Das Bundesverfassungsgericht erweist sich (wieder einmal) als stabile Schutzmacht für das kirchliche Selbstbestimmungsrecht. Auch in arbeitsrechtlichen Fragen. Der „Fall Egenberger“

Am 16. Juli 2025 wurde hier wieder einmal aus der Welt des kirchlichen Sonderrechts berichtet, konkret um ein beim EuGH anhängiges Verfahren (aus Deutschland), in dem der Generalanwalt seine Abschlussanträge vorgelegt hat: Nichtkatholikinnen dürfen bleiben, Nicht-mehr-Katholikinnen werden rausgeworfen … Die eigentümlichen Untiefen des kirchlichen Arbeitsrechts beschäftigen (mal wieder) den Europäischen Gerichtshof – und das Bundesverfassungsgericht, so ist der Beitrag überschrieben. Konkret geht es um die Klage einer Caritas-Mitarbeiterin aus der Schwangerenberatung – ihr wurde wegen des Austritts aus der katholischen Kirche gekündigt. Der Fall wurde vom Bundesarbeitsgericht dem EuGH vorgelegt. Die Caritas darf einer Frau nicht kündigen, nur weil sie aus der Kirche ausgetreten ist – so sieht es zumindest die Generalanwältin am Europäischen Gerichtshof (EuGH) Laila Medina. Aus ihrer Sicht liegt eine nicht gerechtfertigte Diskriminierung vor, weil so eine Kündigung nur Mitarbeiter:innen treffe, die zuvor katholische Kirchenmitglieder gewesen sind (Anträge v. 10.07.2025, Az. C-258/24).

Die Generalanwältin möchte ganz offensichtlich die Autonomie der Kirchen begrenzen bzw. beschneiden, was natürlich deren juristische Prätorianergarde auf den Plan ruft in Gestalt des Bonner Rechtsprofessors Gregor Thüsing. Der grummelt über die Argumentation der Generalanwältin: »… das kirchliche Selbstbestimmungsrecht genieße in Deutschland Verfassungsrang. „Wie schwer ein Loyalitätsverstoß wiegt – der Kirchenaustritt ist das ohne Frage – kann und darf nur die Kirche selbst bestimmen. Wie wollte das auch ein weltliches Gericht tun?“« Ganz offensichtlich hofft der Kirchen-Vertreter auf das aus Kirchen-Sicht (bislang) „stabile BVerfG“.

Der Mann hat einen guten Riecher, denn in der Vergangenheit konnten sich die beiden großen Kirchen darauf verlassen, dass das Bundesverfassungsgericht ihnen den Rücken stärkt bei den Versuchen, ihre Sonderrechte, abgeleitet aus dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht, über die Rechtsprechung anzugreifen.

Und in dem Beitrag aus dem Juli 2025 findet man auch diesen Hinweis: »… das BVerfG kann ja mal in der Zwischenzeit den seit Jahren anhängigen Fall Egenberger entscheiden.«

Es ist passiert: Der „Fall Egenberger“ wurde entschieden

Im April 2025 wies Wolfgang Janisch in seinem Artikel Wie viel Loyalität dürfen Kirchen verlangen? auf ein kirchenpolitisch hoch relevantes Verfahren hin, das damals noch in den Beratungszimmern des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe lag: »In Karlsruhe schwelt seit vielen Jahren das fast schon legendäre Verfahren der Sozialpädagogin Vera Egenberger, die eine Referentenstelle bei der Diakonie einzig deshalb nicht bekam, weil sie nicht in der Kirche ist. Es geht also nicht um einen Rauswurf, sondern eine Nichteinstellung. Anderer Fall, aber ein paar Signale könnte ein Urteil trotzdem enthalten – Signale dafür, ob das Gericht das kirchliche Selbstverständnis immer noch für so unantastbar hält. 2014, beim Chefarzt-Urteil, bestimmte eine konservative Riege die Linie im Zweiten Senat. Nun, im Jahr 2025, ist der Ton vermittelnder. Als Berichterstatterin ist Christine Langenfeld zuständig, die sich bisher als kluge Moderatorin, nicht als Hardlinerin hervorgetan hat. Hinzu kommt: Ob der Senat nach dem Clash um die Europäische Zentralbank im Jahr 2020, als er sich schon einmal mit dem EuGH angelegt hat, schon wieder Streit will, ist überaus fraglich.«

