Der „Prime Day“ schaufelt wie jedes Jahr Umsatz in die Kasse von Amazon und ein Teil der Beschäftigten streikt mal wieder. Ganz unten sind die Paketzusteller in einem „System der Ausbeutung“. Denen will der Bundesrat helfen

Und jährlich grüßt die (angebliche) Schnäppchenjagd beim „Prime Day“ von Amazon. Der erstreckt sich dieses Jahr vom 11. bis zum 12. Juli, der weltgrößte Online-Versandhändler bietet dann Rabatte auf viele Produkte. Der „Prime Day“ zählt neben dem Weihnachtsgeschäft und der „Cyber Week“ um den Black Friday zu den wichtigsten Verkaufstagen von Amazon. Im vergangenen Jahr setzte der E-Commerce-Gigant dabei binnen 48 Stunden über zwölf Milliarden Dollar um.

Kein Zufall, sondern Kalkül ist in diesem Kontext, dass die Gewerkschaft ver.di erneut zum Streik an den deutschen Verteilerzentren von Amazon aufruft. Warnstreiks gibt es in Bad Hersfeld (zwei Standorte), Leipzig, Werne, Graben, Rheinberg, Koblenz, Dortmund, Achim und Winsen, so diese Meldung: Warnstreiks bei Amazon am „Prime Day“. »Amazon habe zwar die Stundenlöhne in den vergangenen Jahren wiederholt erhöht und liege damit inzwischen über dem aktuellen Mindestlohn … Tatsächlich blieben die Einkommen der Beschäftigten durch längere Arbeitszeiten und niedrige oder fehlende Sonderzahlungen wie Weihnachts- und Urlaubsgeld oft um mehrere Hundert Euro unter denen der Beschäftigten in tarifgebundenen Unternehmen.«

Aber es gibt da noch ganz andere Beschäftigte, gleichsam in der abgedunkelten Kelleretage des Beschäftigungsssystems rund um den Giganten des Online-Handels: Die Paketzusteller, die an der Lieferfront auf der letzten Meile die Kunden bedienen müssen. Und denen geht es noch schlechter, wenn man schon eine Hierarchie der Ausbeutung bemühen muss.

„Man kann kein erfolgreiches Amazon-Subunternehmen führen mit menschenwürdigen Arbeitsbedingungen.“

In den vergangenen Jahren wurde immer wieder über die teilweise skandalös miesen Arbeitsbedingungen der Paketzusteller insgesamt berichtet (vgl. dazu die Beiträge in diesem Blog). Neue Rechercheergebnisse von Journalisten des SR gemeinsam mit dem Recherchezentrum Correctiv und der Nordsee-Zeitung sind diese Tage dazugekommen: »Zusteller von Amazon-Paketen am Standort Völklingen beklagen harte Arbeitsbedingungen und Lohnprellerei. In erster Linie machen sie dafür ihre Chefs verantwortlich, die Subunternehmer von Amazon sind. Doch interne Unterlagen legen nahe: Verträge zwischen Amazon und ihren Subunternehmern scheinen die Ausbeutung zu begünstigen.« In dem Beitrag Völklinger Amazon-Fahrer: großer Druck und Lohnprellerei von Caroline Uhl und Niklas Resch wird über die Erlebnisse von acht Fahrern, die vom Verteilzentrum Völklingen-Wehrden aus für vier verschiedene Subunternehmen für Amazon Pakete ausgefahren haben oder das noch immer tun, berichtet.

»Pro Tag „immer 200, 250, 300 Pakete“, sagt Mustafa … „Ich habe getragen wie ein Sklave, vom Morgen bis zum Abend.“
„Ich starte gegen zehn Uhr“, erzählt unabhängig davon Tomasz … „Und wenn um 20.00 Uhr Feierabend ist, dann kommst du heim, duschen, ins Bett.“ Denn über Tag waren es „mindestens 250 Pakete“ …
Viele der Fahrer, die Auskunft gegeben haben, berichten zudem von häufigem Frust wegen zu niedriger Lohnabrechnungen. Oft geht es darum, dass ihre Chefs, die Subunternehmer, Überstunden nicht bezahlten oder willkürlich Summen vom Lohn abzögen. Den Reportern vorliegende Unterlagen bestätigen derartige Unregelmäßigkeiten.
Arbeitnehmer-Beratungsstellen kennen solche Fälle zuhauf. „Da werden Stunden nicht bezahlt, es wird Urlaubsentgelt nicht gewährt”, beschreibt der Leiter der Beratungsstelle Wanderarbeit bei der Arbeitskammer des Saarlands, Egbert Ulrich. Häufig gebe es auch keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.«

