Betriebsräte und die Mühen der Ebene, die ewige Machtasymmetrie zwischen Unternehmen und Arbeitnehmern und die handfesten Folgen von (Nicht-)Tarifbindung

Jede zweite Brille in Deutschland ist von Fielmann. Der Konzern produziert nicht im Ausland, sondern im brandenburgischen Rathenow. 3,5 Millionen Brillen allein im letzten Jahr. Innerhalb von zwei Tagen, so das Versprechen an die Kunden, wird die neue Brille geliefert: Modische Modelle für wenig Geld. Andere Brillenhersteller können da kaum mithalten: Fielmann ist der unumstrittene Marktführer und hat nicht nur in Deutschland, sondern auch in der Schweiz, Österreich und Italien Filialen. Nach einem Rekordumsatz in 2014 hat die Aktiengesellschaft mehr als 134 Millionen Euro Dividende an die Aktionäre ausgeschüttet. Das Unternehmen hat knapp 17.000 Mitarbeiter.
Die produzieren also sogar in Deutschland, dann auch noch in Ostdeutschland, wo solche Arbeitsplätze dringend gebraucht werden. Eine echte Erfolgsgeschichte.

Aber wie so oft eine mit zwei Seiten. Der Beitrag Fielmann: Überstunden und Niedriglöhne von work-watch (www.brennpunkt-betrieb.de) wirft ein wenig Licht auf die so gar nicht glänzende andere Seite der Erfolgsstory.

»Viele der 1000 Beschäftigten des Produktions- und Logistikzentrums der hundertprozentigen Konzerntochter Rathenower Optische Werke, einem Betrieb ohne Tarifbindung, teilen diese Sicht nicht: Sie klagen über befristete Arbeitsverträge, kurzfristig anberaumte Überstunden, schlechte Bezahlung auf Mindestlohnniveau, hohen Arbeitsdruck und eine Betriebsatmosphäre, die von Angst geprägt ist. In der Montage werden zum Beispiel Stückzahllisten und „Bruchlisten“ über defekte Brillen geführt. Sogenannten „Minderleistern“ – also denen, die ihre Vorgaben nicht erfüllen – droht dann ein Gespräch mit dem Vorgesetzten. Vor allem die überbordende Arbeitszeit – manchmal mehr als 50 Stunden in der Woche – führte zur Unzufriedenheit in der Belegschaft.«

Unter den den etwa 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Brillenfertigung soll der Krankenstand mehr als zehn Prozent betragen.

»Vor allem die überbordende Arbeitszeit – manchmal mehr als 50 Stunden in der Woche – führte zur Unzufriedenheit in der Belegschaft. Festgelegt war die Arbeitszeitregelung in der Betriebsvereinbarung (BV) von 1997 …: „Obergrenze der regelmäßigen Arbeitszeit sind 50 Stunden die Woche, zehn Stunden am Tag. In Ausnahmefällen kann die Verteilung der Arbeitszeit auf sechs Tage erfolgen.“ Die Ankündigungsfrist für Mehrarbeit beträgt eigentlich drei Tage. „Aus dringenden betrieblichen Gründen“, so schränkt die Vereinbarung ein, „ist im Ausnahmefall auch eine kürzere Ankündigungsfrist zulässig.“ Die Ausnahmeregelung sei häufig zur Anwendung gekommen, lautet der Vorwurf.«

Zugleich kann man an diesem Fall auch wieder einmal studieren, dass es vor Ort in den Betrieben oftmals eine Gemengelage gibt, die es verbietet, von einer einfachen „Hier die Arbeitnehmer, da das Unternehmen“-Logik auszugehen.

Es gibt einen Betriebsrat, aber der ist wie in anderen Unternehmen auch oft zu beobachten, keineswegs einheitlich aufgestellt: Vor allem Betriebsräte der Industriegewerkschaft Metall haben die Missstände kritisiert und sind dafür an den Pranger gestellt worden. Die Spaltung der Belegschaftsvertreter kann man hier erkennen:

»Rundgänge der Betriebsräte und ihre Gespräche mit Kollegen – also die Grundvoraussetzung jeder Betriebsratsarbeit – würden die Arbeitsabläufe und damit den Betriebsfrieden stören. Diesen Vorwurf habe sogar die ehemalige Betriebsratsvorsitzende, die mehr als zehn Jahre lang jede Anfrage der Geschäftsleitung abgenickt hätte, formuliert. Sie gehört immer noch der Betriebsratsmehrheit an.«

Die Mehrheit im Betriebsrat wird als „arbeitgebernah“ bezeichnet. Diese Betriebsratsmehrheit hat im Jahr 2015 keine einzige Betriebsversammlung einberufen, obwohl eigentlich vier im Jahr gesetzlich vorgeschrieben sind.

Die Mitarbeiter hoffen nun auf die neue Betriebsvereinbarung, die Anfang dieses Jahres nach „zähen Verhandlungen“ unterzeichnet wurde. Aber auch hier zeigt sich die letztendlich nicht auflösbare Machtasymmetrie zwischen Arbeitnehmern und dem Unternehmen: Die IG Metall ist mit Blick auf die neue Betriebsvereinbarung skeptisch und angesichts der Vereinbarung „zwiegespalten“. Sie sei zwar besser als die alte, aber würde hinter den Standard anderer Betriebsvereinbarungen in vergleichbaren Unternehmen zurückfallen.

»Der amtierende Betriebsratsvorsitz … habe eine „zu harte“ Betriebsvereinbarung mit der Begründung abgelehnt, den Arbeitgeber nicht so sehr einzuschränken, weil sonst der Standort möglicherweise verlagert werde.«

Der Geschäftsführer des Unternehmens hat 2014 auf einer Betriebsversammlung gesagt: „Wir wollen die Standortfrage nicht stellen – brauchen aber eine gewisse Flexibilität der Mitarbeiter“.
Herausgekommen ist eine Betriebsvereinbarung des „kleineren Übels“. So wurde die – gesetzliche – Höchstgrenze der Wochenarbeitszeit von 48 Stunden in die Vereinbarung geschrieben.

Dieses Beispiel zeigt erneut, dass es in der betrieblichen Realität eben nicht nach einfachen Mustern geht (die da unten, die da oben), sondern das ewige Damoklesschwert der Standortverlagerung sorgt für eine beständige Machtasymmetrie und zugleich ist es aus der betrieblichen Perspektive ja auch verständlich, dass man eine gewisse Flexibilität braucht, wenn man im Wettbewerb steht. Auch gewerkschaftlich organisierte Betriebsräte wissen das und müssen permanent Kompromisse schließen zwischen den (angeblichen) betrieblichen Interessen und den Forderungen aus der Gewerkschaftsperspektive. Das ist kein Gelände für Klassenkampf, zugleich aber wird wieder einmal deutlich, welche Entlastungsfunktion eine Tarifbindung der Unternehmen haben kann, denn dort sind auf einer überbetrieblichen Ebene viele Punkte geregelt, die ansonsten vor Ort nur sehr mühsam bis gar nicht ausgehandelt werden können. Und gerade in Ostdeutschland ist die Tarifbindung desaströs niedrig.

