Zur Dehnungsfähigkeit dessen, was ein „modernes“ Arbeitsrecht sein soll

Gibt es Hoffnung? Wenn man solche Schlagzeilen liest, dann muss es solche geben: Katholische Kirche plant moderneres Arbeitsrecht. Was steht an? Verabschiedet sich die katholische Kirche nun doch von ihren umfassenden Sonderrechten, was die Gestaltung der Arbeitsbeziehungen mit den Beschäftigten in kirchlich gebundenen Einrichtungen angeht? Gewährt sie nun auch ihren Mitarbeitern die Grundrechte, die „normale“ Arbeitnehmer schon lange haben, also beispielsweise das Streikrecht? So weit soll es dann doch nicht gehen, insofern ist die Überschrift dieses Artikels zum gleichen Sachverhalt zutreffender: Katholische Kirche will offenbar Arbeitsrecht lockern. Es geht um eine ganz bestimmte Lockerungsübung, die übrigens nur in Aussicht gestellt wird, konkret: Um die für die katholische Kirche ganz offensichtlich schwierige Frage, wie man mit geschiedenen und wieder neu verheirateten Mitarbeitern umzugehen gedenkt – eine Fallkonstellation, die ja in unserer Gesellschaft öfter vorkommen soll und die eigentlich – sollte man meinen – den Arbeitgeber aber so gar nichts angeht. So einfach ist es hier eben nicht.

»Geschieden, neu verheiratet – und prompt gefeuert: So erging es Angestellten von katholischen Arbeitgebern bisher. Doch offenbar zeichnet sich in der Kirche jetzt ein Umdenken ab«, können wir dem Bericht entnehmen, der gleich ein „moderneres“ Arbeitsrecht ante portas sieht. Denn:

»Die katholische Kirche will … auf wiederverheiratete Geschiedene zugehen und ihr Arbeitsrecht in einem wichtigen Punkt ändern. Eine automatische Kündigung von Geschiedenen, die eine neue Ehe eingehen, solle künftig nicht mehr vorgesehen sein … Das gehe aus dem Änderungsvorschlag für die „Grundordnung des kirchlichen Dienstes“ in den deutschen Bistümern hervor. Der Vorschlag ist demnach Ergebnis von Beratungen einer Arbeitsgruppe unter Leitung des ehemaligen Freiburger Erzbischofs Robert Zollitsch und des Verbands der Diözesen Deutschlands. Er solle für alle katholischen Arbeitgeber gelten, also auch für Krankenhäuser und die Caritas.«

Und dann kommt vor dem grundsätzlichen Hintergrund des Tatbestands, dass die katholische Kirche Ehescheidungen nicht anerkennt und infolgedessen standesamtliche Wiederverheiratungen deshalb als „widerrechtlich“ betrachtet, ein Passus, der vor allem hinsichtlich der dort verwendeten Begrifflichkeit ein Armutszeugnis für eine Kirche reflektiert, denn zur vorgeschlagenen „Reform“ heißt es:

»Dem Bericht zufolge soll ein solcher „kirchenrechtlich unzulässiger Abschluss einer Zivilehe“ aber künftig nur noch als Kündigungsgrund gelten, „wenn dieser nach den konkreten Umständen objektiv geeignet ist, ein erhebliches Ärgernis in der Dienstgemeinschaft oder im beruflichen Wirkungskreis zu erregen und dadurch die Glaubwürdigkeit des kirchlichen Dienstes zu beeinträchtigen“.«

Also weiterhin eine Kündigung, wenn die (erneute) Eheschließung zwischen zwei Menschen „ein erhebliches Ärgernis“ darstellt – so eine Formulierung lässt schon tief blicken und muss einen halbwegs sensiblen Menschen erschauern lassen. „Ein erhebliches Ärgernis“.
Unabhängig von der ganzen Fragwürdigkeit dieser Begrifflichkeit – wenn man sich nun darauf einlässt, weil es ja hier nicht um die eigene Meinung geht, sondern um das Verständnis eines sehr großen Arbeitgebers in unserem Land, dann stellt sich schon nach dem ersten Hinschauen sofort die Frage, wer definiert denn eigentlich wann und warum das „Ärgernis“ Wiederverheiratung ein „erhebliches Ärgernis“ wird? Wo ist die Grenze zu einer willkürhaften Entscheidung angesichts eines derart unbestimmten Rechtsbegriffs?