Bereits im Oktober 2024 konnte man in einem Beitrag von Tanja Podolski lesen: »Seit rund fünf Jahren hängt der Fall Egenberger beim BVerfG. Die Diakonie hatte Verfassungsbeschwerde eingelegt, nachdem EuGH und BAG sie wegen Diskriminierung verurteilt hatten … Für die Diakonie geht es in diesem Fall um viel: Denn nach der EuGH- und BAG-Rechtsprechung wäre dies das Ende des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften, abgeleitet aus Art. 140 Grundgesetz (GG) i. V. m. Art 137 II Weimarer Reichsverfassung (WRV). Danach durften sich die Religionsgemeinschaften ihre Beschäftigten selbst aussuchen und diese Entscheidung von der Religionszugehörigkeit abhängig machen – ein Sonderrecht, das nach ihrem Verständnis auch vom Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) nicht ausgehebelt werden kann, auf dessen Grundlage Bertelsmann für Egenberger die Entschädigung erstritt. Man könnte damit sagen: Der Diakonie blieb nach den EuGH- und BAG-Urteilen gar nichts anderes übrig, als im März 2019 Verfassungsbeschwerde zu erheben, wenn sie für ihr rechtlich verbrieftes Selbstbestimmungsrecht kämpfen will.«

Hinterher ist man immer schlauer, aber die Hoffnungsschimmer hinsichtlich einer diesmal anderen Entscheidung des BVerfG, die sich zwischen den Zeilen in dem Artikel von Wolfgang Janisch erkennen lassen, müssen nun ad acta gelegt werden.

Am 23. Oktober 2025 kam aus dem Bundesverfassungsgericht diese Pressemitteilung über die lange erwartete Entscheidung im Fall Egenberger: Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen arbeitsgerichtliche Entscheidung zum kirchlichen Arbeitsrecht. Konkret wurde der Verfassungsbeschwerde eines kirchlichen Arbeitgebers stattgegeben, die sich gegen ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts richtet. 

Nochmals zur Erinnerung: Das Bundesarbeitsgericht hatte den Beschwerdeführer (also die evangelische Diakonie) zur Zahlung einer Entschädigung verurteilt, weil er eine konfessionslose Bewerberin für eine ausgeschriebene Stelle nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen habe und eine damit einhergehende Vermutung einer Benachteiligung wegen der Religion nicht gerechtfertigt werden könne und nicht widerlegt worden sei.

Der Beschwerde gegen das Urteil mit einer zu zahlenden Entschädigung war nun also erfolgreich in Karlsruhe, die das so zusammenfassen:

»Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts verletzt den Beschwerdeführer in seinem religiösen Selbstbestimmungsrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit Art. 140 Grundgesetz (GG) und Art. 137 Abs. 3 Satz 1 Weimarer Reichsverfassung (WRV), weil die bei der Anwendung der Schrankenbestimmung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) vorgenommene Güterabwägung dem religiösen Selbstbestimmungsrecht des Beschwerdeführers nicht in dem verfassungsrechtlich gebotenen Umfang Rechnung trägt.«

Aber was ist mit Rechtsprechung des EuGH?

Ausdrücklich bezieht sich das höchste deutsche Gericht auf das Urteil des EuGH aus dem Vorlageverfahren, das vom Bundesarbeitsgericht (BAG) initiiert worden ist.

➔ Der EuGH hatte auf die Vorlage im Egenberger-Fall durch das BAG entschieden, dass die Kirchen in ihren Entscheidungen der gerichtlichen Kontrolle zumindest in Hinblick auf die wesentlichen Kriterien „wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt“ unterliegen (Urt. v. 17.04.2018, Az. C-414/16). Auf Grundlage dieser Rechtsprechung hatte das BAG die nunmehr vom BVerfG aufgehobene Entscheidung getroffen (Urt. v. 25.10.2018, Az.: 8 AZR 501/14). 

