Jetzt mal die Daumenschrauben auspacken. Wenn Juristen über einen Katalog der Grausamkeiten nachdenken und das in Worte fassen. Die andere Seite der Flüchtlingspolitik

»Die Bundesregierung plant die schärfsten Leistungseinschränkungen für Flüchtlinge, die es in der Bundesrepublik je gab,« berichtet Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung unter der Überschrift Regierung plant Verschärfung des Asylrechts. Es geht um einen Gesetzentwurf, der sich seit Montag in der Ressortabstimmung befindet und heute von der Organisation Pro Asyl öffentlich gemacht wurde. Sicherlich nicht mit Zustimmung und Unterstützung der Bundesregierung, denn die dort enthaltenen Maßnahmen haben es wahrlich in sich.

Von den teilweise drastischen Einschränkungen betroffen wären im Wesentlichen – soweit man das derzeit beurteilen kann – drei Flüchtlingsgruppen:

Zum einen die so genannten „Dublin-Flüchtlinge“.

»Nach dem Dublin-System ist stets derjenige Staat, den der Flüchtling auf seiner Flucht nach Europa als erstes betreten hat, für das Asylverfahren und die Aufnahme zuständig. Dieses System war unter dem Druck der hohen Zahl von Flüchtlingen zumal aus Syrien in den vergangenen Wochen zusammengebrochen … (das) würde grundsätzlich auch die Syrer betreffen, die in den vergangenen Wochen über Ungarn und Österreich nach Deutschland gekommen sind.«

Sie sollen veranlasst werden, sich wieder in den Staat zu begeben, den sie in der EU als erstes betreten haben. »Sie werden künftig, „ausschließlich eine Reisebeihilfe zur Deckung des unabweisbaren Reisebedarfs“ erhalten. Sie sollen auch keinen Anspruch auf ein Bett oder ein Dach über dem Kopf haben, auch keinen Anspruch auf medizinische Betreuung. Das Asylbewerberleistungsgesetz wird für sie quasi abgeschaltet. Die Bundesregierung will offenbar auf diese Weise das Dublin-System wieder stabilisieren.«

In der Konsequenz würde das bedeuten, dass zahlreiche Flüchtlinge in der Obdachlosigkeit landen, wenn es denn zu diesem radikalen Leistungsausschluss käme.

»Flüchtlinge aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten (auch Albanien, Kosovo und Montenegro sollen dazu zählen) müssen statt wie bisher drei künftig bis sechs Monate im Aufnahmelager bleiben. In dieser Zeit sollen sie kein Bargeld, sondern nur Sachleistungen erhalten.«

Und drittens wären auch geduldete Flüchtlinge von einer Verschlechterung betroffen.

»Ein Teil derjenigen Flüchtlinge, die bisher eine „Duldung“ erhalten haben, weil sie nicht abgeschoben werden können, wird künftig einen noch wackeligeren Status haben – der ihnen mit einer neueingeführten „Bescheinigung über die vollziehbare Ausreisepflicht“ attestiert wird. Menschen mit diesem Papier darf „Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden“. Der Übergang von der Duldung in einen legalen Aufenthalt … wird in diesen Fällen künftig unmöglich sein: ohne Arbeit keine Stabilisierung des Aufenthalts.«

Besonders skurril kommt dieses Vorhaben daher:

»Bei der Versorgung derjenigen Flüchtlinge, denen ein medizinischer Anspruch zusteht, wird künftig auch auf „Asyl- und Schutzsuchende zurückgegriffen werden, die über ärztliche Ausbildung verfügen“. Für sie soll „eine Ermächtigung zur vorübergehenden Ausübung von Heilkunde befristet eingeführt werden“.«

Also anders gesprochen: Die sollen sich offenbar untereinander behandeln, denn die befristete Zulassung zur Ausübung der Heilkunde bezieht sich nur auf die Versorgung der Flüchtlinge, „denen ein medizinischer Anspruch zusteht“.

Neben diesem Katalog der Grausamkeiten gibt es eine erwähnenswerte Verbesserung im Vergleich zu heute:

»Zu den Erleichterungen des neuen Rechts zählt, dass Flüchtlinge, deren Asylantrag voraussichtlich Erfolg haben wird, schon während des Asylverfahrens zu Sprach- und Integrationskursen zugelassen werden können.«

Hier wird sich in der Praxis natürlich sofort die Frage stellen, wer denn wie beurteilt, ob der Asylantrag „voraussichtlich Erfolg haben wird“.

Abschließend sei angemerkt, dass es sich um einen ersten Gesetzentwurf handelt, der sicher so nicht das Licht der Welt erblicken wird. Auf der anderen Seite lässt es tief blicken, mit welcher Radikalität man hier Vorschläge in Paragrafen gegossen hat.

Die Organisation Pro Asyl, die den Entwurf in die Öffentlichkeit gehoben hat, betitelte ihre Pressemitteilung dazu mit Abschottung, Abschreckung und Obdachlosigkeit werden zum Programm.

Der fast 150 Seiten umfassende Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Flüchtlingspolitik mit weitreichenden Einschnitten im Aufenthalts-, Asyl- und Sozialrecht kann hier im Original als PDF-Datei abgerufen werden:

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Asylverfahrensgesetzes, des Asylbewerberleistungsgesetzes und weiterer Gesetze, Stand: 14.09.2015

1.200 Euro im Monat = „Top-Verdienerin“? Lehrkräfte in Integrationskursen verständlicherweise auf der Flucht oder im resignativen Überlebenskampf

Derzeit erleben wir im Kontext der vielen Flüchtlinge, die unser Land erreichen (und die noch zu uns kommen werden) eine Polarisierung zwischen denen, die mit offener Ablehnung und Hass auf die Zuwanderung reagieren bis hin zu verabscheuungswürdigen Attacken auf die Unterkünfte und die Menschen selbst, sowie auf der anderen Seite eine großartige Welle der Hilfsbereitschaft und des ehrenamtlichen Engagements vieler Bürger, die tatkräftig anpacken und damit die offensichtliche Überforderung vieler staatlicher Strukturen auffangen und teilweise kompensieren. Damit einher geht allerdings auch eine diskussionswürdige Polarisierung zwischen denen, die ihren Ressentiments vor allem in den sozialen Netzwerken freien Lauf lassen (und den nicht wenigen, die das für sich behalten und nicht offen zu Tage tragen, dennoch ähnliche Gedanken haben), und auf der anderen Seite eine sicher von Herzen kommende, teilweise aber auch schon sehr einseitige Überhöhung der Menschen, die aus ganz unterschiedlichen Gründen hier bei uns landen, bis hin zu einer fundamentalen Ablehnung jeder Position, die nicht für die uneingeschränkte Aufnahme und generell Öffnung gegenüber allen, die kommen wollen, plädiert.

