Es ist wirklich ein Kreuz mit diesem Thema. Seit Jahren werden wir immer wieder konfrontiert mit Berichten – auch in diesem Blog – über Kapriolen, die seitens kirchlicher Arbeitgeber unter ständigem Bezug auf ihre Sonderstellung in der Arbeitswelt geschlagen werden. Und immer wieder landen Fälle vor den Gerichten, bei denen nicht nur Kritiker der kirchlichen Sonderwelten ihre Hände über den säkularen Kopf zusammenschlagen. Da geht es dann beispielsweise um die Kündigung eines wiederverheirateten Chefarztes (und so ein Verfahren kann sich dann in der ganz eigenen Umlaufbahn der höchsten Gerichte wie in einem Ping-Pong-Spiel über Jahre hinziehen) oder Erzieherinnen, die aus der Kirche ausgetreten sind und in einer Kita in katholischer Trägerschaft (weiter)arbeiten wollen, aber nicht dürfen.
Gehen wir drei Jahre zurück. Da wurde am 23. Juli 2022 hier dieser Beitrag veröffentlicht: Das Bundesarbeitsgericht zweifelt. Und legt die Kündigung einer Hebamme schon vor Arbeitsantritt aufgrund ihres Kirchenaustritts dem EuGH vor. Die Lösung wäre einfach. Auslöser des Beitrags war eine Mitteilung des Bundesarbeitsgerichts vom 21. Juli 2022, in der uns eröffnet wurde: »Das Bundesarbeitsgericht ersucht den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) um Auslegung des Unionsrechts zur Frage, ob ein der katholischen Kirche zugeordnetes Krankenhaus eine Arbeitnehmerin allein deshalb als ungeeignet für eine Tätigkeit ansehen darf, weil sie vor Beginn des Arbeitsverhältnisses aus der katholischen Kirche ausgetreten ist, auch wenn es von den bei ihm tätigen Arbeitnehmern im Übrigen nicht verlangt, dass sie der katholischen Kirche angehören.«
Nun sollte man meinen, hier werden jetzt aber reichlich alte Kamellen aufgewärmt, das isind doch sicher kritisierbare Verhaltensweise der Kirche aus einer vergangenen Zeit – und wenn schon nicht Einsicht, dann wird der immer eklatantere Fachkräftemangel im Gesundheits-, Sozial- und Bildungswesen die kirchlichen Arbeitgeber gemäßigt haben.
Aber dem ist offensichtlich nicht so, denn im April 2025 liefert uns die Süddeutsche Zeitung diese Nachricht: »Wie scharf die katholische Kirche auf Austritte reagiert, zeigt der Rauswurf einer Caritas-Mitarbeiterin. Ihr Fall liegt nun beim obersten Gerichtshof Europas – und auch in Karlsruhe geht es ums kirchliche Arbeitsrecht.« Unter der Überschrift Wie viel Loyalität dürfen Kirchen verlangen? klärt uns Wolfgang Janisch erst einmal über den Sachverhalt auf:
»Beim EuGH ist die Klage einer Caritas-Mitarbeiterin aus der Schwangerenberatung anhängig – ihr wurde wegen des Austritts aus der katholischen Kirche gekündigt. Die Frau beriet Schwangere vor und nach der Geburt über mögliche Hilfen, stellte allerdings keine Beratungsscheine aus, die zum Abbruch der Schwangerschaft berechtigt hätten … mit den eigentlichen Glaubenskämpfen um Abtreibung hatte die Klägerin nichts zu schaffen.«
➔ Die Sozialpädagogin klagte erfolgreich vor dem Arbeitsgericht (ArbG Wiesbaden, Urt. v. 10.06.2020, Az. 2 Ca 288/19) und dem Landesarbeitsgericht (LAG Frankfurt, Urt. v. 01.03.2022, Az. 8 Sa 1092/20). Das Bundesarbeitsgericht (BAG) legte den Fall dem EuGH vor (BAG, Az. 2 AZR 196/22).