Das EuGH-Urteil, so das BVerfG konziliant, ist „zu berücksichtigen“ und das haben die Verfassungsrichter so erledigt: Es habe eine „Konkretisierung der bisherigen verfassungsgerichtlichen Maßstäbe für die Zweistufenprüfung auf der Ebene der Beschränkung des religiösen Selbstbestimmungsrechts“ gegeben. Das BVerfG unterwirft sich semantisch: »Die Anpassung der Auslegung und Anwendung des nationalen Rechts an die Vorgaben des unionsrechtlichen Rahmens ist hierbei kraft des Vorrangs des Unionsrechts zwingend.« Oben sticht unten. Und hinsichtlich der »Reichweite des Selbstbestimmungsrechts der Religionsgemeinschaften im Bereich des Arbeitsrechts (bestehen) keine unüberwindbaren Widersprüche zwischen dem nationalen Verfassungsrecht und dem Unionsrecht«, behauptet das BVerfG.

Die Verfassungsrichter argumentieren so, dass zwar die Rechtsprechung des EuGH grundsätzlich Vorrang habe, aber eben nicht allumfassend, denn, so die Formulierung in den Leitsätzen der Entscheidung, innerhalb der Auslegung durch den Gerichtshof der Europäischen Union vorgegebenen Rahmens im Zusammenhang mit einer Grundrechtspluralität »kann es angesichts der unterschiedlichen religionsverfassungsrechtlichen Verhältnisse in den Mitgliedstaaten zu voneinander abweichenden Wertungen bei der Abwägung der betroffenen Rechtsgüter im Bereich des religiösen Arbeitsrechts kommen.«

Die Langfassung der Entscheidung findet man hier: BVerfG, Beschl. v. 29.09.2025, Az. 2 BvR 934/19.

Zu den Bewertungen der Entscheidung des BVerfG

»Der Fall einer konfessionslosen Bewerberin, die von der Diakonie abgelehnt worden war, geht zurück zum BAG. Das BVerfG hat der Verfassungsbeschwerde der Diakonie stattgegeben, weil das BAG Belange der Kirche nicht hinreichend erfasst habe«, so die Zusammenfassung der nun vorliegenden Entscheidung der Karlsruher Richter von Tanja Podolski in ihrem Beitrag Die Kirche muss selbst bestimmen können. Sie weist darauf hin, dass die Verfassungsrichter den Kollegen vom obersten deutschen Arbeitsgericht durchaus eine Backpfeife verpassen: »Das BAG habe in seiner Entscheidung dem Selbstbestimmungsrecht der Kirchen nicht die von der Verfassung gewährte Bedeutung zugemessen. Das BAG habe vielmehr sein eigenes Verständnis einer glaubwürdigen Vertretung des kirchlichen Ethos nach außen an die Stelle des Verständnisses der Diakonie gestellt.«

Das BVerfG betont: Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen sei abzuwägen mit dem Schutz vor Benachteiligung nach dem AGG. Und Podolski erläutert uns auch die in der Pressemitteilung des BVerfG angesprochene „Konkretisierung der bisherigen verfassungsgerichtlichen Maßstäbe für die Zweistufenprüfung auf der Ebene der Beschränkung des religiösen Selbstbestimmungsrechts“ als Reaktion auf die Rechtsprechung des EuGH:

»Dabei hält das BVerfG grundsätzlich an der zweistufigen Prüfung fest, hat diese jedoch konkretisiert: Erstens geht es in einer Plausibilitätsprüfung darum, ob es überhaupt um eine religiöse Angelegenheit geht, es also einen objektiven Zusammenhang zwischen der Kirchenzugehörigkeit und der beruflichen Tätigkeit gibt, und welche Bedeutung dieser Angelegenheit nach dem Selbstverständnis der Kirchen zukommt. Im zweiten Prüfungsschritt geht es dann um eine offene Gesamtabwägung zwischen den Interessen und Belangen der Arbeitnehmer und dem religiösen Selbstbestimmungsrecht.«

Das Verfassungsgericht habe den Kern seiner Haltung so markiert: „Je größer die Bedeutung der betroffenen Position für die religiöse Identität der Religionsgemeinschaft nach innen oder außen, desto mehr Gewicht besitzt der von der Kirche in Wahrnehmung ihres Selbstbestimmungsrechts vorgetragene Belang und ein daraus abgeleitetes Erfordernis der Kirchenmitgliedschaft“.