Dabei ist das alles viel komplizierter – vor allem die konkret und handfest zu stemmenden Aufgaben, die bewältigt werden müssen, sind nicht annähernd zu unterschätzen und auch die sicher in den vor uns liegenden Jahren zunehmenden Verteilungskonflikte in unserer Gesellschaft müssen im Auge behalten werden, damit einem das alles nicht um die Ohren fliegt. Vor diesem Hintergrund muss natürlich alles getan werden, dass man die Menschen, die hier auf absehbare Zeit bei uns bleiben werden (manche auch für immer), so schnell und gut wie irgend möglich zu integrieren versucht. Und man kann es drehen und wenden wie man will – dafür sind die Sprachkenntnisse von fundamentaler Bedeutung, zugleich aber auch eine Vermittlung der gesellschaftlichen Strukturen, Werte und Realitäten, mit denen die Menschen, die oftmals aus völlig anderen Kulturen kommen, hier in unserem Land konfrontiert werden. Und dabei gilt im Idealfall, auch die Erwartungen zu formulieren und zu vermitteln, was hier bei uns zum gesellschaftlichen Grundkonsens gehört, den man respektieren sollte.

Für diese – jeder mit etwas Phantasie kann es sich sogleich vorstellen – mehr als ambitionierte Aufgabenstellung gibt es für einen Teil der Zuwanderer die so genannten „Integrationskurse“, die von ganz unterschiedlichen Trägern angeboten werden (vgl. zu den unterschiedlichen Integrationskursen die statistische Informationen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge).  Die werden beispielsweise von den Volkshochschulen oder wohlfahrtsverbandlichen Trägern angeboten. Und die müssen natürlich auch von konkreten Menschen gemacht werden, womit wir beim Kern des hier relevanten Problems angekommen sind. Denn jeder unbefangene Beobachter würde einsehen, dass (eigentlich) gerade diese pädagogischen Fachkräfte angesichts der enormen Herausforderungen gut bezahlt werden und ordentliche Arbeitsbedingungen bekommen müssten für ihre auch gesellschaftspolitisch so wichtige Arbeit. Nun wissen wir aber auch aus anderen Bereichen unseres sowieso nur historisch und nicht sachlogisch zu verstehenden vielgestaltigen Bildungswesens, dass die Vergütung und die realen Arbeitsbedingungen oftmals in keinerlei Korrelation stehen zu den faktischen Schweregeraden der pädagogischen Arbeit und/oder der Wirksamkeit der pädagogischen Intervention oder der gesellschaftspolitischen Bedeutung (die in der frühkindlichen Bildung, Erziehung und Betreuung sicher um ein Vielfaches höher ist als in den Selbstfindungskursen für das obere Management). Besonders krass ist diese Diskrepanz aber bei den Lehrkräften, die an der Front in den Integrationskursen arbeiten (müssen).

Auf deren Situation hat dankenswerterweise David Krenz in seinem Artikel Nur raus aus dem Traumberuf aufmerksam gemacht. Dort finden wir auch einige Hintergrundinformationen zu den Integrationskursen:

»Die Integrationskurse bestehen aus 600 Stunden Sprachunterricht und 60 Stunden Orientierungskurs zu Geschichte, Kultur, Alltag, Recht und dem politischen System in Deutschland.
Jobcenter oder Ausländerbehörde können Zuwanderer zur Teilnahme verpflichten, wer deutscher Staatsbürger werden möchte, muss im Abschlusstest die Niveaustufe B1 erreichen. Für Sozialhilfe- und ALG-II-Empfänger sind die Kurse kostenfrei, die übrigen zahlen einen Eigenanteil (1,20 Euro pro Kursstunde).
Das System der Integrationskurse wird vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge verantwortet und finanziert. Es zahlt den Kursträgern 2,94 Euro pro Teilnehmer und Kursstunde (bzw. 1,74 Euro für Teilnehmer, die einen Eigenanteil leisten). Rund 1.800 private und öffentliche Träger sind für Integrationskurse zugelassen. Die Träger müssen ihren freiberuflichen Lehrkräften 20 Euro pro Stunde zahlen. Zahlen sie weniger, können sie nach einem Jahr die Zulassung durch das Bamf verlieren.«

Und wie sieht es mit den Lehrkräften aus? »Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat bislang rund 24.000 Lehrer für den Unterricht in Integrationskursen zugelassen. Sie müssen dafür neben einem akademischen Abschluss ein Zusatzstudium „Deutsch als Fremdsprache“ oder eine gleichwertige pädagogische Qualifikation vorweisen. Wie viele Lehrkräfte derzeit in Integrationskursen arbeiten, ist nicht bekannt, allein beim größten Kursanbieter, den Volkshochschulen, sind es derzeit etwa 3.000. Nur ein geringer Teil der Lehrkräfte ist festangestellt.«

Das bedeutet, die meisten Lehrkräfte arbeiten als (Schein-)Selbständige auf Honorarbasis. Die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) fordert für die Dozenten ein Mindesthonorar von 30 Euro pro Stunde als ein „erster Schritt“ neben der Forderung von Festanstellungen für bewährte und langjährig berufserfahrene Lehrkräfte – aktuell liegt es in den meisten Regionen aber um zehn Euro unter diesem Satz, also bei 20 Euro pro Stunde. Davon müssen die Honorarkräfte Renten- und Krankenversicherung komplett selbst finanzieren, Geld für die unbezahlten Urlaubs- und Krankentage zurücklegen. Kündigungsschutz gibt es nicht, nur befristete Verträge. Was das praktisch bedeutet für die Nettoeinnahmen verdeutlicht die Abbildung mit der Beispielsrechnung das Stundenhonorar eines Sprachlehrers im Integrationskurs betreffend. Die findet man auf der Webseite www.mindesthonorar.de der „Initiative Bildung prekär“, für die Georg Niedermüller verantwortlich zeichnet, der auch in dem Artikel von David Krenz zitiert wird:

»Georg Niedermüller wähnte sich im Traumberuf, als er 2009 Integrationslehrer wurde. Schnell wachte er auf. „Ich habe das ganze Jahr mit Hartz IV aufgestockt.“ Mit seiner „Initiative Bildung prekär“ prangert er die Beschäftigungsverhältnisse an: „Wir Dozenten arbeiten für nur einen Auftraggeber, in festen Räumen, nach vorgeschriebenem Lehrplan, zu nicht verhandelbaren Honoraren – klarer Fall von Scheinselbstständigkeit.“
Er sieht nur einen Ausweg aus dem Dumping-Dilemma: die Festanstellung. „Wir sind keine Unternehmertypen, wir sind Lehrer und wollen auch so behandelt werden.“ Höhere Honorare seien keine Lösung, „die würden nur unseren Selbstständigenstatus zementieren“.«

