Der Corona-Zuschuss in der Grundsicherung: eine einmalige Angelegenheit. Zu gering und sogar verfassungswidrig? Das meint ein Sozialgericht. Aber man muss genauer hinschauen

Am 5. März 2021 hat der Bundesrat dem Sozialschutz-Paket III zugestimmt, das Gesetz soll zum 1. April in Kraft treten. »Die Verlängerung des vereinfachten Zugangs zu den Grundsicherungssystemen stellt sicher, dass diejenigen, die weiterhin unter den wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie leiden, auch künftig möglichst einfach und schnell die nötige Unterstützung erhalten. Daher werden die im SGB II, SGB XII, BVG und Bundeskindergeldgesetz (BKGG) getroffenen Sonderregelungen bis zum 31.12.2021 verlängert«, kann man diesem Bericht entnehmen: Vereinfachter Zugang zur Grundsicherung erneut verlängert. Im Einzelnen betrifft das die befristete Aussetzung der Berücksichtigung von Vermögen, sofern das nicht „erheblich“ ist, sowie eine befristete Anerkennung der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung als angemessen. Das gilt auch für die erleichterte Vermögensprüfung beim Kinderzuschlag. Soziale Dienstleister und Einrichtungen der Fürsorge in Deutschland sollen weiterhin nach dem SodEG finanziell unterstützt werden, damit sie nicht in ihrem Bestand gefährdet sind, längstens bis zum 31.12.2021. Für Versicherte nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz wird geregelt, dass ein Unterschreiten des mindestens erforderlichen Jahreseinkommens von 3.900 EUR auch im Jahr 2021 keine negativen Auswirkungen auf den Versicherungsschutz in der Künstlersozialversicherung hat. Der Bund stellt im Rahmen des Programms „Neustart Kultur“ flankierend zum Sozialschutzpaket III eine weitere Milliarde Euro für Kulturschaffende bereit.

Und dann gibt es noch einen Einmalbetrag für Menschen, die sich in der Grundsicherung befinden:

Das zuständige Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) berichtet dazu:

Einmalzahlung aus Anlass der COVID-19-Pandemie in Höhe von 150 Euro für erwachsene Leistungsberechtigte der sozialen Mindestsicherungssysteme
Erwachsene Leistungsberechtigte, die im Mai 2021 einen Anspruch auf Leistungen der sozialen Mindestsicherungssysteme haben, erhalten eine einmalige finanzielle Unterstützung in Höhe von 150 Euro. Dies gilt für Leistungsberechtigte, die Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld nach dem SGB II erhalten ebenso wie für Personen, die Hilfe zum Lebensunterhalt oder Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Dritten und Vierten Kapitel des SGB XII erhalten. Auch Leistungsberechtigte nach dem BVG, die ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt als fürsorgerische Leistung der Sozialen Entschädigung beziehen, und nach dem AsylbLG erhalten die Einmalzahlung (vgl. § 70 SGB II; § 144 SGB XII; § 88d BVG; § 3 Absatz 6 AsylbLG). Damit wird ein zusätzlicher finanzieller Handlungsspielraum geschaffen, um etwaige, im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie stehende, zusätzliche oder erhöhte Ausgaben zu finanzieren. Der Zuschlag muss nicht separat beantragt werden. (Quelle: BMAS: Sozialschutz-Paket III, 2021).

Wohlgemerkt: es handelt sich um eine Einmalzahlung, die Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II (Hartz IV), Sozialhilfe nach dem SGB XII oder Leistungen nach dem AsylbLG beziehen. Und warum soll es diese einmalig 150 Euro geben? „Damit wird ein zusätzlicher finanzieller Handlungsspielraum geschaffen, um etwaige, im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie stehende, zusätzliche oder erhöhte Ausgaben zu finanzieren.“ So das BMAS.