»Das heißt für das BVerfG im Umkehrschluss: Je weniger Relevanz eine Position für die Verwirklichung des religiösen Ethos hat, desto eher sei dem Diskriminierungsschutz der Vorzug zu geben. Dessen hoher verfassungsrechtlicher Bedeutung sei bei der Abwägung durch die Gerichte Rechnung zu tragen.Das heißt für das BVerfG im Umkehrschluss: Je weniger Relevanz eine Position für die Verwirklichung des religiösen Ethos hat, desto eher sei dem Diskriminierungsschutz der Vorzug zu geben. Dessen hoher verfassungsrechtlicher Bedeutung sei bei der Abwägung durch die Gerichte Rechnung zu tragen«, so Podolski.

Klar, dass eine Seite sich freut:

»Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und Diakonie begrüßen Entscheidung des BVerfG: „Das höchste deutsche Gericht hat für Klarheit gesorgt. Kirche und Diakonie dürfen in ihrer Einstellungspraxis in begründeten Fällen eine Kirchenmitgliedschaft ihrer Mitarbeitenden voraussetzen. Dies steht nicht im Widerspruch zum europäischen Antidiskriminierungsrecht“, sagt Diakonie-Vorstand Dr. Jörg Kruttschnitt. Staatliche Gerichte dürfen bei der Überprüfung einer Stellenbesetzung theologische Wertungen nicht selbst treffen – das obliegt den kirchlichen Arbeitgebern.«

Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts wurde also aufgehoben – und der Fall wurde von Karlsruhe erneut zum BAG zurückgespielt. Man muss sich das auch mal klar machen: Seit 13 Jahren läuft der Fall von Vera Egenberger – und er geht weiter.

Ein zweiter Beitrag von Tanja Podolski ist überschrieben mit einer der Bewertungen des Urteils: „Eine kluge Ent­schei­dung“. Dass das eine „kluge Entscheidung“ gewesen sei, kommt nicht überraschend von dem bereits angesprochenen Bonner Rechtsprofessor Gregor Thüsing: „Das ist eine dogmatisch überzeugende und rechtspolitisch kluge Entscheidung“, so wird er zitiert, »der in dem Verfahren für die Diakonie tätig war und regelmäßig auch in anderen Verfahren für die Kirchen tätig ist.«

Zurecht betont der Zweite Senat des BverfG die besondere Bedeutung des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen.“ Dieses umfasse alle Maßnahmen, „die der Sicherstellung der religiösen Dimension des Wirkens und der Wahrung der unmittelbaren Beziehung der Tätigkeit zum Grundauftrag der Religionsgemeinschaft dienen – und zwar auch die Auswahl der Arbeitnehmer und den Abschluss entsprechender Arbeitsverträge.“

Für die Kirchen heiße dies: Sie müssten künftig deutlich machen, warum die Religionszugehörigkeit relevant für eine ausgeschriebene Stelle ist. „Sie werden diese nicht bei jeder Stelle einfordern können, aber es reicht, dass sie das für die konkrete Stelle plausibel darlegen. Nichts anderes haben sie in ihren aktuellen Regelwerken getan. Die Entscheidung ist daher eine Bestätigung ihrer Regelwerke“, so Thüsing.

Es gibt aber auch andere Perspektiven, die von Podolski in ihrem Beitrag zitiert werden:

„Auf den ersten Blick sieht es nach einem Erfolg für die Kirche aus“, wird Dr. Ulrike Brune, Richterin am BAG i.R., zitiert. „Bei näherem Zusehen ist es ein Eigentor für die Kirchen: Anders als bisher müssen sie nun Gründe dafür angeben, wenn sie besondere Loyalitätsforderungen an Arbeitnehmer stellen. Religionszugehörigkeit dürfen sie nur verlangen, wenn die betreffende Arbeit es für den religiösen Sendungsauftrag erfordert. Und das können die staatlichen Gerichte jetzt im Einzelnen überprüfen. Das hätte das BVerfG vor ein paar Jahren noch als Aufruhr und Ketzerei betrachtet.“

