Die Leiharbeit ist seit langem immer wieder Thema höchst kontroverser Debatten, in denen von einer Hervorhebung ihrer angeblichen Brückenfunktion in „normale“ Beschäftigung oder ihrer (Arbeitgeber-)Funktionalität für die Herstellung „atmender“ Belegschaften bis hin zu einer Kritik als Instrument des Lohndumping und der Verteufelung als eine Ausprägung von modernen Menschenhandel reichen. Hin und wieder geraten dann aber auch die gängigen Typisierungen von „gut“ und „böse“ und die traditionellen Lager durcheinander, wenn man beispielsweise wie in der Pflege feststellen muss, dass Leiharbeiter mehr verdienen können und bessere Arbeitsbedingungen haben und Arbeitgeber auf einmal vehement ein Verbot der Leiharbeit in diesem Bereich von der Politik fordern(vgl. dazu beispielsweise den Beitrag Aus der mal nicht eindeutigen Welt der Leiharbeit. In der Pflege. Oder: Wenn ausnahmsweise Arbeitgeber vor Leiharbeitern geschützt werden sollen vom 23. Januar 2020).
Nun ist die Leiharbeit in den vergangenen Jahren immer wieder (Re-)Regulierungen unterworfen worden, die dazu geführt haben, dass der Einsatz dieses Instruments für die Entleihunternehmen teilweise deutlich teurer geworden ist (was in der Vergangenheit dann sofort Ausweich- und Umgehungsstrategien hervorgerufen hat, wie beispielsweise die Ausbreitung der Werkverträge, um Kostenvorteile an den Belegschaftsrändern realisieren zu können). Und zu den Regulierungsaspekten mit Blick auf die Leiharbeit gehört auch, dass sie immer wieder Gegenstand höchstrichterlicher Rechtsprechung war und ist. Auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) musste sich mehrfach mit dieser Beschäftigungsform befassen, insbesondere mit der Auslegung von „unbestimmten Rechtsbegriffen“.
Dazu gehört beispielsweise eine „vorübergehende Überlassung“ – was aber ist noch „vorübergehend“ und was nicht mehr? Dazu hat der EuGH im März dieses Jahres eine Entscheidung getroffen – oder sagen wir besser, umrissen: »Zeitarbeit ist nur vorübergehend zulässig – Uneinigkeit herrscht indes darüber, was das bedeutet. Der EuGH hat nunmehr Hinweise für die Auslegung des Merkmals gegeben. Viele entscheidende Fragen bleiben aber offen«, so Johanna Keil unter der Überschrift Wie lange ist „vorübergehend“? Nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) ist eine Arbeitnehmerüberlassung nur „vorübergehend“ zulässig. Unklarheiten herrschen indes darüber, wann eine Überlassung noch als „vorübergehend“ anzusehen ist. Der EuGH hat in seinem Urteil vom 17. März 2022 (Az. C-232/20) Auslegungshinweise für die Beurteilung dieses Merkmals gegeben, ohne jedoch letztlich Klarheit zu schaffen. Vielmehr spielte der EuGH den Ball zurück an die nationalen Gerichte. Vgl. dazu auch ausführlicher den Beitrag Was ist (k)eine „vorübergehende Überlassung“ von arbeitenden Menschen? Der Europäische Gerichtshof fällt ein „erfreuliches“ bzw. „enttäuschendes“ Urteil zur Leiharbeit vom 18. März 2022.