Wozu das führt, kann man diesem Beitrag entnehmen: Schwache Verhandlungsposition im Osten.

»Die Lohnunterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland sind nach wie vor groß: In den neuen Bundesländern fallen die Bruttoverdienste fast 20 Prozent niedriger aus. Wie ist eine solche Differenz – 25 Jahre nach der Wiedervereinigung – zu erklären? Als Begründung werden oft Unterschiede in der Produktivität oder Qualifikation herangezogen. Doch es gibt einen weiteren, wenig beachteten Faktor: Die Arbeitnehmer im Osten sind vor allem bei Neueinstellungen bereit, „einen relativ niedrigen Lohn zu akzeptieren“, schreiben Christoph S. Weber und Philipp Dees von der Universität Erlangen. Das bedeute nicht, dass sich Ostdeutsche keine höheren Löhne wünschen, sondern eher, dass sie wenig Chancen sehen, diese durchzusetzen. Arbeitgeber könnten sich dies zunutze machen und niedrigere Löhne zahlen.«

In Zahlen ausgedrückt:

»Nicht nur die tatsächlich gezahlten Löhne, sondern auch die Erwartungen sind in Ostdeutschland deutlich geringer. Im Schnitt lagen die Lohnerwartungen aller nicht beschäftigten Personen, die eine Vollzeitstelle suchten, 2011 im Westen bei 1.618 Euro netto, im Osten bei 1.303 Euro«, so die Wissenschaftler in ihrer Untersuchung (vgl. ausführlicher: Christoph S. Weber, Philipp Dees: Anspruchslöhne: immer noch Unterschiede zwischen Ost und West, in: WSI-Mitteilungen, Heft 8/2015, S. 593–603).

Daraus kann sich offensichtlich eine Art Teufelskreis entwickeln:

„Das bestehende niedrigere Lohnniveau drückt wahrscheinlich die Anspruchslöhne. Diese niedrigeren Anspruchslöhne wiederum sorgen dafür, dass auch die tatsächlich gezahlten Löhne niedriger bleiben.“

Und hier spielt die Frage der Tarifbindung eine wichtige Rolle:

»Dass dieser Effekt im Osten noch stärker zum Tragen kommt als im Westen, liegt an der geringeren Tarifbindung: „In Abwesenheit von Tarifverträgen werden Löhne grundsätzlich freier verhandelt“, schreiben die Wissenschaftler. Dadurch hätten die Unternehmen erheblich mehr Gestaltungsspielraum. Anders ausgedrückt: Die Arbeitgeber haben es leichter, niedrige Erwartungen der Bewerber auszunutzen und die Löhne zu drücken.«

Die Zusammenhänge – und die Unterschiede – sind offensichtlich:

»Wer nach Tarif bezahlt wird, verdient bereits heute im Osten kaum weniger als im Westen. In Ostdeutschland arbeiten über alle Branchen hinweg allerdings nur 47 Prozent der Beschäftigten in tarifgebundenen Betrieben, während es in Westdeutschland 60 Prozent sind. Die Zahl der Beschäftigten, deren Vergütung sich am Branchentarifvertrag orientiert, ist ebenfalls niedriger als in Westdeutschland.«

Quelle der Abbildung: Böckler Impuls 20/2015 

Wenn unterschiedlich starke Arme das Gleiche wollen, sich erst in die Haare kriegen und dann doch miteinander kooperieren. Eine Fortsetzungsgeschichte aus der Gewerkschaftswelt

Im Jahr 2014 wurde intensiv über die damals beabsichtigte und zwischenzeitlich auch vollzogene Verabschiedung eines Tarifeinheitsgesetzes heftig gestritten. In einem Beitrag in diesem Blog wurde am 3. September 2014 unter der Überschrift Wenn unterschiedlich starke Arme eigentlich das Gleiche wollen und sich in die Haare kriegen: „Tarifeinheit“ aus einer anderen Perspektive auf eine mehr als pikante Gemengelage innerhalb der DGB-Gewerkschaften hingewiesen:

Man könnte »den Eindruck bekommen, dass es bei der Frage nach „Tarifeinheit“ um die schutzbedürftigen Großgewerkschaften geht, denen rein mitgliederegoistische Spartengewerkschaften gegenüberstehen, die sich aus der Solidarität der Gesamtbelegschaften verabschiedet haben und radikal die Interessen kleiner, aber zumeist mit Flaschenhalscharakter ausgestatteter Berufsgruppen wie Piloten oder Lokführern vertreten. Unabhängig davon, dass die Wirklichkeit wie immer weitaus komplizierter ist, kann man eine der Grundfragen, um die herum die Tarifeinheitsdebatte kreist, auch innerhalb bzw. zwischen den DGB-Gewerkschaften selbst identifizieren: Wessen mehr oder weniger starker Arm soll es denn sein, der die Interessen der Belegschaften vertreten darf, kann oder muss?« Damals ging es konkret um das Logistikunternehmen Stute, eine Tochterfirma des Logistikkonzerns Kühne + Nagel, das aber ausschließlich für den Flugzeugbauer Airbus arbeitet, was nicht verwundert, handelt es sich doch um die outgesourcte Logistik-Sparte von Airbus. Jahrelang gab es in diesem Unternehmen keinen Betriebsrat und keine Tarifbindung. Formal zuständig nach den Organisationsprinzipien des DGB wäre der Fachbereich Post und Logistik der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Formal ist aber nicht immer auch real, denn eine zweite, konkurrierende Gewerkschaft, die IG Metall, betrat die Bühne – und ihr gelang es, mehr als 60 Prozent der Beschäftigten unter ihrem Dach zu organisieren, was sie formal gemäß der Maxime „Eine Branche – eine Gewerkschaft“ eigentlich nicht hätte machen dürfen. Die Beschäftigten des Logistik-Dienstleisters Stute haben sich wie die Arbeitnehmer verhalten, die sich in Spartengewerkschaften organisieren, denn über die IG Metall war mehr zu holen. Die eigentlich zuständige Gewerkschaft Verdi war richtig sauer, auch weil das kein Einzelfall blieb, sondern die IG Metall als strategische Antwort auf die Outsourcing-Welle die gesamte Kontraktlogistik ins tarifpolitische Visier genommen hat. Aus Sicht der Metall-Gewerkschafter ist es sinnvoll, wenn man das vorgelagerte, aber immer stärker in das eigentliche Produktionszentrum vorrückende Geflecht an „Zulieferer“ (wieder) unter das (dann allerdings breiter werdende) Dach der IG Metall-Tarifwelt zu holen versucht.