Natürlich gibt es immer die unterschiedlichen Perspektiven auf ein und denselben Sachverhalt – also ist die Flasche halb voll oder halb leer. Die Bewertung als eine „deutliche Lockerung gegenüber der bisherigen Regelung“ – wenn denn die nun vorgeschlagene Revision kommen würde -, stellt ab auf die aktuelle Grundordnung der Kirche, nach der von einer Kündigung nur „ausnahmsweise“ abgesehen werden, „wenn schwerwiegende Gründe des Einzelfalles diese als unangemessen erscheinen lassen“. So kann man das auch sehen.

Wie es in dieser Frage weitergeht? Bis November soll ein abschließender Entwurf vorliegen, den die Deutsche Bischofskonferenz dann beschließen müsse. Es wird berichtet, dass die meisten Stellungnahmen der Diözesen zu dem Entwurf positiv seien, nur ein Bistum lehne ihn weitgehend ab. Man muss das alles einordnen in einen komplexen und wahrscheinlich nur für absolute Insider diese Organisation betreffende Diskussionslinie innerhalb der katholischen Kirche, die sich vor allem entzündet an der Bedeutung und Zukunft der inmitten sehr weltlicher Arbeit steckenden Caritas. Wie schwer man sich tut, die gesellschaftlichen Veränderungen neu abzubilden, kann man dieser Veröffentlichung der Deutschen Bischofskonferenz entnehmen:

Deutsche Bischofskonferenz: Das katholische Profil caritativer Dienste und Einrichtungen in der pluralen Gesellschaft, Bonn, April 2014

Aber lösen wir uns von dem beschriebenen Sachverhalt und werfen die Frage in den Raum, wie man vor dem Hintergrund der nun erkennbaren, eigentlich marginalen Änderung des Umgangs mit den Mitarbeitern (die allerdings – das sei hier deutlich hervorgehoben – in vielen Einzelfällen tragische Folgen für die davon Betroffenen mehr als bislang verhindern könnten, wo vielen der wirtschaftliche Boden unter den Füßen weg gerissen wurde, nur weil sie einen anderen Menschen geheiratet haben nach einer Scheidung) von einem „moderneren“ Arbeitsrecht sprechen kann?

Ein wirklich modernes Arbeitsrecht – so viel vorweg – würde sich zuvörderst dadurch auszeichnen, dass es selbstverständlich für alle gilt. Und das man die dort normierten Regeln auch einklagen kann. Vor staatlichen Gerichten. Ein modernes Arbeitsrecht würde keine so umfassende Sonderrechtszone für hunderttausende Beschäftigte zulassen, wie es sie aber derzeit den Kirchen gewährt wird. Besondere Arbeitsverhältnisse mögen ihre Berechtigung gehabt haben, als die Kirchen ausschließlich oder überwiegend mit Schwestern und anderem „eigenem“ Personal gearbeitet haben. Aber in einer Zeit, in der dieses Sonderrecht auch für die vielen Beschäftigten gilt, die in voll aus Steuer- und/oder Beitragsmitteln finanzierten Einrichtungen wie Krankenhäusern, Pflegeheimen, Jugendhilfeeinrichtungen, Kindertageseinrichtungen usw. arbeiten. Und es argumentiere an dieser Stelle keiner, dass man sich ja seinen Arbeitgeber aussuchen könne, man müsse ja nicht bei der katholischen Kirche arbeiten – wenn man sich der Marktanteile kirchlich gebundener Einrichtungen beispielsweise im Krankenhaus- oder Kita-Bereich in manchen Regionen unseres Landes anschaut, dann wird man zur Kenntnis nehmen müssen, dass es für zahlreiche Berufe aus dem Sozial- und Gesundheitsbereich gar keine Arbeitgeber-Alternative vor Ort gibt, sie sind durch die Faktizität der Trägerschaftsstrukturen darauf angewiesen, in kirchlich gebundenen Einrichtungen eine Beschäftigung zu finden, die sie dann aber dem Sonderrecht der Kirchen unterwirft, das ihnen wiederum in Teilbereichen eigentlich selbstverständliche Rechte „normaler“ Arbeitnehmer vorenthält.

