Vom theoretischen Irrweg einer Kapitaldeckung der Renten über die praktizierte Stärkung der Teilkapitaldeckung bis hin zu der Tatsache, dass wir alle Gefangene unserer Kohorte sind

Es ist ein ewiges (und immer wieder falsch formuliertes) Thema der Alterssicherungspolitik: Umlage- oder Kapitaldeckungsverfahren? Besonnen daherkommende Stimmen plädieren für ein Sowohl-als-auch und verweisen auf die intuitiv plausibel daherkommende Lebensweisheit, dass man erfahrungsgemäß nicht alle Eier in einen Korb legen sollte. In der gerade zu Ende gegangenen Legislaturperiode hat die Große Koalition aus Union und Sozialdemokratie versucht, die Teilkapitaldeckung im deutschen Alterssicherungssystem am Ende noch durch einen groß angelegten Wurf der Reform der Betriebsrenten zu stärken – und als man schon dabei war, die Anreize für „Betriebsrenten“ (die faktisch über den Mechanismus der Entgeltumwandlung in der Regel von den Arbeitnehmern selbst finanzierte „Betriebsrenten“ sind) zu erhöhen, hat man gleich auch noch den kränkelnden Riester-Renten einen Schuss gesetzt (vgl. dazu Die halbierte Betriebsrentenreform, eine „kommunikative Herausforderung“ gegenüber den Arbeitnehmern und das von vielen totgesagte Pferd Riester wird erneut gedopt vom 3. Juni 2017 sowie Private Altersvorsorge: Von einem toten Pferd, das man weiter pampert bis zu unattraktiven Riester-Sparern, denen gekündigt wird vom 27. Oktober 2017).

Man braucht nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, dass bei den nun anstehenden Beratungen über den Themenkomplex Rente im Rahmen der Sondierungsgespräche zwischen Union, FDP und Grüne auch das Thema weitere Förderung und Ausbau der Kapitaldeckung in der Alterssicherung aufgerufen wird. Dafür spricht, dass die in Hessen seit längerem gemeinsam miteinander regierenden Christdemokraten und Grüne mit dem Konzept der „Deutschland-Rente“ (vgl. dazu bereits den Beitrag Riester in Rente und endlich eine „faire private Altersvorsorge“? Die „Deutschland-Rente“ schafft es immerhin schon in den Bundestag vom 29. Januar 2016) einen gemeinsamen Vorstoß gemacht haben, den man nun aufgreifen kann und der sicher im Grundsatz auch auf Resonanz bei der FDP stoßen wird (der es im Zweifelsfall dann eher um eine angemessene Beteiligung der privaten Versicherungswirtschaft gehen wird bei der konkreten Ausgestaltung.

Das sind Momente, wo es sich immer wieder lohnt, einmal grundsätzlicher auf das Thema zu schauen und sich nicht sofort in die Tiefen respektive Untiefen der aktuellen Diskussion bestimmter Modelle runterziehen zu lassen.

Das versuchen auch David Mum und Erik Türk in ihrer Veröffentlichung „Kapitaldeckung“ der Rente – ein Irrweg?, die von der Friedrich-Ebert-Stiftung herausgegeben wurde. Sie stoßen sich gleich am Anfang an der Semantik. „Kapitaldeckungsverfahren“ suggeriere eine vermeintliche Sicherheit, die so nicht existiert. Nach Auffassung der beiden Autoren sei es »viel passender, von  finanzmarktabhängigen als von „kapitalgedeckten“ Systemen zu sprechen.«

An dieser Stelle sei nur darauf hingewiesen, dass das keine rein  akademische Wortklauberei ist. Denn viele Menschen (und darunter selbst Ökonomen) verbinden mit der Begrifflichkeit Kapitaldeckungsverfahren, dass die Ansprüche der Rentner mit (realem) Kapital gedeckt sind und man eben nicht wie im Umlageverfahren darauf angewiesen ist, dass die Jüngeren später einmal die Rentenansprüche, die man in einem Umlagesystem erworben hat, auch einzulösen bereit sind. Dahinter steckt – überaus wirkkräftig – das, was ich das „Sparbuch-Modell“ nenne, also den Transfer des individuellen Sparens auf die Rente. Man legt heute Geld zurück (auf einem Sparbuch), das man dann einlösen kann, wenn man es im Alter braucht. Dieses Geld ist auf einem konkreten, der Einzelperson zurechenbaren Konto und wächst nicht nur durch die Einzahlungen im Laufe der Zeit, sondern auch durch den Zins und Zinseszins. Das ist eine „Erzählung“, die gerade bei den vielen risikoaversen und dem Sparen gleichsam genetisch zugewandten Deutschen auf einen besonders fruchtbaren Boden fällt. Der zugleich allerdings etwas verseucht wurde durch die Erfahrungen, die aus und nach der großen Finanzkrise 2007/08 berichtet wurden. Trotzdem suggeriert die Story von der Kapitaldeckung ein angenehmes Gefühl, nicht mehr einem unüberschaubaren Kollektiv ausgeliefert zu sein, dass dann für mic sorgen muss, wenn ich alt und auf das Geld angewiesen bin. Aber die Betroffenen können es drehen und wenden wie sie wollen – auch in der Kapitaldeckung sind sie der Tatsache ausgeliefert, dass alles eine Frage von Angebot und Nachfrage ist. Anders ausgedrückt: Wenn nur einige oder eine überschaubare Zahl spart, dann können die durchaus ansehnliche Renditen aus ihrem individuellen Sparkapital erwirtschaften. Was aber, wenn das Millionen Arbeitnehmer machen (müssen)? Was, wen die auch noch wie die Baby Boomer in großer Zahl in die Rente gehen und dann alle gemeinsam darauf angewiesen sind, dass ihre Sparbeträge, die in den Jahren davor angelegt worden sind, nunmehr von den Investments wieder gelöst werden müssen, um das Geld auszahlen zu können? Denn auch hier zeigt sich der theoretische Irrweg der Apologeten einer Kapitaldeckung, die suggerieren, es handele sich hier um Kapital, dass man ja individuell angespart hat und dass auch nicht für andere, sondern nur für die einzelnen Sparer verwendet werden kann. Wenn nun viele einzelne Sparer gemeinsam in den Ruhestand gehen und die Anlagen aufgelöst bzw. kapitalisiert werden müssen, das aber gleichzeitig auf wenige Aktive trifft, die sich ja auch hier beteiligen müssen, in dem sie kaufen und darüber das Geld zur Verfügung stellen, dann kann man sich vorstellen, was passiert: Der Preis sinkt und die Sparer werden sehr verdutzt in die Landschaft schauen, denn sie werden nicht das bekommen (können), was sie sich erhofft oder was ihnen in Aussicht gestellt worden ist.