Ein anderes Beispiel aus dem Artikel, damit man einen Eindruck von den Größenordnungen bekommt, für die hier gearbeitet werden muss – wohlgemerkt, wir reden hier von studierten Lehrkräften mit Zusatzausbildung: »Im Kurs von Sabine Heurs sitzen ein politisch verfolgter Tierarzt aus Iran, ein nigerianischer Bischof, der mehrere Stammessprachen spricht, und eine chronisch übermüdete junge Rumänin, die nachts im Fitnessstudio putzt. Menschen, die von einem besseren Leben träumen. Das haben sie mit ihrer Dozentin gemeinsam. In Vollzeit verdient Heurs 1200 Euro netto im Monat – und zählt damit zu den Top-Verdienerinnen in ihrem Beruf. „Ein Witz“, sagt sie.«

Und was sagt das zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zu der Forderung nach einer fairen Bezahlung? Das Amt verweist auf die Vertragsfreiheit zwischen Trägern und Lehrkräften. „Eine Erhöhung des Kostenerstattungssatzes ist derzeit nicht geplant“, heißt es auf Nachfrage, berichtet Krenz.

Aber wann – wenn nicht jetzt? Denn der enorme Anstieg der Flüchtlingszahlen und die Öffnung auch für Asylbewerber wird zu einer weiteren massiven Zunahme der Nachfrage nach Integrationskursen führen und gleichzeitig »laufen den Sprachschulen die Lehrkräfte davon; viele wandern in besser honorierte und gesicherte Beschäftigungen ab, wie der deutsche Volkshochschulverband beobachtet hat.« Das sind doch theoretisch hervorragende Voraussetzungen, um eine deutliche Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu erkämpfen.

An dieser Stelle wird der aufmerksame Leser an eine Zahl denken, die schon zitiert wurde: Rund 1.800 private und öffentliche Träger sind für Integrationskurse zugelassen. Das bedeutet, wir sind mit einer unglaublichen Kleinteiligkeit der Trägerlandschaft als Regelform konfrontiert und eine kleine Volkshochschule wird eine Festanstellung zu vermeiden versuchen wie der Teufel das Weihwasser angesichts der Arbeitgeberrisiken, die man damit übernehmen muss. Gleichsam spiegelbildlich zur kleinteiligen Situation auf der Trägerseite ist die Isolierung der vielen Lehrkräfte als auf sich selbst gestellte „Arbeitskraftunternehmer“, die sich alleine durchschlagen müssen.

David Krenz weist auf diese strukturelle Schwachstelle auf Seiten der Dozenten in seinem Artikel explizit hin:

»Eben jene Arbeitsbedingungen, gegen die sie aufbegehren sollten, hindern viele am Protest: Wer zu Demos fährt, verzichtet auf Honorar, bezahlt wird nur jede geleistete Kursstunde. Und wer für ein paar Euro extra noch einen Abendkurs übernimmt, dem fehlen Zeit und Kraft zum Aufbegehren.

Andere wagen sich nicht aus der Deckung, weil finanzielle Not sie zu Betrügern macht: Es gilt als offenes Geheimnis, dass eine Mehrheit trotz Versicherungspflicht keine oder zu geringe Beiträge in die Rentenkasse einzahlt. „Wir haben Angst aufzufliegen“, sagt eine Dozentin aus Westfalen, die anonym bleiben möchte.«

Letztendlich haben wir es hier mit pädagogischen Tagelöhnern zu tun.

Hinzu kommt ein Dilemma, das wir auch aus anderen Bereichen vor allem der Dienstleistungen kennen (man denke hier an die Gastronomie oder den Einzelhandel): Die Gewerkschaften haben kein Fuß fassen können in diesem Feld. Nach Angaben der GEW sind weniger als zehn Prozent der Betroffenen gewerkschaftlich organisiert.

Vor diesem Hintergrund wäre es an der öffentlichen Hand, hier regulierend einzugreifen und für Ordnung zu sorgen (was ja ansonsten gerne in Sonntagsreden beschworen wird). Aber die Politik geht völlig auf Tauchstation und hofft, dass der Kelch irgendwie an ihr vorübergehen wird.
Illustrieren kann man das – wie aber auch das angesprochene Problem einer mangelnden Kollektivierung der Interessen – am Beispiel der „Initiative Bildung prekär“, die neben Georg Niedermüller aus drei weiteren Mitstreitern besteht.  Bei der Politik stießen sie auf taube Ohren, klagt Niedermüller: „Die SPD hat auf unsere letzten zwölf Mails gar nicht mehr reagiert.“

Die einen rein, die anderen ins Lager? Zur Ambivalenz einer erwartbaren Zwangsläufigkeit im Umgang mit Flüchtlingen

Die hier besonders interessierende Frage soll gleich an den Anfang gestellt werden: Kann es ein Gleichgewicht geben zwischen der fürsorgenden Aufnahme der einen und der gleichzeitigen Abschreckung und „Entsorgung“ der anderen Flüchtlinge, die nach Deutschland gekommen sind? Oder wird sich eine – auch mediengetriebene – Schlagseite entwickeln?

Es wird in diesen Tagen nun wahrlich viel, zuweilen auch fast schon im Sinne einer Überdosis berichtet über die neue Völkerwanderung, die sich in Bewegung gesetzt hat und deren Ausläufer tagtäglich in großer Zahl Deutschland erreichen. Auch wenn man zuweilen den Eindruck bekommen muss, es gibt nur zwei Seiten einer Medaille der Reaktion der Menschen, die hier schon leben – also entweder die vielen, die sich engagieren, die vor Ort in den Flüchtlingshilfeinitiativen arbeiten, die Menschen mit Wasser und anderen Dingen sofortversorgen, wenn diese – wie in Berlin – auf eine völlig überforderte Verwaltung treffen und auf der anderen Seite die verbohrten Rassisten und Rechtsextremen, die Flüchtlingsunterkünfte in Brand setzen und in den sozialen Netzwerken kübelweise ausländerfeindliche Gülle ausgießen.

Aber – auch wenn das hier nicht thematisch vertieft werden soll und kann – man muss schon auch darauf hinweisen, dass es eine große schweigende bzw. sich zurückhaltende Mehrheit der Mitte gibt, die am besten symbolisiert wird von der Bundeskanzlerin Merkel, denn Hand aufs Herz: Hat man von ihr schon irgendetwas gehört zu diesem nicht nur aktuell brisanten, sondern auf lange absehbare Zeit zutiefst gesellschaftspolitischen Thema wie Flüchtlinge? Hat sie wenigstens irgendeine weg- bzw. zurückweisende Rede gehalten? Nein, sie wartet wie immer eigentlich ab, auf welche Seite die gesellschaftlichen Pendel ausschlagen. Aber darum soll es gar nicht gehen, sondern um die Frage: Was machen wir mit den einen, auf die man sich einstellen wird müssen, weil sie hierbleiben können (das sind also die „guten Flüchtlinge“) und auf der anderen Seite die vielen Menschen aus Ländern, in die sie wieder zurückgeschickt werden müssen, weil sie keinen wirklichen bzw. akzeptierten Asylgrund vorweisen können. Und die Zahlen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) über die Herkunft derjenigen, die im ersten Halbjahr 2015 einen Erstantrag auf Asyl gestellt haben, verdeutlichen, dass fast jeder dritte Antrag von Menschen aus Ländern des Balkans gestellt wurde, für die man von einer Anerkennungsquote von unter einem Prozent ausgehen muss. So gut wie alle werden also wieder zurück müssen.

