Von einer „Kita-Pflicht“ als Papiertiger bis hin zu einem Mangel an normalen Kita-Plätzen – ein „Staatsversagen“ in Berlin?

Gerade in diesen Tagen kann man wieder einmal erleben, wie gerne und lauthals einige Politiker dem geneigten Publikum ein energisches Durchgreifen „des Staates“ in Aussicht stellen bzw. dieses einfordern. Derzeit an vorderster Front dabei der Tausendsassa Jens Spahn (CDU), offiziell nach längeren Geburtswehen neuer Bundesgesundheitsminister, der aber bislang nicht etwa durch mutige und innovative Vorschläge zur Bekämpfung des grassierenden Pflegenotstands auf sich aufmerksam macht, sondern – wie die Tagesschau in ihrer Online-Ausgabe unter der Überschrift Spahn geht fremd zutreffend vermerkt – auf fremden Hochzeiten zu tanzen versucht: »Während sich die Arbeit im Gesundheitsministerium stapelt, beschäftigt sich Minister Spahn lieber mit anderen Themen … Nach Hartz IV, Frontex und Twittern unter Journalisten geht es dieses Mal um die Handlungsfähigkeit des Staates.« Der Herr Minister wird mit den Worten zitiert, »dass der Staat in den vergangenen Jahren nicht mehr ausreichend für „Recht und Ordnung“ habe sorgen können. „Schauen Sie sich doch Arbeiterviertel in Essen, Duisburg oder Berlin an. Da entsteht der Eindruck, dass der Staat gar nicht mehr willens oder in der Lage sei, Recht durchzusetzen“, so der CDU-Politiker.« Nicht nur die Wiederauferstehung der Arbeiterviertel wird uns hier en passant ins Nest gelegt – auch das partielle Staatsversagen von einem Politiker, dessen Partei seit ziemlich vielen Jahren das Land regiert. Man könnte das kopfschüttelnd zur Kenntnis nehmen und dann zu den Akten legen, aber das ist alles nur ein Beispiel für die anfangs angesprochene Aktivitätssimulationsmaschine, der die Menschen an vielen Stellen ausgeliefert sind. 

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„Nicht-arbeitslose“ Arbeitslose. Ein gar nicht so kleines Beispiel aus den Eingeweiden der Arbeitsmarktstatistik

Man kennt das – jeden Monat werden in Nürnberg die Arbeitslosenzahlen verkündet. Und in den vergangenen Jahren gingen die nach unten. Schauen wir auf die aktuellen Werte: Für den März 2018 berichtet die Bundesagentur für Arbeit von knapp 2,46 Millionen Arbeitslosen. Das gesamte Ausmaß der Menschen ohne Arbeit bildet die offizielle Zahl jedoch nicht ab. Denn knapp 960.000 „De-facto-Arbeitslose“ sind nicht in der Arbeitslosen-, sondern in der separaten Unterbeschäftigungsstatistik enthalten, bei der es sich ebenfalls um eine ganz offizielle Statistik handelt, die von der BA veröffentlicht wird. Statt 2,46 Mio. müsste also die Untergrenze für von Arbeitslosigkeit betroffene Menschen bei 3,42 Mio. liegen. Und es wäre schön, wenn die Medien endlich diese „ehrlichere“ Zahl verwenden würden, was die meisten aber nicht machen. Wer ist denn faktisch arbeitslos, taucht aber in der kleingerechneten Zahl an „offiziellen Arbeitslosen“ nicht auf? Da waren im März 2018 beispielsweise 713.000 Menschen, die an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen teilnahmen oder 81.000, die gerade am Tag der Zählung krank geschrieben waren. Und in der Liste der semantisch verkleisternd als „Unterbeschäftigte“ titulierten Arbeitslosen, die aber rausgerechnet werden, taucht auch diese, viele sicher erst einmal irritierende Zahl auf: 165.000 über 58-Jährige, die innerhalb der letzten 12 Monate kein Jobangebot erhielten. 

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Vom Schmuddelkind zur Erfolgsstory? Der gesetzliche Mindestlohn, seine Vermessung und die Frage: Wie hoch darf er denn sein?

Das ist mal eine Ansage: Gewerkschaften wehren sich gegen Mindestlohn. »Die Lohnpolitik müsse den Tarifparteien vorbehalten bleiben, stellte die IG Metall klar.« Aber auch der DGB lehnt einen gesetzlichen Mindestlohn ab, kann man dem Artikel entnehmen. Bevor nun die Vertreter des ökonomischen Mainstreams in unserem Land, die immer noch ein manifestes Mindestlohn-Trauma verarbeiten müssen, weil sich die Arbeitsmarktwirklichkeit nicht an ihre negativen Modellprognosen gehalten hat, jubilieren, sei hier auf das Datum der Veröffentlichung des Artikels hingewiesen: 22. August 2004. Also kurz vor der Einführung dessen, was wir seitdem umgangssprachlich als Hartz IV bezeichnen. Und wenn man sich den Artikel anschaut, dann ist der trotz (bzw. gerade wegen des langen Zeitraums) nicht nur deshalb interessant, weil offensichtlich die Gewerkschaften damals erhebliche Abwehrreflexe hatten gegenüber dem Instrument eines gesetzlichen Mindestlohns, sondern im Kontext der aktuellen Debatte über Hartz IV und Alternativen zum bestehenden Grundsicherungssystem kann man einiges lernen darüber, was man zu einem bestimmten Zeitpunkt verpassen kann: Der Vorstoß für einen gesetzlichen Mindestlohn kam 2004 vom damaligen SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering. Mit dieser Begründung, wohlgemerkt 2004:

»Müntefering hatte … gesagt, er sehe in einem Mindestlohn die Möglichkeit, die von den Gewerkschaften so heftig kritisierten Zumutbarkeitsregeln der Hartz-Reform zu entschärfen. Die Politik habe es versäumt, im unteren Lohnbereich für Klarheit zu sorgen, so dass es außerhalb tarifvertraglicher Regelungen zu Dumpinglöhnen komme.«

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