Da war doch schon mal vor fast einem Jahr? Genau, die Forderung nach einer temporären Aufstockung der Grundsicherung um mindestens 100 Euro. Pro Monat

Gerade in diesen Zeiten, in denen die Berichterstattung von Tag zu Tag hetzt und schnell vergessen wird, was schon mal diskutiert und gefordert wurde, ist ein „sozialpolitisches Gedächtnis“ von besonderer Bedeutung. Also erinnern wir uns an dieser Stelle an das Frühjahr 2020, inmitten der ersten Corona-Welle:

➔ Mit dem Sozialschutz-Paket (Gesetz für den erleichterten Zugang zu sozialer Sicherung und zum Einsatz und zur Absicherung sozialer Dienstleister aufgrund des Coronavirus SARS-CoV-2 vom 27. März 2020) wurden Sofortmaßnahmen ergriffen, um den gravierenden negativen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie in einem ersten Schritt schnell zu begegnen. Kernelemente des ersten Pakets sind erleichterte Voraussetzungen für den Zugang zum Kurzarbeitergeld sowie zu den Grundsicherungssystemen und eine Bestandssicherung für soziale Dienstleister.

➔ Mit dem „Sozialschutz-Paket II“ sollte dann der Rettungs- und Schutzschirm des Sozialschutz-Paketes für die Betroffenen weiter und vor allem über einen längeren Zeitraum gespannt werden. Dazu wurde Anfang Mai 2020 ein Gesetzentwurf von CDU/CSU und SPD zu sozialen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie (Sozialschutz-Paket II) vorgelegt (Bundestags-Drucksache 19/18966 vom 05.05.2020) und dann auch verabschiedet.

Im damaligen Gesetzgebungsverfahren hat ich hier diesen Beitrag veröffentlicht: Am ausgestreckten Arm … Die Bundesregierung und der Nicht-Zuschlag für Menschen in der Grundsicherung. Die bleiben beim Sozialschutz-Paket II weiter außen vor (12. Mai 2020). Darin findet man diesen wichtigen Hinweis: »Nun gibt es seit Beginn der Krise den Hinweis und die Forderung, dass man den Menschen, die schon teilweise seit vielen Jahren in der Grundsicherung sind, angesichts der umfassenden Beschränkungen des individuellen und gesellschaftlichen Lebens mit einer zusätzlichen Leistung unter die Arme greifen sollte. Für viele Betroffene haben sich unmittelbar mit dem Shutdown massive Probleme ergeben, so hatten beispielsweise viele Tafeln ihren Betrieb eingestellt.« Man konnte erfahren, dass sogar die FDP-Bundestagsfraktion aus einem krisenbedingten Überschwang heraus (?) schon am 22.03.2020 über einen Tweet das hier abgesetzt hatte: »Wir fordern daher eine temporäre Erhöhung der #Grundsicherung um 15 Prozent (20 Prozent für Alleinerziehende)!« Die Umsetzung dieser Forderung hätte bedeutet, dass die Hartz IV-Bezieher monatlich mindestens 64,80 Euro, bei 20 Prozent Zuschlag 86,40 Euro mehr erhalten hätten. Damit (und mehr) waren die Liberalen wahrlich nicht allein. Bereits am 23. März 2020 hat ich in meinem Beitrag Hartz IV als temporärer Rettungsanker für die in ihrer Existenz bedrohten Coronavirus-Krisenopfer? Und was für (andere) einkommensschwache Haushalte getan werden könnte bzw. müsste darauf hingewiesen, dass der Erwerbslosen- und Sozialhilfeverein Tacheles konkret neben  einer „Corona-Einmalzahlung“ für SGB II-, SGB XII-, AsylG-, KIZ-, WoGG- und geringverdienen Haushalte in Höhe von 500 Euro/250 Euro einen „Corona-Zuschlag“ im Sinne einer temporären Erhöhung der SGB II-, SGB XII-, AsylbLG-Regelbedarfe in Höhe von 100 Euro monatlich gefordert hatte. Und die Forderung nach einer monatlichen Aufstockung der Grundsicherungsleistungen, solange die Pandemie anhält, wurde dann nicht nur von den Grünen und den Linken im Bundestag aufgegriffen, auch ein Bündnis von Sozialverbänden und Gewerkschaften hatte sich dafür stark gemacht. Der Beitrag vom 23.03.2020 wurde mit diesen Worten beendet: »Es bleibt zu hoffen, dass die Bundesregierung die konkreten Vorschlag aufgreift und in ihre Gesetzgebung in dieser Woche noch einbaut.« Daraus ist bekanntlich nichts geworden.

Aber nun, im März 2021, ein Jahr später, taucht eine einmalige Geldleistung im Sozialschutz-Paket III auf. Eben die genannten 150 Euro.