Genau an dieser Stelle stellt sich die Frage, wie man damit umgehen kann, soll und vor allem – unabhängig, das sei hier besonders hervorgehoben, wie man das findet – umgehen wird. Die Rahmenbedingungen führen zu einer gewissen Zwangsläufigkeit im Umgang mit den Flüchtlingen, die sich entwickeln wird in einem dreidimensionalen Raum zwischen „guten“, „nicht vermeidbaren“ und „abzustoßenden“ Flüchtlingen. Es geht also um Selektionsprozesse (solange „unberechtigte“ Flüchtlinge nach Deutschland kommen (können)). Die sind nicht nur grundsätzlich ambivalent, sondern sie können – wenn sie sich einmal in Bewegung gesetzt haben – ein Eigenleben annehmen, das dann zurückschlagen kann und wird auf die anderen, also die „guten“ oder „nicht vermeidbaren“ Flüchtlinge, die man länger behalten wird und muss.

Die angedeutete Entwicklungslinie wird im bestehenden System münden müssen in einem sich herausbildenden und auch gewissermaßen sich verselbständigenden Lagersystem. Vorreiter hierbei sind wieder einmal die Bayern. Die setzen das jetzt in die Tat um, was bislang eher wie eine akademische Debatte dahergekommen ist.

„Unerwünschte Flüchtlinge“ müssen in Geisterstadt – das kann man der Presse entnehmen. Und die Konkretisierung folgt auf dem Fuße: »In der schäbigen Kaserne in Manching wird die bundesweit erste Unterkunft für Asylbewerber aus Südosteuropa eröffnet. Zweck des „Balkanzentrums“: Die Flüchtlinge schnellstmöglich heimzuschicken.« Am Rande der oberbayerischen Ortschaft Manching wird in einer schäbigen ehemaligen Bundeswehr-Kaserne das erste „Aufnahme- und Rückführungszentrum“ für Balkanflüchtlinge in Betrieb gehen. Ein zweites „Aufnahme- und Rückführungszentrum“ für chancenlose Asylbewerber vom Balkan wird in Bamberg eröffnen.
»In der Kaserne selbst sollen 500 Balkanflüchtlinge untergebracht werden, in Dependancen außerhalb weitere 1000.«

Die Menschen werden dort also konzentriert, um über diese institutionelle Weichenstellung effizienter und effektiver abschieben zu können: »Anders sein als in Standardunterkünften wird die behördliche Präsenz: Neu hinzukommen sollen 200 Staatsdiener, die die möglichst schnelle Bearbeitung der Asylverfahren garantieren sollen – Mitarbeiter des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, Bundespolizei, medizinisches Personal, Richter.« Vor dem Hintergrund der Effizienzlogik ist das folgende Zitat nicht falsch: »Ziel ist es, die Asylverfahren innerhalb von vier bis sechs Wochen zu beenden. Sämtliche behördlichen Verwaltungsvorgänge von der Ersterfassung bis zur Zustellung des abgelehnten Asylantrags sollen an Ort und Stelle stattfinden.«
Die beabsichtigte Wirkung der Manchinger Unterkunft liegt auf der Hand: die Abschreckung neuer Asylbewerber aus dem Westbalkan bereits in den Heimatländern.

Man wird davon ausgehen können und müssen, dass die Welt in solchen Lagern ihre Eigendynamik annehmen wird. Die sich schließenden Verwaltungsroutinen werden „effizienter“ im Sinne der beabsichtigten Wirkung, man wird das am Anfang ummänteln mit der legitimierenden und prima facie auch nicht von der Hand zu weisenden Argumentation, dass man darüber den notwendigen Freiraum schaffen können für die „echten“ Flüchtlinge, denen man helfen will und/oder muss. 
Aber man sollte sich keinen Illusionen hingeben: Die Erfahrungen, die man mit diesem Weg der Exklusion sammeln wird, werden diffundieren in die Welt der „anderen“ Flüchtlinge. Man mag nur einmal den folgenden Gedankengang nachvollziehen: Was unterscheidet eigentlich den Armutsflüchtling aus einem Staat des Westbalkans – also vor unserer Haustür – von einem Noch-mehr-Armutsflüchtling aus Afrika? Letztendlich – zynisch formuliert – „nur“ der Grad des Elends. Das auf dem Balkan ist schon vergleichsweise schlimm, aber das in Afrika bedeutend schlimmer. Aber je nach Entwicklung der Flüchtlingszahlen wird früher oder später die Argumentation dahingehend verlagert, dass man die Frage aufwerfen wird, ob wir denn wirklich alle diese Menschen aufnehmen können? Was, wen ein humaner Umgang mit ihnen – der grundsätzlich gesehen niemals zur Disposition stehen darf, wenn man noch irgendwelche europäischen Grundwerte in sich hat – aufgrund der Masse und der Überforderung der „abgemagerten“ öffentlichen Strukturen bei uns nicht mehr realisierbar ist? Muss man dann nicht die Erfahrungen mit den Vorläufern, also den Armutsflüchtlingen aus unserem EU-Vorgarten, übertragen auf die anderen? Wobei an dieser Stelle eher zu erwarten ist, dass man die schon seit längerem immer wieder vorgetragene Forderung nach einer „Außenverlagerung“ des Problems in den Blickpunkt nehmen wird, also beispielsweise die Einrichtung von Flüchtlingslagern in den nordafrikanischen Staaten, um die Probleme, die unauflösbar immer mit Lagern verbunden sind, gleichsam über den Weg des „Outsourcing“ aus den Augen und damit aus den Sinn zu bekommen. Der Preis dafür wird zum einen eine engere Bindung der Maghreb-Staaten an die EU und vor allem natürlich der Transfer von Finanzmitteln in diese der Festung Europa vorgelagerten Gebiete sein. 
Apropos eigene Welt der Lager. Das betrifft eben nicht nur die, die abgeschoben werden sollen, sondern insgesamt die Flüchtlinge, die in den Strudel der kompletten Überlastung vor Ort geraten. Zu welchen Deformationen das führen kann, wird deutlich erkennbar an den Berichten über die Lage im österreichischen Erstaufnahmezentrum in Traiskirchen. Dort herrscht Chaos. „Österreich verletzt fast alle Menschenrechtskonventionen“, so hat Maria Sterkl ihren Artikel überschrieben. Sie bezieht sich auf einen Bericht von Amnesty International über die Zustände in diesem Lager. „Ich habe so etwas in Österreich nicht für möglich gehalten“, mit diesen Worten wird Heinz Patzelt von Amnesty International zitiert.

