Die oftmals Vergessenen der Krankenhauswelt: Psychiatrische Krankenhäuser. Dort wird häufig (auch) zu wenig Personal eingesetzt

Über „die“ Krankenhäuser wird andauernd berichtet und diskutiert – nicht nur angesichts ihrer Bedeutung während der zurückliegenden Corona-Pandemie-Jahre, sondern seit langem und zunehmend vor dem Hintergrund des Personalmangels, vor allem in der Pflege. Und seit kurzem auch im Kontext des im Dezember 2022 vorgelegten Empfehlungen der „Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung“: Grundlegende Reform der Krankenhausvergütung. Dritte Stellungnahme und Empfehlung der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung, so sind die überschrieben. Interessant dabei: Die psychiatrischen Krankenhäuser spielen hier keine Rolle – wie so oft in der Debatte über „die“ Kliniken. Dabei bilden sie eine bedeutsame Säule der Versorgung in unserem Land.

In der Welt der psychiatrischen Versorgung gibt es vollstationäre Einrichtungen der Allgemeinpsychiatrie, Suchttherapie, Gerontopsychiatrie und forensischen Psychiatrie mit offenen Therapiestationen, geschützten/geschlossenen Intensiv- oder Akutstationen (psychiatrische Notfallbehandlung bei Selbst- und Fremdgefährdung) und im forensischen Bereich mit Hochsicherheitsabteilungen (Maßregelvollzug psychisch kranker Straftäter), sowie Tageskliniken, psychiatrische Wohnheime und professionell betreute Wohngemeinschaften, psychiatrische Klinikambulanzen und vereinzelt auch ambulanten psychiatrischen Pflegediensten.

Häufig gibt es eine organisatorische und räumliche Trennung von allgemeinen Krankenhäusern („psychiatrische Fachkrankenhäuser“ oder „Einrichtungspsychiatrien“), die letztlich nur historisch zu verstehen ist – wobei es auch Allgemeinkrankenhäuser gibt, die neben den somatischen Bereichen auch psychiatrische, psychotherapeutische oder psychosomatische Fachabteilungen vorhalten („Abteilungspsychiatrien“).

»Im Jahr 2021 wurden insgesamt 803.979 Patientinnen und Patienten vollstationär in psychiatrischen und psychosomatischen Krankenhäusern behandelt. Davon wurden im Bereich der Allgemeinpsychiatrie 665.372, in der Psychosomatik 72.818 und in der Kinder- und Jugendpsychiatrie 60.044 Patientinnen und Patienten stationär versorgt«, berichtet das Statistische Bundesamt zur Größenordnung dieses Versorgungsbereichs des Gesundheitssystems. Die Behandlung mittelgradig depressiver Episoden (19,0 %) sowie von psychischen und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen (11,0 %) bildeten wesentliche Schwerpunkte des Versorgungsgeschehens und machten zusammen knapp ein Drittel aller psychiatrischen und psychosomatischen Behandlungen aus.

Auch ohne vertiefende Kenntnisse über die vielfältigen Anforderungen in der psychiatrischen Versorgung wird jedem einleuchten, dass man gerade in diesem Bereich quantitativ und zugleich qualitativ hinsichtlich der notwendigen Fachlichkeit ausreichend Personal braucht. Und da scheint es – vor dem Hintergrund der seit Jahren vorgetragenen Problematisierung einer generellen Personalknappheit in „den“ Krankenhäusern nicht überraschend – erhebliche Probleme zu geben.

Nur knapp zwei Drittel der psychiatrischen Krankenhäuser halten Mindestvorgaben für Personal ein

So ist eine Mitteilung des Spitzenverbandes der Gesetzlichen Krankenversicherung überschrieben – und es scheint noch schlimmer zu sein, wenn man genauer liest: »50 Prozent der Krankenhäuser für Kinder– und Jugendpsychiatrie und knapp 40 Prozent der psychiatrischen Krankenhäuser setzten im zweiten Halbjahr 2021 weniger Behandlungspersonal ein, als die bundesweite Mindestpersonalvorgabe vorschreibt. Das belegen erste Auswertungsberichte über die Personalausstattung in deutschen psychiatrischen Krankenhäusern. Veröffentlicht wurden diese im Januar 2023 vom Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG).«

Der GKV-Spitzenverband hebt hervor, dass mit der ersten Auswertung über die Personalausstattung in der Psychiatrie endlich Transparenz über die Einhaltung der bundesweiten Mindestpersonalvorgaben hergestellt wird.

„Wir sprechen bei Mindestvorgaben von einer roten Linie, die nicht überschritten werden darf, um eine zusätzliche Gesundheitsgefährdung der ohnehin kranken Menschen zu vermeiden“, so Doris Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende GKV-Spitzenverband.