Zu wenig – und sogar verfassungswidrig?

Zu der Einmalzahlung gibt es nun eine interessante Entscheidung eines Sozialgerichts: »Das Sozialgericht Karlsruhe hält den von der Bundesregierung geplanten Corona-Zuschuss für verfassungswidrig und zu gering … Das Gericht hält … eine Erhöhung des Regelsatzes in den Pandemiemonaten für nötig«, kann man dieser Meldung entnehmen: Sozialgericht: Corona-Zuschuss zu gering und verfassungswidrig. Was genau bemängelt das Gericht an dem mit dem Sozialschutz-Paket III vorgesehenen einmaligen Zuschuss? »Das Existenzminimum von Arbeitsuchenden für Januar bis April dürfe nicht erst im Mai gedeckt werden. Auch seien Anforderungen an das Verfahren zur Ermittlung der Höhe existenzsichernder Leistungen nicht erfüllt worden, rügte das Gericht … Nötig sei eine Erhöhung des Regelsatzes um etwa 100 Euro für jeden Pandemiemonat.«

Um welchen Sachverhalt geht es hier? »Damit hatte eine alleinerziehende Mutter aus dem Kreis Rastatt mit ihrem Eilantrag Erfolg. Sie hatte zuvor beim Jobcenter erfolglos FFP2-Masken beantragt. Nun könne sie ihre herzkranke zweijährige Tochter sicher im ÖPNV zu den wöchentlichen Behandlungen ins Krankenhaus und zum Physiotherapeuten bringen, so das Gericht. Für die am Eilverfahren unmittelbar Beteiligten sei der rechtskräftige Beschluss bindend (S 12 AS 711/21 ER – Beschluss vom 24.3.2021).«

Die Entscheidung der Karlsruher Sozialrichter bzw. genauer die Berichterstattung darüber hat gerade in den sozialen Medien eine große Aufmerksamkeit erfahren, wahrscheinlich aufgrund der Schlüsselwörter „zu wenig“ und „verfassungswidrig“. Aber wie meistens bei solchen Angelegenheiten darf ein „Aber“ nicht fehlen.

Zum einen muss man sehen, dass wir hier nicht über eine Entscheidung des Bundessozialgerichts oder gar des Bundesverfassungsgerichts (und viele denken bei solchen Meldungen sicher an die wegweisende Entscheidung des BVerfG aus dem Jahr 2010 über die teilweise Verfassungswidrigkeit der damaligen Hartz IV-Regelsätze) sprechen, sondern erst einmal über eine Einzelfallentscheidung eines Sozialgerichts vor Ort, auch wenn in deren Entscheidung allgemeine Erwägungen die Frage der möglichen Verfassungswidrigkeit eingebaut wurden.

Hintergrund: Das Sozialgericht und die FFP2-Masken

Die derzeit heftig diskutierte und verbreitete Entscheidung des SG Karlsruhe hat eine Vorgeschichte. Und die ist unauflösbar verknüpft mit der „Masken-Frage“. Am 12. Februar 2021 veröffentlichte das Gericht diese Mitteilung: Jobcenter muss nach erfolgreichem Eilantrag zusätzlich zum Regelsatz entweder als Sachleistung wöchentlich 20 FFP2-Masken verschicken oder als Geldleistung hierfür monatlich weitere 129,- € zahlen. Darin geht es um den Beschluss der 12. Kammer des Sozialgerichts Karlsruhe (SG Karlsruhe vom 11.02.2021, Az. S 12 AS 213/21 ER), mit dem ein Eilantrag eines Arbeitsuchenden auf Gewährung eines im Epidemie-bedingten Einzelfall unabweisbaren Hygienebedarfs an FFP2-Masken bis zum Sommeranfang am 21.06.2021 stattgegeben wurde. Die Kammer war zu dem Ergebnis gekommen, dass ein besonderer Mehrbedarf an wöchentlich 20 FFP2-Masken vom Antragsteller glaubhaft gemacht werden kann. »Ohne Mund-Nasen-Bedeckungen dieses Standards seien Empfänger:innen von Grundsicherungsleistungen in ihrem Grundrecht auf sozialen Teilhabe in unverhältnismäßiger Weise beschränkt. Nach drei Monaten Lockdown müssten Arbeitsuchende wieder am Gemeinschaftsleben in einer dem sozialen Existenzminimum entsprechenden Art und Weise teilnehmen können«, so das Gericht damals. Und weiter heißt es in der Begründung: »Die Anerkennung individueller Mehrbedarfe an FFP2-Masken diene nicht nur der Befriedigung privater Bedürfnisse. Sie bezwecke den Infektionsschutz der Allgemeinheit vor einer weiteren Verbreitung des Virus. Zur effektiven Abwehr dieser gesteigerten Ansteckungsgefahr müsse die Mehrbedarfsgewährung wöchentlich 20 FFP2-Masken umfassen. Dem Infektionsschutz werde ein Bärendienst erwiesen, falls nicht mindestens täglich eine neue Maske sowie durchschnittlich ca. zwei weitere neue Ersatz-FFP2-Masken bereitgestellt würden.«