Und warum ist die Frau ausgetreten?
»Ihr Mann war aus der Kirche ausgetreten, die mehrfache Mutter tat es ihm während ihrer Elternzeit nach. Allerdings nicht als Zeichen der Abwendung von der Kirche, sondern weil das Geld knapp war; nach einer Sonderregel für Beschäftigte sollte die Familie aus dem Einkommen des Mannes – obwohl nicht mehr in der Kirche – ein Kirchgeld zahlen. 2019 erhielt die Frau die Kündigung.«
Das hat sie sich nicht gefallen lassen: »Sie zog durch die Instanzen, und das Bundesarbeitsgericht wollte ihr recht geben: Ein Kirchenaustritt sei „für sich allein genommen kein illoyales Verhalten eines Arbeitnehmers“. Eine Kündigung wegen eines stillen und irgendwie sogar nachvollziehbaren Kirchenaustritts ist doch arg übertrieben, hieß das. Weil aber zuvor zu klären war, was genau eine EU-Gleichbehandlungsrichtlinie dazu sagt, rief das Gericht den EuGH an.«
Nun hat der EuGH darüber verhandelt. »Den Richterinnen und Richtern, das ließen ihre Fragen erkennen, war nicht entgangen, dass die Linie der kirchlichen Arbeitgeber inkonsequent wirkt, zumindest von außen besehen. Für viele Jobs verlangt die katholische Kirche keineswegs eine Mitgliedschaft in der Kirche, jedenfalls dort, wo die Tätigkeit nicht „verkündigungsnah“ ist. Man kann also durchaus in der katholischen Schwangerenberatung arbeiten, ohne katholisch zu sein«, so Janisch.
Aber auf Austritte reagiert die Kirche gleichsam allergisch – und bekommt Schützenhilfe vom Bonner Rechtsprofessor Gregor Thüsing, der als juristischer Vertreter der Caritas vor dem EuGH fungiert. Seine Schützenhilfe für die Kirche geht so:
„Es ist etwas anderes, aus der Kirche auszutreten, als nicht katholisch zu sein.“ So wie eine Scheidung etwas anderes sei als eine Entscheidung gegen die Heirat. „Wer aus der Kirche ausbricht, der bricht die Loyalität.“
Wolfgang Janisch bringt diese Argumentation so auf den Punkt:
»Nichtkatholikinnen dürfen bleiben, Nicht-mehr-Katholikinnen werden rausgeworfen.«
Das ist ganz offensichtlich eine Ungleichbehandlung und juristisch lässt sich die Fragestellung so zuspitzen:
»Dürfen die Kirchen für ihre Mitarbeiter eigene Kündigungsregeln aufstellen? Dürfen sie – rechtlich betrachtet – diskriminieren, wenn die Diskriminierung aus dem kirchlichen Selbstverständnis geboten ist?«
Für den Bonner Rechtsprofessor ist die Sache natürlich ganz klar:
»Der Kirchenaustritt zähle nach kanonischem Recht zu den schwersten Vergehen gegen den Glauben und die Einheit der Kirche, sagte Thüsing. Das Gewicht dieses Verstoßes zu benennen, sei Sache der Kirchen. „Der Gerichtshof kann sich nicht an dessen Stelle setzen.“« Er sprach von den „ureigenste Fragen des katholischen Selbstverständnisses“, die hier berührt seien (vgl. dazu den Artikel Ist eine Distanzierung „nur dem Katholiken möglich“? vom 9. Juli 2025).