Mindestpersonalvorgaben in der Psychiatrie: Im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums hatte der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) am 19. September 2019 erstmals eine Richtlinie über die Personalausstattung in Psychiatrie und Psychosomatik erlassen (PPP-Richtlinie). Die PPP-Richtlinie regelt die Personalanzahl, die in einem psychiatrischen Krankenhaus mindestens anwesend sein muss. Dies umfasst die Bereiche aus Ärzteschaft, Psychologie, Pflege, Spezialtherapie, Bewegungstherapie sowie Sozialarbeit. Sie berücksichtigt dabei den unterschiedlichen Behandlungsaufwand abhängig von Art und Schwere der Erkrankung. Anlass für die Neuregelung waren Berichte über langjährig bestehende Personaldefizite in den Krankenhäusern – zu Lasten sowohl der erkrankten Menschen als auch des Personals. Die PPP-Richtlinie verpflichtet die Krankenhäuser seitdem, regelmäßig Nachweise über das vorhandene Personal vorzulegen.

Aufgrund der PPP-Richtlinie müssen die rund 600 psychiatrischen Krankenhäuser in Deutschland nachweisen, dass sie für alle the­rapeutischen Berufsgruppen Mindestvorgaben einhalten. Wenn die Mindestpersonalvorgaben einrichtungs­bezo­gen über einen Zeitraum von drei Monaten nicht erfüllt werden, führt dies bei den Kliniken ab 2023 zu finanziellen Sanktionen.

Man sollte sich keinen Illusionen hingeben – vor allem, wenn man an die Auseinandersetzungen rund um das Thema Pflegepersonaluntergrenzen für bestimmte Bereiche der allgemeinen Krankenhausversorgung denkt (vgl. hierzu beispielsweise den Beitrag Wenn unter der Untergrenze noch eine Kelleretage ist. Die an sich fragwürdigen Pflegepersonaluntergrenzen in Krankenhäusern und ihre Nicht-Einhaltung vom 10. Dezember 2021): Die Mindestpersonalvorgaben für die Psychiatrie waren und sind ebenfalls schwer in der Kritik, gleichsam von „oben“ wie von „unten“, anders formuliert: die einen beklagen ein „zu viel“, die anderen sagen, die Personalvorgaben wären zu niedrig.

Am 19. April 2019 wurde hier der Beitrag Die zukünftige Personalausstattung in den psychiatrischen Einrichtungen soll neu bemessen werden. Und nun steht die zentrale Studie hierfür unter dem Verdacht der Manipulation veröffentlicht. Aber schauen wir in das vergangenen Jahr, um die Kritik „von oben“ zu illustrieren:

»Vertreter psychiatrischer Krankenhäuser haben die Ausgestaltung der Personalausstattung Psychiatrie und Psychosomatik-Richtlinie (PPP-RL) kritisiert. Sie riefen die Bundesregierung bei einer Veranstaltung des Bundesverbands Deutscher Privatkliniken (BDPK) dazu auf, die Vorgaben ändern zu lassen«, kann man diesem Artikel entnehmen, der am 9. September 2022 veröffentlicht wurde: Psychiater und Politiker kritisieren rigide Personalvorgaben für psychiatrische Kliniken. Was genau wird kritisiert?

„Die PPP-RL vermindert die Behandlungsqualität durch antiquierte Minutenwerte, einen starren Stationsbe­zug, einen gesteigerten Dokumentationsaufwand von 17 Stunden pro Krankenhaus und Woche sowie durch rigide Anrechnungsregelungen“, bemängelte Christoph Smolenski, Geschäftsführer der Dr. von Ehrenwall’­schen Klinik in Ahr­wei­ler. „Über der Umsetzung der PPP-RL schwebt der Fachkräftemangel. Damit droht erstens die Nichtumsetzbarkeit der PPP-RL und zweitens eine Belegungskürzung bis hin zum Behandlungsverbot“, so Smolenski. „Die Psychiatrie ist eine sprechende Medizin und kann deshalb Defizite nicht durch ausländische Pflegekräfte ausgleichen“, so Volker Thesing, Regionalgeschäftsführer der Askle­pios Kliniken im thüringischen Stadtroda. Thesing konkretisiert die angesprochenen Sanktionen: „Wir betreiben in der Nähe von Berlin eine zentrale Tagesklinik mit zwölf Mitarbeitern. Wenn einmal zwei Vollzeit­kräfte ausfallen, müsste die Klinik 73 Prozent ihrer gesamten Erlöse als Sanktionen zahlen. Das steht in kei­nem Verhältnis.“ Die Vorgaben könnten die Kliniken also in Existenzgefahr bringen.