Nun gibt es von dieser Baustelle Neuigkeiten zu vermelden, die nicht nur für das komplexe Zuständigkeitsgefüge in der Welt der DGB-Gewerkschaften bedeutsam sind:  »Die Industrieproduktion wird immer komplexer. Regelmäßig stellt sich die Frage, welche Gewerkschaft eigentlich für bestimmte Betriebe zuständig ist. Die IG Metall und Verdi ziehen nun klare Linien – im Interesse der Beschäftigten«, so die IG Metall in einer Erläuterung unter der Überschrift IG Metall und Verdi vereinbaren Kooperation.  Das kann man ohne Einschränkung als einen zentralen Durchbruch bezeichnen.

Zum Verständnis der Thematik wird das Grundproblem umrissen:

»Ein Autobauer baut Autos heute längst nicht mehr alleine. Die Produktion wird in immer kleinere Teile zerlegt. Auf dem Werksgelände sind die verschiedensten Firmen im Auftrag des Autobauers tätig: Leiharbeitsfirmen, Entwicklungsdienstleister – und immer häufiger sogenannte Kontraktlogistiker. Sie verteilen Fahrzeugteile an die Montagelinien des Autobauers oder montieren zunehmend sogar selbst Teile vor: Räder, Armaturenbretter oder Achsen – eigentlich klassische Industriearbeit.
Für die Beschäftigten haben Auslagerung und Zergliederung oft negative Folgen: kein Tarifvertrag, schlechtere Bezahlung, längere Arbeitszeiten. Um die Interessen aller Beschäftigten wirksam zu vertreten, müssen Gewerkschaften eng kooperieren. Sie müssen sich abstimmen und klären, wer für welche Betriebe zuständig ist. Innerhalb der Wertschöpfungskette sind Abgrenzungen zwischen Produktion und Dienstleistungen oft schwierig.«

Um die damit verbundenen Abgrenzungsfragen nicht konflikthaft auszutragen, haben beide Gewerkschaften nun eine Kooperationsvereinbarung geschlossen.  Damit werden die Organisations- und die Tarifzuständigkeit für Unternehmen der industriellen Kontraktlogistik geklärt. Und zwar in den Branchen Automobil- und Fahrzeugbau, Stahl, Luft- und Raumfahrt sowie Schiffbau. Es geht hier also um industrielle Kernbereiche der deutschen Volkswirtschaft. Eine ähnliche Kooperationsvereinbarung hatte die IG Metall Anfang 2015 bereits mit den Gewerkschaften EVG, IG Bau und IG BCE abgeschlossen, vgl. hierzu Gewerkschaften in der Industrie vereinbaren Kooperation. Mit der nun die Sache abrundenden Vereinbarung zwischen IG Metall und Verdi ist tarifpolitisch im Kontext der Umbrüche in vielen Branchen ein wichtiger Schritt getan, um gewerkschaftliche Handlungsfähigkeit sicherzustellen.

Und das es auch andere gute Nachrichten für die Gewerkschaften gibt, verdeutlicht dieser Artikel: Gemeinsam durch die Arbeitswelt: »Münchner Gewerkschaften drehen den negativen Trend bei Mitgliedern um: Sie gewinnen viele Junge und Frauen hinzu.«

Werkverträge als echtes Problem für Betriebsräte und Gewerkschaft. Und eine „doppelte Tariffrage“ für die IG Metall

Während sich die Medien untereinander über die Abgas-Probleme des VW-Konzerns austauschen und ihr Augenmerk auf Personalien richten wie den Rücktritt des VW-Vorstandsvorsitzenden Winterkorn, war heute eine Menge los in den Produktionsstätten der deutschen Automobil-Industrie, eines der wichtigsten Branchen der deutschen Volkswirtschaft. Denn die IG Metall hatte zu einem bundesweiten Aktionstag gegen Werkverträge aufgerufen. Dazu aus der Berichterstattung beispielsweise Beschäftigte protestieren gegen Werkverträge in der Autoindustrie oder an anderer Stelle  Protesttag gegen Werkverträge. Und was sagt die Gewerkschaft selbst?  Gemeinsam gegen die Billig-Strategie der Arbeitgeber, so hat die IG Metall ihre Pressemitteilung dazu überschrieben: »Mehrere zehntausend Beschäftigte von Automobilherstellern und Zulieferern senden beim bundesweiten Automobil-Aktionstag der IG Metall gegen den Missbrauch von Werkverträgen eine deutliche Botschaft an Arbeitgeber und Politik: Wir lassen uns nicht spalten!« Der IG Metall-Vorsitzende Detlef Wetzen stellte zugleich klar, dass die IG Metall nicht grundsätzlich gegen Werkverträge sei, „sondern gegen die Werkverträge, die ausschließlich dazu genutzt werden, um Löhne zu senken und Arbeitsbedingungen zu verschlechtern.“ Mehr als 150.000 Arbeitsplätze in der Automobilbranche in den Bereichen Industrielogistik, Entwicklungsdienstleistung und Industrieservice seien bereits über Werkverträge ausgelagert.

Und was fordert die Gewerkschaft? Es sind vor allem zwei Punkte, die heute vorgetragen wurden:
Schluss mit der Auslagerung von Tätigkeiten, die zum Kerngeschäft eines Unternehmens gehören und unvermeidbare Auslagerungen nur an Dienstleister mit IG Metall-Tarifen und Betriebsräten. Die letzte Forderung berührt die „erste“ Tariffrage, vor der die Metallgewerkschaft steht. Gerade in der Automobilindustrie hat die IG Metall sehr hohe Organisationsgrade unter den Beschäftigten und entsprechende Einflussmöglichkeiten. Bei vielen Zulieferern und Werkvertragsunternehmen sieht das ganz anders aus, da gibt es oft noch nicht einmal einen Betriebsrat. Mindestens 44 Prozent der beauftragten Werkvertragunternehmen haben keine Tarifverträge, kann man dem Artikel Protesttag gegen Werkverträge entnehmen. Da sind wir schon bei der ersten „Tariffrage“ für die IG Metall. Deren Aktivitäten zum Thema Werkverträge kann und muss man auch als ein Signal an die Werkvertragsunternehmen verstehen, dass auch dort tarifvertragliche Regelungen gelten sollen. Aber es gibt noch ein anderes Problem, das die Gewerkschaft zu adressieren versucht: Ein Drittel der Werkverträge betreffen nach Gewerkschaftswahrnehmung die Produktion und damit den Kernbereich der Autoindustrie.