Die Verhaltensweise des Staates und seiner Organe ist hier – um es vorsichtig auszudrücken – „ambivalent“. Zum einen stützt die Rechtsprechung die Sonderrolle der Kirchen in der Arbeitswelt, zuletzt haben wir das wieder zur Kenntnis nehmen müssen im Kontext einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts die leidige Kopftuchfrage betreffend (vgl. hierzu meinen Blog-Beitrag Das Kreuz mit den „Sonderrechten“. Ein neues Urteil des Bundesarbeitsgerichts stärkt die Kirchen in ihrem Kampf gegen Kopftücher vom 24. September 2014). Zum anderen ist der Staat und seine Sozialversicherungen nicht nur der mit Abstand größte Finanzier der meisten Einrichtungen und Dienste, sondern er ermöglicht den Kirchen auch eine im Vergleich zu den allermeisten anderen Ländern (in denen die Kirchen auf Spenden ihrer Mitglieder angewiesen sind) absolut sichere Finanzierungsbasis über die vom Staat eingezogene „Kirchensteuer“. Das beschert den Kirchen hier in Deutschland eine sehr solide Finanzbasis. Vgl. dazu den Artikel Rekord-Einnahmen bei den Kirchen: »Nach jüngsten Schätzungen erwarten die Bistümer und Landeskirchen für 2014 elf Milliarden Euro Einnahmen aus der Kirchensteuer – so viel wie noch nie.« 2012 und 2013 waren auch schon jeweils Rekordjahre hinsichtlich der Höhe der eingenommenen Kirchensteuer.
Die Kirchensteuerdiskussion soll und kann an dieser Stelle gar nicht geführt werden, sehr wohl aber darf und muss mit Blick auf das hier besonders interessierende Thema Arbeitsrecht die Frage aufgeworfen werden, wann wir endlich wirklich ein „moderneres“ Arbeitsrecht bekommen – moderner dadurch, dass es erst einmal für alle Arbeitnehmer gilt. Das Pfarrer oder Mönche in einem Sonderarbeitsrechtsverhälnis zu ihrer Kirche verbleiben können, würde keiner verweigern. Aber die normale Krankenschwester, Erzieherin oder der Sozialarbeiter und die Hauswirtschaftskräfte – sie alle gehören unter das Dach eines „moderneren“ Arbeitsrechts. Diesen Schritt wird man von den Kirchen nicht erwarten können, er muss vom Staat gemacht werden.

Das Kreuz mit den „Sonderrechten“. Ein neues Urteil des Bundesarbeitsgerichts stärkt die Kirchen in ihrem Kampf gegen Kopftücher

Wieder einmal muss berichtet werden aus den Tiefen und Untiefen des deutschen Arbeitsrechts. Es geht nicht um Spartengewerkschaften und deren gesetzgeberische Behandlung, die immer noch unter dem Stichwort „Tarifeinheit“ vor sich hin gart, aber irgendwie schon um eine ganz besondere „Sparte“, in der sich allerdings sehr viele Menschen tummeln, als Arbeitnehmer eigener Art sozusagen. Reden wir also wieder einmal über die Kirchen und über die in konfessionell gebundenen Unternehmen arbeitenden Menschen, denn denen werden – immer noch – Grundrechte vorenthalten, die für „normale“ Arbeitnehmer normal sind. Im aktuellen Fall geht es aber nicht um die nicht nur fragwürdige, sondern skandalöse Ausschaltung des Streikrechts unter dem weiten Mantel des „dritten Wegs“, den man den Kirchen zugestanden hat, sondern um ein Kleidungsstück, das allerdings höchst aufgeladen daherkommt. Es geht um Kopftücher. Nicht die von Nonnen natürlich, sondern die von Frauen muslimischen Glaubens. Eine verkopfte Angelegenheit wurde nun mit einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts behandelt.