Mum und Türk schreiben dazu passend: »Entscheidend für die (künftige) „Leistbarkeit“ ist vor allem die Höhe der (künftigen) Wertschöpfung (BIP).« Und sie machen einen weiteren Punkt bei der Kritik der scheinbaren Gegenüberstellung von Umlage- versus Kapitaldeckung:

»Die Tatsache, dass in einem Umlagesystem die Beiträge nicht auf Finanzmärkten veranlagt werden, impliziert keineswegs, dass sich die Finanzierung auf die Lohnsumme oder die Erwerbseinkommen beschränken muss. Öffentliche Rentensysteme können auch andere Einkommensquellen heranziehen, wozu es lediglich eines ausreichend hohen steuerfinanzierten Beitrags bedarf. Die Besteuerung von Vermögen und Kapitaleinkommen erschließt diese Finanzierungsquellen, ohne dass deswegen selbst Kapital veranlagt werden müsste.«

Die (potenzielle) Finanzierungsbasis eines umlagefinanzierten Rentensystems ist das BIP – aber diese »breite Finanzierungsbasis lässt sich nicht dadurch erweitern, dass man die Rentenauszahlung organisatorisch auf mehrere Säulen aufteilt.«

Und dann kommt ein Hauptargument von Mum/Türk:

»Mit zunehmender Gewichtung „kapitalgedeckter“ Renten steigt jedoch die Abhängigkeit von Finanzmarktentwicklungen und damit auch die Unsicherheit künftiger Rentenhöhen. Denn während sich die nominelle Wertschöpfung relativ stetig entwickelt, unterliegen Finanzmarkterträge extremen Schwankungen.«

An dieser Stelle kann man an meinen Beitrag vom 2. April 2016 erinnern: Die letzten Zuckungen der Riester-Rente und die Zerstörung der Illusion eines schönen kapitalgedeckten Lebens im Alter, wenn es viele machen (wollen/sollen/müssen) und nicht nur einige. Dort findet man diesen Hinweis:
Das hier angesprochene Problem ist keine neue Erkenntnis, sondern wird seit vielen Jahren in der Fachdiskussion aufgeworfen. Man schaue sich dazu nur diese Veröffentlichung an, die aus dem Jahr 2001 stammt:

Andreas Heigl und Martin Katheder: Age Wave – Zur Demographieanfälligkeit von Aktienmärkten. Policy Brief 4/2001, München: Hypovereinsbank, 2001

Ihre Argumentation damals, im Jahr 2001 (also in der Zeit, in der die damaligen Schröder-Regierung das Loblied der kapitalgedeckten Altersvorsorge gesungen hat), ging so: Insbesondere die Generation der heute 30- bis 50-jährigen muss mit niedrigeren Renditen für ihre Geldanlage in die Aktienmärkte rechnen. Denn auch die Kapitaldeckung ist im Zuge der demografischen Alterung ähnlichen Risiken ausgesetzt wie die umlagefinanzierten Alterssicherungssysteme. Ursächlich hierfür ist das sich künftig deutlich verschlechternde Verhältnis von Sparern zu Entsparern („Age Wave“).

Man kann das auch so ausdrücken: Wir sind alle Gefangene unserer Kohorte. Wenn also größere Summen von den Vorsorgenden eingesammelt werden, um diese rentierlich anzulegen und dann, wenn das Alter gekommen ist, die vereinbarten und die in Aussicht gestellten Beträge auch auszahlen zu können, dann braucht man Abnehmer für die Sachen, in die man Geld angelegt hat, beispielsweise in Immobilien oder in Aktien. Und was, wenn es zu diesem Zeitpunkt gar nicht genug Abnehmer gibt oder geben kann, weil deren Zahl deutlich niedriger ist als es in der Vergangenheit noch war.
Die bedingungslosen Befürworter dieses Modells würden an dieser Stelle darauf verweisen, dass das alles kein Problem sei, weil man ja bei der Anlage des Kapitals nicht auf Europa oder nur Deutschland angewiesen sei, sondern das Kapital sehr bereit streuen könnte.

Das ist ein zentraler Punkt. Hier kann man die berühmte „Mackenroth-These“ in den Raum stellen, also die oft zitierte Formulierung des Ökonomen, Soziologen und Bevölkerungswissenschaftlers Gerhard Mackenroth, der 1952 – im Vorfeld der „großen Rentenreform“ von 1957 – geschrieben hat: »Nun gilt der einfache und klare Satz, dass aller Sozialaufwand immer aus dem Volkseinkommen der laufenden Periode gedeckt werden muss. Es gibt gar keine andere Quelle und hat nie eine andere Quelle gegeben, aus der der Sozialaufwand fließen könnte, es gibt keine Ansammlung von Periode zu Periode, kein „Sparen“ im privatwirtschaftlichen Sinne, es gibt einfach gar nichts anderes als das laufende Volkseinkommen als Quelle für den Sozialaufwand.« Das gilt aber eben auch für die angebliche Kapitaldeckung. Das hat bei den Apologeten einer stärkeren Kapitaldeckung schon immer für Missmut gesorgt und sie haben versucht, diese volkswirtschaftliche Grundtatsache zu desavouieren.

Ein Beispiel dafür ist Bert Rürup, der frühere „Super-Berater“ der rot-grünen Ära, dessen Einfluss so weit ging, dass eine kapitalgedeckte Variante nach ihm benannt wurde („Rürup-Rente“). Der hat 2016 diesen Text veröffentlicht: „Mackenroths Theorem“: Ein Zombie der Rentenpolitik – und disqualifiziert sich schon selbst mit der Überschrift. Natürlich kann auch Rürup die Selbstverständlichkeit nicht leugnen, versucht sich aber sogleich zu verkleinern, wenn er schreibt: »Der Satz, dass „aller Sozialaufwand immer aus dem Volkseinkommen der laufenden Periode gedeckt werden muss“, ist so zutreffend wie banal … Insoweit hatte Mackenroth zweifellos Recht.« Banal ist das gerade heute eben nicht. Dann aber kommt Rürup mit seinem eigentlichen Argument: »Die Aussage, dass Kapitaldeckung und Umlageverfahren nicht wesentlich verschieden seien und es volkswirtschaftlich immer nur ein Umlageverfahren gäbe, ist jedoch unzutreffend.« Und wir verortet er den entscheidenden Unterschied? Seine Argumentation wird von vielen Ökonomen sicher gerne kopiert und geteilt werden: »Die von den Versicherungen, Fonds oder Banken erzielten Vermögenseinkommen stammen dagegen aus der Anlage der Versicherungsprämien in deutsche und ausländische Staatsanleihen sowie aus Gewinnausschüttungen nicht nur in Deutschland tätiger Unternehmen, sondern zu einem beachtlichen Teil auch von Investitionen in anderen Ländern – in Anleihen, Beteiligungen an Unternehmen oder an Fonds. Kurzum, die mit Prämien an ein kapitalgedecktes System erworbenen Ansprüche werden aus völlig anderen Quellen und von einem anderen Personenkreis bedient als die aus den Beiträgen an eine umlagefinanzierte Rentenversicherung gezahlten Ansprüche.«

An dieser Stelle komme ich zurück zu der Arbeit von Heigl/Katheder (2001). Schon damals wurde mit Blick auf deren Studie darauf hingewiesen:

»Als möglicher Ausweg wird oft ein verstärkter Kapitaltransfer in demographisch junge Länder mit hohem Wachstumspotenzial ins Feld geführt. Sie sollen mit den späteren Erträgen die Ruheständler der westlichen Industrienationen versorgen („demographische Arbitrage“). Hier sind die Autoren aber skeptisch: Zum einen sind die Schwellenländer kaum in der Lage, das riesige Kapitalvolumen auch zu absorbieren. Wenn sich für die zufließenden Summen keine rentablen Investitionsmöglichkeiten mehr finden, kann die makroökonomische Stabilität sogar gefährdet sein.«

Man kann es auch so ausdrücken: Wenn ein enormes Angebot an Anlagen in der Auszahlungsphase auf eine aus welchen Gründen auch immer deutlich niedrigere Nachfrage stößt, dann muss nach allen Regeln der Ökonomie der Preis sinken.