Bayerns IG Metall-Chef Jürgen Wechsler wird mit diesem Beispiel zitiert:

»Ein besonders dreistes Beispiel für einen Werkvertrag kennt er von BMW am Standort Dingolfing. „BMW hat dort eine Werkshalle leergeräumt und per Werkvertrag den Kontraktlogistiker Schnellecke ins Haus geholt“, sagt er. Der erledige mit 400 Leuten dort, was vorher BMW-Stammpersonal getan habe. Kontraktlogistik ist dabei ein ziemlich irreführender Begriff. Denn in dieser Branche wird weniger transportiert als vielmehr montiert. Im BMW-Beispiel werden angelieferte Teile auf dem Werksgelände zusammengeschraubt und dann an Autos montiert. Vorgesehen sind Werkverträge aber aus Sicht der IG Metall für Tätigkeiten wie das Streichen einer Werkshalle oder allenfalls noch deren Säuberung, nicht aber für die Kernarbeiten eines Unternehmens.«

Da sind wir schon bei einem zentralen Problem angekommen: Der Frage nach der Abgrenzung von „guten“ und „schlechten“ Werkverträgen. Um das an einem Beispiel zu illustrieren: Wenn man etwas anstreichen lassen will in seinem Unternehmen, dann beauftragt man eine Malerfirma und vereinbart einen Preis. Keiner würde auf die Idee kommen, dass das beauftragende Unternehmen Maler vorhalten sollte, um den vielleicht einmal im Jahr oder auch noch weniger oft anfallenden Bedarfen gerecht werden zu können – außer man kombiniert das mit anderen anfallenden Tätigkeiten, die dann von einer Person ausgeübt werden können.

Ganz anders stellt sich die Situation dar, wenn die Werkvertragsunternehmen sukzessive vordringen in den Kernbereich der Produktion, der bislang der Stammbelegschaft vorbehalten ist. Wenn es also bei einem „Logistikunternehmen“ eben nicht nur darum geht, Ware an die Pforten irgendeines Lagers zu fahren, sondern Tätigkeiten innerhalb des beauftragenden Unternehmens auszuüben. Und genau so sieht es in der Automobilindustrie mittlerweile aus, wenn man der Argumentation der Gewerkschaften folgt:

»Kontraktlogistik ist dabei ein ziemlich irreführender Begriff. Denn in dieser Branche wird weniger transportiert als vielmehr montiert. Im BMW-Beispiel werden angelieferte Teile auf dem Werksgelände zusammengeschraubt und dann an Autos montiert. Vorgesehen sind Werkverträge aber aus Sicht der IG Metall für Tätigkeiten wie das Streichen einer Werkshalle oder allenfalls noch deren Säuberung, nicht aber für die Kernarbeiten eines Unternehmens.«

Und das habe erhebliche Folgen für die Beschäftigten in den Werkvertragsunternehmen, wie der Vergleich mit der Stammbelegschaft verdeutlicht:

»Gegenüber dem Stammpersonal bekommen Beschäftigte bei Werkverträgen im Schnitt nur etwa halben Lohn, sagt Wechsler. Beim Beispiel Schnellecke in Dingolfing ist es nach Berechnung der IG Metall noch weniger. Statt tariflich 35 Wochenstunden arbeiten die auf dem BMW-Gelände Beschäftigten 40 Stunden. Sie erhalten nicht einmal halben Grundlohn, drei Tage weniger Urlaub und nur ein Drittel Urlaubsgeld. Höhere Leistungszulagen gleichen das nicht aus.«

Vor diesem Hintergrund ist der Aktionstag der IG Metall zu sehen, der sich einbettet in zahlreiche Aktivitäten dieser und anderer Gewerkschaften gegen „die“ Werkverträge. Und das bisherige Tun der IG Metall war und ist nicht ohne Erfolg.

Es tut sich was am Rand, so hat Jörn Boewe seinen Artikel überschrieben, in dem er über die Entwicklungen rund um Leipzig berichtet. Der Blick auf Leipzig ist deshalb interessant, weil sich hier ein „Automobilcluster“ entwickelt hat:

»Ein paar Kilometer nördlich von Leipzig, auf der grünen Wiese nahe der Autobahn A 14, stehen die modernsten Autofabriken Europas. BMW und Porsche bauen hier seit zehn Jahren Limousinen, Coupés, Cabrios, Geländewagen – alle im »Premiumsegment«. Niemand kann genau sagen, wie viele Menschen hier arbeiten. Der »Automobilcluster« Leipzig, wie der Produktionsstandort im Branchenjargon genannt wird, ist nach einem hochflexiblen Fertigungskonzept organisiert: Man spricht von der „atmenden Fabrik“. Gibt es viel zu tun, pumpt sie sich auf. Ist die Auftragslage mau, schrumpft sie.«

Und gerade hier finden wir auf den ersten Blick die Diagnose der Gewerkschaft bestätigt, dass die Werkvertrags-Beschäftigung immer stärker in die Kernbereiche der Produktion diffundiert:

»18.000 Menschen arbeiten nach Schätzungen der IG Metall in der Leipziger Autoindustrie, doch nicht einmal die Hälfte gehört zu den Stammbelegschaften von BMW und Porsche. Die Mehrheit sind Leiharbeiter oder bei Werkvertragsunternehmen beschäftigt, die als sogenannte produktionsnahe Dienstleister für die großen Hersteller tätig sind. Sie montieren Einzelteile und Komponenten und bringen sie „just in sequence“, in genau abgestimmter Reihenfolge, direkt an die Produktionsfließbänder von BMW und Porsche. Die Tätigkeiten sind unmittelbarer Teil der Produktion, von der sie nicht zu trennen sind.«

Die IG Metall hat nun einen Sozialreport Automobilcluster Leipzig veröffentlicht und sich die Situation der Beschäftigten genauer angeschaut. Ein Ergebnis: Fast 30 Prozent der Befragten verdienen inklusive aller Zuschläge weniger als 1.750 Euro brutto. Fast 44 Prozent sagen, ihnen fehle das Geld für Urlaub. Dabei arbeiten 90 Prozent auch an Wochenenden und Feiertagen. Das ist auch eine Folge der Tatsache, dass die Automobilindustrie den Standort Leipzig zu einem Labor für Produktions- und Arbeitszeitkonzepte gemacht habe. Dem allerdings hat sich die IG Metall gestellt. „Die harten Tarifauseinandersetzungen bei Schnellecke, Rudolph Logistik und der WISAG waren Meilensteine zu einem tariflichen Ordnungsrahmen. Lange Zeit waren die Arbeitsbedingungen bei den Kontraktlogistikern und Industriedienstleistern ungeregelt. Die Beschäftigten haben in diesen Konflikten erfahren, dass sie nicht per se prekäre Hilfskräfte an der letzten »verlängerten Werkbank« sind, sondern genauso Teil des Gesamtprozesses wie ihre Kolleginnen und Kollegen der Stammbelegschaften an den Endmontagebändern von BMW und Porsche“, so wird der IG Metall-Bezirksleiter Olivier Höbel zitiert. (Der ganze Report als PDF-Datei: IG Metall: Sozialreport Automobilcluster Leipzig. Zur Lage der Beschäftigten bei industriellen Dienstleistern. Wege zu einem gemeinsamen tariflichen Ordnungsrahmen. Frankfurt 2015).