Zuerst einmal der Blick auf den Sachverhalt, der dem Bundesarbeitsgericht vorgelegt wurde und von diesem so beschrieben wird:

»Die Klägerin, die dem islamischen Glauben angehört, ist seit 1996 bei der beklagten Krankenanstalt – zuletzt als Krankenschwester – angestellt. Arbeitsvertraglich sind die Bestimmungen des Bundes-Angestelltentarifvertrags in der für die Angestellten im Bereich der Evangelischen Kirche von Westfalen geltenden Fassung (BAT-KF) sowie die sonstigen für die Dienstverhältnisse der Angestellten im Bereich der Evangelischen Kirche von Westfalen beschlossenen arbeitsrechtlichen Bestimmungen in Bezug genommen. Die Klägerin befand sich in der Zeit vom 27. März 2006 bis zum 28. Januar 2009 in Elternzeit. Danach war sie arbeitsunfähig krank. Im April 2010 bot die Klägerin schriftlich eine Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit im Rahmen einer Wiedereingliederung an. Dabei teilte sie der Beklagten mit, dass sie das von ihr aus religiösen Gründen getragene Kopftuch auch während der Arbeitszeit tragen wolle. Die Beklagte nahm dieses Angebot nicht an und zahlte keine Arbeitsvergütung. Mit der Zahlungsklage fordert die Klägerin Arbeitsentgelt wegen Annahmeverzugs für die Zeit vom 23. August 2010 bis zum 31. Januar 2011.«

Man muss ergänzend wissen, dass die Klägerin erst im Laufe ihrer Beschäftigung zum Islam konvertiert ist, nicht also als Muslima eingestellt worden ist. Während die Betroffene vor dem Arbeitsgericht Bochum noch Recht bekommen hat, wurde das vom Landesarbeitsgericht Hamm in der Berufung wieder verworfen. Nun hat sich das Bundesarbeitsgericht im Grunde der ablehnenden Entscheidung des Landesarbeitsgerichts angeschlossen. Entsprechend die Schlagzeilen nach Bekanntwerden des Urteils: Muslimische Krankenschwester darf kein Kopftuch tragen oder an anderer Stelle Kirchliche Arbeitgeber dürfen Kopftuch verbieten, um nur zwei zu zitieren.
In den dürren Worten des höchsten Arbeitsgerichts lautet die Entscheidung so:

»Das Tragen eines Kopftuchs als Symbol der Zugehörigkeit zum islamischen Glauben und damit als Kundgabe einer abweichenden Religionszugehörigkeit ist regelmäßig mit der arbeitsvertraglichen Verpflichtung einer in einer Einrichtung der Evangelischen Kirche tätigen Arbeitnehmerin zu neutralem Verhalten nicht vereinbar.«

Warum dann die Formulierung „dem Grunde nach“? Weil das Bundesarbeitsgericht das Verfahren erneut zurückverwiesen hat an das Landesarbeitsgericht in Hamm, von der das gekommen ist, mit einer „interessanten“ Begründung:

»Zwar kann einer Arbeitnehmerin in einer kirchlichen Einrichtung regelmäßig das Tragen eines islamischen Kopftuchs untersagt werden, es ist aber nicht geklärt, ob die Einrichtung der Beklagten der Evangelischen Kirche institutionell zugeordnet ist.« Das ist bemerkenswert, es scheint gar nicht so einfach zu sein, die Frage zu beantworten evangelisch oder nicht?