»Allein in der Betreuungsstelle müssten 1.500 Asylsuchende im Freien schlafen, heißt es. Laut Innenministerium sind auch 449 unbegleitete Kinder und Jugendliche obdachlos.« Es gebe keinen ausreichenden Schutz für besonders hilfsbedürftige Gruppen wie Minderjährige ohne Eltern, Neugeborene, Schwangere und Kranke.

»Unerträglich sei, dass es zahlreiche Hilfsangebote von Privaten gebe, die abgewehrt würden. 20 Medizin-NGOs, darunter Ärzte ohne Grenzen, hätten sich bereiterklärt, gratis ärztliche Hilfe im Lager anzubieten – doch die Lagerleitung habe dies abgelehnt … Eine Traiskirchnerin, die Flüchtlingen ein Zelt durchs Zaungitter reichen wollte, damit sie nicht unter freiem Himmle schlafen müssten, sei vom Sicherheitspersonal des Lagers weggeschickt und sogar mit Anzeige bedroht worden.« Aber warum ist das so, mit welcher Begründung?

Dafür sei die ORS (privates Unternehmen, das vom Ministerium für den Lagerbetrieb engagiert wurde) zuständig. 
Auch in den Deutschland vorgelagerten Länder gibt es Entwicklungen in Richtung auf Lagerbildung. Wieder einmal besonders unrühmlich hierbei Ungarn: Ungarn verbannt Flüchtlinge aus den Städten: »Das Kabinett wolle die Unterkünfte nicht mehr in den bewohnten Gebieten haben, erklärte ein Sprecher des Innenministeriums. Übergangsunterkünfte würden als Zeltlager eingerichtet, sagte der Stabschef von Ministerpräsident Viktor Orbán, János Lázár. Eines davon werde an der Grenze zu Serbien eingerichtet. Dann werde die örtliche Bevölkerung „nicht gestört durch die Massen an Flüchtlingen“, sagte Lázár.«

Flüchtlingspolitik: Von der „guten“ Seite neben den ganzen Hiobsbotschaften. Und warum es nicht ausreicht, sich darauf zu verlassen

Wir sind beim Thema Flüchtlinge konfrontiert mit einer auf der einen Seite beängstigenden Situation, die dadurch charakterisiert ist, dass die Übergriffe auf Flüchtlinge bzw. auf (geplante) Unterkünfte  ansteigen und wir in eine gefährliche Zone der „Ansteckung“ und damit einer verselbständigenden Ausbreitung kommen. Auf der anderen Seite gibt es eine unglaubliche Welle der Hilfsbereitschaft und des Engagements für die Menschen vor Ort, dessen Breite und Bedeutung man gar nicht überschätzen kann. Und es wird eine wichtige Aufgabe werden, diese positive Seite zu bestärken, zu schützen und zu promovieren auch und gerade durch die Medien. Dazu gleich mehr.
Aber zuerst der bedrückende Blick auf das, was wir derzeit zur Kenntnis nehmen müssen von der Schattenseite, um daran anschließend auf die andere Seite zu wechseln.

In den vergangenen Monaten waren bundesweit wiederholt Flüchtlingsheime beschmiert, beschädigt oder angezündet worden – unter anderem in Meißen, Tröglitz, Hoyerswerda und Solingen. Zuletzt wurden mehrfach Schüsse auf eine Unterkunft im sächsischen Böhlen abgegeben. Fast täglich gehen solche Hiobsbotschaften ein, beispielsweise aus dem bayerischen Reichertshofen: »In den früheren Gasthof sollten bald Asylbewerber einziehen: Bei einem Brandanschlag auf ein geplantes Flüchtlingsheim in Bayern brannte ein Gebäude völlig aus.« Oder wie wäre es mit einer solchen Meldung: HSV verhindert Zeltstadt für Flüchtlinge: »Der Fußballbundesligist HSV hat der Stadt Hamburg untersagt, eine Flüchtlingsunterkunft auf einem Parkplatz zu errichten, den der Verein selbst von der Hansestadt gepachtet hat.« Oder besonders perfide: Jugendliche bewerfen Helfer des Roten Kreuzes mit Steinen, die damit betraut waren, Zelte für Flüchtlinge aufzubauen, wird aus dem ostdeutschen Halberstadt berichtet. Und auch aus Teilen der Politik kommen mehr als bedenkliche Signale in diesem Kontext: CSU will härtere Linie gegen Flüchtlinge. Seehofer fordert „rigorose Maßnahmen“, dazu auch die Kommentierung von Heribert Prantl: Bayern, das deutsche Ungarn.
Das alles ist übrigens keineswegs ein deutsches Phänomen. So wird aus Italien berichtet: »In mehreren Städten in Italien haben Anwohner und rechtsextreme Gruppen gewalttätig gegen die Unterbringung von Flüchtlingen demonstriert.« Und besonders hart treiben es die Ungarn, die nicht nur einen vier Meter hohen Grenzzaun nach Serbien errichten lassen, um die Flüchtlinge gar nicht erst auf ungarischen Boden kommen zu lassen, sondern die konsequent den Weg in Richtung Lagerbildung beschritten haben: Ungarn verbannt Flüchtlinge aus den Städten. »Die Bevölkerung soll nicht mehr durch Flüchtlinge „gestört“ werden, so sieht es die ungarische Regierung. Deshalb werden die Migranten in Zeltlagern untergebracht – in Randgebieten wie an der Grenze zu Serbien.« Man könnte ohne Ende fortfahren.

Aer es gibt auch andere, gegenläufige Entwicklungen. Wie bereits erwähnt eine große Welle der Hilfsbereitschaft und des zivilgesellschaftlichen Engagements vor Ort durch unzählige Flüchtlingsinitiativen und auch Widerstand beispielsweise gegen Proteste direkt vor den Flüchtlingsunterkünften. Und auch Teile der  Politik setzen sich ein für eine schnellere und bessere Integration der Flüchtlinge – bzw. der Flüchtlinge, die erwartbar hier bleiben können oder zumindest geduldet werden. Und überall trifft man auf die richtige und wichtige Erkenntnis: Auf die Sprache kommt es an. Man wird nur dann eine halbwegs realistische Chance auf Integration und hierbei vor allem auf Integration in Beschäftigung haben (die wiederum die Vorurteile abzubauen helfen kann, dass diese Menschen nur „auf Kosten“ der anderen leben), wenn die betroffenen Menschen über ausreichende Sprachkenntnisse verfügen.