Die Paketzusteller sind die letzten und schwächsten Glieder in einer Ausbeutungskette – in die aber auch die meisten (rechtlich selbstständigen) Subunternehmen, die im Auftrag von Amazon arbeiten, eingebunden sind: Einerseits werden sie von dem einen großen Auftraggeber über ein rigides Steuerungs- und Kontrollsystem zu nur auf dem Papier selbstständigen Auftragnehmern degradiert, auf der anderen Seite geben sie den enormen Druck teilweise ungefiltert und ungebremst an ihre eigene größte „Kostenstelle“ weiter, also an die Fahrer. Um die Probleme der Subunternehmen geht es vor allem in dem Beitrag Amazons Chef-Marionetten: Zustell-Unternehmer packen aus von Luise Maria Langen: »Druck, Existenzängste und Knebelverträge prägen den Alltag vieler Zustell-Unternehmer von Amazon. Sie fühlen sich oft wie Marionetten des Konzerns.«

Da wird beispielsweise von einem Mann aus Norddeutschland berichtet: »Er beschäftigt rund 20 Paketzusteller und arbeitet von Montag bis Samstag durchschnittlich zwölf Stunden am Tag. Auch sonntags kommt er nicht zur Ruhe. Er versucht, genügend Gewinn zu machen, um seine Familie zu ernähren. Doch in Wirklichkeit hat er nur wenig Einfluss auf den Erfolg seines Unternehmens, denn er ist Subunternehmer von Amazon … damit hat er sich in ein perfides System der Abhängigkeit begeben. Als sogenannter Delivery Service Partner (DSP) – also ein Liefer-Service-Partner – ist er dafür verantwortlich, dass die Amazon-Pakete vom Verteilzentrum seiner Region zu den Kunden nach Hause gebracht werden.«

Dann werden die Umrisse eines Systems erkennbar: »Insgesamt gibt es über 60 Verteilzentren in Deutschland. Amazon hat selbst keinen einzigen Paketboten eingestellt, sondern die Zustellung bewusst auf externe Unternehmen verlagert.«

Die neuen Rechercheergebnisse zeigen, »dass Amazon die Ausbeutung der Paketboten begünstigt und die Subunternehmer in ihrer unternehmerischen Freiheit massiv einschränkt.« Es geht um Knebelverträge, die sich mindestens an den Grenzen der Legalität bewegen. Experten sehen sogar Indizien für Scheinwerkverträge und unerlaubte Leiharbeit.

In dem Beitrag „System der Ausbeutung“ bei Amazon? wird Manfred Walser von der Hochschule Mainz dahingehend zitiert, dass die Verträge von Amazon die unternehmerische Freiheit der Subunternehmen stark einschränken. Und noch eine Nummer deutlicher: »Der Bremer Fachanwalt für Arbeitsrecht, Frank Ewald, spricht von „sehr geschickten und kompliziert formulierten Knebelverträgen“. Amazon verlagere das wirtschaftliche Risiko und die Verantwortung für die Fahrer auf die Subunternehmen, „ohne dabei die Kontrolle über die Ausführung der Arbeit abzugeben“. Ewald sieht Hinweise auf unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung.«Amazon hingegen wäscht seine Hände in Unschuld und behauptet, dass die „Lieferpartner ihre Geschäfte nach eigenem Ermessen führen“ könnten. »Die Aussage eines Subunternehmers klingt anders: „Amazon weiß und kontrolliert alles von meinem Unternehmen. Ich darf im Grunde nur entscheiden, wen ich einstelle und wen ich rausschmeiße.“«

Ist der „weiße Ritter“, der den Paketzustellern beispringen wird, bereits unterwegs? Der Bundesrat schickt eine Botschaft an die Bundesregierung

Wenn es um Schutz für die schwächsten Glieder in der Ausbeutungskette geht, dann wird der eine oder andere einwenden, dass es doch vor gar nicht so langer Zeit ein vom (immer noch) amtierenden Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) ein- und durchgebrachtes „Paketboten-Schutz-Gesetz“ gegeben hat. Ja schützt das denn etwas doch nicht?