Und wem das alles zu „alt“ und „abgehangen“ daherkommt, der kann einen Blick in die aktuelle Wirtschaftspresse werfen. Empfohlen sei hier exemplarisch der Beitrag Retiring baby boomers are going to have a huge impact on the economy von Stephen McBride, der am 14. September 2017 auf den Seiten es World Economic Forum veröffentlicht wurde. Der Beitrag bezieht sich auf die USA, wie die Generation der Baby Boomer der in Deutschland um einige Jahre voraus ist: »The first Baby Boomers turned 70 last year. At the same time, the US fertility rate is at its lowest point since records began in 1909. This disastrous combination means by 2030, those aged 65 and older will make up over 20% of the population.«

Die hier besonders relevante Argumentation in dem Artikel geht so:

»According to BlackRock, the average Boomer has only $136,000 saved for retirement. Even assuming 7% returns—when they’re more like 2%—it’s a yearly income of only $9,000. That’s $36,000 shy of the ideal retirement income.

This huge funding gap in pensions means Boomers will be forced to look for income elsewhere. Historically, that has come from bonds.«

Und hier kommen wir dann wieder zurück zu Angebot und Nachfrage, denn McBride weist darauf hin, dass es »trouble for the stock market as Boomers have 70% of their portfolios in equities« bedeutet. 2016 waren 37% der US-amerikanischen Aktien gebunden in der privaten Altersvorsorge. Und dann kommt der Schlüsselsatz, den man an Heigl/Katheder (2001) problemlos andocken kann:

»Therefore, this wave of forced selling will flood the market with billions of dollars’ worth of equities and bonds, which will push down prices.«

Und der Verfasser gibt den Investoren noch einen guten Ratschlag mit auf den Weg: »With millions of retirees forced to divest their portfolios over the next decade, and markets sitting at all-time highs, investors should start thinking about exit strategies.«

Das hört sich wahrlich nicht nach einem sicheren Hafen für die Altersvorsorge von Millionen Menschen an.

Am Anfang des Beitrags wurde die Idee der „Deutschland-Rente“ angesprochen, einem „schwarz-grünen“ Projekt sozusagen. Was soll das sein? Vorgeschlagen wird eine einfache, sichere und günstige zusätzliche Altersvorsorge, ein Standardprodukt für jedermann.  Sie wird zum Selbstkostenpreis von einem zentralen Rentenfonds verwaltet, damit das Geld, das Bürger für ihre zusätzliche Altersvorsorge beiseite legen, sicher vor überteuerten Angeboten ist. Sie sorgt für Orientierung in einem unübersichtlichen Markt, schafft Vertrauen und hilft vor allem, der Altersarmut vorzubeugen. Der Staat organisiert sie und steht dafür mit seinem guten Namen – deshalb der Name „Deutschland-Rente“. Die Anlage der eingezahlten Beiträge obliegt dem Deutschlandfonds, einem eigenständigen zentralen Rentenfonds, der ohne eigenes Gewinninteresse auf Selbstkostenbasis arbeitet und geschützt vor politischem Zugriff ist.

Das hört sich doch vernünftig an – und immer wieder wird in diesem Kontext darauf verwiesen, dass es doch so etwas in anderen Ländern geben würde. Norwegen, Schweden und Dänemark – also wieder einmal die skandinavischen Länder – werden hier gerne genannt.

Wie immer lohnt es sich, auch hier genauer hinzuschauen. Das hat Christoph Freudenberg gemacht, mit seinem Aufsatz „Staatliche Fonds und Alterssicherung: Erfahrungen anderer Länder“, der in der Zeitschrift „Deutsche Rentenversicherung“, Heft 3/2017, S. 292 ff. veröffentlicht worden ist.
Der Zusammenfassung kann man entnehmen:

»In den jüngsten Jahren forderten unterschiedliche rentenpolitische Akteure die Einrichtung eines staatlichen Fonds zur Anlage individueller Altersersparnisse. Dabei verwiesen die Befürworter auf die guten Erfahrungen in anderen Ländern. Der vorliegende Beitrag wirft daher einen Blick auf die Ausgestaltung von staatlichen Fonds im internationalen Vergleich. Ein besonderer Fokus wird auf den norwegischen Staatsfonds, den schwedischen AP7-Fonds sowie den dänischen, sozialpartnerschaftlich geprägten ATP-Fonds gelegt. Dabei zeigt sich, wie unterschiedlich diese Fonds ausgestaltet sind, insbesondere im Hinblick auf ihre Zielsetzung und Anlagestrategie. Ein Augenmerk verdient das schwedische und dänische Modell. Beide überzeugen durch ihre geringe Kostenstruktur. Nichtsdestotrotz kommt der Autor zu dem Schluss, dass eine Übertragbarkeit dieser Modelle auf Deutschland nicht ohne Weiteres möglich ist.«

Freudenberg hat in seiner Untersuchung festgestellt, dass viele Staatsfonds gar keinen Rentenbezug aufweisen und für andere Ziele wie beispielsweise der Stabilisierung der heimischen Wirtschaft genutzt werden. Und beschränkt man den Blick auf öffentliche Fonds mit einem Rentenbezug, dann zeigt sich

»dass auch diese überwiegend nicht zur Anlage individueller Altersvorsorgeersparnisse (Rentenanlagefonds) genutzt werden. Vielmehr dienst das Gros dieser Fonds zur mittel- beziehungsweise langfristigen Finanzierung der öffentlichen umlagefinanzierten Rentensysteme (Rentenreservefonds).« (Freudenberg 2017: 308 f.)

Hier nur einige wenige Aspekte aus der Analyse von Freudenberg: Der vielzitierte norwegische Staatsfonds kann kaum als Vorbild für die jüngere deutsche Diskussion dienen, denn der ähnelt eher einem Rentenreservefonds, der die absehbaren demografischen Lasten abfedern soll.