Nun muss man an dieser Stelle anmerken, dass der giftige Stachel der Sanktionen im September des vergangenen Jahres (vorerst) gezogen wurde – durch Anpassungen der Richtlinie zur Personal­ausstattung von psychiatrischen und psychosomatischen Einrichtungen (PPP-RL), die der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) am 15. September 2022 beschlossen hat. Vgl. dazu den Beitrag Psychiatrische Kliniken: Grundsätzlich positive Stimmen zu Anpassungen der PPP-Richtlinie. Mit dem Beschluss des G-BA verbunden ist eine vorläufige Aussetzung der angedrohten Sanktionen und der überbor­den­den Dokumentationspflichten. Eine grund­sätzliche Überarbeitung der Richtlinie wird in Aussicht gestellt.

➔ Der G-BA hat in seiner Sitzung am 15. September 2022 beschlossen, die Sanktionen für Kranken­häuser, die die strikten Vorgaben der PPP-RL nicht erfüllen können, um ein weiteres Jahr auszusetzen. Die stations- und monatsbezogene Dokumentation wird zunächst für drei Jahre eingestellt. Zudem kündigte der G-BA eine weitere Anpassung der Richtlinie bis Ende 2025 an.

Man kann erkennen, dass hier offensichtlich auf die Bremse getreten wird. Wohlgemerkt – bei aller berechtigten Kritik an der konkreten Ausgestaltung der Vorgaben – es geht hier um Mindestpersonalvorgaben, die in einem nicht unerheblichen Teil der Kliniken nicht eingehalten werden (können).

Dass jedes dritte psychiatrische Krankenhaus die Personalmindestvorgaben nicht einhält, sollte Sorge bereiten. Und man muss wissen, dass die PPP-Richtlinie schon weitreichende Ausnahmen beinhaltet, wie beispielsweise in der Corona-Pandemie. Und darüber hinaus: So können Krankenhäuser auch bei überdurchschnittlich hohem Personal-Krankenstand von der Richtlinien-Vorgabe abweichen oder in begrenzten Umfang auch unqualifizierte Hilfskräfte einsetzen, um die Patientenversorgung sicherzustellen.

Der GKV-Spitzenverband behauptet, dass die psychiatrischen Krankenhäuser ausreichende Mittel zur Finanzierung des Personals erhalten würden. »Allerdings zeigte sich im Jahr 2019, dass noch jede fünfte Psychiatrie das vereinbarte Personalbudget auch für andere Zwecke und nicht vollständig für therapeutisches Personal verwendet hatte. Die nunmehr für 2021 vorliegenden Zahlen lassen befürchten, dass diese Zweckentfremdung weiterhin erfolgt.«

Und dann wird eine Argumentation nachgeschoben, die wir auch seitens der Krankenkassen hinsichtlich der allgemeinen Krankenhäuser kennen – es gebe einfach zu viele stationäre Behandlungen, wird da behauptet: »Die niedrigen PPP-Erfüllungsquoten sind nicht nur Ausdruck eines Fachkräftemangels, sie offenbaren auch ein strukturelles Problem in der psychiatrischen Versorgung in Deutschland. In den meisten europäischen Ländern wurden in den letzten 20 Jahren stationäre Kapazitäten abgebaut. Eine adäquate Therapie muss nicht immer zwingend vollstationär erfolgen. Bisher werden jedoch in den deutschen Krankenhäusern die bestehenden Alternativen zur stationären Behandlung viel zu wenig genutzt. Modellvorhaben zeigen, dass durch eine intensive Behandlung in Tageskliniken und psychiatrischen Institutsambulanzen die stationäre Verweildauer erheblich reduziert werden kann.«

Und was sagen die Krankenhaus-Vertreter? Psychiatrische Krankenhäuser: DKG widerspricht Vorwürfen des GKV-Spitzenverbandes, berichtet das Deutsche Ärzteblatt. Zu Wort kommt die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG). Zum einen wird der Zeitraum kritisiert, auf den sich die Datenanalyse bezieht: »Die Datenlage sei „absolut noch nicht aussagekräftig“, da sich das Verfahren für die Mindestvorga­ben in der Psychiatrie im zweiten Halbjahr 2021 noch in der Implementierungsphase befunden habe, hieß es von der DKG. Zudem habe zu diesem Zeitpunkt durch die Coronapandemie eine „besondere Situation bei Patienten­betreuung, Pa­tientenbelegung und Personalsituation“ geherrscht.«

Darüber hinaus wird ein angebliche Webfehler der Mindestpersonalvorgabe kritisiert: »Ein generelles Problem sei, dass die Mindestvorgaben nach der Richt­linie als in Gänze nicht erfüllt gelten, wenn die Vorgaben schon in einer von insgesamt sechs Berufsgruppen (Ärzteschaft, Psychologie, Pflege, Spezialtherapie, Bewegungstherapie und Sozialarbeit) nicht eingehalten werden können. Es gehe also in diesen Fällen nicht darum, dass in Gänze zu wenig Personal vorhanden wäre. „Schon gar nicht kann in diesem Zusammenhang über Patientengefährdung gesprochen werden“, betonte die DKG.«