaplätze werden in größerer Zahl gebraucht. Die Senatsverwaltung für Bildung geht davon aus, „dass in den nächsten zweieinhalb Jahren voraussichtlich weitere rund 3.000 Erzieher (Vollzeitstellen)“ benötigt werden.«
Und bei allen Problemen, die man bereits im bestehenden und weiter expandierenden Feld der Kindertagesbetreuung im engeren Sinne, also vor dem Schuleintritt, mit der Besetzung der damit verbundenen offenen Stellen hat, sollten wir nicht aus den Augen verlieren, dass die nächste Großbaustelle bereits in Vorbereitung ist: die geplante und im Koalitionsvertrag vereinbarte Einführung eines Rechtsanspruchs auf eine Ganztagsbetreuung im Grundschulbereich. Auch wenn es da derzeit noch an mehreren Stellen hakt – hier würde dann der eine auf den anderen Fachkräftemangel stoßen, also der Mangel an Grundschullehrern würde sich vereinigen mit dem Mangel an Erzieher/innen, die man für die realistische Umsetzung dieses Rechtsanspruchs in großem Umfang an den Schulen benötigen würde.