Nun kann man sich denken, was nach diesem Beschluss passierte: »Unter Bezugnahme auf einen Beschluss der 12. Kammer des Sozialgerichts Karlsruhe (S 12 AS 213/21 ER), der einem Arbeitsuchenden einen Anspruch auf 20 FFP2-Masken wöchentlich zuerkannte, gingen in der Folge eine Vielzahl von weiteren Anträgen dieser Art beim Sozialgericht Karlsruhe ein«, berichtet das Sozialgericht in einer Mitteilung am 8. März 2021. Die steht unter dieser, den einen oder anderen möglicherweise irritierenden Überschrift: Kein Anspruch auf FFP2-Masken im Eilverfahren – Anträge einer sechsköpfigen Familie vor dem Sozialgericht Karlsruhe blieben ohne Erfolg. Wie das nun im Lichte des Beschlusses aus dem Vormonat?

Kommt immer darauf an, wer entscheidet: »So hatten mehrere Kammern über die Eilgesuche einer sechsköpfigen Familie zu entscheiden, deren Anträge auf die Gewährung eines solchen Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 6 SGB II vom Jobcenter abgelehnt wurden. Die Eilanträge hatten keinen Erfolg. Die Kammern haben sich der Rechtsprechung der 12. Kammer nicht angeschlossen.« Offensichtlich wollten die Sozialrichter anderer Kammern des gleichen Gerichts der Auffassung der einen, der 12. Kammer, nicht folgen. Mit welchen Begründungen?

»Die 3. und die 17. Kammer lehnten die Eilanträge der Eltern der Familie mit der Begründung ab, dass für diese keine rechtliche Verpflichtung bestehe, FFP2-Masken zu tragen. Das Tragen ausschließlich von FFP2-Masken sei auch nach der Änderung der Corona-Verordnung des Landes Baden-Württemberg zum 25. Januar 2021 nur für den Bereich Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen und ambulante Pflegedienste verbindlich vorgeschrieben. Auch den Grundrechten lasse sich kein grundsicherungsrechtlicher Bedarf entnehmen. Die Antragsteller hätten keine individuellen Besonderheiten dargelegt, die einen solchen Anspruch begründen könnten.« Und dann kommt ein interessanter Passus, denn die Richter hier erkennen „Einsparpotenziale“ im normalen Regelsatz: »Offen ließen die entscheidenden Kammern, ob ein Mehrbedarf für den Erwerb von medizinischen OP-Masken anzuerkennen sei. Denn nach ihrer Auffassung konnten die Antragsteller vorliegend nicht glaubhaft machen, die hierfür entstehenden Kosten für deren Anschaffung bis zu einer endgültigen gerichtlichen Entscheidung nicht vorstrecken zu können. Der Erwerb solcher Masken sei vergleichsweise günstig möglich und könne aus der monatlichen Regelleistung vorerst selbst finanziert werden, z.B. durch Einsparungen an anderen Stellen, wie in den Bereichen „Freizeit und Kultur“. Zudem stünde den Antragstellern nach der Coronavirus-Schutzmaskenverordnung ein Anspruch auf jeweils zehn kostenlose FFP2-Masken zu, die bei den Apotheken bezogen werden könnten.« Und die Richter blieben nicht allein: »Auch die Anträge der Schulkinder der Familie, die aktuell den Wechselunterricht besuchen, blieben bei der 4. Kammer sowie der 18. Kammer ohne Erfolg. Eine Verpflichtung, eine FFP2-Maske oder eine medizinische Maske zu tragen, bestehe für sechs- bis vierzehnjährige Kinder nicht. Grund für diese Ausnahmeregelung sei unter anderem die besondere Passform dieser Masken, die nicht auf die Gesichtsform und Kopfgröße von Kindern ausgerichtet seien, so dass die Masken bei Kindern dieser Altersklasse ihre volle Filterleistung nicht erbringen könnten.« Und schlussendlich: »Schließlich lehnte die 17. Kammer das Antragsgesuch des vierjährigen Kindes der Familie mit der Begründung ab, dass dieses aufgrund seines Alters von einer Verpflichtung zum Tragen einer Maske jeglicher Art befreit sei.«
➞ Beschlüsse jeweils vom 01.03.2021 – S 4 AS 470/21 ER sowie S 18 AS 469/21 ER (jeweils rechtskräftig) und vom 03.03.2021 – S 3 AS 472/21 ER (rechtskräftig) sowie S 17 AS 471/21 ER (nicht rechtskräftig).