Kann er das wirklich nicht? Janisch erinnert an dieser Stelle an den schon zitierten Fall eines wegen Wiederheirat gekündigten Chefarztes:
»2018 hatte der EuGH einem Chefarzt recht gegeben, der nach einer Scheidung wieder geheiratet und deshalb seinen Job verloren hatte. Nach der damaligen (inzwischen geänderten) kirchlichen Grundordnung war auch dies ein schwerwiegender Verstoß gegen Loyalitätspflichten. Der EuGH indes hielt das faktische Verbot einer zweiten Heirat für überzogen. Die Innere Medizin könne man auch ohne katholisches Eheverständnis leiten.«
Und Vorhang auf für das BVerfG
Der aufmerksame Leser wird möglicherweise an dieser Stelle fragen: Wo bleibt denn nun das Bundesverfassungsgericht? Lesen wir weiter:
Bevor der gekündigte Chefarzt »zum EuGH gelangte, hatte 2014 das Bundesverfassungsgericht darüber entschieden – und dort war der Sound komplett anders. Was nach kirchlichem Selbstverständnis für ihr Wirken nötig ist, bestimmen danach allein die Kirchen. Die staatlichen Gerichte bleiben an der Seitenlinie, sie sind auf eine „Plausibilitätskontrolle“ beschränkt – und damit eigentlich zum Jasagen verpflichtet. Ein Karlsruher Kniefall, wenn man so will.«
An dieser Stelle zeigt sich exemplarisch, was Wolfgang Janisch mit einem vergleichenden Blick auf EuGH und BVerfG so formuliert:
»… erstens … der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg, der den Kirchen mit seiner dezidiert säkularen Linie bisher eher Kummer bereitet hat. Und zweitens das traditionell kirchenfreundliche Bundesverfassungsgericht. Konflikte sind also vorhersehbar.«
Auch wichtig zu wissen: »Der Showdown der Gerichtshöfe blieb damals aus, weil die Kirche darauf verzichtete, den Fall nach der Runde über den EuGH ein zweites Mal nach Karlsruhe zu tragen.«
Das muss man auch in dem damaligen Kontext sehen, dass 2022 die kirchliche Grundordnung liberalisiert wurde und die Wiederheirat seitdem kein großes Problem mehr (wie vorher) war. Aber möglicherweise haben sich hier einige zu früh entspannt, so Janisch: »Die Konfrontation könnte aber nun bei der Schwangerenberatung nachgeholt werden. Sollte der EuGH es den Kirchen aus der Hand nehmen, wie sie auf Kirchenaustritte ihres Personals reagieren, bliebe nur noch die Option Karlsruhe.«
Und schon sind wir auf den höchsten Stufen einer rechtspolitischen Grundsatzstreiterei zwischen dem höchsten deutschen und dem höchsten europäischen Gericht angekommen.
➔ Der „Fall Egenberger“ und das Bundesverfassungsgericht: Ergänzend muss man berücksichtigen, dass das BVerfG derzeit ein anderes kirchenpolitisch hoch relevantes Verfahren im Beratungszimmer liegen hat: »In Karlsruhe schwelt seit vielen Jahren das fast schon legendäre Verfahren der Sozialpädagogin Vera Egenberger, die eine Referentenstelle bei der Diakonie einzig deshalb nicht bekam, weil sie nicht in der Kirche ist. Es geht also nicht um einen Rauswurf, sondern eine Nichteinstellung. Anderer Fall, aber ein paar Signale könnte ein Urteil trotzdem enthalten – Signale dafür, ob das Gericht das kirchliche Selbstverständnis immer noch für so unantastbar hält. 2014, beim Chefarzt-Urteil, bestimmte eine konservative Riege die Linie im Zweiten Senat. Nun, im Jahr 2025, ist der Ton vermittelnder. Als Berichterstatterin ist Christine Langenfeld zuständig, die sich bisher als kluge Moderatorin, nicht als Hardlinerin hervorgetan hat. Hinzu kommt: Ob der Senat nach dem Clash um die Europäische Zentralbank im Jahr 2020, als er sich schon einmal mit dem EuGH angelegt hat, schon wieder Streit will, ist überaus fraglich.«