Ein Rückblick auf das gar nicht so alte „Paketboten-Schutz-Gesetz“: Am 17. Mai 2019 wurde hier dieser Beitrag veröffentlicht: Endlich wird was für die Paketboten und gegen die Wild-West-Strukturen in der Branche getan. Dennoch bleiben kritische Anmerkungen angesichts der kursierenden Jubelmeldungen. Darin: »Nach wochenlangen Diskussionen sind sich Union und SPD endlich einig: Paketboten sollen in Zukunft besser vor Ausbeutung geschützt werden … (Ein Gesetzentwurf soll) Versandunternehmen wie Hermes, UPS oder DHL in die Verantwortung dafür (nehmen), dass auch all jene Zusteller einen Mindestlohn erhalten und über Sozialbeiträge abgesichert werden, die nicht direkt bei ihnen, sondern bei einem Subunternehmen angestellt sind. Im Ernstfall sollen die Dienstleister für nicht gezahlte Entgelte und Beiträge einstehen«, so dieser Bericht: So sollen Paketboten vor Ausbeutung geschützt werden. Das hört sich doch gut an. In dem Beitrag aus dem Mai 2019 heißt es weiter: »Wie immer im Leben muss man genauer hinschauen, denn der Teufel steckt bekanntlich im Detail. Um es gleich an den Anfang zu stellen: Grundsätzlich ist der geplante gesetzgeberischer Ansatz, eine Nachunternehmerhaftung für nicht gezahlte Sozialbeiträge seitens der Subunternehmer einzuführen (denn „nur“ darum geht es jetzt), ein sicher wichtiges Signal an eine Branche, in der es bei vielen, die als letzte Glieder in einer unter enormen Preisdruck stehenden Verwertungskette agieren müssen und von denen viele den Druck als Lohndruck und in Form von massiven Verstößen gegen rechtliche Bestimmungen an die allersschwächsten Glieder, also den Paketboten, weitergeben.« Der guten Absicht haben damals viele zugestimmt und zeigten sich erleichtert, aber wie immer muss man genauer hinschauen, denn: »Paketdienste sollen für ihre Subunternehmer haften, wenn diese die Sozialbeiträge für ihre Fahrer nicht korrekt abgeführt haben .. Aber das Zauberwort lautet: Wenn. Denn eine gesetzliche Vorschrift führt bekanntlich nicht annähernd automatisch dazu, dass sie auch eingehalten wird. Gerade in einem Bereich wie den Paketdiensten mit den dort vorherrschenden Rahmenbedingungen wird das nur dann eine Wirkung entfalten können, wenn die Einhaltung der Bestimmungen
a) umfassend kontrolliert und
b) damit verbunden eine die Unternehmen (sowohl die Auftraggeber wie die Subunternehmen) empfindlich treffende Sanktionierung erfolgt, die eine möglichst starke abschreckende Wirkung entfalten muss.« Es gab dann noch weitere Hinweise, was eigentlich gemacht werden müsste.

Wie dem auch sei – das „Gesetz zur Einführung einer Nachunternehmerhaftung in der Kurier-, Express- und Paketbranche zum Schutz der Beschäftigten (Paketboten-Schutz-Gesetz)“ ging dann seinen parlamentarischen Gang der Dinge und am 19. September 2019 wurde dann mit diesem Beitrag Vollzug gemeldet und zugleich ein skeptischer Unterton in die Überschrift eingebaut: Mit dem „Paketboten-Schutz-Gesetz“ will der Bundesarbeitsminister den Wilden Westen der Paketzustellung einhegen. Die Nachunternehmerhaftung soll kommen. Aber das wird nicht reichen. Und in dem Beitrag findet man am Ende diese für die heutige Diskussion möglicherweise hilfreiche Bilanzierung:

»Es wäre sehr viel gewonnen, wenn die den von vielen beklagten Missständen zugrundeliegende Outsourcing-Strategie der großen Paketzusteller im Sinne einer Umkehrung verändert wird, dass also die Paketdienste (wieder) eigene, bei ihnen angestellte Zusteller beschäftigen. Die Beauftragung von Subunternehmen also nicht als Regel-, sondern als Ausnahmefall. Dies wäre angesichts der Besonderheiten in dieser Branche mit einem allgemeinverbindlich zu erklärenden Tarifvertrag zu verbinden.«

Und damit zurück in die Gegenwart.