Ein mögliches Referenzmodell findet man hingegen in Schweden. Seit 1999 gibt es dort mit dem staatlich verwalteten AP7-Fonds ein Standardprodukt als Alternative zu privatwirtschaftlichen Sparverträgen. Rund die Hälfte der schwedischen Erwerbspersonen sorgt über diesen Fonds kapitalgedeckt für das Alter vor. Dieser Fonds hat interessanterweise in den letzten Jahren besser abgeschnitten als der Durchschnitt der privaten Anbieter, was Renditen und Kosten angeht. Man muss allerdings darauf hinweisen, dass der Fonds eine eher riskante Anlagestrategie verfolgt. Es gibt keine Ertragsgarantien, bis zum Alter von 50 Jahren wird das Sparvermögen ausschließlich in Aktien investiert und es werden Finanzhebel eingesetzt.

Der ebenfalls untersuchte ATP-Fonds in Dänemark umfasst nahezu die gesamte Bevölkerung inklusive der Sozialleistungsempfänger. Anders als in Schweden gehen die Dänen deutlich sicherheitsorientierter vor. Interessant sind auch die Entscheidungsstrukturen in diesem Fonds, werden doch fast alle wesentlichen Entscheidungen von den Sozialpartnern, also Gewerkschaften und Arbeitgebern, getroffen.

Beachtlich sind die sehr geringen Anlage- und Verwaltungskosten der Fonds. Aber das bedeutet nicht, dass staatliche Fonds per se effizienter arbeiten als private Anbieter. Dazu Freudenberg (2017: 310):

»Es ist anzunehmen, dass die quasi verpflichtende Teilnahme aller Beschäftigten in diesen Fonds entscheidend für die beobachtete Kosteneffizienz ist. Im Umkehrschluss ist es fraglich, ob die Einführung eines staatlichen Rentenanlagefonds in  Deutschland ohne eine solche (quasi) verpflichtende Teilnahme ähnlich gute Ergebnisse im Hinblick auf Kosteneffizienz liefern würde.«

Und dann bleibt noch ein weiterer Aspekt offen: Norwegen, Schweden und Dänemark sind überschaubare Volkswirtschaften mit einer zahlenmäßig begrenzten Grundgesamtheit. Was aber, wenn in Deutschland genau so gespart und Kapital angelegt werden soll wie in diesen kleinen Ländern? Wir hätten es in Deutschland  mit einer ganz anderen Zahl und damit runden auch einem ganz anderen Volumen an Anlage und Rendite suchenden Kapital zu tun.

Man kann es drehen und wenden wie man will. Es wäre besser, wenn die zukünftige Bundesregierung ihr Augenmerk auf die Stärkung der Gesetzlichen Rentenversicherung und dabei auf die Beantwortung der Frage, wie man die Finanzierungsbasis der GRV endlich wegverlagern kann von der Belastung des Faktors sozialversicherungspflichtige Arbeit (und die auch noch begrenzt bis zur Beitragsbemessungsgrenze) hin zu einer Abbildung der tatsächlichen (und wachsenden) Wertschöpfung in der Finanzierungsarchitektur.

Private Altersvorsorge: Von einem toten Pferd, das man weiter pampert bis zu unattraktiven Riester-Sparern, denen gekündigt wird

Die Riester-Rente ist eine vom Staat durch Zulagen sowie Möglichkeiten des Sonderausgabenabzugs in Höhe von mehreren Milliarden Euro jährlich aus Steuermitteln geförderte, privat finanzierte Rente in Deutschland. Sie wurde im Zuge des rentenpolitischen Paradigmenwechsels der damaligen rot-grünen Bundesregierung Anfang des neuen Jahrtausends  eingeführt und soll (auf freiwilliger Basis) die (zwangsweise für alle) durch Kürzung der umlagefinanzierten gesetzlichen Rentenversicherung gerissenen Sicherungslücken kompensieren. In den vergangenen Jahren sind durch immer wiederkehrende kritische Berichterstattung über Sinn und Unsinn der Riester-Rente die Akzeptanz und Resonanzboden geschrumpft worden. Und seit der Finanzkrise und der seitdem anhaltenden Niedrig-, Null- und Negativzinspolitik der EZB wird zunehmend deutlicher erkennbar, dass das kein besonders attraktives Geschäft mehr ist – selbst für viele Versicherer und Banken, die bislang und immer noch an der staatlichen Subventionierung ihrer Produkte über Abschluss- und Vertriebskosten ordentlich verdient haben. Und das bei überschaubaren Sicherheiten für die Riester-Kunden. So verlangt beispielsweise das  Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetz, dessen Anforderungen die Riester-Verträge erfüllen müssen, dass zu Beginn der Auszahlungsphase mindestens die Summe der eingezahlten Beiträge (Eigenleistung + staatliche Zulage) garantiert werden muss. Nun wird das Geld zu einem späteren Zeitpunkt, der bei jüngeren Sparern Jahrzehnte später sein kann, auch weniger wert sein, so dass die Kaufkraft der garantierten Leistungen unterhalb der zuvor entrichteten Beiträge liegen wird.

Das Geschäft der Finanzindustrie mit dieser aus Steuermitteln gepamperten Altersvorsorge-Variante ist merklich eingebrochen und bei vielen Menschen ist angekommen, dass das hochproblematische Produkte sind. Man erkennt das nicht nur, wenn man einen Blick wirft auf die Statistik der Zahl der Riester-Verträge insgesamt, die offensichtlich den Sättigungspunkt erreicht hat und zum Sinkflug ansetzt, sondern auch bei Berücksichtigung der Tatsache, dass selbst nach offiziellen Schätzungen des BMAS (mindestens) ein Fünftel aller Riester-Verträge „ruhend“ gestellt, also die Sparer zahlen keine Beiträge mehr ein.

Man kann der Politik wahrlich nicht vorwerfen, dass sie keine Anstrengungen unternimmt, um den schleichenden Tod der Riester-Rente zu stoppen: Man dopt das totgesagte Pferd, natürlich wieder mit Steuermitteln und weiteren Anreizen zur Aufhübschung des Produkts, zuletzt geschehen durch das „Betriebsrentenstärkungsgesetz“ der sozialdemokratischen Arbeitsministerin Andrea Nahles (vgl. dazu den Beitrag Die halbierte Betriebsrentenreform, eine „kommunikative Herausforderung“ gegenüber den Arbeitnehmern und das von vielen totgesagte Pferd Riester wird erneut gedopt vom 3. Juni 2017):

  • Die staatliche Förderung für die  Riester-Rente steigt. Die Grundzulage wurde von 154  Euro im Jahr  auf 175 Euro angehoben.
  • Von weitreichender Bedeutung ist diese Komponente: Betriebliche und private Riester-Renten werden künftig nicht mehr voll auf die Grundsicherung im Alter (Mindestrente auf Niveau von Hartz-IV) und bei Erwerbsminderung angerechnet.  Künftig können die Betroffenen aus diesen Renten bis zu 202 Euro monatlich anrechnungsfrei behalten. Der Betrag wird mit den Regelsätzen dynamisiert. Das ist ein massiver Eingriff in die bisherige Architektur mit einer expliziten Besserstellung (nur) der Riester-Renten gegenüber allen anderen Einkommensarten (vgl. dazu ausführlicher den Beitrag Solche und andere Rentner. Zur partikularen Privilegierung der kapitalgedeckten Altersvorsorge in der Grundsicherung und den damit verbundenen offenen Fragen vom 10. Juni 2017).