Für Christoph Schmitz-Scholemann, ebenfalls Richter am BAG i.R., ist „die Entscheidung auf jeden Fall ein schönes Zeichen für den in Karlsruhe eingekehrten europafreundlichen Geist. Während sich das Verfassungsgericht noch vor wenigen Jahren nicht scheute, dem Europäischen Gerichtshof Nachhilfe in juristischer Methodenlehre zu erteilen, erkennt es jetzt den Vorrang der europäischen Grundrechte ausdrücklich an.“

Man muss wissen, dass sowohl Ulrike Brune wie auch Christoph Schmitz-Scholemann Mitglieder des Beirats des sogenannten Instituts für Weltanschauungsrecht sind, das sich für einen säkularen Staat einsetzt und im Egenberger-Verfahren vor dem BVerfG ein Gutachten eingebracht hatte.

Auch aus dem gewerkschaftlichen Lager gibt es Kommentierungen. Zitiert wird Ernesto Klengel, wissenschaftlicher Direktor des Hugo Sinzheimer Instituts für Arbeitsrecht (HSI) der Hans-Böckler-Stiftung: „Das Bundesverfassungsgericht hat in der … Entscheidung in der Rechtssache Egenberger den Versuch unternommen, seine eigene Rechtsprechung mit der des Europäischen Gerichtshofs in Einklang zu bringen. Dieses Bemühen, einem Konflikt der Gerichte aus dem Weg zu gehen, ist zu würdigen. Allerdings hat das BVerfG den Rahmen, den der EuGH in seiner Entscheidung vom 17. April 2018 für das kirchliche Selbstbestimmungsrecht gesetzt hat, weit interpretiert. Es ist abzuwarten, ob der Europäische Gerichtshof demnächst reagieren wird, da bei ihm weitere Fälle zum deutschen Sonderweg des kirchlichen Arbeitsrechts zur Entscheidung vorliegen.“

Aus Klengels Stich betont das BVerfG das kirchliche Selbstbestimmungsrecht stark bzw. zu stark. „Es liest ein solches aus dem GG sowie den noch anwendbaren Bestimmungen der Weimarer Reichtsverfassung heraus.“ Ob ein Selbstbestimmungsrecht tatsächlich mit einer so großen Tragweite in GG und WRV aufgenommen worden war, sei rechtswissenschaftlich durchaus zweifelhaft.

➔ Klengel verweist hier auf eine 2023 veröffentlichte Studie von Peter Stein (2023): Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht im Arbeitsrecht und seine Grenzen. HSI-Schriftenreihe Band 47, Frankfurt am Main 2023. Die Ungleichbehandlung von Beschäftigten sei nur in Ausnahmefällen gerechtfertigt, so das Rechtsgutachten von Stein. Die Grenzen sind demnach enger gesteckt, als es die Rechtsprechung hierzulande über Jahrzehnte vorgegeben hat: Das kirchliche „Nebenarbeitsrecht“ sei spätestens nach mehreren Urteilen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) nicht mehr haltbar. Vorgaben, die in die private Lebensführung eingreifen und auf eine Ungleichbehandlung von Beschäftigten hinauslaufen, seien allenfalls bei „verkündigungsnahen“ Tätigkeiten rechtmäßig. Ob das im Einzelfall zutrifft, hätten nicht die Kirchen selbst, sondern staatliche Gerichte zu entscheiden, so seine Auffassung. Und er geht auch ein auf das Grundgesetz bzw. die fortwirkenden Artikel der Weimarer Reichsverfassung: Darin finde sich unter anderem ein „Recht der Glaubensgemeinschaften auf Selbstverwaltung innerhalb der Schranken des für alle geltenden Rechts“. Die Verfassung habe in erster Linie klarstellen wollen, dass für die Kirchen die gleichen Rechte wie für alle gelten. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) habe den Artikel dagegen zu einer Schutznorm der Kirchen gegen den Staat umgedeutet und das kirchliche Selbstverwaltungsrecht hin zu einem Selbstbestimmungsrecht extrem ausgeweitet, insbesondere im Arbeitsrecht. Um Streitigkeiten zu entscheiden, bei denen es um Verstöße von Beschäftigten gegen „Loyalitätspflichten“ geht, müssen die Arbeitsgerichte laut BVerfG das Selbstverständnis der Kirchen als Maßstab zugrunde legen.
Stein hält das für wenig überzeugend: Ein bloßer Nachvollzug des Selbstverständnisses von Glaubensgemeinschaften habe mit eigenständiger Kontrolle durch die Rechtspflege nichts zu tun. Mit der Maxime „Plausibel ist, was die Kirche für plausibel hält“ hätten die Karlsruher Richter einen „kontrollimmunen Interpretationsprimat“ der Kirchen installiert und „die christliche Wertemoral in exzessivem Umfang gegenüber dem staatlichen Arbeitsrecht“ privilegiert. Vernachlässigt hätten sie dagegen die Grundrechte der Beschäftigten, gegen die das Selbstbestimmungsrecht von Religionsgemeinschaften abgewogen werden müsse.