Aus dem Bundesrat erreicht uns diese Meldung vom 12. Mai 2023: Bundesrat für bessere Arbeitsbedingungen in der Paketbranche: »Bei der Zustellung von Paketen sollen Werkverträge zukünftig verboten sein. Mit diesem Ziel fordert der Bundesrat die Bundesregierung auf, das „Paketboten-Schutz-Gesetz“ zu ändern. Eine entsprechende Entschließung auf Initiative von Bremen, Niedersachsen, dem Saarland und Thüringen beschloss der Bundesrat in seiner Sitzung am 12. Mai 2023.« Es wird dann darauf hingewiesen, dass die Fleischwirtschaft als Vorbild für den Vorstoß des Bundesrates herangezogen wurde: »Ein Verbot von Werkverträgen in der Paketbranche – so heißt es in der Begründung für die Entschließung – würde die Verantwortung für die Einhaltung der arbeits- und arbeitsschutzrechtlichen Standards den großen Dienstleistern zuweisen – analog zur Fleischwirtschaft, wo der Gesetzgeber sich aufgrund ähnlicher Missstände veranlasst sah, Werkverträge bzw. den Einsatz von Fremdpersonal im Kernbereich der Fleischwirtschaft zu untersagen.« Der aufmerksame Leser wird allerdings stutzig, wenn er unter der Überschrift „Ausnahmen“ zu lesen bekommt: »Ausnahmen für das Werksvertragsverbot soll es nach dem Willen der Länder jedoch für Subunternehmen geben, die ausschließlich sozialversicherungspflichtig Beschäftigte zu tariflichen Entgeltbedingungen einsetzen.«

Da müssen wir genauer hinschauen.

Es geht um die „Entschließung des Bundesrates zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei der Zustellung von Paketen“, Drucksache 117/23 (Beschluss) vom 12.05.2023. Und darin findet man eine gute Analyse der Situation und der Probleme – wie für ein Lehrbuch geschrieben:

»Unter der Vielzahl von Paketdienstleistern besteht hoher Wettbewerbsdruck. Neben dem Sendungsvolumen stieg auch die Kundennachfrage nach flexiblen und individualisierten Zustellkonzepten, wie zum Beispiel Echtzeitverfolgung und Zeitfenster-Zustellung. Zur Optimierung der Zustellung vor allem auf der letzten Meile setzen Dienstleister zunehmend auf digitale Steuerung und Überwachung. Dies führt zu Arbeitsverdichtung und Leistungsdruck bei den Zustellerinnen und Zustellern.
Die Paketzustellerinnen und Paketzusteller sind häufig nicht direkt bei den Paketdienstleistern beschäftigt, sondern bei deren Subunternehmen. Große Versandhändler arbeiten regelmäßig mit einem Netzwerk kleiner und mittelständischer Subunternehmen zusammen. Zum Teil erfolgt die Paket-Auslieferung entlang von Ketten mehrerer Subunternehmen. Einige Versandhändler lagern die Zustellung der Pakete über Werkverträge vollständig auf Subunternehmen aus. Die Beschäftigung im Rahmen dieser Werkvertragskonstellationen wirkt sich nachteilig auf die Arbeits- und Entgeltbedingungen der Paketzustellerinnen und Paketzusteller aus. In den Subunternehmen bestehen in aller Regel keine Tarifverträge und auch Betriebsräte sind hier selten.
Immer wieder wird über schlechte oder rechtswidrige Arbeitsbedingungen bei Subunternehmen der großen Paketdienstleister berichtet. Nach Erkenntnissen der Finanzkontrolle Schwarzarbeit und von Beratungsstellen für Arbeitnehmerrechte werden in vielen Fällen Verstöße gegen die Verpflichtung zur Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns sowie Aufzeichnungspflichten nach dem Mindestlohngesetz beziehungsweise dem Arbeitnehmerentsendegesetz festgestellt … Weitere Verstöße, die regelmäßig bekannt oder durch Kontrollen des Zolls aufgedeckt werden, sind Scheinselbständigkeit und die Missachtung notwendiger Maßnahmen des betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutzes.
Der Arbeitsalltag von Zustellerinnen und Zustellern ist neben Entgeltverstößen, überlangen Arbeitszeiten und fehlenden Pausen auch gekennzeichnet durch hohe Arbeitsverdichtung, mit Leistungsvorgaben von zum Teil 250 bis 270 Paketen an einem Arbeitstag. Begünstigt werden Rechtsverstöße in Subunternehmer-Konstellationen dadurch, dass in vielen Fällen Drittstaatenangehörige mit unsicherem Aufenthaltsstatus, ohne anerkannte Ausbildung und mit geringen Deutschkenntnissen die Arbeit als Zustellerinnen und Zusteller ausüben.
Paketzustellerinnen und Paketzusteller nicht unmittelbar bei den Paketdienstleistern. Bundesweit sind knapp 360.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte bei den Kurier-, Express- und Paketdienstleistern (Stand Juni 2022: 359.243) tätig. Insgesamt ist die Branche aufgrund der vielen Sub- und Sub-Subunternehmen hochgradig fragmentiert: 79,6 Prozent der Beschäftigten und damit circa 270.000 Personen arbeiten in Kleinbetrieben mit weniger als zehn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Dies hat auch Folgen für die Entgelte. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes sind die Bruttogehälter von Paketlieferantinnen und Paketlieferanten in den Jahren 2010 bis 2020 nur um 1,5 Prozent gestiegen.«