Hilfreich für die Einordnung der hier zu besprechenden anstehenden nächsten Entscheidung des EuGH zum Formenkreis der Leiharbeit ist diese allgemeine Charakterisierung von Johanna Keil: »Das Arbeitnehmerüberlassungsrecht kann als überaus komplexer Bereich des Arbeitsrechts bezeichnet werden, das aufgrund seiner vielen Regularien und Sanktionen bei Verstößen besonders risikobehaftet ist. Die Komplexität rührt nicht zuletzt durch die europäischen Vorgaben in der Richtlinie 2008/104/EG vom 19. November 2008 über Leiharbeit (Leiharbeitsrichtlinie) her. Trotz diverser gerichtlicher Entscheidungen auf nationaler und europäischer Ebene ist die Auslegung des Arbeitnehmerüberlassungsrechts nach wie vor mit vielen Unsicherheiten verbunden.«
Nun geht es um den Kernbereich der europäischen Regulierung der Leiharbeit: „Equal Pay“
Eine weitere Unsicherheit kann man dem derzeit beim EuGH anhängigen Verfahren C‑311/21 (CM gegen TimePartner Personalmanagement GmbH) entnehmen. Ein „deutscher“ Fall, es handelt sich um ein Vorabentscheidungsersuchen des Bundesarbeitsgerichts. Und es geht um den Kern der Regulierung der Leiharbeit, konkret um das „Equal Pay“-Prinzip.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat sich mit seinem Vorlagebeschluss vom 16. Dezember 2020 (Az. 5 AZR 143/19 (A)). Es will im Wesentlichen wissen, ob Art. 5 Abs. 1 und Abs. 3 der Leiharbeitsrichtlinie 2008/104/EG vom deutschen Gesetzgeber mit dem AÜG (in alter wie neuer Fassung) richtlinienkonform umgesetzt worden sind.
Dann werfen wir mal einen Blick in die europäische Leiharbeitsrichtlinie 2008/104/EG: Dort finden wir den Art. 5: Grundsatz der Gleichbehandlung.
Art. 5 Absatz 1 lautet: »Die wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen der Leiharbeitnehmer entsprechen während der Dauer ihrer Überlassung an ein entleihendes Unternehmen mindestens denjenigen, die für sie gelten würden, wenn sie von jenem genannten Unternehmen unmittelbar für den gleichen Arbeitsplatz eingestellt worden wären.« Hier finden wir also den „Equal Pay“-Grundsatz normiert.
Also das gilt grundsätzlich – es sei denn, man bezieht sich auf den Art. 5 Absatz 3 der Richtlinie:
»Die Mitgliedstaaten können nach Anhörung der Sozialpartner diesen die Möglichkeit einräumen, auf der geeigneten Ebene und nach Maßgabe der von den Mitgliedstaaten festgelegten Bedingungen Tarifverträge aufrechtzuerhalten oder zu schließen, die unter Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern Regelungen in Bezug auf die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen von Leiharbeitnehmern, welche von den in Absatz 1 aufgeführten Regelungen abweichen können, enthalten können.«
Auch als Nichtjurist kann man den beiden Absätzen des Art. 5 die zu klärenden Formulierungen entnehmen: Was sind die „wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen“ der Leiharbeitnehmer? Auf alle Fälle kann man hier eine vergleichbare Vergütung wie die der Stammbeschäftigten ableiten. Wie immer liegt dann der Teufel vergnügt im Detail, denn „wesentlich“ meint nicht rundum „alle“ und dann muss man in der Praxis Fragen beantworten, wie mit bestimmten Leistungen umgegangen wird, die den Stammbeschäftigten zusätzlich zur „normalen“ Vergütung gewährt werden.
Wenn man sich aber auf den Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie bezieht, dann kann man sich das sparen, denn hier wird auf eine Möglichkeit verwiesen, den „Equal Pay“-Grundsatz durch eine eigenständige tarifvertragliche Regelung gleichsam „auszuhebeln“. Genau diesen Weg ist man in Deutschland gegangen, in dem man über das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) eine Ausnahme von der Gleichbehandlung mit den Beschäftigten des Entleihunternehmens zugelassen hat, wenn die Leiharbeitnehmer nach einem Tarifvertrag vergütet werden, der sich auf das Verleihunternehmen bezieht (§ 8 Abs. 2 Satz 1 AÜG: „Ein Tarifvertrag kann vom Gleichstellungsgrundsatz abweichen“). Mit der letzten Reform des AÜG 2017 hat man das im Grundsatz auf die ersten neun Monate begrenzt, vorher waren die Leiharbeiter eingeschlossen in ihre eigene Tarifwelt.