Was ist also das Proprium der Entscheidung: »Mitarbeiter in kirchlichen Einrichtungen seien zumindest zu neutralem Verhalten verpflichtet, erklärte eine Gerichtssprecherin. Damit sei das Kopftuch als Symbol der Zugehörigkeit zum islamischen Glauben nicht vereinbar«, erläutert uns einer der Artikel. Hier findet sich auch ein weiterer wichtiger Hinweis: »Das Gericht betone aber, dass in Einzelfällen eine Entscheidung je nach konkreter Tätigkeit auch anders ausfallen könnte, zum Beispiel wenn jemand in einem Labor arbeite und wenig Kontakt zu Menschen habe.«

Der Anwalt der Klägerin hatte auf ihre Glaubensfreiheit gepocht. „Die Religionsfreiheit überwiegt hier das Weisungsrecht des kirchlichen Arbeitgebers“, so Abdullah Emili. Dem folgten die Richter aber nicht. Man muss sogar konzedieren, dass die Gegenseite durchaus Versuche gemacht hat, der Betroffenen „entgegenzukommen“, was sich teilweise schon skurril liest:

»Die Klinik hatte der Klägerin das Tragen alternativer Kopfbedeckungen angeboten, etwa eine Kappe oder die Haube einer Nonne. „Wir erwarten nicht, dass sie sich zum christlichen Glauben bekennen. Sie dürfen sich aber nicht offen zu einem anderen Glauben bekennen“, erklärt der Anwalt der Klinik, Sascha Leese.«

Wie dem auch sei – es ist die erste höchstrichterliche Entscheidung zur Koptuchfrage in konfessionell gebundenen Einrichtungen. Darüber hinaus gibt es schon Entscheidungen zum Umgang mit dem Kopftuch, allerdings nur zu Streitfällen in privaten und staatlichen Einrichtungen. Einer Verkäuferin darf das Kopftuch nicht verboten werden, einer Lehrerin an einer staatlichen Schule bei entsprechender Landesgesetzgebung dagegen schon.

Es ist schon ein Krampf mit der Kopftuchfrage – obgleich hier nicht verschwiegen werden soll, dass die Frage, ob man in seinem Unternehmen ein Kopftuch akzeptieren muss, nach meiner Perspektive deutlich weniger schwer wiegt als beispielsweise das Vorenthalten des Streikrechts für alle Beschäftigten in konfessionell gebundenen Einrichtungen.

Detlef Esslinger kommentiert allerdings – den Blick über den aktuellen Sachverhalt weitend – unter der Überschrift Die Debatte geht über Kopftücher hinaus: »Die Kirchen mögen sich freuen: Das Bundesarbeitsgericht gesteht ihnen zu, muslimischen Mitarbeiterinnen das Tragen eines Kopftuches zu verbieten. Doch sie sollten sich wappnen.« Wie das?

Er schreibt: »Es geht nie bloß darum, ob die muslimische Krankenschwester in einem evangelischen Krankenhaus in Bochum bei der Arbeit ein Kopftuch tragen darf. Das wurde am Mittwoch wieder deutlich, kaum dass in diesem Fall das Bundesarbeitsgericht der Krankenschwester unrecht gegeben hatte. Sofort nahm, beispielsweise, die Bundestagsfraktion der Linken Bezug aufs Große und Ganze: Die Entscheidung füge sich ein „in die gesellschaftliche Stigmatisierung von Musliminnen“, erklärte sie.« Geht’s einige Nummern kleiner, kommt da einem in den Sinn? Auch Esslinger kommentiert das kurz und bündig: »Diese Bewertung ist ebenso bezeichnend wie daneben.« Wohl wahr.
Das Problem liegt woanders, nicht in der grundsätzlichen Frage, ob man in einem Krankenhaus prinzipiell ein Kopftuch untersagen sollte, denn – so Esslinger – es mag »ein bisschen engherzig sein, dass ein evangelisches Krankenhaus ein Kopftuch verbietet – wo ist das Problem, solange der muslimische Glaube nicht dazu führt, dass die Krankenschwester sämtliche Betten Richtung Mekka dreht?«
Matthias Kaufmann hat in seinem – vor der Urteilsverkündigung verfassten – Artikel Christliche Leere so formuliert:

»Am Arbeitsplatz Krankenhaus entfaltet dieses Recht seine volle Absurdität: Wollen Sie das Blut gern katholisch abgenommen bekommen? Oder im konkreten Fall: Kann eine Muslimin die Bettpfannen glaubhaft auf evangelische Weise wechseln? Die wenigsten Patienten dürfte der christliche Überbau ihrer Behandlung interessieren, Hauptsache, alles steht auf einer seriösen medizinischen Basis.«

Das Bundesarbeitsgericht hat sich von einer ganz anderen Perspektive leiten lassen, auf die Esslinger hinweist wie man einen Finger in die eigentliche Wunde legt:

Die Bundesrichter »orientieren sich traditionell an der Bestimmung des Grundgesetzes, dass „jede Religionsgesellschaft ihre Angelegenheiten selbständig ordnet und verwaltet“. Im Fall der Kirchen wollen die Erfurter Richter so gut wie nie bewerten, wie sie dieses oder jenes finden. Weil eben dieser Satz in der Verfassung steht und weil die Kirchen karitativ und nicht kommerziell arbeiten, billigen sie ihnen Freiheiten zu, die sie kommerziellen Arbeitgebern nicht zubilligen.«

Genau hier liegt der entscheidende Punkt: Die Frage, wie lange dieses Wegschauen aufgrund eines abstrakten Regelwerks noch Bestand haben kann in einer Gesellschaft, die sich zunehmend „entkonfessionalisiert“ und die immer weniger bereit ist, den Kirchen diese weiten Sonderrechte zuzugestehen. Vor allem nicht – Hand aufs Herz -, wenn es um Einrichtungen geht, die zu 100% aus öffentlichen Mitteln finanziert werden. Beim Deutschen Städte- und Gemeindebund heißt es dazu: „Wenn die Kirchen im Durchschnitt noch fünf Prozent Eigenmittel beisteuern, muss man schon froh sein.“ Und gar nicht weiter vertieft werden soll hier die Aussage, „weil die Kirchen karitativ und nicht kommerziell arbeiten“, über die man in mehrfacher Hinsicht streiten kann.

Aber auch aus einer Binnensicht der betroffenen Kirche spricht einiges dafür, eine grundsätzliche Infragestellung der Sonderrechte zumindest in den Bereichen, die nicht wirklich – außer in Sonntagsreden – „verkündigungsnah“ sind, zuzulassen und das Feld endlich zu bereinigen. Denn die kirchlichen Einrichtungen geraten zunehmend in den Schraubstock eines „doppelten Fachkräftemangels“, also ein partiell immer gravierender werdender  Fachkräftemangel bei medizinischen, pflegerischen und sozialen Berufen, denn alle Unternehmen in diesem Bereich ausgesetzt sind, und einen „zusätzlichen“ aufgrund der Anforderungen an den „Lebenswandel“ der Mitarbeiter, die von immer weniger Menschen erfüllt werden (können bzw. die wollen das auch nicht). Insofern wird sich dieses Thema in den kommenden Jahren schon „von alleine“ lösen, dann aber sehr schmerzhaft. Aus eigenem Interesse sollten die Kirchen sich hier endlich mal substanziell bewegen.

Und wenn die sich nicht bewegen? Dann ist die Antwort klar: Ändern kann das nur der Gesetzgeber. Aber da sind noch einige Würdenträger vor.

Burger-Brater unter medialen Feuer – nur ein Buschbrand oder wird das mehr verändern (können)?