Dann geht die Begründung des Bundesrates ein auf das angesprochene Paketboten-Schutz-Gesetz:

»Mit dem Gesetz zur Einführung einer Nachunternehmerhaftung in der Kurier-, Express- und Paketbranche zum Schutz der Beschäftigten (Paketboten-Schutz-Gesetz) hat der Bundesgesetzgeber im Jahr 2019 Maßnahmen ergriffen, um die Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen in der Paketbranche sicherzustellen und positiven Einfluss auf die Beschäftigungsbedingungen zu nehmen.
Dieses Gesetz führte aber bislang nicht zu mehr direkter Beschäftigung bei den großen Paketdienstleistern oder zu einem Rückgang der Werkverträge bei Subunternehmen.«

Und was ist die Schlussfolgerung des Bundesrates?

»In Anbetracht der dargestellten Situation besteht nach Überzeugung des Bundesrates ein zusätzlicher Bedarf, Paketzustellerinnen und Paketzusteller vor arbeits- und sozialrechtswidrigem Verhalten von Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern zu schützen. Ein Verbot von Werkverträgen in der Paketbranche würde die Verantwortung für die Einhaltung der arbeits- und arbeitsschutzrechtlichen Standards eindeutig den großen Dienstleistern zuweisen. Damit würde eine Analogie zur Fleischwirtschaft gezogen, wo der Gesetzgeber sich aufgrund ähnlicher Missstände veranlasst sah, Werkverträge beziehungsweise den Einsatz von Fremdpersonal im Kernbereich der Fleischwirtschaft zu untersagen.«

Konkret bittet der Bundesrat die Bundesregierung um Vorlage eines Gesetzentwurfes:

»Analog zum Gesetz zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft sollte nach Ansicht des Bundesrates auch für die Zustellung von Paketen ein Verbot von Werkverträgen umgesetzt werden. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, bei Entwurf eines Werkvertragsverbotes für die Paketbranche zu prüfen, ob es möglich ist, den Abschluss von Werkverträgen bei der Zustellung von Paketen unter der Voraussetzung weiterhin zuzulassen, dass der oder die ausführende Nachunternehmer oder Nachunternehmerin für die Ausführung des Auftrages ausschließlich sozialversicherungspflichtig Beschäftigte zu tariflichen Entgeltbedingungen einsetzt.«

Es soll hier besonders auf die in den Beschlusstext eingebaute Ausnahmeoption hingewiesen werden, „den Abschluss von Werkverträgen bei der Zustellung von Paketen unter der Voraussetzung weiterhin zuzulassen, dass der oder die ausführende Nachunternehmer oder Nachunternehmerin für die Ausführung des Auftrages ausschließlich sozialversicherungspflichtig Beschäftigte zu tariflichen Entgeltbedingungen einsetzt.“

Es ist klar, um was es hier geht: Eine generelles Verbot von Werkverträgen würde zu dem führen, was bereits 2019 so formuliert wurde: »Es wäre sehr viel gewonnen, wenn die den von vielen beklagten Missständen zugrundeliegende Outsourcing-Strategie der großen Paketzusteller im Sinne einer Umkehrung verändert wird, dass also die Paketdienste (wieder) eigene, bei ihnen angestellte Zusteller beschäftigen. Die Beauftragung von Subunternehmen also nicht als Regel-, sondern als Ausnahmefall. Dies wäre angesichts der Besonderheiten in dieser Branche mit einem allgemeinverbindlich zu erklärenden Tarifvertrag zu verbinden.« Das aber würde das gesamte Geschäftsmodell der vielen kleinen Zustellunternehmen ausradieren.