An dieser Stelle setzt nun der Vorlagebeschluss des BAG an. Folgender Sachverhalt ist gegeben:
»In dem deutschen Ausgangsrechtsstreit verlangt eine als Leiharbeiterin tätige Frau nach Maßgabe des Equal-Pay-Grundsatzes (§ 9 AÜG aF) eine Differenzvergütung in Höhe von insgesamt 1.296,72 Euro brutto für einen Zeitraum von vier Monaten. Sie habe für Ihre Arbeit bei einem Unternehmen des Einzelhandels einen tariflichen Stundenlohn von 9,23 Euro brutto erhalten habe, während andere Arbeitnehmer mit vergleichbarer Tätigkeit einen tariflichen Stundenlohn nach dem Branchentarifvertrag für den Einzelhandel in Höhe von 13,64 Euro brutto erhalten hätten.« (Kuhn/Bold 2022).
Die Klägerin verlangt von der beklagten Leiharbeitsfirma »die Zahlung von insgesamt 1.296,72 Euro brutto als Differenz zwischen der erhaltenen Vergütung und derjenigen, die vergleichbaren Stammarbeitnehmern des Entleihers gezahlt worden sein soll. Die Klägerin ist der Auffassung, die Tariföffnung im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz sowie die auf ihr Arbeitsverhältnis Anwendung findenden Tarifverträge seien mit Art. 5 RL 2008/104/EG nicht vereinbar. Sie hat vorgetragen, vergleichbare Stammarbeitnehmer der Entleiherin würden nach dem Lohntarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer im Einzelhandel in Bayern vergütet und hätten im Streitzeitraum einen Stundenlohn von 13,64 Euro brutto erhalten.« (BAG, 5 AZR 143/19 (A)).
Es stellt sich folgendes Problem: Nach den Regelungen im AÜG können in Tarifverträgen der Leiharbeitsbranche (mittlerweile durch gesetzgeberische Änderungen zeitlich begrenzt) geringere Gehälter für Leiharbeiter als für das Stammpersonal festgelegt werden. Sowohl nach alter wie auch neuer Rechtslage des mit Wirkung zum 01. April 2017 reformierten AÜG kann vom Equal-Pay-Grundsatz dann abgewichen werden, wenn es eine tarifliche Regelung für das Leiharbeitsverhältnis gibt. Das scheint gedeckt zu sein vom Art. 5 Abs. 3 der europäischen Richtlinie, wenn, ja wenn da nicht diese unbestimmten Rechtsbegriffe auftauchen würden, denn im Art. 5 Abs. 3 finden wir die Anforderung, dass die abweichende tarifvertragliche Regelung „unter Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern“ zustande gekommen ist. Der eine oder andere ahnt schon, was sich die Bundesarbeitsrichter nun fragen. Schauen wir in den Vorlagenbeschluss des BAG, dort finden wir diese beeindruckende Liste – und die ist nur eine Auswahl:
➞ Wie definiert sich der Begriff des „Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern“ in Art. 5 Abs. 3 Richtlinie 2008/104/EG?
➞ Welche Voraussetzungen und Kriterien müssen erfüllt sein für die Annahme, von dem in Art. 5 Abs. 1 Richtlinie 2008/104/EG festgelegten Grundsatz der Gleichbehandlung abweichende Regelungen in Bezug auf die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen von Leiharbeitnehmern in einem Tarifvertrag seien unter Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern erfolgt?
➞ Ist die Prüfung der Achtung des Gesamtschutzes – abstrakt – auf die tariflichen Arbeitsbedingungen der unter den Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrags fallenden Leiharbeitnehmer bezogen oder ist eine vergleichende, wertende Betrachtung zwischen den tariflichen und den Arbeitsbedingungen geboten, die in dem Unternehmen bestehen, in das die Leiharbeitnehmer überlassen werden (Entleiher)?
➞ Verlangt bei einer Abweichung vom Grundsatz der Gleichbehandlung in Bezug auf das Arbeitsentgelt die in Art. 5 Abs. 3 Richtlinie 2008/104/EG vorgegebene Achtung des Gesamtschutzes, dass zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer ein unbefristetes Arbeitsverhältnis besteht?
➞ Müssen die Voraussetzungen und Kriterien für die Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern iSd. Art. 5 Abs. 3 Richtlinie 2008/104/EG den Sozialpartnern vom nationalen Gesetzgeber vorgegeben werden, wenn er ihnen die Möglichkeit einräumt, Tarifverträge zu schließen, die von dem Gebot der Gleichbehandlung abweichende Regelungen in Bezug auf die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen von Leiharbeitnehmern enthalten?
