Vier Jahre und eine Pandemie später … Was ist eigentlich aus den 13.000 neuen Vollzeit-Stellen für die stationäre Altenpflege geworden?

»Wir wollen das Vertrauen der Pflegekräfte durch Sofortmaßnahmen zurückgewinnen und den Alltag der Pflegekräfte schnellstmöglich besser machen. Deshalb sorgen wir mit dem Sofortprogramm Pflege für mehr Personal, eine bessere Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege. Stationäre Einrichtungen und Krankenhäuser erhalten finanzielle Anreize, um mehr Pflegekräfte einzustellen und auszubilden: Jede zusätzliche Pflegekraft in Krankenhäusern wird finanziert. In der stationären Altenpflege sorgen wir für 13.000 neue Stellen.« So konnte man es auf der Seite des Bundesgesundheitsministeriums lesen unter dem Punkt „3. Stellen schaffen (Sofortprogramm Pflege)“ bei den Erläuterungen, wie man sich die Pflegestrategie der Bundesregierung vorzustellen hat.

Das war im Jahr 2018 – und ursprünglich sollten es eigentlich nur 8.000 Stellen sein für die stationäre Altenpflege, die hatte man dann nach den ersten Reaktionen – angesichts der Tatsache, dass wir mehr als 13.000 stationäre Pflegeeinrichtungen in Deutschland haben – auf die 13.000 augehübscht. Und das sollten nicht „irgendwelche“ Stellen sein.

Die 13.000 versprochenen Vollzeit-Stellen wurden (und werden) für einen ganz bestimmten Bereich finanziert – der „medizinischen Behandlungspflege“ in den Einrichtungen. Darunter versteht man ausschließlich medizinische Leistungen, die von examinierten Pflegekräften bei einem pflegebedürftigen Patienten in diesem Fall in einer stationären Einrichtung durchgeführt werden und zwar auf der Basis einer ärztlichen Verordnung. Es geht hier um Tätigkeiten wie Wundversorgung, Verbandswechsel, die Medikamentengabe, Dekubitusbehandlung oder Blutdruck- und Blutzuckermessung.

Das alles wurde hier bereits berichtet – am 4. Juli 2019 in dem Beitrag Immer diese böse Bürokratie. Sie verhindert die Besetzung neuer Stellen in der Altenpflege. So die gut platzierte Botschaft. Ist das aber auch so? Das ist ja nun schon eine Weile her, insofern bietet es sich an, erneut hinzuschauen, ob und was aus den damaligen Ankündigungen geworden ist.

Genau damit befasst sich dieser Beitrag von Christian Geinitz: Ungenutzte Millionen für zusätzliche Pflegekräfte. »Das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz von Jens Spahn (CDU) sollte dafür sorgen, dass in der stationären Altenpflege 13.000 neue Stellen entstünden. Der Clou: Sie sollten unkompliziert bewilligt und komplett von den Krankenversicherungen bezahlt werden, ohne Beteiligung der Pflegebedürftigen oder der Einrichtungen. Seit 2019 steht Häusern mit bis zu 40 Bewohnern aus diesem Programm eine halbe Pflegestelle zu. Danach folgt eine Staffelung je nach Personenzahl, im Maximalfall von mehr als 120 Pflegebedürftigen werden zwei zu­sätzliche Fachkräfte voll übernommen.«

Heute, im Jahr 2023, ist davon nicht viel übrig. Außer durchaus viel Geld. Aber der Reihe nach.

Das Bundesgesundheitsministerium, mittlerweile unter Leitung von Karl Lauterbach (SPD), muss gestehen: Aus der Förderung wurden bis Ende 2022 gerade einmal 4.000 Kräfte finanziert. Also Köpfe. »Das entspricht 2.800 Vollzeitäquivalenten.« Dafür wurden 2022 rund 151 Millionen Euro ausgegeben. »Das ist nur ein Bruchteil dessen, was die Versicherungen dem Gesetz nach in den Topf einzahlen müssen: Die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) soll jedes Jahr 640 Millionen Euro aufbringen, die Privatversicherung (PKV) 44 Millionen.«