Aber allen staatlichen Wiederbelebungsversuchen zum Trotz – nicht nur auf der Nachfrageseite gibt es Ernüchterung, Enttäuschung und Rückzug, das gleiche wird auch von der Angebotsseite berichtet: Mehrere Versicherer stellen Riester-Neugeschäft ein, so ist beispielsweise ein Artikel das überschrieben: »Sieben Versicherer nahmen demnach zum 1. Januar 2017 Riester-Verträge ganz oder teilweise aus dem Programm. Anderen Gesellschaften haben ihr maximales Eintrittsalter herabgesetzt, so dass ältere Sparer keinen Vertrag mehr erhalten.«

Aber auch hier gibt es offensichtlich noch Steigerungspotenzial: Privatbank kündigt Riester-Verträge, berichtet das Wirtschaftsmagazin Capital. Man kann das durchaus als Tabubruch und Vorstoßversuch in eine neue Dimension der Abwicklung schlecht gewordener Risiken verstehen: »Eigentlich sind Riester-Verträge unkündbar. Die Hamburger Privatbank Donner & Reuschel kündigt trotzdem. Zwei Bundesministerien wollen notfalls dagegen vorgehen.«

Sowohl das Bundesarbeitsministerium wie auch das Bundesfinanzministerium erklärten, »Versicherungen und Banken dürften Riester-Policen nur unter äußerst strengen Bedingungen kündigen. Notfalls müsse der Gesetzgeber einschreiten.« Wie stellt sich der Sachverhalt dar?

Die »Hamburger Privatbank Donner & Reuschel, eine Tochter des Versicherungskonzerns Signal Iduna, (hat) in den vergangenen Monaten gut 130 Kunden mit einem Riester-Sparplan nahegelegt, in eine andere Riester-Versicherung des Iduna-Konzerns zu wechseln. Kunden, die dieses Angebot ablehnten, kündigte die Bank außerordentlich. Es dürfte das erste Mal überhaupt sein, dass ein Riester-Anbieter versucht, solche Verträge zu beenden. Wegen der hohen staatlichen Zuschüsse und der besonderen Vorsorgefunktion von Riester-Renten hatte der Gesetzgeber solche Kündigungen komplett ausschließen wollen.«

Und wie begründet der Anbieter seinen eigentlich nicht zulässigen Schritt? Er hat offensichtlich in das BGB geschaut und meint, mit dem § 313 BGB einen Hebel gefunden zu haben, um die offensichtlich unliebsam gewordenen Kunden loswerden zu können. Im Absatz 1 dieses Paragrafen findet man diesen Hinweis:

»Haben sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert und hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, so kann Anpassung des Vertrags verlangt werden, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.«

Absatz 3 ermöglicht dann den Rücktritt bzw. die Kündigung, wenn eine Anpassung nicht möglich ist.

Und was sind im Fall der Signal Iduna-Tochter die geforderten „schwerwiegend veränderten Umstände“? Man glaubt es nicht: Donner & Reuschel konnte die alten Verträge nach eigenen Angaben nicht weiterführen, weil die IT des Geldhauses umgestellt worden ist. Bei den Kündigungen beruft sich die Bank deshalb auf eine „Störung der Geschäftsgrundlage“, kann man dem Capital-Artikel entnehmen.

Diese „Begründung“ muss man als putzig bezeichnen. „Wenn Donner & Reuschel damit durchkommt, könnten andere Riester-Anbieter das Vorgehen kopieren und sich einfach auf eine neue IT berufen, um Kunden zu kündigen“, wird Benjamin Wick vom Marktwächter Finanzen der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg in dem Artikel zitiert. Und was sagen die Ministerien?

»Arbeits- und Finanzministerium erklärten in einer gemeinsamen Stellungnahme, für eine außerordentliche Kündigung reiche es nicht, sich auf eine IT-Umstellung zu berufen. „Sollte dies von der Rechtsprechung anders gesehen werden, müssten die entsprechenden gesetzlichen Regelungen gegebenenfalls ergänzt werden“, teilen die Ministerien mit.«

In dem Artikel gibt es aber den Hinweis auf die eigentliche „Störung der Geschäftsgrundlage“ aus Sicht der Bank: »Wegen der anhaltend niedrigen Zinsen sind Riester-Verträge für Finanzhäuser derzeit besonders unattraktiv.«

So ist das. Denn eine schwerwiegende Veränderung der Umstände, unter denen die Verträge geschlossen wurden, kann man aus Sicht der Anbieter wenn, dann beim Zins erkennen. Die Problemgemengelage äußerst niedriger Marktzinsen für die erforderlichen sicheren Anlagen, den anfallenden Kosten und das verbunden mit der Beitragsgarantie besteht für alle Anbieter und das (zunehmend) seit Jahren. Bislang hat das nicht dazu geführt, dass die Anbieter Verträge kündigen, aber das kann sich ändern, wenn die Dammbruch-Aktion der Privatbank erfolgreich wäre.

Dabei werden die Sparer bereits seit längerem schon massiv getroffen von einseitigen Anpassungsmaßnahmen der Anbieter an die veränderte Zinslandschaft. Dazu beispielsweise der Beitrag Die Renten sind nicht sicher von Herbert Fromme: »Anbieter kürzen immer öfter ihre Zusagen oder sogar laufende Renten. An die hohen Vertriebskosten gehen die Versicherer dagegen nur zögernd heran.«
Er illustriert das am Beispiel des Frank G. aus München, Kunde bei der Allianz Lebensversicherung. Man müsse den Rentenfaktor senken, teilt ihm sein Versicherungsunternehmen mit.

Der Rentenfaktor »bestimmt, wie hoch die Privatrente von Frank G. einst ausfallen wird. Pro 10.000 Euro angespartem Geld zu Beginn der Rentenauszahlung sind das künftig 38 Euro, nicht mehr 44 Euro im Monat. Wenn G. insgesamt 100.000 Euro angespart hat, bis er in Rente geht, zahlt die Allianz ihm garantiert 380 Euro im Monat. Bis Ende 2016 gingen Versicherer und Kunde noch von 440 Euro aus. Dazu kommt möglicherweise noch eine Überschussbeteiligung, die aber nicht garantiert ist und immer seltener wird.«

Seine zukünftige Privatrente wird um fast 14 Prozent gekürzt – und dass das überhaupt möglich ist, sei ihm bei Vertragsabschluss nicht klar gewesen. So geht es vielen anderen sicher auch. Und wenn jetzt der eine oder andere einwenden möchte, dass das eben ein bedauerlicher Einzelfall sei, dann lohnt es sich, weiterzulesen:

»Hunderttausende von Kunden der Lebensversicherer erhalten solche und ähnliche Schreiben. Meistens geht es dabei um die Absenkung künftiger Privatrentenansprüche. Die Generali geht noch einen Schritt weiter. Sie kürzt ab dem 2. Halbjahr 2017 bei 27 000 Kunden die laufenden Renten.«

Die Lebensversicherer argumentieren mit den niedrigen Zinsen und das kann man durchaus nachvollziehen. Fromme schaut weiter und kritisiert: »Aber sie wären glaubwürdiger, wenn sie auch ihr Geschäftsgebaren anpassen würden. Immer noch tun viele Versicherer so, als ob die niedrigen Zinsen nur dann wichtig sind, wenn es um die Ansprüche der Kunden geht. Beim eigenen Vertriebsaufwand tun sie wenig.« 2016 gaben die Gesellschaften sieben Milliarden Euro für Vertriebskosten aus, das meiste davon für Provisionen. Aufgebracht werden diese Mittel allein von den Kunden.