Von den schrittweise Erfolgen der Gewerkschaft berichtet auch Jörn Boewe in seinem Artikel:

»Der Report zeigt aber auch, dass es etwa seit fünf, sechs Jahren eine Verbesserung der Situation gibt. Das Wiederanziehen der Konjunktur nach der Krise von 2008/2009 spielt dabei eine Rolle, aber auch eine veränderte Herangehensweise der Gewerkschaft. 2008 hatte sie eine großangelegte Kampagne zur Gleichstellung der Leiharbeiter gestartet und damit erstmals die »Arbeit am Rand« in den Blick genommen. In Leipzig suchten Gewerkschaftssekretäre Kontakt zu den Beschäftigten der zahlreichen Industriedienstleister und unterstützten die Wahl von Betriebsräten und Tarifkommissionen.

2010 konnte die IG Metall beim weltweit agierenden Autozulieferer Schnellecke einen Haustarifvertrag durchsetzen, was den Kollegen im Schnitt 400 Euro mehr pro Monat bedeutete. Der Durchbruch folgte zwei Jahre später beim Industrielogistiker Rudolph. Hier beteiligten sich die Beschäftigten sogar fünfmal an Warnstreiks. Weitere Tarifabschlüsse in anderen Firmen folgten. Auf diese Weise konnten Einkommenserhöhungen und kürzere Arbeitszeiten für insgesamt rund 2.400 Arbeiter durchgesetzt werden.«

Was man hier erkennen kann ist die mühsame, aber offensichtlich sukzessiv auch durchaus erfolgreiche Bearbeitung der einen Tariffrage: Wenn der Druck auf die Stammbelegschaften durch die immer stärkere Ausbreitung der Werkverträge in den Kernbereich hinein steigt, dann muss man eben die eigene Tarifpolitik auf diese vor- und nachgelagerten Bereiche ausdehnen, um das tarifpolitisch wieder in Griff zu bekommen.

Genau hier aber tut sich eine zweite Tariffrage auf. Gemeint ist die Tatsache, dass viele der Werkvertragsunternehmen der Logistik-Branche zugeordnet sind und hier gilt die Zuständigkeit einer anderen Gewerkschaft – von Verdi. Und da gibt es zunehmend Konflikte, denn die IG Metall muss immer stärker diese Zuständigkeitsgrenze überschreiten, um die ganze Wertschöpfungskette wieder unter ihr Dach zu bekommen. Das führt zu handfesten Konflikten – vgl. dazu den Beitrag Wenn unterschiedlich starke Arme eigentlich das Gleiche wollen und sich in die Haare kriegen: „Tarifeinheit“ aus einer anderen Perspektive vom 3. September 2014.

Es gibt also gute Gründe, „die“ Werkverträge zu einem Thema zu machen – allerdings sollen die Anführungszeichen verdeutlichen, dass es eben eine enorme Heterogenität der Werkverträge gibt und nicht alle können und dürfen unter dem Label „Lohndumping“ subsumiert werden. Hinzu kommt: Die Ambivalenz vieler Betriebsräte erklärt sich aus der Tatsache, dass natürlich in gewissem Maße ein Teil der schlechteren Bedingungen bei den Werkvertrags-Beschäftigten die besseren Bedingungen der Stammbeschäftigten stabilisiert. Insofern könnte am Ende des Prozesses das Ergebnis stehen, dass die IG Metall die an solchen Aktionstagen natürlich grundsätzlich beklagte Auffächerung der Tarifstruktur nach unten (aus der Perspektive des Niveaus der heutigen Stammbelegschaft) in geordneten Bahnen mitgehen wird (so meine These in dem Beitrag Outsourcing mit Folgen: Werkverträge im Visier. Die IG Metall versucht, den Druck auf die Bundesregierung zu erhöhen vom 1. September 2015).

Von der nun anstehenden gesetzlichen Neuregelung der Werkverträge – auch wenn sich der Aktionstag hier ausdrücklich an Berlin gerichtet hat – werden sich die Gewerkschaften außer einem Informationsrecht für Betriebsräte nicht viel erwarten dürfen. Das von ihrer Seite aus geforderte Mitbestimmungsrecht der Betriebsräte wird es nicht geben. Dazu ist der Widerstand der Arbeitgeber an dieser Stelle viel zu groß und die politischen Handlungsspielräume der Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) innerhalb der Großen Koalition sind zu klein bzw. gar nicht mehr vorhanden, was weitere Regulierungen angeht. Die Formulierung im Koalitionsvertrag spricht nur von Informations-, nicht aber von Mitbestimmungsrechten, so dass sich die Union hier auch nicht weiter wird bewegen müssen.

Outsourcing als eine Quelle für die zunehmende Lohnungleichheit in Deutschland

Outsourcing ist ein sehr weit gefasster Oberbegriff für teilweise sehr unterschiedliche Prozesse innerhalb des Wirtschaftslebens. Darunter würde die Abgabe einer bislang von eigenen Beschäftigten betriebenen Werkskantine an ein Catering-Unternehmen, dass die fortan im Auftrag als ein „Betrieb im Betrieb“ bewirtschaftet, genauso subsumiert werden wie die Auslagerung der Produktion eines Automobilherstellers an einen rumänischen Standort. Zum Outsourcing gehört beispielsweise auch das Vorgehen im Bereich der Paketdienste, über Subunternehmer-Ketten auf eigene Mitarbeiter im klassischen Sinne verzichten zu können (man denke hier an GLS oder Hermes), sondern die Arbeit von „selbständigen“ Paketfahrern erledigen zu lassen. Oder generell die Fremdvergabe innerhalb eines Unternehmens über das Instrumentarium der Leiharbeit oder die Vergabe an eine Fremdfirma über die Nutzung von Werk- und Dienstverträgen. Und mit Leiharbeit und Werkverträgen haben wir bereits Stichworte aufgerufen, die seit Jahren immer wieder überaus kritisch diskutiert werden hinsichtlich der Folgen ihrer immer intensiveren Nutzung in vielen Unternehmen.