Vgl. auch den Beitrag Müssen Diakonie-Mitarbeiter religiös sein? von Tanja Podolski, der am 9. Oktober 2024 veröffentlicht wurde: »Seit rund fünf Jahren hängt der Fall Egenberger beim BVerfG. Die Diakonie hatte Verfassungsbeschwerde eingelegt, nachdem EuGH und BAG sie wegen Diskriminierung verurteilt hatten. Wenn Karlsruhe entscheidet, könnte ein Anwalt in den Ruhestand.« Sie ordnet das so ein: »Für die Diakonie geht es in diesem Fall um viel: Denn nach der EuGH- und BAG-Rechtsprechung wäre dies das Ende des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften, abgeleitet aus Art. 140 Grundgesetz (GG) i. V. m. Art 137 II Weimarer Reichsverfassung (WRV). Danach durften sich die Religionsgemeinschaften ihre Beschäftigten selbst aussuchen und diese Entscheidung von der Religionszugehörigkeit abhängig machen – ein Sonderrecht, das nach ihrem Verständnis auch vom Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) nicht ausgehebelt werden kann, auf dessen Grundlage Bertelsmann für Egenberger die Entschädigung erstritt. Man könnte damit sagen: Der Diakonie blieb nach den EuGH- und BAG-Urteilen gar nichts anderes übrig, als im März 2019 Verfassungsbeschwerde zu erheben, wenn sie für ihr rechtlich verbrieftes Selbstbestimmungsrecht kämpfen will.«
»Die Katholische Kirche hat das Thema bereits pragmatisch gelöst: Sie hat bereits 2022 eine neue kirchliche Grundordnung verabschiedet. Damit ist die Religionszugehörigkeit nur dann ein Kriterium bei der Einstellung, wenn sie für die jeweilige Position erforderlich ist. Auch die Diakonie hat ihre Regelungen zum kirchlichen Arbeitsrecht im Jahr 2023 angepasst.« Aber man muss genauer hinschauen. So wird Jörg Kruttschnitt, Vorstand Finanzen, Personal und Recht beim Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung, hinsichtlich der Anpassungen des kirchlichen Arbeitsrechts mit diesen Worten zitiert: „Dabei haben wir sie für Mitarbeitende, die weder eine Profilverantwortung für die Einrichtung noch die Aufgabe einer glaubwürdigen Außenvertretung haben, auch für Nichtkirchenmitglieder geöffnet.“ Also hat sich der Fall doch aufgelöst. Oder? Mitnichten, man achte wie immer auf die Begrifflichkeiten, also „Profilverantwortung“ und „glaubwürdig“. Deshalb bleibt der Fall aus Sicht der Diakonie ein Fall von grundsätzlicher Bedeutung und mithin auf den Schreibtischen der Verfassungsrichter liegen: „Im Fall Egenberger wäre eine solche Profilverantwortung und Außenwirkung nach unserer Auffassung gegeben, zumal es sich in ihrer Referentinnenfunktion um die bundeszentrale Vertretung der spezifisch diakonischen Position der Diakonie in einem bundesweiten Netzwerk handelte.“
Zum Verfahrensgang im „Fall Egenberger“: ArbG Berlin, 18.12.2013 – 54 Ca 6322/13, LAG Berlin-Brandenburg, 28.05.2014 – 4 Sa 157/14, BAG, 17.03.2016 – 8 AZR 501/14, Generalanwalt beim EuGH, 09.11.2017 – C-414/16, EuGH, 17.04.2018 – C-414/16, BAG, 25.10.2018 – 8 AZR 501/14, BVerfG – 2 BvR 934/19 (anhängig).1
Und was ist nun der Stand beim EuGH?