Der Wallraff wieder. Ältere Semester werden sich noch an sein Buch „Ganz unten“ aus dem Jahr 1985 erinnern, in dem er die Geschichte des türkischen Leiharbeiters Alis ausbreitet und einer mehr als schmuddeligen Welt der Arbeitnehmerausbeutung ein Gesicht gegeben hat. Auch in diesen Tagen ist er wieder unterwegs, wenn auch mehr als begleitender Coach einer neuen Journalisten-Generation, die in seine Fußstapfen treten möchte. Nach Zalando hat es nun Burger King erwischt – oder sagen wir korrekter, einen Teil der Burger King-Filialen: Team Wallraff: Undercover bei Burger King lief gestern bei RTL:

»Die RTL-Enthüllungs-Reportage „Team Wallraff – Reporter Undercover“ hat in mehreren Filialen des Franchisenehmers Yildiz der Fastfoodkette Burger King unzumutbare Hygiene- und Arbeitsbedingungen aufgedeckt. In der am Montagabend ausgestrahlten Sendung dokumentiert der in mehreren Restaurants eingeschleuste Undercover-Reporter Alexander Römer (Stundenlohn: brutto 7,71 Euro) mit versteckter Kamera u.a. gravierende Verstöße gegen die Burger-King-eigenen Richtlinien und gegen die Lebensmittelverordnung.«

Der eine oder die andere wird sich an dieser Stelle vielleicht daran erinnern, dass auf der Facebook-Seite von „Aktuelle Sozialpolitik“ schon mehrfach über die Machenschaften der Yi-Ko Holding berichtet wurde. Auslöser dafür war, dass im vergangenen Jahr die »Burger King GmbH, bislang eine hundertptozentige Tochter der Burger King Worldwide, die mit ihren 91 Filialen Anfang des Monats von der Yi-Ko Holding GmbH übernommen wurde. Hinter dem Firmennamen verbergen sich der türkischstämmige Ergün Yildiz aus Stade sowie der Russe Alexander Kolobov, der in seiner Heimat ein Netz von Burger-King-Filialen aufgebaut hat. Es wurden nicht nur die erwähnten 91 Filialen übernommen, sondern die Käufer haben zugesagt, in den kommenden Monaten zahlreiche neue Restaurants in Deutschland zu gründen«, so die Erläuterungen in einem Beitrag auf der Facebook-Seite von „Aktuelle Sozialpolitik“ vom 24. Mai 2013. Darin finden sich auch die ersten Beschreibungen, mit welchen Holzhammermethoden gegen die Beschäftigten in den Filialen vorgegangen wurde (und offensichtlich immer noch wird). Die Geschichte wurde erneut aufgegriffen in dem Beitrag „Burger-Brater kriegen jetzt noch mehr Feuer – Naujoks, der Vollstrecker der Arbeitgeber, ante portas“ am 22. Juni 2013. In dem damals aktuellen Frontbericht mussten Begriffe verwendet werden wie „Schreckensherrschaft bei Burger King“, Filialen, in denen „Arbeitnehmerrechte mit Füßen getreten“ werden und dass „der berüchtigte Hamburger Anwalt Helmut Naujoks unbotmäßige Betriebsräte zum Schweigen bringen“ soll („Burger King: Franchise-Nehmer heuern Betriebratsfresser Naujoks an“ war eine vergleichbar drastische Beschreibung der damaligen Vorgänge, die vom Blog „arbeitsunrecht“ verwendet wurde.

Der Hinweis auf die seit längerem bekannten und kritisierten Vorfälle um die Filialen der Yi-Ko Holding ist auch deshalb relevant, weil von den Undercover-Recherchen ausschließlich Restaurants der Yi-Ko Holding GmbH des Franchisenehmers Ergün Yildiz betroffen sind. Der betreibt deutschlandweit über 91 der insgesamt 671 Franchise Burger-King-Filialen.

Nun also der neue Undercover-Bericht vom „Team Wallraff“ mit den nicht nur extrem unappetitlichen Rechercheergebnissen, auch die Arbeitsbedingungen wurden thematisiert: Das darf nicht sein, das darf nicht sein, so der Titel des Rezensionsbeitrags von Stefan Kuzmany auf Spiegel Online. Darin auch neben anderen Aspekten: »Krankengeld, Weihnachtsgeld, Zuschläge? Nicht für geringfügig Beschäftigte. Und wenn einer aufmuckt, wird er rausgeschmissen – und sei er auch Betriebsrat, kein Problem, der Spezialanwalt kümmert sich darum.«

Fast 3,8 Millionen Zuschauer sollen den RTL-Beitrag gesehen haben und seit gestern fegt eine Empörungswelle durchs Netz und gegen Burger King (vgl. hierzu beispielsweise Wut-Sturm im Netz gegen Burger King nach Wallraff-Report).