»Die private Lebens- und Rentenversicherung ist für die Altersvorsorge gerade angesichts niedriger Zinsen viel zu teuer. 2016 haben die Kunden 86,6 Milliarden Euro an Beiträgen gezahlt. Davon gehen acht Prozent für die Vertriebskosten drauf, stehen also nicht für die Altersversorgung zur Verfügung.«

In der Gesamtschau wird das ganze Gebäude der privaten Altersvorsorge immer löchriger – vor allem für die Kunden und der Grad der Unkalkulierbarkeit nimmt stetig zu. Keine wirklich überzeugenden Argumente für eine Stärkung der Bedeutung der privaten Altersvorsorge im Konzert der unterschiedlichen Alterssicherungskomponenten. Natürlich ist es naheliegend, hier ein Systemproblem zu identifizieren, das im Kontext der politisch bewusst gerissenen Sicherungslücken in der tragenden Säule der umlagefinanzierten gesetzlichen Rentenversicherung zu diskutieren wäre. Aber selbst in der Großen Koalition mit einer sozialdemokratischen Bundesrentenministerin, die zwischenzeitlich zur Oppositionsführerin im neuen Bundestag mutiert ist, wurde die Kapitaldeckung im Alterssicherungssystem beispielsweise mit der Reform der betrieblichen Altersvorsorge und der Infusionen in das Gefäßsystem der Riester-Rente weiter vorangetrieben – nicht nur, aber auch, um den Versicherungen, Banken und anderen Finanzakteuren neue Einnahmequellen zu erschließen. Das gehört dann eben auch systematisch diskutiert und kritisiert.

Und an die Adresse derjenigen, die sich mit Blick auf die Null- und Negativzinsen baldige Erlösung erhoffen von der EZB, sei hier aus der Pressemitteilung vom 26.10.2017 der Herren des Geldes über die weitere Ausgestaltung der Geldpolitik der Zentralbank im noch laufenden und im kommenden Jahr zitiert:

»The interest rate on the main refinancing operations and the interest rates on the marginal lending facility and the deposit facility will remain unchanged at 0.00%, 0.25% and -0.40% respectively. The Governing Council continues to expect the key ECB interest rates to remain at their present levels for an extended period of time.«

Eine „extended period of time“ kann in diesem Kontext sehr lange dauern.

Eine „Studie“ vom „Renten-Professor“ sagt … und viele schreiben kommentarlos ab. Eine lohnende Investition für kostenloses Product Placement

Unternehmen geben viel Geld aus für mehr oder meistens weniger bis gar nicht wirksame Werbung für ihre Produkte. Sie schalten Anzeigen, malträtieren die Zuschauer vor allem im Privatfernsehen mit Werbebotschaften, die zur Zwangs-Pinkelpause führen oder lassen die Briefkästen der Bundesbürger mit so vielen Prospekten fluten, dass ganze Schülerjahrgänge ein zusätzliches Einkommen erwirtschaften können und zugleich (vielleicht der einzige nennenswerte positive Aspekt, der aber noch gar nicht erforscht wurde) viel an der frischen Luft und in Bewegung sind, wenn sie die Dinger austragen und verteilen müssen.

Dabei geht es auch ganz anders – man kann ein gleichsam kostenloses Product Placement in vielen Medien bekommen, für das man lediglich eine überschaubare, aber offensichtlich extrem effektive Kostenstelle für auf dem Markt vorhandene und abrufbare „Wissenschaftssöldner“ kalkulatorisch in Rechnung stellen muss. Und das alles für Produkte, die mittlerweile einen – nun ja – mehr als zweifelhaften Ruf haben, die sich zunehmend als Ladenhüter erweisen, weil die Käufer erkannt haben, dass hier nur eine Seite ein Geschäft macht. Also die Verkäufer, in diesem Fall die Banken, Versicherungen, der finanzindustrielle Komplex, der den Menschen Produkte andrehen will, die ihnen helfen sollen, im Alter finanziell über die Runden zu kommen. Da muss man, um den Absatz anzukurbeln, einen „Resonanzboden“ bei den Zurückhaltung übenden potenziellen Käufern schaffen – und bei den risikoaversen Deutschen bekommt man das am besten hin, wenn man die Angst-Karte spielt und ihnen zugleich die „Lösung“ des Problems „kostenlos“ mitliefert.

Das Skript ist schnell geschrieben – man bedient sich einer erstaunlicherweise, aber offensichtlich immer noch funktionierenden Masche: Man beauftragt einen „Wissenschaftler“ damit, eine „Studie“ zu erstellen, die besagt, dass es ganz schlimm werden wird beispielsweise mit der Renten-Lücke in der Zukunft, vor allem für die vielen, die heute noch voller Kraft und Saft sind und die volle Brieftaschen haben, aus denen sie unbedingt einige Scheine abzweigen sollten, um dem so sicher wie das Amen in der Kirche auf uns zukommende monetäre Desaster im Alter zu entkommen.

Gesagt, geschrieben und umgesetzt: Das Ergebnis lässt sich sehen: »Zu wenig Geld im Alter: Die gesetzliche Rente wird nicht reichen. Den heute Jungen werden nach dem Arbeitsleben viele Hundert Euro fehlen – jeden Monat. Wie viel, das hat ein Professor ausgerechnet.« Schreibt nicht irgendjemand, sondern das Handelsblatt unter dieser Überschrift: Generation Rentenlücke. Und wenn das ein leibhaftiger Professor ausgerechnet hat, muss das per definitionem ja auch stimmen. Um wen es sich dabei handelt? Das Handelsblatt bezeichnet die illustre Figur des Bernd Raffelhüschen als „Vorsorgeexperten“. Das hört sich für meisten gutgläubigen Bundesbürger an wie ein seriöser Urologe, der bei Männern über 50 nach dem Rechten schaut.