Am 10. Juli 2025 bringt uns Tanja Podolski in ihrem Beitrag Kündigung wegen Kirchenaustritts kann diskriminieren auf den aktuellen Stand – der die Kirche sicher nervös machen wird:
»Die Caritas darf einer Frau nicht kündigen, nur weil sie aus der Kirche ausgetreten ist – so sieht es zumindest die Generalanwältin am Europäischen Gerichtshof (EuGH) Laila Medina. Aus ihrer Sicht liegt eine nicht gerechtfertigte Diskriminierung vor, weil so eine Kündigung nur Mitarbeiter:innen treffe, die zuvor katholische Kirchenmitglieder gewesen sind (Anträge v. 10.07.2025, Az. C-258/24). Den formellen Austrittsakt bei der Behörde wertet Medina dabei nicht zwangsläufig als feindlichen, öffentlich wahrnehmbaren Akt gegenüber der Kirche, der eine Kündigung womöglich doch rechtfertigen könnte.«
Nun muss man wissen: Die Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie 2000/78/EG (RiLi) erlaubt zwar grundsätzlich eine Ungleichbehandlung von Kirchen- und Nicht-Kirchenmitgliedern bei beruflichen Tätigkeiten in Kirchen und religiösen Organisationen, Art. 4 Abs. 2 RiLi.2
Laut der Generalanwältin Medina ist das aber im vorliegenden Fall nicht einschlägig,
»… denn die gegen ihre Kündigung klagende Sozialpädagogin war in der Schwangerenberatung bei der Caritas beschäftigt, wo auch evangelische Frauen arbeiteten. Wenn also die Zugehörigkeit zur katholischen Kirche keine berufliche Voraussetzung ist, könne wegen eines Austritts aus der katholischen Kirche auch nicht gekündigt werden. Dies gelte jedenfalls so lange, wie die Beschäftigte nicht öffentlich wahrnehmbar in einer Weise handelt, die dem Ethos der Kirche zuwiderläuft.«
Der Austritt lasse für sich genommen noch nicht die Annahme zu, dass ein Arbeitnehmer nicht beabsichtigt, weiterhin die Grundprinzipien und Werte der betreffenden Kirche zu befolgen. Es sei auch nicht davon auszugehen, dass die Person automatisch aufhören wird, die aufgrund des Arbeitsverhältnisses geltenden Pflichten zu erfüllen, so die Generalanwältin. Dazu passt ja auch der konkrete Sachverhalt: »Die Sozialpädagogin hatte in ihren arbeitsgerichtlichen Verfahren und auch im Vorlageverfahren an den EuGH betont, dass der Grund für ihren Austritt keine Frage des Glaubens oder ihres Bekenntnisses zu christlichen Werten gewesen sei. Vielmehr sei der Grund, dass in ihrer Diözese, dem Bistum Limburg, ein besonderes Kirchgeld erhoben wird … Die christlichen Werte lebt die Frau nach eigenen Angaben nach dem Austritt weiter.«
Derartige Fälle könnten nur die Kirchen selbst bewerten, so die Argumentation des Rechtsbeistandes der Kirche, der Bonner Rechtsprofessor Thüsing.
»Doch so weit dürfe die Autonomie der Kirchen nicht reichen, meint Generalanwältin Medina. Wäre die Kündigung in solchen Fällen nämlich erlaubt, wäre dies auch das Anerkenntnis, dass die Einhaltung der Kriterien aus der Gleichbehandlungs-RiLi nicht mehr gerichtlich kontrolliert werden könnte – die Autonomie der Kirche entziehe sich dann der gerichtlichen Kontrolle.«
Das nun lässt Thüsing grummeln: »… das kirchliche Selbstbestimmungsrecht genieße in Deutschland Verfassungsrang. „Wie schwer ein Loyalitätsverstoß wiegt – der Kirchenaustritt ist das ohne Frage – kann und darf nur die Kirche selbst bestimmen. Wie wollte das auch ein weltliches Gericht tun?“« Ganz offensichtlich hofft der Kirchen-Vertreter auf das aus Kirchen-Sicht (bislang) „stabile BVerfG“.
➔ »Nach den vor Jahrzehnten vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätzen gilt als Maßgabe für kirchliche Arbeitsverträge das kirchliche Selbstverständnis, solange Regelungen nicht zu grundlegenden verfassungsrechtlichen Wertungen im Widerspruch stehen. Den staatlichen Gerichten bleibt demnach nur die Plausibilitätskontrolle.