Nicht wirklich überraschend: Sofort wurde auch herumgemäkelt an dem Format der Sendung und die für das Privatfernsehen zuweilen überdrehte Aufmachung. Aber letztendlich gilt hier die Feststellung von Jürgen Overkott in seinem Artikel:

»Die Reportage über ein Schmuddel-Unternehmen war sauber recherchiert. Die Ergebnisse besitzen Relevanz. Mäkeleien an dem Film betreffen Formalia wie eine hektische Erzählweise und eine onkelhafte Selbstinszenierung des Recherche-Teamchefs. Am Wert seines Films ändert die Kritik nichts.
Damit leistet Altmeister Wallraff das, was die Öffentlich-Rechtlichen mit Investigativ-Formaten leisten möchten: Missstände nachzuweisen, um Verbesserungen herbeizuführen. Im Vergleich zu Wallraffs Doku sind etliche Ausgaben des „Markenchecks“ der ARD läppisch, von der Info-Reihe „ZDF-zoom“ ganz zu schweigen.«

Das ist doch was, aber zugleich wird es nicht reichen. Erinnert sei an dieser Stelle daran, was auf der Facebook-Seite von „Aktuelle Sozialpolitik“ bereits im Mai 2013 geschrieben wurde angesichts der damaligen Vorwürfe, die nun erneut bzw. immer noch auch durch die Rechercheergebnisse im RTL-Beitrag bestätigt wurden:

»Ein Teil der Auseinandersetzungen wird sicher vor Gericht wandern, aber andererseits sind die Handlungsmöglichkeiten der Gewerkschaft beschränkt, liegt doch der Organisationsgrad der in dieser Branche Beschäftigten irgendwo zwischen 5 und 10%. Was auf ein anderes strukturelles Problem in der Branche hinweist: Nicht nur – wie man derzeit sehen kann – hoch problematische Arbeitgeber, sondern eben auch Beschäftigte, die aus welchen Gründen auch immer auf eine notwendige Kollektivierung verzichten, die eine Voraussetzung wäre, dass sich die Arbeitsbedingungen verbessern.«

Aber auch erst einmal losgelöst von solchen strukturellen Fragen: Es ist gut, dass es dieses Format gibt, denn das wird bei dem einen oder anderen Unternehmen zu einem Nachdenken führen.

Oliver Voß und Stephan Happen stellen sich ebenfalls Fragen, die in die angedeutete Richtung gehen. In ihrem Artikel Burger Kings unappetitliches Geschäftsgebaren berichteten die beiden von dem seit längerem bekannten rabiaten Umgang mit den Mitarbeitern – neben den zahlreichen, in der neuen Reportage ebenfalls dokumentierten Hygiene-Mängeln. Aber sie schreiben auch:

»Zumindest wirtschaftlich geht die Strategie bislang auf. Während der Umsatz von Burger King rückläufig ist, steigen die Gewinne. Die radikale Kostensenkung macht es möglich. Bei der Vorlage der Quartalszahlen lobte der Burgerbrater, dass die Geschäfte in Deutschland besonders gut gelaufen seien.
Inwieweit der RTL-Bericht daran etwas ändern wird, ist ungewiss. Zurzeit steht Burger King am Pranger. Das Presse-Echo nach Ausstrahlung der Sendung ist verheerend. In den Sozialen Netzwerken rufen die Kunden zum Boykott auf.  “Ekelhaft was ich da heute im Fernsehen gesehen habe. Die bekommen von mir kein Cent mehr”, schreibt etwa eine Nutzerin auf der Facebook-Seite des Unternehmens. Burger King selbst zieht bislang den Kopf ein, schweigt zu den Vorwürfen und hofft wohl, dass der Shit-Storm ein Sturm im Wasserglas ist.«