Die dem EuGH vom Bundesarbeitsgericht (BAG) vorgelegte Rechtsfrage hat weitreichende Bedeutung für das Tarifarbeitsrecht. Und man sollte sich klar machen, dass ein Urteil des EuGH durch die Fragestellung des Bundesarbeitsgerichts, die sich auf die alte und die seit 2017 gültige neue Fassung des AÜG bezieht, Auswirkungen haben kann für die Zukunft und für die Vergangenheit.
Der Schlussantrag des Generalanwalts beim EuGH
Ein Urteil des EuGH ist erst in einigen Monaten zu erwarten, aber Hinweise, was da kommen wird bzw. kommen kann, lassen sich in der Regel den Schlussanträgen der Generalanwälte entnehmen, denen das Gericht oftmals folgt. Und in der Rechtssache C‑311/21 hat der Generalanwalt am 14.07.2022 seinen Schlussantrag vorgelegt. Dazu schreiben Jörn Kuhn und Jennifer Bold unter der Überschrift Ausgleich für Leiharbeiter, wenn es kein Equal Pay gibt: Der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) gibt nur formal grünes Licht für eine Ausnahme von der Equal-Pay-Regelung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG).
Wenn ein Tarifvertrag – wie im AÜG zugelassen – von dem Equal-Pay-Grundsatz abweicht, muss er weiterhin den strengen Anforderungen der europäischen Leiharbeitsrichtlinie genügen, so der Generalanwalt. Tut er das nicht, dürften deutsche Gerichte solche tariflichen Regelungen im Zweifel unangewendet lassen. »Das heißt ganz praktisch: »Schlechter als das Stammpersonal bezahlte Leiharbeiter müssen nach Auffassung des Generalanwalts einen Ausgleich bekommen«, so Kuhn und Bold.
»Konkret hält der Generalanwalt im Ergebnis fest: Es bleibt den Tarifvertragsparteien nach dem AÜG weiterhin möglich, in den Tarifverträgen ein geringeres Arbeitsentgelt für Leiharbeitnehmer zu vereinbaren. Dafür müsse der Tarifvertrag als Ausgleich für die geringere Vergütung aber andere Vorteile für die Leiharbeitnehmer gewähren – und diese Vorteile müssen auch Gewicht haben, in ihrer Bedeutung also dem Arbeitsentgelt als fundamentale Beschäftigungsbedingung gerecht werden.«
Es geht hier ja um die Frage des BAG, wie man den Begriff „Gesamtschutz von Leiharbeitnehmern“ in Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2008/104 operationalisieren kann. Der Generalanwalt beim EuGH bezieht sich hier nun explizit auf die EU-Kommission, denn: »Die Kommission trägt vor, dass der Begriff „Gesamtschutz von Leiharbeitnehmern“ in Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2008/104 sich auf die wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen im Sinne von Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie beziehe.« Und dann kommt dieser Passus im Schlussantrag: »Die Sozialpartner dürften durch Tarifvertrag vorsehen, dass Leiharbeitnehmer ein niedrigeres Entgelt erhielten als vergleichbare, unmittelbar vom entleihenden Unternehmen eingestellte Arbeitnehmer. In diesem Fall verlange die Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern, dass die Sozialpartner Leiharbeitnehmern andere Vorteile gewährten, die unmittelbar von entleihenden Unternehmen eingestellten Arbeitnehmern nicht gewährt würden.«
Der Generalanwalt führt aus, dass Möglichkeit, von einem allgemeinen Grundsatz, nämlich dem der Gleichbehandlung, abzuweichen, eng auszulegen sei. Er führt aus, dass der »Tarifvertrag, wenn die Sozialpartner im Wege eines Tarifvertrags nach Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2008/104 vom Grundsatz der Gleichbehandlung zulasten von Leiharbeitnehmern abweichen, (sich) nicht darauf beschränken (darf), niedrigere Entgeltniveaus festzulegen, sondern (er) muss zum Ausgleich hierfür andere Bestimmungen enthalten, die für die Leiharbeitnehmer günstig sind.«