Dieser Wertung des BVerfG hatte sich der EuGH und in der Folge auch das BAG allerdings schon im Chefarzt-Fall (BVerfG, Beschl. v. 22.10.2014, Az. 2 BvR 661/12, dem wegen einer Wiederheirat gekündigt worden war, nicht angeschlossen (EuGH, IR, Urt. v. 11.09.2018, Az. C‑68/17). Der EuGH hatte mit dem Chefarzt-Fall und mit der Rechtssache Egenberger – die Frau, die mangels Kirchenzugehörigkeit gar nicht erst bei der Diakonie eingestellt worden war – die Autonomie der Kirchen und kirchlichen Organisationen beschränkt: Ihr Handeln muss demnach gerichtlich überprüfbar sein, zumindest hinsichtlich der drei Kriterien „wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt“.«
Fazit: In den meisten Fällen schließt sich der EuGH den Wertungen der Generalanwälte an – er muss es aber nicht. Die Wertung von Generalanwältin und EuGH sind dann noch keine Entscheidungen in den Fällen – sondern Wertungen nach Auslegung des relevanten Europarechts. Die Entscheidungen treffen in der Folge die nationalen Gerichte. In diesem Fall würde das also wieder zurück gehen an das Bundesarbeitsgericht.
Und das BVerfG kann ja mal in der Zwischenzeit den seit Jahren anhängigen Fall Egenberger entscheiden.
Da war doch noch was
Abschließend sei hier erneut auf den Beitrag hingewiesen, der hier am 23. Juli 2022 veröffentlicht wurde. Da steht ja schon in der Überschrift: „Die Lösung wäre einfach“. Was war bzw. ist damit gemeint?
»Dabei wäre die Lösung solcher und vieler anderer Fälle doch ganz einfach und man könnte sich so viel Ärger und Nöte bei den Menschen und Kosten im System ersparen, wenn man endlich das kirchliche Sonderarbeitsrecht für die vielen Einrichtungen, in denen hunderttausende (eigentlich normale) Beschäftigte ihr Lohn und Brot verdienen und die übrigens so gut wie alle genau so aus öffentlichen Mitteln finanziert werden wie andere Einrichtungen in kommunaler oder privater Trägerschaft auch, einfach abschafft. Die gleichen Arbeitsrechte wie die anderen „normalen“ Arbeitnehmer auch. Und natürlich auch das Streikrecht. Es wäre schon längst an der Zeit gewesen, diesen Schritt zu vollziehen.«
Und damals wurde darauf hingewiesen:
»Wir haben doch seit Ende des letzten Jahres eine neue Koalitionsregierung aus Parteien, die dem genannten Ansinnen offen gegenüberstehen (müssten), aus deren Reihen in den vergangenen Jahren immer wieder auch diese Forderung vorgetragen wurde.«
Also schauen wir in den Koalitionsvertrag 2021–2025 zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP vom 7. Dezember 2021.
Dort finden wir unter der Überschrift „Mitbestimmung“ genau diese zwei Sätze (S. 71):
„Gemeinsam mit den Kirchen prüfen wir, inwiefern das kirchliche Arbeitsrecht dem staatlichen Arbeitsrecht angeglichen werden kann. Verkündungsnahe Tätigkeiten bleiben ausgenommen.“
Aber abgerundet wurde der Beitrag mit diesen Worten, die sich nun, nachdem die damals noch recht junge „Fortschrittskoalition“ zerbröselt und durch eine neue ersetzt worden ist, leider als zutreffende Prognose erwiesen hat:
»Gemeinsam“ mit den Kirchen werde man „prüfen“, „inwiefern“ das „angeglichen“ werden „kann“. Das alles in einem Satz. Nicht nur erfahrene Beobachter des Politikbetriebs werden hier zusammenfassend (bis zum gerne gesehenen Beweis des Gegenteils) bilanzieren: Gelesen, gelacht, gelocht.«
Allerdings muss man bilanzieren: Sie waren bemüht, auch wenn es dann nicht hat klappen sollen.