Hier ist – so wird der eine oder andere einwerfen an dieser Stelle – eben „der“ Staat zuständig, wobei es den in Deutschland so nicht gibt, sondern in föderalen Ausformungen. Wer also ist genau dafür zuständig. Bund- Länder-Gemeinden? Bundesagentur für Arbeit? Bundesamt für Migration und Flüchtlinge? Und schon ist man drin in den Zuständigkeitsfragen, hinter denen in aller Regel Finanzierungsfragen stehen. Wie schwer sich die etablierten Strukturen und Systeme damit tun, kann man an diesem Beispiel erkennen: Schulen kämpfen für Aufnahme von Willkommensklassen, wird aus Berlin berichtet. Mehrere Schulen hatten ihren Bezirken und der Bildungsverwaltung angeboten, Flüchtlingsklassen zu betreuen und erwarteten, dass ihr Engagement begeistert aufgenommen würde. Stattdessen gab es Absagen. Es gebe angeblich „keinen Bedarf“. Das Argument des „fehlenden Bedarfs“ gibt es auch in Berlin-Mitte – ausgerechnet in dem Bezirk, in dem gerade erst hunderte Schulplätze für Erstklässler fehlten.

Auf der anderen Seite gibt es gerade in Bayern, die sich auf einer anderen, der semantischen Ebene gerade eher mit Brandstifterei beschäftigen, zu berichten, dass dort zahlreiche eigene Klassen für Asylbewerber und andere Flüchtlinge eingerichtet worden sind.

Und aus Bayern kommt ein weiteres positives Beispiel. Ein Bestseller hilft Flüchtlingen Deutsch zu lernen, berichtet beispielsweise die Berliner Zeitung über das so genannte „Tannhauser Modell“: »Landauf, landab bekommen Flüchtlinge Deutsch-Unterricht von Ehrenamtlichen, einen Anspruch auf Kurse haben sie zunächst nicht. Drei Lehrer aus Bayern haben dafür ein spezielles Arbeitsbuch entwickelt – und können sich vor der Nachfrage kaum retten.«

Die Geschichte dahinter ist wie so oft in der Welt des Ehrenamtes:

»Zwei ehemalige Schulleiter aus Schwaben geben Flüchtlingen … Sprachunterricht. Sie fanden aber keine speziellen Unterrichtsmaterialien und haben kurzerhand ein eigenes Arbeitsheft entwickelt und drucken lassen – das nun reißenden Absatz findet. Schon nach etwas mehr als einem Monat wurde vom „Deutschkurs für Asylbewerber – Thannhauser Modell“ die dritte Auflage gedruckt. „Ganz Deutschland will dieses Heft“, sagt noch ganz überrascht Karl Landherr, der pensionierte Rektor der Grundschule in der 6000-Einwohner-Stadt Thannhausen.«

Es geht hier um ehrenamtliche Sprachkurse – und die sind verdammt wichtig, denn einen Anspruch auf Integrationskurse gebe es nur für anerkannte Flüchtlinge, was sich derzeit schrittweise erst zu verändern beginnt.

Und was ist zur Überbrückung in Tannhausen passiert?

»In Thannhausen wurden vor einem Jahr die beiden früheren Schulleiter gefragt, ob sie sich um die in einem ehemaligen Gasthaus untergebrachten Flüchtlinge aus Afrika kümmern können. Landherr und Hörtrich schauten sich die von Verlagen angebotenen Lehrbücher an und waren unzufrieden: zu hohes Niveau, zu umfangreich, zu teuer, zu wenig Platz für Notizen, keine ergänzenden Erklärungen in Englisch. Zusammen mit der Lehrerin Isabell Streicher entwickelten sie ihr eigenes „Workbook“.«

»Nun wird in der schwäbischen Kleinstadt die frühere Gaststube regelmäßig in ein Klassenzimmer umgewandelt, durchschnittlich etwa 10 … Flüchtlinge nehmen an dem dreimal die Woche angebotenen Deutschkurs teil … Auch aktuelle Themen werden in Thannhausen schnell aufgegriffen. Nachdem in Deutschland bei den heißen Temperaturen der vergangenen Wochen mehrere Flüchtlinge ertrunken sind, gibt es eine Stunde am See, um den Afrikanern die Gefahren beim Schwimmen klar zu machen.«

Weitere Informationen zu „Deutschkurs für Asylbewerber – Thannhauser Modell“ gibt es auf der Webseite www.deutschkurs-asylbewerber.de. Auch der Deutschlandfunk hat diesen Ansatz aufgegriffen und darüber berichtet: Thannhauser Modell – Erfolgreiches Konzept für Deutschunterricht von Flüchtlingen (16.07.2015).

Es gibt so viele andere Orte und Formate, wo und mit denen eine vergleichbar gute Arbeit geleistet wird. Dazu hier die Empfehlung für eine Sendung des Bayerischen Rundfunks:

Ein Ticket für die Zukunft: Junge Asylbewerber an der Berufsschule in Bad Tölz (07.07.2015)
Sie stammen aus Afghanistan, Syrien oder Nigeria – jugendliche Flüchtlinge besuchen die Asylbewerberklasse der Berufsschule Bad Tölz. Dort werden die jungen Männer und Frauen auf eine Berufsausbildung vorbereitet.

Die Reportage vermittelt ein differenziertes und durchaus mit zahlreichen Grautönen ausgestattetes Bild. Und wenn man die Geschichten rekapituliert, dann wird aus einer grundsätzlichen Perspektive klar, was hier in diesem Bereich Not tut: ausreichend Zeit und einen „Kümmerer“, der begleiten kann, Bindungen aufzubauen in der Lage ist, die notwendig sind, um eine halbwegs realistische Einschätzung der Menschen abgeben zu können.
Das aber zeigt zugleich auch bei aller ausgesprochenen Sympathie für Ansätze aus dem ehrenamtlichen Bereich: Wir alle wissen, dass die ehrenamtlichen Strukturen zwar häufig sehr innovativ sind, zugleich muss aber immer wieder zur Kenntnis genommen werden, dass es sich um sehr instabile Strukturen zu handeln scheint, eben aufgrund der Freiwilligkeit und natürlich aufgrund der enormen Personenabhängigkeit. Hier käme jetzt wieder „der“ Staat ins Spiel.