➔ Bereits 2021 hat der Bundesrechnungshof die Kluft zwischen den Beitragsmillionen und den wenigen Stellen moniert (vgl. Prüfbericht zum Pflegestellen-Förderprogramm Altenpflege). »Da das Geld nicht abfloss, hätten sich be­reits nach anderthalb Jahren „Ausgabenreste“ von einer Milliarde Euro angehäuft, heißt es in einem Bericht an den Haushaltsausschuss des Bundestags. Nur ein Fünftel der 13.000 Positionen sei be­setzt worden. Es gebe eine „mangelnde Inanspruchnahme“, und es drohten Zweckentfremdungen: „Der GKV dürfen nicht langfristig erhebliche Beitragsmittel entzogen werden, ohne dass Pflegebedürftige in Pflegeheimen tatsächlich von einem Mehr an Pflege profitieren.“«

Das Bundesgesundheitsministerium hat auf die Kritik reagiert: »Mit dem Gesundheitsversorgungs-Weiterentwicklungsgesetz sind die Kassenzahlungen nicht mehr gesetzlich an die Arbeitsplätze aus dem Förderprogramm gebunden, sondern sie fließen seit 2022 pauschal der medizinischen Be­handlungspflege zu. Diese kann zwar auch alten Menschen in Pflegeheimen zu­gutekommen, ist dem Kern nach aber etwas anders: Behandlungspflege muss ärztlich verschrieben werden, dient der medizinischen Versorgung, kann stationär oder ambulant erfolgen und umfasst neben Heimen auch Krankenhäuser.«

Und: Die Übertragung der Beitragsgelder in die Behandlungspflege erfolge rückwirkend, so ein Sprecher des Ministeriums: »Deshalb gelte für das bisherige Altenpflegeförderprogramm: „Eine nutzlose Hortung von Versicherungsgeldern findet nicht statt.“ Im Übrigen laufe das Programm demnächst ohnehin aus, von Juli an könnten keine Anträge mehr gestellt werden. Das Stellenförderprogramm ge­he dann im neuen Personalbemessungsverfahren auf.«

Nun muss nicht nur die GKV zahlen, auch die privaten Pflegeversicherung wurde in die Finanzierungsverantwortung genommen. Und deren Verband hat sich nun zu Wort gemeldet: Millionen für offene Pflegestellen: PKV fordert Rückzahlung der Versichertengelder, so ist eine Mitteilung des PKV-Verbandes überschrieben: Seit dem 1. Januar 2019 muss die Private Pflegepflichtversicherung für das Programm zur Schaffung zusätzlicher Fachkraftstellen in der Altenpflege nach dem Pflegepersonal-Stärkungsgesetz (PpSG) jährlich 44 Millionen Euro an den Ausgleichsfonds der sozialen Pflegeversicherung beim Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS) überweisen. 147 Millionen Euro von der Privaten Pflegepflichtversicherung (PPV) sind dort mittlerweile aufgelaufen. »Allein 2022 sind 34,3 Millionen aus den PPV-Beiträgen nicht verwendet worden. Setzt sich der bisherige Trend fort, würden sich die Zahlungen bis zum Auslaufen des Programms Ende 2025 auf ca. 290 Millionen Euro aufsummieren.«

Und was fordert der Verband der Privatversicherung? „Wir schlagen vor, jede tatsächlich besetzte neue Pflegestelle durch die Pflegeversicherung zu zahlen. Dann liegen keine Versichertengelder ungenutzt herum.“ Eine ähnliche Position vertritt auch der Bundesrechnungshof gegenüber dem Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestags.

»Auf die Kritik des Bundesrechnungshofs hatte die Bundesregierung reagiert, allerdings nur für die Gesetzliche Krankenversicherung. Die jährliche Pauschale von 640 Mio. Euro wurde ab 2022 in eine dauerhafte Zahlung der GKV an die Soziale Pflegeversicherung zum Ausgleich für die Kosten der medizinischen Behandlungspflege umgewandelt. Der PKV-Verband fordert in seiner aktuellen Stellungnahme zum Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz (PUEG) den Gesetzgeber dazu auf, das Gesetz dafür zu nutzen, jetzt auch die Regelung für die PPV entlang den Empfehlungen des Bundesrechnungshofs anzupassen.«

Zurück zu dem Beitrag von Christian Geinitz. Er bilanziert am Ende: »Klar ist, dass das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz gescheitert ist. Theoretisch gibt es zwar ausreichend Geld für neue Stellen, auch die Bezahlung der Beschäftigten steigt mit der jüngst eingeführten Tarifbindung deutlich. Aber es finden sich nicht genügend Bewerber: Der Arbeitsmarkt ist leer gefegt, selbst reguläre Stellen bleiben offen, erst recht die zusätzlichen.«

Wohlgemerkt, eine Bilanz für ein überschaubares Programm mehr Pflegefachpersonen betreffend, das vor vier Jahren in die Welt gesetzt wurde.