Und die neue Bundesregierung? Wenn man einen Blick wirft in Verantwortung für Deutschland. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD aus dem Frühjahr 2025, dann findet man zu dem Thema – nichts. Gar nichts. Das hat schon eine gewisse Konsequenz. Man kann noch nicht einmal mehr lesen, lachen und lochen. Weil da nichts steht.
Fußnote
- Vielleicht durchaus passend vor dem Hintergrund der Im Sommer 2025 eskalierenden Debatte über die Wahl bzw. Nicht-Wahl von neuen Bundesverfassungsrichtern und der öffentlichen Verhackstückung der angeblichen oder tatsächlichen Positionierung der Kandidaten zu einzelnen rechtspolitischen Fragen sei hier auf diese Entwicklung im „Fall Egenberger“ hingewiesen, über die Tanja Podolski berichtet: »Anfang 2021 hat Egenberger mit ihren Anwälten Bertelsmann und dem sie ebenfalls vertretenden Professor Dr. Christian Walter von der LMU München Befangenheitsanträge gegen die Richter des BVerfG Peter Huber und Peter Müller gestellt. In diesen Anträgen ging es darum, dass die beiden damaligen BVerfG-Richter auf einer Kirchenkonferenz, den sogenannten Essener Gesprächen, im März 2019 gegenüber der Diakonie angeblich angeregt haben sollen, Verfassungsbeschwerde einzureichen. Aber: „Anfang 2024 wurden alle Beteiligten informiert, dass über diese Befangenheitsanträge nicht entschieden werden würde“, teilte Bertelsmann nun LTO mit. Als Begründung sei ihm mitgeteilt worden, dass die beiden Richter pensioniert und nicht mehr Richter des BVerfG seien. Die Person des Berichterstatters sei nun eine andere. Bertelsmann nimmt das hin. „Interessant“ findet er jedoch die „Problematik, dass nach § 19 I Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) Befangenheitsanträge gestellt werden können, nach überwiegender Auffassung aber nur von den Verfahrensbeteiligten“, sagt der Anwalt aus Hamburg. Diese seien nur der Beschwerdeführer und die Verfassungsorgane (§ 94 V BVerfGG), nicht aber diejenige Person, die in der durch Verfassungsbeschwerde angegriffenen Entscheidung begünstigt worden ist – in diesem Fall also Egenberger selbst. Die ist nicht Beteiligte, darf also keinen Befangenheitsantrag stellen, sondern sich nur zur Verfassungsbeschwerde äußern. Bertelsmann hält diesen Ausschluss für verfassungswidrig. Vorgehen wird er gegen den Ausschluss aber nicht.« ↩︎
- „Die Mitgliedstaaten können in Bezug auf berufliche Tätigkeiten innerhalb von Kirchen und anderen öffentlichen oder privaten Organisationen, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht, Bestimmungen in ihren zum Zeitpunkt der Annahme dieser Richtlinie geltenden Rechtsvorschriften beibehalten oder in künftigen Rechtsvorschriften Bestimmungen vorsehen, die zum Zeitpunkt der Annahme dieser Richtlinie bestehende einzelstaatliche Gepflogenheiten widerspiegeln und wonach eine Ungleichbehandlung wegen der Religion oder Weltanschauung einer Person keine Diskriminierung darstellt, wenn die Religion oder die Weltanschauung dieser Person nach der Art dieser Tätigkeiten oder der Umstände ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Organisation darstellt. Eine solche Ungleichbehandlung muss die verfassungsrechtlichen Bestimmungen und Grundsätze der Mitgliedstaaten sowie die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts beachten und rechtfertigt keine Diskriminierung aus einem anderen Grund.“ ↩︎