Zur Änderung des Asylrechts. Geduldete werden mehr geduldet, zugleich wird die andere Seite der „Willkommenskultur“ geschärft: Mehr einsperren, Internierung, Flucht als Verbrechen

Die Bundestagsabgeordneten haben im Mai 1993 ein Zeichen gesetzt. Sie haben das Grundgesetzt geändert – und zwar ganz vorne, wo eigentlich eherne Grundrechte verankert sind. Es waren bewegte Zeiten, denn hunderttausende Menschen waren vor dem Krieg in Jugoslawien nach Deutschland geflohen, gleichzeitig kamen viele Asylbewerber aus anderen Teilen der Welt und nicht zu vergessen die Zuwanderung seitens der so genannten „Spätaussiedler“ aus der zerfallenden Sowjetunion. Und die mussten alle irgendwie untergebracht und versorgt werden. Parallel durchlief das Land eine mehr als verstörende und ganze Biografien entwertende Wiedervereinigung mit einem Arbeitsmarkt in Ostdeutschland, der gleichsam auseinandergerissen war. In dieser brodeligen Gemengelage kamen ausländerfeindlich motivierte Brandanschläge auf Asylbewerberheime und andere Unterkünfte, in denen Ausländer lebten, hinzu. Die Namen Mölln und Rostock-Lichtenhagen sowie Solingen seien hier nur stellvertretend für die damalige Zeit genannt. Die Politiker hatten Angst, dass ihnen der innenpolitische Laden um die Ohren fliegen könnte. Doch statt sich vor die Menschen zu stellen, die nach Deutschland gekommen sind, hat man ein anderes Zeichen gesetzt. Die damalige Regierung aus Union und FDP verabschiedete mit Unterstützung der SPD ein Gesetz, welches das Grundrecht auf Asyl faktisch abgeschafft hat. Eine große Koalition der Abschottung. Im Dezember 1992 hatten sich Union, FDP und die eigentlich oppositionelle SPD auf eine Neuregelung des Asylrechts verständigt (vgl. dazu auch die Hintergrundinformationen in diesem Beitrag: Einschränkung des Asylrechts 1993). Das Ziel: Die Verfahren sollten beschleunigt und ein „Asylmissbrauch“ verhindert werden. Dazu sollte der ursprünglich schrankenlose Satz in Artikel 16 („Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“) gestrichen und durch einen Artikel 16a ersetzt werden. Als gleichsam perfide technokratische „Spitzenleistung“ erwies sich die Operationalisierung der angestrebten Abschottung, also wie man die Zugbrücke hat hochziehen wollen: So wurde die so genannte „Drittstaatenregelung“ eingeführt, die besagt: Wer über ein EU-Land oder ein anderes Nachbarland Deutschlands einreist, hat keinen Anspruch auf Asyl und kann sofort abgewiesen werden. Die meisten Flüchtlinge scheitern auf diese Weise bereits an den Grenzen Deutschlands. Und um das wasserdicht zu bekommen: Auch Flüchtlinge aus „sicheren Herkunftsstaaten“, also Ländern, in denen keine Verfolgung oder unmenschliche Behandlung droht, haben keinen Anspruch auf Asyl. Dieser kurze Exkurs in die Zeit von vor über zwanzig Jahren ist notwendig, um das, was man nunmehr gemacht hat, besser einordnen zu können.

Das Bundesinnenministerium hat einen Gesetzesentwurf zur „Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung“ vorgelegt, der im Bundestag zur Verabschiedung stand und von der Mehrheit heute auch angenommen wurde. »Hinter dem technischen Ausdruck verbirgt sich ein perfides Vorhaben: Die Bundesregierung will die Inhaftierung von Schutzsuchenden dramatisch ausweiten«, so Maximilian Popp in seinem Kommentar Flucht als Verbrechen. Die Perfidie des Ansatzes wird in den folgenden Zeilen erkennbar:

»Künftig sollen Flüchtlinge, die mithilfe von Schleppern nach Deutschland gelangen, die Grenzkontrollen umgehen, ihren Pass verloren haben oder falsche Angaben gegenüber Behörden machen, weggesperrt werden können. Also mehr oder weniger alle. Das Gesetz ist der größte Einschnitt in die Flüchtlingsrechte seit dem Asylkompromiss 1993.«

Popp zitiert den Bundesinnenminister Thomas de Maizière, der behauptet, die Härte gegenüber Neuankömmlingen sei nötig, um „die Zustimmung zur Zuwanderung und der Aufnahme von Schutzbedürftigen in Deutschland zu sichern“. Auch wenn er diese Zuordnung für einem Minister „unwürdig“ hält, sie folgt natürlich im bestehenden System durchaus einer bestimmten Logik, die man nicht sofort von der Hand weisen kann.

Carolin Weidemann hat in ihrem Artikel Bundesregierung will mehr Flüchtlinge einsperren dargelegt, was die gesetzlichen Neuregelungen auf der dunklen Seite des Asylrechts beinhalten. Dazu muss man wissen, dass die Zahl der Abschiebehäftlinge gesunken ist, vor allem seit der Bundesgerichtshof im Sommer 2014 die Inhaftierung von europäischen Binnenflüchtlingen, sogenannte Dublin-Fälle, weitgehend verboten hat. Genau das aber will die Bundesregierung nun wieder ändern:

»Gemäß des Dublin-Abkommens dürfen sich Schutzsuchende lediglich in jenem europäischen Land um Asyl bewerben, das sie zuerst betreten. Wer trotzdem nach Deutschland weiterflieht, soll, nach dem Willen der Bundesregierung, unmittelbar nach der Einreise interniert werden können.

Als Haftgründe gelten laut Gesetzesvorhaben:
falsche oder unvollständige Angaben gegenüber den Behörden,
ein fehlender Pass,
Geldzahlungen an Schlepper
oder die Umgehung von Grenzkontrollen bei der Einreise.
Kurz: alle unvermeidlichen Begleiterscheinungen der Flucht.«

Auch der mittlerweile überarbeitete Entwurf zielt vor allem darauf: eine Ausweitung der Abschiebehaft und die Herstellung der dafür notwendigen rechtlichen Voraussetzungen. Die Einwände gegen dieses Ansinnen reichen vom Bundesrat, der „gravierende negative Auswirkungen“ auf die Betroffenen herausstellt bis hin zu der Feststellung, dass in den vergangenen Jahren trotzt sinkender Zahlen an in Abschiebehaft befindlichen Menschen keineswegs weniger Abschiebungen vollzogen wurden, was ja als These sofort in den Raum gestellt wird, wenn man die Leute nicht wegsperrt.