In diesen Tagen beginnt eine erneute und massive Kampagne der IG Metall gegen die aus ihrer Sicht oftmals missbräuchlichen Inanspruchnahme von Werkverträgen – vgl. dazu bereits den Blog-Beitrag Outsourcing mit Folgen: Werkverträge im Visier. Die IG Metall versucht, den Druck auf die Bundesregierung zu erhöhen vom 1. September 2015 sowie den Beitrag Problemfall Werkvertrag. Das System der verlängerten Werkbank von Johannes Schulten und Jörn Boewe.
Das Problem ist wie so oft bei Fragen des Arbeitsmarktes: Es gibt nicht nur Schwarz oder Weiß, sondern eben auch viele Grautöne. Das kann man sich verdeutlichen am Beispiel der Werkverträge. An sich ist diese Rechtshülle nicht verwerflich, sie bildet viele Geschäftsbeziehungen ab, die gar nicht anders abgewickelt werden könnten. Wenn man einen Maler beauftragt, das eigene Wohnzimmer zu streichen, dann schließt man einen Werkvertrag. Es macht auch nicht wirklich Sinn, den Maler in ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis einzustellen. Wenn man ein Schreibbüro beauftragt, mehrere Stunden Audio-Aufzeichnungen von Interviews im Rahmen eines Forschungsprojekts abzutippen, dann ist das eine sinnvolle Fremdvergabe. Insofern macht es aus Sicht einer Effizienzsteigerung durch Konzentration auf die eigenen Kernkompetenzen durchaus Sinn, Aufgaben auszulagern und nicht selbst zu machen.

Der IG Metall und anderen geht es aber nicht um diese nicht-vermeidbaren Fälle der Auslagerung. Sondern um eine Auslagerung, die überwiegend oder ausschließlich veranstaltet wird, um die „zu hohen“ Kosten der Stammbeschäftigten zu drücken, in dem Leiharbeit und/oder Werkverträge in Anspruch genommen werden, um das Kostendifferential zu nutzen.

»Mehr als zwei Drittel der Betriebe kauften inzwischen Leistungen bei anderen Firmen ein, ergab eine Umfrage der IG Metall unter gut 4000 Betriebsratsvorsitzenden. In fast drei Vierteln dieser Fälle müssten die Beschäftigten der Werkvertragsfirmen zu schlechteren Bedingungen arbeiten als ihre festangestellten Kollegen. Häufig sei eine solche Fremdvergabe von Arbeit per Werkvertrag mit niedrigeren Löhnen, längeren Arbeitszeiten oder weniger Urlaubstagen verbunden«, so der Artikel IG Metall beklagt Missbrauch von Werkverträgen.

In diesem Zusammenhang – zugleich über das Feld der IG Metall hinausreichend – interessant sind die Ergebnisse einer Studie, die vor kurzem vom Institut Zukunft der Arbeit (IZA) in Bonn veröffentlicht worden sind:

Deborah Goldschmidt and Johannes F. Schmieder: The Rise of Domestic Outsourcing and the Evolution of the German Wage Structure. Discussion Paper No. 9194. Bonn: IZA, July 2015

Das Institut hat die dazu gehörende Pressemitteilung lapidar überschrieben mit: Outsourcing erhöht Lohnungleichheit in Deutschland. Daraus einige interessante Befunde:

»Die Forscher dokumentieren das Ausmaß des Outsourcings für Wirtschaftsbereiche, die besonders von dieser Entwicklung profitieren: Reinigungs-, Sicherheits- und Logistikdienstleistungen (RSL) sowie Zeitarbeitsfirmen. Während 1975 nur rund zwei Prozent aller Beschäftigten für RSL-Dienstleister oder Zeitarbeitsfirmen tätig waren, stieg dieser Anteil bis 2008 auf fast acht Prozent an.« Die beiden Wissenschaftler haben sich auf Situationen konzentriert, in denen Betriebe ganze Gruppen von Arbeitskräften gemeinsam an Dienstleister auslagern, um die Fälle auszuschließen, dass nur diejenigen Mitarbeiter ausgelagert werden, die in den Augen des Arbeitgebers eine geringere Produktivität aufweisen.

»Die Löhne fallen nach der Auslagerung deutlich und liegen nach zehn Jahren etwa 10-12 Prozent niedriger als die von vergleichbaren Arbeitern, die nicht ausgelagert wurden. Die Verluste sind am höchsten für Reinigungspersonal und Zeitarbeiter. Etwas geringer fällt der Effekt für Logistikarbeiter aus, z.B. LKW-Fahrer oder Kantinenmitarbeiter.«

Und weiter:

»Attraktiv ist das Auslagern von vorher betriebseigenen Prozessen und Aufgaben vor allem für Unternehmen, die relativ hohe Löhne bezahlen und an Tarifverträge gebunden sind. Das führt in vielen Fällen dazu, dass Arbeitskräfte in ohnehin schlecht bezahlten Berufen in ihrem neuen Beschäftigungsverhältnis weitere Lohneinbußen in Kauf nehmen müssen. Entsprechende Folgen hat der Trend für die Lohngerechtigkeit: Die Simulationen legen nahe, dass allein das Outsourcing im Reinigungs-, Sicherheits- und Logistikbereich etwa 10% des Gesamtanstiegs der Lohnungleichheit in Deutschland erklären kann.«

Outsourcing mit Folgen: Werkverträge im Visier. Die IG Metall versucht, den Druck auf die Bundesregierung zu erhöhen

Werkverträge? Da denken viele Menschen an die Ausbeutung osteuropäischer Billigarbeiter auf deutschen Schlachthöfen oder auf den vielen Baustellen im Land. Und das die Regaleinräumer in den Discountern oftmals Werkvertragskräfte sind, hat man auch schon mal gehört. Irgendwie ein Thema aus den untersten Etagen des Arbeitsmarktes, wo die Niedriglöhner arbeiten (müssen). Aber nur wenige werden vor Augen haben, dass das auch in ganz umfangreichen Maße auf hoch qualifizierte Kräfte zutreffen kann, beispielsweise auf Ingenieure in der Forschung und Entwicklung in der Automobilindustrie. Das Thema Werkverträge und ihre Ausbreitung in der Welt der Wirtschaft ist also nicht neu, aber offensichtlich – folgt man der Wahrnehmung der großen Industriegewerkschaft IG Metall, die das volkswirtschaftliche Rückgrat der deutschen Industrie beackert – nimmt die aus ihrer Sicht missbräuchliche Nutzung eines Teils der Werkverträge zum Zwecke des Lohndumping zu und deshalb fordert man die Bundesregierung auf, auf dieser Baustelle wie im Koalitionsvertrag im Grunde auch vereinbart, endlich regulatorisch tätig zu werden.