Und was der Herr Experte so berechnet haben soll, wird auch von anderen Medien sofort aufgegriffen und unter das nach Jahren der Desavouierung der umlagefinanzierten Rente entsprechend weichgekochtes Volk gebracht: Jungen droht Rentenlücke – private Versorgung unerlässlich, so beispielsweise mehr als kompakt die zentrale Botschaft der „Studie“ auf den Punkt bringende Allgemeine Zeitung aus Mainz. Die Rente der jungen Generation wird nicht reichen, so Focus Online, die an anderer Stelle das nachlegen: Renten-Professor mahnt: Generation unter 35 ist nicht abgesichert. Selbst die ehrenwerte Zeit Online sekundiert: Gesetzliche Rente reicht für junge Menschen laut Studie nicht aus. Und schiebt sicherheitshalber gleich nach, damit man nicht alle Hoffnungen fahren lässt und in Depressionen versinkt: »Wer heute jünger als 35 ist, sollte laut einer Studie auch privat fürs Alter vorsorgen.« Allerdings muss man diesem Medium zugute halten, dass sie schon das Geschmäckle, um das noch verniedlichend zu bezeichnen, erkennen, denn der nächste Satz geht so: »Der Auftraggeber der Studie bietet solche Vorsorgeprodukte selbst an.«

Um was geht es hier? Es geht um den Vorsorgeatlas Deutschland 2017, der vom „Forschungszentrum Generationenverträge“ an der Universität Freiburg unter Leitung des bereits angesprochenen Bernd Raffelhüschen erstellt und von der Union Investment herausgegeben wurde.

Die Union Investment ist die Investmentgesellschaft der DZ Bank und Teil der genossenschaftlichen FinanzGruppe. Der Vertrieb der Publikumsfonds geschieht zum einen über die Volks- und Raiffeisenbanken, zum anderen über den Außendienst der Bausparkasse Schwäbisch Hall. Die Union Investment Gruppe verwaltet 309,6 Milliarden Euro (Stand: 30.6.2017). Mit einem Anteil von 14,3 Prozent gehört Union Investment zu den größten Fondsgesellschaften in Deutschland.

Was sind jetzt die Hauptaussagen im „Vorsorgeatlas“? Dazu hören wir die Union Investment selbst in einer Pressemitteilung: Die gesetzliche Rente bleibt „auch in den nächsten Jahrzehnten ein sicherer und stabiler Grundpfeiler ihrer Altersvorsorge“. Behauptet man da. Und wird konkreter: Aus der gesetzlichen Rente »erhalten die Versicherten im Durchschnitt eine monatliche Rente von 1.070 Euro, was einer Ersatzquote von rund 48 Prozent ihres letzten Bruttoeinkommens entspricht. Zwar sind zur Sicherung des Lebensstandards im Alter mindestens 60 Prozent nötig. Wer jedoch zusätzlich vorsorgt – sowohl staatlich gefördert als auch privat – kann seinen Lebensstandard im Alter sichern und in Kombination mit der gesetzlichen Rente insgesamt rund 83 Prozent des letzten Einkommens erzielen.«

Und dann wird es noch konkreter – offensichtlich können Raffelhüschen & Co. bis weit über das Jahr 2030 hinaus die Rente ausrechnen: »Während die 50- bis 65-Jährigen mit einer Ersatzquote von 64,1 Prozent alleine mit der GRV ihren Lebensstandard sichern können, kommen die 20- bis 34-Jährigen auf lediglich 38,6 Prozent. Sie benötigen daher etwa 800 Euro zusätzlich pro Monat und müssen aktiv werden.«

Aber Union Investment sei Dank besteht ja das deutsche Alterssicherungssystem aus drei Schichten und die gesetzliche Rente ist nur eine davon. Ganz besonders herzliche Worte findet man mit Hilfe der beauftragten Wissenschaftler für die zweite Schicht, die vor allem aus Riester-Rentenverträgen besteht (nur der Pingeligkeit halber soll hier gleich darauf hingewiesen werden, dass die Union Investment da dicke im Geschäft ist): »Mit den aktuellen Sparraten erhalten sie im Rentenalter durchschnittlich 290 Euro im Monat. Damit können sie die GRV um 10,6 Prozent des Einkommens ergänzen. Die heute 20- bis 35-Jährigen kommen mit ihrem Riester-Vertrag sogar auf einen Wert von 14,1 Prozent. Im Schnitt sind dies monatlich 392 Euro.«

Der muss wirklich gut rechnen können, der „Renten-Professor“, dass er den heute 20-35-Järhigen sagen kann, was sie auf Euro und Cent aus ihren Riester-Verträgen bekommen werden.

Und so geht es weiter – über die betriebliche Altersversorgung (das jüngst von der Großen Koalition unter Federführung von Andrea Nahles (SPD) verabschiedete Betriebsrentenstärkungsgesetz wird vom Vorstandsvorsitzenden der Union Investment nicht wirklich überraschend in höchsten Tönen gelobt) und das privaten Sparen in der dritten Schicht könne man ohne Probleme die „Versorgungslücke“ durch die zu niedrige gesetzliche Rente schließen.

Selbst eine angeblich so seriöse Tageszeitung wie die FAZ gibt sich dafür her, eins zu eins die angeblichen Gewissheiten in einem redaktionellen Artikel einfach nur abzuschreiben: Wie wappne ich mich fürs Alter?, so fragt Martin Hock sicher stellvertretend für viele Leser in der Online-Ausgabe der FAZ. Und bedient sich hemmungslos an dem Waschzettel der Auftraggeber der „Studie“. Man vergleiche einfach den Artikel einfach mit der bereits zitierten Pressemitteilung der Union Investment zum „Vorsorgeatlas“. Aber für eine angeblich seriöse Tageszeitung skandalös ist der Tatbestand, dass es zum einen keine kritische bzw. wenigstens informierende Aufklärung darüber gibt, wer hier der Auftraggeber ist und vor allem, dass der natürlich profitieren würde, wenn nun alle, vor allem jüngere Jahrgänge, die noch viele Jahre einzahlen müssten, begeistert in die Produkte der kapitalgedeckten Altersvorsorge investieren. Und zum anderen gibt es – wie in vielen anderen Artikeln auch – keinerlei kritisch-aufklärerischen Hintergrundinformationen zu der überaus schillernden Person des „Renten-Professors“ Raffelhüschen.

Norbert Häring hat sich gerade über den Umgang der FAZ mit dieser „Studie“ offensichtlich richtig aufgeregt und diesen Blog-Beitrag veröffentlicht: Was ist nur in die FAZ gefahren? Eine völlig berechtigte Frage, denn »die altehrwürdige FAZ diesmal daraus machte, ist so weit unterhalb jeglichen journalistischen Standards und des gesunden Menschenverstands«, dass er zur Tatstur greifen musste. Dabei bezieht er sich auf diesen in der Print-Ausgabe am 11.10.2017 veröffentlichten Artikel: „Zusammenspiel aus Gesetzlich und Privat funktioniert“ (S. 23, auf der Titelseite des Finanzteils der Zeitung). Schon die Überschrift verdeutlicht, wohin die Reise geht. Das Zusammenspiel funktioniert. Und der Autor schiebt gleich ein weiteres Diktum hinterher:

»In der Rentendiskussion wollen manche Akteure der Öffentlichkeit weismachen, das bestehende System führe direkt in die Altersarmut. Ein nüchterner Blick auf die Zahlen zeigt hingegen: Für die jüngeren Menschen sinkt das Rentenniveau zwar deutlich, aber durch ihre Ansprüche aus betrieblicher und privater Altersvorsorge können sie das kompensieren.«

Geht doch, so die Botschaft. Norbert Häring ist außer sich, denn über dem Artikel auf der Titelseite des Finanzteils stand nirgendwo „Anzeige“ oder „sponsored by Union Investment“:

»Welcher Journalist, der etwas auf sich hält, macht sich in einem Nachrichtenstück derart offen parteiisch mit der Sache eines gewinnorientierten Marktteilnehmers gemein, übernimmt die Analyse eines Dritten unkritisch und behauptet dann auch noch wider besseres Wissen ausdrücklich, die genannten Zahlen und ihre interessengeleitete Interpretation stellten Tatsachen dar und seien einem „nüchternen“, mithin objektiven Blick entsprungen.«

Und Häring findet mehr in dem Artikel:

„In Kooperation mit Union Investment“ habe Raffelhüschen den Atlas erstellt, lässt die FAZ wissen. Warum dieser vernebelnde Euphemismus für „im Auftrag und bezahlt von …“?