Martin Kaul weist in seinem Artikel Schneller und mehr ausweisen auf eine weitere erhebliche Verschärfung hin:

»So sollen Ausländerbehörden künftig etwa mit einem neu geschaffenen „Ausreisegewahrsam“ Flüchtlinge zu deren einfacherer Abschiebung bis zu vier Tage lang festnehmen können. In der Vergangenheit durften Ausländer, die nicht von den Behörden „geduldet“ sind, im Rahmen der Abschiebehaft auch schon festgesetzt werden. Allerdings mussten dafür weitere Gründe vorliegen. Hierbei wurde zumeist das Argument der Fluchtgefahr herangezogen.
Mehr Wiedereinreiseverbote
Mit dem neu geschaffenen Ausreisegewahrsam entfallen solche weiteren Gründe. Hier reicht es im Wesentlichen, dass die Ingewahrsamnahme die Abschiebung vereinfachen kann.«

Und in einem kann man sich ja auf Juristen verlassen – sie können einem Schwarz als Weiß verkaufen, so auch hier: Die vereinfachte Ingewahrsamnahme sei sogar „gut“ für die Betroffenen und eigentlich nur in deren Interesse, denn so könnten Nachtabholungen von Familien vermieden werden, die in der Öffentlichkeit und bei den in diesem Feld engagierten Menschen auf besondere Proteste gestoßen sind. Weitere Verschärfungen sind in den Gesetzesänderungen enthalten, z.B.: Ermittlungen aufgrund aufenthaltsrechtlicher Straftaten braucht die Staatsanwaltschaft nicht mehr zuzustimmen. Wiedereinreiseverbote sollen ebenfalls leichter ausgesprochen werden können. Das richtet sich etwa gegen „Personen aus Staaten des Westbalkans“, wie es beim Innenministerium heißt. Gemeint sind vor allem Sinti und Roma.

Das reiht sich ein in weitere Bausteine einer partiell abschreckenden Ausgestaltung des Umgangs mit bestimmten Flüchtlingen. Stellvertretend hierfür die Ausführungen nicht irgendeinen unmaßgeblichen Menschen, sondern des Präsidenten des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Manfred Schmidt, der in einem Interview der FAZ ausführt, das monatliche Taschengeld in Höhe von 140 Euro sollte für Asylsuchende aus sicheren Herkunftsländern gestrichen werden. Damit werde der Anreiz für Migranten vor allem aus dem westlichen Balkan gesenkt.

„Wir müssen Menschen, die vermutlich kein Asyl bekommen, sagen, dass sie vom ersten Tag in Deutschland an kein Taschengeld erhalten. Dann würde der Zustrom schnell abnehmen.“

Die 140 Euro, die es in Deutschland während des Asylverfahrens als Taschengeld gebe, seien in etwa der durchschnittliche Monatsverdienst in Südserbien.

Die gesetzlichen Änderungen, die heute verabschiedet wurden, folgen einer ganz bestimmten und nicht unbekannten Logik: Schlechte Flüchtlinge, gute Flüchtlingen. Insofern gilt auch hier: Wo Schatten ist, muss auch Licht sein und insofern werben die Politiker der großen Koalition für die Änderungen mit dem Hinweis, es gebe doch auch zahlreiche Erleichterungen für Flüchtlinge, die bei uns sind, wenn auch nur als Geduldete. Dazu Martin Kaul in seinem Artikel:

»Vereinfachungen im Bleiberecht zielen vor allem auf jüngere und besonders gut integrierte Ausländer ab, die bislang nur geduldet wurden. Sie sollen künftig ein Bleiberecht erhalten können, wenn sie etwa unter 27 Jahre alt sind und mindestens 4 Jahre eine deutsche Schule besucht haben. Bislang mussten sie 6 Jahre Schulbesuch nachweisen.
Auch Familien, die für sich selbst aufkommen können, die ihre Treue zum Grundgesetz bekennen und mit einem Kind seit mindestens 6 Jahren in Deutschland wohnen, können ein Bleiberecht erhalten. Früher mussten es 8 Jahre sein.«

Es gibt also eine schrittweise Reduzierung der zu nehmenden Hürden, wenn man denn hier ist und geduldet wird. Die absehbare Verfestigung ihres Aufenthaltsstatus wird jetzt formal etwas schneller abgebildet. Man kann es auch so zusammenfassen, wie der Artikel Der Bundestag differenziert das Asylrecht weiter aus:

»Erleichterungen soll es für die rund 125 000 Geduldeten in Deutschland geben – also für jene Menschen, deren Asylantrag keinen Erfolg hatte, die aus verschiedenen Gründen aber nicht abgeschoben werden. Sie bekommen nun die Chance auf ein sicheres Bleiberecht. Voraussetzung ist: Der Betroffene lebt schon seit Jahren im Land, spricht ausreichend Deutsch und kann seinen Lebensunterhalt selber sichern.«

Und wie zögerlich man hier insgesamt ist, verdeutlicht nicht nur das Beispiel mit der „Etwas-Absenkung“ der Schwellenwerte, sondern vor allem auch der Nicht-Umgang mit den jungen Flüchtlingen, die man hat gewinnen und vermitteln können in eine Berufsausbildung. Man sollte meinen, offensichtlich eine win-win-Stutation für beide Seiten, dem Individuum wie auch dem Staat. Und in ungezählten Sonntagsreden wird doch derzeit landauf landab beschworen, wie wichtig es sei, gerade die jungen Menschen so schnell wie möglich in Arbeit bzw. vor allem in Ausbildung zu bringen. Aber wie heißt es so schön im erfahrungsgesättigten Volksmund: Links blinken und rechts fahren.

Der Wahrheitsgehalt dieser Weisheit wird auch hier dokumentiert: Chance vertan: Berlin kneift bei Bleiberecht für Azubis mit Duldung, so die Überschrift eines Artikels, der den Finger notwendigerweise auf die offene Wunde legt:

»Die Idee klang gut: Junge Flüchtlinge sollten bis zum Ende ihrer Ausbildung nicht abgeschoben werden. Das Ergebnis ist ernüchternd: Diese Jugendliche sollen nur eine Duldung bekommen und keinen Aufenthaltstitel. Erste Kritik kommt aus Rheinland-Pflalz, die initiatoren dieser Idee.«

Die Aufenthaltserlaubnis für die gesamte Dauer der Lehrzeit kommt nicht, statt dessen hat der Innenausschuss des Bundestages lediglich für eine Duldungsregelungen votiert – »die bereits nach heute geltendem Recht realisierbar ist.« Dabei ist die Begründung für die eigentlich angestrebte Verbesserung offensichtlich:

»Wenn man junge Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt integrieren wolle, müsse man ihnen und ihren Ausbildungsbetrieben garantieren, dass die Jugendlichen mindestens bis zum Ende ihrer Ausbildung in Deutschland bleiben dürfen.
Mit einer Duldung ist das nur bedingt gegeben. Denn die Duldung beschinigt lediglich, dass die Abschiebung vorerst nicht vollzogen werden kann, der Inhaber Deutschland aber eigentlich verlassen muss, sobald die Hinderungsgründe nicht mehr vorliegen. Junge Menschen mit Duldung haben es daher schwer, überhaupt einen Ausbildungsplatz zu finden.«

„Es wäre eine Frage des gesunden Menschenverstandes gewesen, Angebot und Nachfrage hier sinnvoll zusammenzuführen“, so das Argument der rheinland-pfälzischen Wirtschaftsministerin Eveline Lemke. Letztendlich hat das was damit zu tun, dass bei den Entscheidungsträgern immer noch explizit oder implizit der Abschottungsgedanke verankert ist.