Das sei eine „Einschränkung mit Tücken“, so werde ich in dem Beitrag „System der Ausbeutung“ bei Amazon? zitiert: „Tariflohn für die Paketzusteller, das müsste ja auch kontrolliert werden.“ Die Behörden seien dazu aber nicht in der Lage. Dieser Vorschlag werde den Paketfahrern deshalb kaum helfen. Gewerkschafter teilen diese Einschätzung.

Damit hier keine Missverständnisse entstehen: Eine Umsetzung des Beschlusses des Bundesrates auch mit der Ausnahmeregelung wäre eine deutliche Verbesserung im Vergleich zum Status Quo. Nur man muss eben immer auch mitdenken, ob dann in der Praxis eine gut gemeinte Regelung auch umgesetzt wird bzw. die Umsetzung auch gegebenenfalls über staatliche Kontrollen und Sanktionen durchgesetzt werden kann.

Man muss sich klar machen, um was für eine Branche es sich hier handelt: Es sind eben nicht nur eine Handvoll großer Paketdienste, die mit bei ihnen angestellten Paketzustellern arbeiten, sondern wir haben hier ein unüberschaubares Gelände an vielen oftmals kleinbetrieblich aufgestellten Subunternehmen. Auf dem Papier würde eine Tarifbindung dieser vielen kleinen Unternehmen auf alle Fälle eine Verbesserung darstellen und man kann das den betroffenen Arbeitnehmern nur wünschen. Aber das muss dann auch kontrolliert werden – und selbst wenn die zuständigen Kontrollbehörden in großem Umfang kontrollieren würden (was sie derzeit und absehbar gar nicht können aufgrund fehlenden Personals), dann müssten sie auch nachweisen können, dass möglicherweise den Beschäftigten Tariflohn vorenthalten wurde, wozu eine genaue und am Kontrolltag auch überprüfbare Arbeitszeiterfassung vorliegen müsste.

Offensichtlich gibt es auch in den Reihen des Bundesrates hier Zweifel. So findet man in den Empfehlungen der beiden Ausschüsse des Bundesrates – dem federführenden Ausschuss für Arbeit, Integration und Sozialpolitik (AIS) und dem Wirtschaftsausschuss (Wi) – (vgl. Drucksache 117/1/23 vom 28.04.2023) diese Anmerkungen zumindest aus dem AIS: »Der Bund wird zudem aufgefordert, die für die Überwachung und Kontrolle der Einhaltung der im Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz genannten Mindestarbeitsbedingungen erforderlichen Personalkapazitäten bei den zuständigen Zollbehörden (Finanzkontrolle Schwarzarbeit) durch schnellstmögliche Personalaufstockung sicherzustellen« und an anderer Stelle nochmals: »Der Bund hat zur Überwachung der im Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz genannten Mindestarbeitsbedingungen durch den Zoll für ausreichend Personalkapazitäten zu sorgen.« Da wurde schon ein Kardinalproblem des derzeitigen (Nicht-)Kontrollsystems angesprochen.

Wie es weitergeht? Wir werden abwarten müssen. Der Bundesrat schreibt selbst dazu: »Die Entschließung wurde der Bundesregierung zugeleitet. Sie entscheidet, wann sie sich damit befasst. Feste Fristen gibt es hierfür nicht.«

Möglicherweise ist das Glas jetzt halb voll – oder am Ende dann doch eher halb leer. Der Bundesarbeitsminister Heil (SPD), der unter der alten Bundesregierung das Paketboten-Schutz-Gesetz auf den Weg gebracht hat, kann in der neuen Bundesregierung, in der er in dem hier zuständigen Ministerium fortbesteht, mit dem Beschluss der Länderkammer im Rücken „sein“ damaliges Gesetz zumindest verbessern und eine Schippe auf dem Weg zu besseren Arbeitsbedingungen für Hunderttausende Paketboten nachlegen. Also wenn er will und die neue Bundesregierung ihn auch machen lässt. Was nun naheliegende Zweifel bei dem einen oder anderen wecken wird. Wir müssen abwarten, ob und was da kommt aus Berlin.