Solche ablehnenden Entscheidungen hat es übrigens auch von anderen Sozialgerichten gegeben. Hierzu dieses Beispiel, in dem auch das SG Karlsruhe (bzw. wie wir gesehen haben eine der Kammern dieses Gerichts) als Referenz auftaucht: Sozialgericht Speyer – Kein Zuschuss für Corona-Masken, so der SWR am 25. März 2021: »Das Sozialgericht Speyer hat den Eilantrag eines Hartz-IV-Empfängers abgewiesen. Dieser hatte höhere Leistungen verlangt, da er Mehrausgaben für Corona-Schutzmasken habe. In einem ähnlichen Fall hatte das Sozialgericht Karlsruhe einem Hartz-IV-Empfänger 129 Euro pro Monat mehr zugesprochen. Seitdem sind beim Sozialgericht Speyer einige Anträge zu dem Thema eingegangen. Doch die Speyerer Richter urteilten anders.« Und wie lautet die Begründung der Richter in Speyer? »Es reichten einfache OP-Masken aus, die gebe es schon für 50 Cent. FFP2-Masken kosteten bei Discountern weniger als einen Euro. Die Ausgaben für Masken betragen laut Gericht deshalb nicht mehr als 10 Euro pro Monat.« und auch hier taucht es wieder auf, das Argument mit den (angeblich) möglichen Einsparungen innerhalb der bestehenden Leistungen: »Es sei dem Antragsteller zumutbar, diese Kosten aus dem Hartz-IV-Regelsatz zu bestreiten. Zumal die Menschen wegen der Corona-Pandemie derzeit weniger Ausgaben hätten für Freizeit, Unterhaltung und Kultur. Der Beschluss des Sozialgerichts Speyer ist unanfechtbar.«

Und unter der Überschrift „Zehn Masken reichen aus“ berichtete die FAZ am 26.03.2021: »as Sozialgericht Darmstadt hat in zwei Fällen entschieden, dass das Jobcenter keine zusätzlichen FFP2-Masken für Empfänger von Grundsicherung bezahlen muss. Im ersten Fall hatte eine Familie aus Offenbach für alle fünf Mitglieder die Gewährung eines Mehrbedarfs von je 129 Euro pro Monat für FFP2-Masken gefordert, insgesamt 645 Euro. Im zweiten Fall wollte ein Mann aus Darmstadt 20 Masken pro Woche und argumentierte mit einem „kaputten Immunsystem“. Beide Eilanträge lehnten die Richter ab. Der Familie gegenüber wiesen sie darauf hin, dass Hartz-IV-Empfänger schon einen Anspruch auf zehn Masken hätten, die sie in einer Apotheke abholen könnten. Zudem seien die Eltern nicht erwerbstätig und deshalb wenig in der Öffentlichkeit unterwegs. 129 Euro pro Person monatlich sind in den Augen des Gerichts utopisch, weil FFP2-Masken für weniger als einen Euro zu kaufen seien. Angesichts dessen sei es der Familie zuzumuten, Masken selbst zu finanzieren. Ähnlich lautete die Entscheidung zu dem Mann aus Darmstadt: Dort stellte das Gericht zusätzlich fest, dass Ausgaben für Freizeit, Kultur und Unterhaltung zurzeit wegfielen. Der Mann lebe allein und gehe einer Tätigkeit von daheim aus nach, weshalb nicht ersichtlich sei, wozu er 20 Masken pro Woche benötige.«

Der neueste Beschluss aus dem Sozialgericht Karlsruhe, diesmal wieder von der 12. Kammer, ist ein Widerspruch gegen die dargestellte abweichende Auffassung anderer Kammern des SG Karlsruhe, aber auch anderer Sozialgerichte, siehe das Beispiel Speyer.