Und zur Weißglut treiben kann einen mit Häring dieses Zitat aus dem Artikel, wo Hans Joachim Reinke, Vorstandsvorsitzender der Union Asset Management Holding, mit den Worten erwähnt wird:

»Wer einen vollständigen Systemwechsel fordere, verkenne die wissenschaftlichen Fakten. Mit Ansprüchen aus der ersten und zweiten Schicht gelinge es nahezu jedem Bundesbürger, den Lebensstandard zu sichern.«

Spätestens hier hätte dem Schreiberling auffallen müssen, dass das nicht einmal die Auftragsstudie selbst behauptet, denn nach den „Berechnungen“ von Raffelhüschen & Co. kann damit »nur jenes  privilegierte Viertel der erwerbstätigen Bevölkerung (rechnen), das neben Ansprüchen aus der gesetzlichen Rente auch noch solche aus Riester Renten und/oder (das wird nicht ganz klar) betrieblicher Altersvorsorge erworben und darüber hinaus noch nennenswert Geld- und Immobilienvermögen angespart haben wird«, so Häring in seiner zutreffenden Kommentierung.

Selbst auf einschlägigen Finanzseiten macht man sich wenigstens lustig über den pseudowissenschaftlichen Kram, der uns da in der FAZ als Wahrheit verkauft wird, so beispielsweise Manfred Gburek in seinem Artikel Das Märchen von der Eier legenden Geld-Wollmilchsau: Es schreibt vom „umtriebigen“ Freiburger Professor Bernd Raffelhüschen, der vom Deutschen Derivate Verband jüngst zum „Popstar“ seines Fachs erklärt worden ist.

»Union Investment, ein Unternehmen der Genossenschaftsinstitute, beauftragt einen Professor, die kommende Rentenlücke in Zahlen zu fassen – und schon ergibt sich bis hinter dem Komma, dass die 20- bis 34-Jährigen im Rentenalter nur über 38,6 Prozent ihres vorherigen Einkommens verfügen werden. Bei so viel Schein-Präzision mag man schmunzeln.«

Man kann das auch gelinde gesagt für Humbug halten, was man den folgenden Aufzählungen entnehmen kann:

»Die Lebenszeit ist längst nicht die einzige Vorsorge-Unbekannte; Versicherungsmathematiker mit ihren Sterbetafeln wissen ein Lied davon zu singen. Hinzu kommen zum Beispiel noch die folgenden eher persönlichen Faktoren: unterschiedliche finanzielle Ausgangsbasis, also Vermögen sowie laufende Einnahmen und Ausgaben, Familienstand und seine Entwicklung im Lauf mehrerer Jahrzehnte, Gesundheit und Krankheiten, Risiken aller Art, speziell Klumpenrisiken mit Immobilien und Kursrisiken mit Aktien oder Anleihen, Gehalt, alternativ Gewinneinkünfte, Steuern, Spar- und Konsumverhalten, Emotionen, Spekulation und nicht zuletzt das Aufschieben von Entscheidungen in Sachen Geld bis zur Ignoranz des Themas Vorsorge.

Zu diesen persönlichen Faktoren gesellen sich externe, wie etwa: Konjunktur, Zinsen, Geldwertschwund, staatliche Misswirtschaft und Verschuldung, Unternehmenspleiten, unzureichender Anlegerschutz, Auf und Ab an den Börsen, unnütze Finanzprodukte und falsche Beratung.

In der Schule haben wir gelernt, dass Gleichungen mit mehreren Unbekannten nur bedingt bis gar nicht lösbar sind. Und ausgerechnet bei den hier aufgeführten, sich im Zeitverlauf immer wieder ändernden Variablen soll das möglich sein? Natürlich ist es nicht möglich.«
Schon damit wäre alles gesagt. Wieder einmal eine Variante der „junk science“, mit der man an vielen Stellen konfrontiert wird.«

Abschließend sei jedem verantwortungsvollen Journalisten empfohlen, beispielsweise nur einen Blick in den Wikipedia-Eintrag den „Renten-Professor“ betreffend zu werfen: Die Nebentätigkeiten Raffelhüschens in der Versicherungswirtschaft haben wiederholt zu Kritik geführt, da er als Wissenschaftler die kapitalgedeckte private Altersvorsorge propagiert. So ist Raffelhüschen Mitglied im Aufsichtsrat der ERGO Versicherungsgruppe sowie der Volksbank Freiburg. Des Weiteren ist er als wissenschaftlicher Berater für die Victoria Versicherung AG in Düsseldorf tätig. Er ist außerdem Mitglied des Vorstands der Stiftung Marktwirtschaft, wo er seit 2006 regelmäßig die Generationenbilanz herausbringt. Darüber hinaus ist er als Botschafter der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft tätig. Raffelhüschen ist Beiratsmitglied der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen. Raffelhüschen betätigt sich auch als Vortragsreisender für die private Versicherungswirtschaft … Seit August 2007 ist Raffelhüschen Mitglied des Kuratoriums der Augustinum Gruppe, welche dem Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche angehört.«

Bereits im Jahr 2011 wurde auf den NachDenkSeiten dieser Bericht veröffentlicht: Ein Abend mit Bernd Raffelhüschen, Versicherungsvertreter mit Professorentitel – leibhaftig und in voller Länge. Alles seit langem bekannt.

Auch und gerade, weil es vor dem Hintergrund des Blog-Beitrags sehr weh tun mag: Hier werden gerne Wetten angenommen, wer Mitglied einer von der Bundeskanzlerin im Wahlprogramm der Union – vor dem Hintergrund der Behauptung, bis 2030 sei mit dem Rentensystem in Deutschland alles in Ordnung – in Aussicht gestellten „Rentenreformkommission“, die sich Gedanken machen soll über die Zeit danach, werden wird. Also Wetten darauf, dass der Name Bernd Raffelhüschen auf der Liste stehen wird, wenn es zu der Kommission kommen sollte. Erfahrungen mit solchen Kommissionen hat er: Von 2002 bis 2003 war er Mitglied der „Rürup-Kommission“ zur Zukunft der sozialen Sicherungssysteme.