»Daraus folgt, dass jede in einem Tarifvertrag enthaltene Abweichung vom Grundsatz der Gleichbehandlung zulasten der wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen von Leiharbeitnehmern durch die Gewährung von Vorteilen in Bezug auf andere wesentliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen … ausgeglichen werden muss.«
Und Kuhn/Bold weisen auf einen weiteren Aspekt hin, der möglicherweise (wenn sich das Gericht dem anschließen sollte) erhebliche Auswirkungen haben wird:
»Der Generalanwalt sieht nicht den Gesetzgeber in der Verantwortung, Kriterien und Bedingungen festzulegen, die für eine mögliche Abweichung vom Equal-Pay-Grundsatz durch Tarifvertrag erfüllt sein müssen. Vielmehr sieht er die Tarifvertragsparteien selbst in der Pflicht, beim Abschluss solcher Tarifverträge die Bestimmungen der Leiharbeitsrichtlinie zu beachten, also entsprechenden Vorteilsausgleich zu gewähren. Nur dann werde der unionsrechtlich geforderte Gesamtschutz von Leiharbeitnehmern geachtet.«
Und nicht nur die Tarifvertragsparteien sind gefordert – auch die nationalen Gerichte kommen dann in einer zweiten Runde wieder ins Spiel:
»Nach Auffassung des Generalanwalts steht den Tarifvertragsparteien ein weiter Beurteilungsspielraum zu, um einen angemessenen Ausgleich zwischen Abweichungen beim Arbeitsentgelt und den zu gewährenden Ausgleichsvorteilen festzulegen – eine uneingeschränkte Vermutung dafür, dass Tarifverträge mit dem Unionsrecht vereinbar sind, bestehe aber nicht. Folglich seien die nationalen Gerichte verpflichtet, zu prüfen, ob Tarifverträge, die vom Grundsatz des Equal Pay abweichen, den Gesamtschutz von Leiharbeitnehmern sicherstellen.
Kommt das Gericht bei dieser Prüfung zu dem Ergebnis, dass die Tarifvertragsparteien im fraglichen Tarifvertrag den erforderlichen Ausgleich nicht hergestellt haben, ist die tarifliche Bestimmung zur Vergütung des Leiharbeitnehmers nicht anzuwenden. Nur so könne die Wirksamkeit des unionsrechtlichen Equal-Pay-Grundsatzes sichergestellt werden.«
Sollte sich das Gericht diesem Plädoyer anschließen, dann kommt auf die Verleih- und Entleihunternehmen eine große Unsicherheit zu, denn man muss auf den einen Seite einen „angemessenen“ Ausgleich herstellen (schon auf der tarifvertraglichen Ebene), ohne dass man gesichert sagen kann, wann ist etwas (noch nicht) „angemessen“, denn dieser neue unbestimmte Rechtsbegriff muss ja auch erst einmal mit Leben gefüllt werden, was viele juristische Detailfragen aufwerfen wird. Und auf die Gerichte kommen möglicherweise bzw. hoch wahrscheinlich zahlreiche Verfahren zu. Einerseits, weil mit einem solchen Urteil (potenzielle) Kläger motiviert werden könnten, tatsächlich auf Equal Pay zu klagen, zum anderen aber auch, weil die Argumentation des Generalanwalts die bislang vom Bundesarbeitsgericht immer unterstellte „Richtigkeitsgewähr von Tarifverträgen“ durch einen expliziten Prüfauftrag an die nationalen Gerichte ersetzt.
Sollte sich das Gericht der Argumentation des Generalanwalts – nach der »die Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern durch einen Vergleich der wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen von Leiharbeitnehmern mit den für vergleichbare, unmittelbar vom entleihenden Unternehmen eingestellte Arbeitnehmer geltenden Bedingungen zu beurteilen ist« – anschließen, dann öffnet sich im Zusammenspiel mit seinem Petitum, dass von den Sozialpartnern geschlossene Tarifverträge durch die nationalen Gerichte gerichtlich daraufhin überprüfbar sind, dass sie den Gesamtschutz von Leiharbeitnehmern sicherstellen müssen, eine ganze Landschaft an branchen- und unternehmensbezogenen Einzelfällen, mit denen man sich auseinandersetzen muss.
Oder aber man verzichtet im Zweifelsfall auf die zukünftige Inanspruchnahme der Leiharbeit und sucht sich alternative Beschäftigungsformen.