Was bleibt?

Man wird der neuen Entscheidung nicht entnehmen können, dass nun eine Aufstockung der Grundsicherungsleistungen sozialgerichtlich festgestellt worden ist, soweit man das zum jetzigen Zeitpunkt sagen kann, ist das eher eine Minderheiten- oder sogar eine Außenseiterposition innerhalb der Sozialgerichtsbarkeit. Was bleibt? Der erfolgreiche Eilantrag habe (möglicherweise) eine Signalwirkung. Denn “das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe ist eine Klatsche für die Krisenpolitik der Bundesregierung. Das Gericht kassiert das wahltaktische Almosen der Großen Koalition und fordert echte Hilfen”, kritisierte Sven Lehmann, Sprecher für Sozialpolitik der Grünen im Bundestag, gegenüber der Nachrichtenagentur dpa.

In das Parlament und in die Gesetzgebung gehört das Thema (temporäre und zugleich nicht einmalige) Aufstockung der Leistungen aus der Grundsicherung. Wenn es einen generell höheren Bedarf gibt (und den muss man lösen von der „Masken-Frage“, sondern auch beispielsweise die teilweise enormen Preissteigerungen in Bereichen einbeziehen, die eine überproportionale Bedeutung haben für die einkommensarmen Menschen, wie Lebensmittel usw.), dann muss das vom Gesetzgeber in die Regelleistungen eingebaut werden.

Auf eine sozialgerichtliche „Lösung“ dieser Frage zu hoffen, erscheint angesichts der derzeit recht unterschiedlichen Rechtsprechung der Sozialgerichte vor Ort mehr als gewagt. Sie wird bei den meisten Sozialgerichten, so eine mögliche These, eher eine Abwehrhaltung angesichts der Vielzahl an Folgeverfahren bei einer einzelfallbezogenen Entscheidung provozieren.

Und die Sozialgerichte sind durch die Pandemie sowieso und weit über die hier besprochene Thematik hinausreichend zunehmend belastet: »Die Sozialgerichte stehen vor einer Klageflut. Bei Differenzen um Kurzarbeitergeld, die Anerkennung von Covid-19 als Arbeitsunfall oder Schäden nach Impfungen entscheiden sie«, kann man diesem Artikel von Jana Werner entnehmen: Auf die Sozialgerichte rollt eine Corona-Klagewelle zu. Am Beispiel der Hansestadt Hamburg und Wolfgang Siewert, den Präsidenten des Landessozialgerichts Hamburg zitierend, wird ausgeführt: »„Am Beispiel des Arbeitsförderungsrechts, also die Arbeitslosenversicherung nach dem Sozialgesetzbuch III betreffend, können wir aber erkennen, dass sich die Eingangszahlen gegenüber dem Vorjahr nahezu verdoppelt haben“, sagt Siewert. Im Februar 2020 wurden etwa 30 Verfahren registriert. Und im Februar 2021 liegt der Verfahrenseingang bei 59, „so dass der Anstieg auf die deutliche Zunahme der Verfahren um das Kurzarbeitergeld zurückzuführen sein dürfte, welche in der Vergangenheit in dem Rechtsgebiet zahlenmäßig kaum eine Rolle gespielt haben“, erklärt der Gerichtspräsident. Auch im Januar sei ein Anstieg im Vergleich zum Vorjahresmonat festgestellt worden. Zudem erkennt das Sozialgericht eine „spürbare Zunahme“ von Klagen wegen der Anschaffung von Masken und Schnelltests, wegen Kurzarbeitergeld und zusätzlicher Bedarfe für Schüler bei der Ausstattung mit Laptops. Ob Verfahren zur Anerkennung von Covid-19 als Berufskrankheit oder Arbeitsunfall zu erwarten sind, kann das Gericht noch nicht abschätzen.«