Die Art und Weise der etwas umständlichen Formulierung der thematischen Einleitung dieses Beitrages soll darauf hinweisen, dass es gar nicht so einfach ist, hier eine klare, also eindeutige Beschreibung des Problems und der möglichen Lösung vorzunehmen. Da macht es Sinn, zuerst einmal die Gewerkschaft selbst anzuhören. Die hat ihre Pressemitteilung dazu so überschrieben: IG Metall wendet sich gegen Werkverträge, die zum Lohndumping missbraucht werden. Betriebsräte-Umfrage 2015: Werkverträge ersetzen immer mehr Stammarbeitsplätze. Der kann man entnehmen: Die IG Metall kritisiert den Missbrauch – es geht jedoch nicht um das Vertragskonstrukt Werkvertrag an sich. In der Metall- und Elektroindustrie seien vor allem die Bereiche Kontraktlogistik, industrielle Services sowie Entwicklungsdienstleister betroffen, so ein Ergebnis einer Befragung von mehr als 4.000 Betriebsratsvorsitzenden. Jörg Hofmann, Zweiter Vorsitzender der IG Metall, wird mit diesen Worten zitiert: „Wir kritisieren nicht die sinnvolle Arbeitsteilung zwischen dem Produzenten von Fahrzeugen oder Maschinen und Spezialisten, die hierfür Dienstleistungen anbieten: Daneben hat sich aber eine Praxis der Auslagerung entwickelt, die alleine auf Lohndumping baut, um Extraprofite einzustreichen.“ Auch hier wieder: Kein Generalangriff, sondern ein differenzierter Blick auf eine bestimmte Form der Inanspruchnahme von Werk- und Dienstverträgen.

Der Impuls der IG Metall ist in einigen Medien sofort aufgegriffen worden – berührt er doch einen Kernbereich dessen, was in der Industrie abläuft. Die WirtschaftsWoche hat ihren Artikel dazu überschrieben mit IG Metall attackiert Outsourcing in der Industrie. Und Stefan Sauer schreibt in der Berliner Zeitung: Werkverträge spalten Belegschaft in „unterschiedliche Klassen“. Er verdeutlicht gleich am Anfang seines Beitrags, warum das Thema so sperrig und eben nicht einfach in „gut“ und „böse“ zu unterteilen ist:

»Werkverträge gibt es seit mehr als 100 Jahren. Die im Bürgerlichen Gesetzbuch niedergelegten Regularien ermöglichen es Unternehmen, andere Firmen mit speziellen Aufgaben zu betrauen, etwa mit dem Betrieb von Kantinen oder der Gebäudereinigung. Insoweit sind Werkverträge in einer komplexen, arbeitsteiligen Wirtschaft nicht wegzudenken.«

Ganz anders – aus Sicht der Gewerkschaften – stellt sich das dar, wenn Leistungen, die bislang von den Stammbelegschaften erbracht worden sind, von außen billiger eingekauft werden. Genau das ist die Stoßrichtung der IG Metall, die wie erwähnt auf der Grundlage einer Befragung von mehreren tausend Betriebsratsvorsitzenden argumentiert:

»Danach werden in mittlerweile 69 Prozent der Unternehmen Arbeiten an Fremdfirmen vergeben. In einer ersten Betriebsratsumfrage 2012 waren es 60 Prozent gewesen. Besonders größere Arbeitgeber mit mehr als 1000 Beschäftigen setzten verstärkt auf Werkverträge. In gut einem Drittel dieser Betriebe wurden 2015 mehr Fremdfirmen angeheuert als 2012, in nur neun Prozent der Unternehmen kam es zu einem Rückgang.«

Nun ist die rein quantitative Zunahme gar nicht das zentrale Problem aus Sicht der Arbeitnehmervertreter, sondern der veränderte Charakter der Werk- und Dienstverträge: Ging es früher vor allem um Arbeiten, die mit dem eigentlichen Unternehmenszweck eher am Rande zu tun hatten, so sind mittlerweile häufig auch zentrale Bereiche betroffen.

Anders gesagt: Die Werk- und Dienstverträge fressen sich vom Rand rein in den Kern dessen, was die produzierenden Unternehmen tun – und tangieren damit, um einen betriebswirtschaftlichen Terminus zu verwenden, die Kernkompetenz, deren Erledigung der Stammbelegschaft bislang die vergleichsweise hohen Löhne garantiert hat.

»Die Gewerkschaft macht dies an drei Beispielen fest: In 36 Prozent der Betriebe mit mehr als 1000 Mitarbeitern seien in der Forschungs- und Entwicklung Fremdfirmen tätig. Im Fahrzeugbau liege der Anteil sogar bei 50 Prozent.
Ein Drittel der in den Unternehmen mit Logistikaufgaben betrauten Arbeitnehmer sei mittlerweile bei Fremdfirmen angestellt, 2005 habe der Anteil noch bei fünf Prozent gelegen. Und auch die Wartung und Reinigung von Maschinen werde mittlerweile nur noch zu 70 Prozent von Stammbeschäftigten erledigt, zu 30 Prozent von Werkvertragsfirmen. Diese stellen in den genannten Bereichen mehr als 100 000 Beschäftigten in der Branche.«

»In fast drei Viertel aller Fälle müssen die Beschäftigten der Werkvertragsfirmen zu schlechteren Bedingungen arbeiten als ihre Kollegen, die fest angestellt sind«, so die IG Metall in ihrer Pressemitteilung. Was das bedeutet? Längere Arbeitszeiten, weniger Urlaub, geringere Stundenlöhne und schlechtere Altersvorsorge. Und wenn man beispielsweise an die Werkverträgler in den Fertigungsstätten der deutschen Automobilindustrie denkt: Sie haben auch keinen Zugang zu den zahlreichen und aufgrund jahrzehntelanger Arbeit der Gewerkschaft erkämpfter betrieblicher Sozialleistungen und „natürlich“ profitieren sie auch nicht von den Prämien, in deren Genuss die Stammbeschäftigten kommen (können).

Nun sind diese Probleme nicht neu, sondern sie werden bereits seit längerem kritisch diskutiert – man denke hier nur an die Dokumentation Hungerlohn am Fließband – Wie Tarife ausgehebelt werden über Werkverträge bei Daimler, die im ARD-Fernsehen am 13. Mai 2013 zur besten Sendezeit (und kurz vor der Präsentation der neuen S-Klasse des Konzerns) ausgestrahlt wurde und dazu geführt hat, dass der schwäbische Weltkonzern gegen den SWR mit der Forderung auf Nicht-Verbreitung der Fernsehbeitrags und der gerichtlichen Feststellung, dass die Aufnahmen mit versteckter Kamera unzulässig seien, vor Gericht gezogen ist – bislang allerdings in zwei Instanzen erfolglos.

Der Hintergrund für die aktuellen Aktivitäten der IG Metall ist eine bislang nicht eingelöste Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag der Großen Koalition aus dem Dezember 2013. Dort findet man auf der Seite 49 die folgende Absichtserklärung:


Missbrauch von Werkvertragsgestaltungen verhindern
Rechtswidrige Vertragskonstruktionen bei Werkverträgen zulasten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern müssen verhindert werden. Dafür ist es erforderlich, die Prüftätigkeit der Kontroll- und Prüfinstanzen bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit zu konzentrieren, organisatorisch effektiver zu gestalten, zu erleichtern und im ausreichenden Umfang zu personalisieren, die Informations- und Unterrichtungsrechte des Betriebsrats sicherzustellen, zu konkretisieren und verdeckte Arbeitnehmerüberlassung zu sanktionieren. Der vermeintliche Werkunternehmer und sein Auftraggeber dürfen auch bei Vorlage einer Verleiherlaubnis nicht bessergestellt sein, als derjenige, der unerlaubt Arbeitnehmerüberlassung betreibt. Der gesetzliche Arbeitsschutz für Werkvertragsarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer muss sichergestellt werden.
Zur Erleichterung der Prüftätigkeit von Behörden werden die wesentlichen durch die Rechtsprechung entwickelten Abgrenzungskriterien zwischen ordnungsgemäßen und missbräuchlichen Fremdpersonaleinsatz gesetzlich niedergelegt.