Ausnahmen vom Diskriminierungsverbot seien unstrittig bei verkündigungsnahen Tätigkeiten, beispielsweise als Pfarrer, Rabbi oder Imam. Nicht dagegen, wenn es um Sportlehrer oder Ärztinnen an konfessionellen Schulen oder Krankenhäusern geht. In solchen Fällen sei das legitime Interesse der Kirchen durch „loyales und aufrichtiges Verhalten“ gewahrt. Nötig sei Rücksichtnahme auf die Werte des Arbeitgebers, nicht Übernahme.

Schlussendlich – vielleicht regelt das der „Markt“, also das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage, die Angelegenheit durch die unsichtbare Hand des Mangels

Vielleicht, so der abschließende Ausblick, werden hier Rückzugsgefechte einer im Untergang befindlichen Zeit der „Volkskirchen“ und des alten Staatskirchenverständnisses ausgefochten. Denn die Kirchen mit ihren großen Wohlfahrtsverbänden Diakonie und Caritas und hunderttausenden Beschäftigten bewegen sich eben auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt und die Zeiten sind vorbei, wo man sich aus Bewerbern die heraussuchen konnte, die die „richtige“ Kirchenmitgliedschaft hatten. Heute hat man, wenn es überhaupt Bewerber gibt, oftmals keine einziges Kirchenmitglied mehr dabei. Sondern ganz viele andere. Bunt eben.

Und die Kirchen haben darauf längst reagiert:

Die Katholische Kirche hat das Thema bereits pragmatisch gelöst: Sie hat bereits 2022 eine neue kirchliche Grundordnung verabschiedet. Damit ist die Religionszugehörigkeit nur dann ein Kriterium bei der Einstellung, wenn sie für die jeweilige Position erforderlich ist. Auch die Diakonie hat ihre Regelungen zum kirchlichen Arbeitsrecht im Jahr 2023 angepasst.

Der Druck der Marktverhältnisse kann eine Menge verändern. Und nicht selten ist das Recht und die Rechtsprechung eine Schnecke. Und die Politik ist noch nicht einmal im Schneckentempo unterwegs, sondern sie steckt den Kopf komplett und auf Dauer in den Sand und macht einen auf die drei Affen.1

Fußnote

  1. Man möge einmal in den Koalitionsvertrag 2021–2025 zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP vom 7. Dezember 2021 schauen: Dort finden wir unter der Überschrift „Mitbestimmung“ genau diese zwei Sätze (S. 71): „Gemeinsam mit den Kirchen prüfen wir, inwiefern das kirchliche Arbeitsrecht dem staatlichen Arbeitsrecht angeglichen werden kann. Verkündungsnahe Tätigkeiten bleiben ausgenommen.“ Gemeinsam“ mit den Kirchen werde man „prüfen“, „inwiefern“ das „angeglichen“ werden „kann“. Das alles in einem Satz. Nicht nur erfahrene Beobachter des Politikbetriebs werden hier zusammenfassend (bis zum gerne gesehenen Beweis des Gegenteils) bilanzieren: Gelesen, gelacht, gelocht. Allerdings muss man bilanzieren: Sie waren bemüht, auch wenn es dann nicht hat klappen sollen. Und die neue Bundesregierung? Wenn man einen Blick wirft in Verantwortung für Deutschland. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD aus dem Frühjahr 2025, dann findet man zu dem Thema – nichts. Gar nichts. Das hat schon eine gewisse Konsequenz. Man kann noch nicht einmal mehr lesen, lachen und lochen. Weil da nichts steht. Kein Wort.  ↩︎