Das hört sich einfacher an, als es in der Wirklichkeit – in der bekanntlich der Teufel im Detail steckt – ist. Letztendlich und vereinfacht gesagt geht es um die (dann auch noch rechtssichere) Abgrenzungsfrage von „guten“ versus „schlechten“ Werkverträgen. Bert Losse und Max Haerder erläutern dazu in ihrem Artikel IG Metall attackiert Outsourcing in der Industrie:

»Die Bundesarbeitsministerin hat eine Reform der Werkverträge seit ihrem Amtsantritt auf der Agenda und will die heikle Reform noch in diesem Herbst auf den Weg bringen. Denn spätestens ab kommendem Frühjahr, wenn diverse Landtagswahlen die politische Agenda bestimmen, dürfte es schwierig werden, umstrittene Gesetze wie eine Werkvertragsregulierung durch den Bundestag zu peitschen.
Daher plant die SPD-Politikerin eine Art Paketlösung. Nahles will die Werkverträge gemeinsam mit der Zeitarbeit regulieren, wobei Letzteres deutlich einfacher sein dürfte – nicht zuletzt, weil die Eckpunkte bei der Zeitarbeit vergleichsweise detailliert im Koalitionsvertrag festgezurrt wurden. Das ist im Fall der Werkverträge anders. Ministeriums-Fachleute geben zu, dass es kompliziert werden könnte, nun eine Regelung zu finden, mit der Gewerkschaften, Arbeitgeber und der Koalitionspartner gleichermaßen leben können.«

Wie kompliziert die zu regelnde Materie aus rechtswissenschaftlicher Sicht ist, verdeutlicht das im vergangenen Jahr vorgelegte Gutachten der beiden Arbeitsrechtler Christiane Brors und Peter Schüren: Missbrauch von Werkverträgen und Leiharbeit verhindern. Gutachten für das Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, Februar 2014. Eine kurze Zusammenfassung einiger Aspekte findet sich in dem Artikel Werkverträge: Den Dschungel lichten.

Vor diesem Hintergrund darf man gespannt sein, was die Bundesarbeitsministerin von ihrem Ministerium im Herbst vorlegen lässt. Wichtige Forderungen der Gewerkschaftsseite werden allerdings nicht berücksichtigt werden, also beispielsweise die Forderung nach Mitbestimmung beim Einsatz von Werkverträgen – auch der zitierte Passus im Koalitionsvertrag stützt diese These, denn dort ist lediglich die Rede davon, die „Informations- und Unterrichtungsrechte des Betriebsrats“ sicherzustellen, von Mitbestimmung steht da nichts. Und Nahles – auch wenn sie wollte – wird darüber keineswegs hinausgehen (können), ist sie doch seit dem Mindestlohn und dem Rentenpaket koalitionsintern kaltgestellt, was gewerkschaftsfreundliche Regulierungen angeht und zum anderen laufen die Wirtschaftsverbände bereits jetzt Sturm gegen eigentlich jede Regelung in diesem Bereich, denn aus ihrer Sicht handelt es sich um rein unternehmerische Entscheidungen, in die man sich nicht rein reden lassen will.

Vielleicht muss man die Intensivierung der IG Metall-Kampagne gegen Werkverträge – so soll es als nächste Stufe am 24.09.2015 an nahezu allen Standorten der deutschen Automobilhersteller einen Aktionstag geben und die Gesamtbetriebsratsvorsitzenden der Automobilhersteller und Zulieferer werden einen gemeinsamen Aufruf an die Politik absetzen – vor dem Hintergrund eines wirklich heftigen organisationspolitischen Dilemmas der IG Metall sehen: Durch das zunehmende Outsourcing verliert die Gewerkschaft den tarifpolitischen Zugriff auf immer mehr Beschäftigte. Wenn sich ihre Organisationshoheit nur noch auf die Stammbelegschaften verengt und immer mehr Werkvertragsarbeitnehmer in tarif- und mitbestimmungslosen Unternehmen befinden, dann wird die Schlagkraft der IG Metall erheblich abnehmen.

Insofern könnte am Ende des Prozesses – wir bewegen uns hier natürlich im Bereich der Spekulation – ein Ergebnis stehen, dass man trotz der großen Kritik an den Werkverträgen in Anerkenntnis ihrer betriebswirtschaftlicher Funktionalität (zu der auch – man muss es sagen dürfen – eine gewisse Stabilisierungsfunktion der Arbeitsbedingungen der Insider gehört, was auch die teilweise Ambivalenz der Betriebsräte bei diesem Thema erklären kann) wie aber auch angesichts der Tatsache, dass es gerade für produzierende Unternehmen immer auch die Option eines ausländischen Outsourcing gibt, das nicht selten als Damoklesschwert instrumentalisiert wird, wenn man nicht den Kostensenkungsvorgaben in den Unternehmen entgegenkommt, die derzeit heftig und verständlicherweise auch beklagte Auffächerung der Tarifstruktur nach unten (vgl. aktuell dazu Metall-Arbeitgeber fordern neuen Einstiegstarif) letztendlich mitgehen wird, wenn sie denn unter dem Dach der IG Metall stattfindet. Hinweise auf diese strategische Ausrichtung gibt es – gerade in dem so wichtigen Bereich der Logistik, deren Unternehmen sich über Werkverträge immer tiefer in die Kernprozesse der Automobilhersteller und anderer Schwergewichte der Stahl- und Metallindustrie fressen und die eigentlich – auch nach der DGB-Abgrenzung – unter die Zuständigkeit der Gewerkschaft ver.di fallen. Da ist die IG Metall dann auch schon mal auf Konfrontationskurs gegen ver.di gegangen, erinnert sei hier an die „Machtübernahme“ der Metaller beim Logistik-Unternehmen Stute (vgl. dazu meinen Blog-Beitrag Wenn unterschiedlich starke Arme eigentlich das Gleiche wollen und sich in die Haare kriegen: „Tarifeinheit“ aus einer anderen Perspektive vom 3. September 2014). Das alte Motto „Ein Betrieb = eine Gewerkschaft“ kann dann eine ganz neue Dimension bekommen, wenn man den „Betrieb“ ausweitet auf die vor- und nebengelagerten Betriebe.

Wie gesagt, alles derzeit zwangsläufig nur Spekulation.