Nach mittlerweile mehrjähriger Verzögerung hat die AfD ihren Parteitag zur Positionierung in der Sozialpolitik nun endlich und passend zur Zeit mit der Auflage, das Thema unter Mund-Nase-Schutz verhandeln zu müssen, im nordrhein-westfälischen Kalkar abgehalten. Mehrmals war der verschoben worden – Björn Höcke hatte einen Sonderparteitag zur Sozialpolitik bereits vor zwei Jahren auf dem Bundesparteitag in Augsburg beantragt und zugestanden bekommen. Der Bedarf war und ist mehr als offensichtlich, denn gerade in der Rentenfrage stehen sich zwei völlig konträre Positionen gegenüber: Zum einen die vor allem aus Ostdeutschland um den mittlerweile offiziell angeblich nicht mehr existenten „Flügel“ vorangetriebene Konzeption einer national-sozialen Rentenpolitik, zum anderen die marktliberale Variante einer Abwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung und der irrlichternden Vorstellung einer Privatisierung der Alterssicherung, wie sie vom Parteichef Meuthen vertreten wird.
Nun könnte man es fast für eine geschickte Inszenierung halten, dass in den meisten Medien nur am Rande von den Inhalten dessen berichtet wird, was da auf diesem Bundesparteitag in Kalkar letztendlich beschlossen wurde, denn wieder einmal hat man größere Lust auf die personenbezogenen Scharmützel, die vom AfD-Vorsitzenden Meuthen mit einer sogenannten „Wutrede“ ausgelöst wurden. Jörg Meuthen hat seine Partei zur Distanzierung von Krawallmachern und Provokateuren in den eigenen Reihen aufgefordert. „Was wir mehr als alles andere brauchen, ist innerparteiliche Disziplin“, sagte er in einer Rede, für die es am Ende auch Buh-Rufe gab. Der Parteichef kritisierte unter anderem, dass manche in der AfD von „Corona-Diktatur“ sprächen, keine Distanz zur sogenannten Querdenker-Bewegung zeigten und mit dem Begriff „Ermächtigungsgesetz“ hantierten. „Entweder wir kriegen hier die Kurve, und zwar sehr entschlossen und sehr bald. Oder wir werden als Partei in keineswegs ferner Zukunft in ganz, ganz schwere See geraten und gegebenenfalls scheitern.“ Das stieß bei knapp der Hälfte der Delegierten auf Empörung. Aber anzunehmen, dass es sich um eine geplante Inszenierung handelt, um von der Inhaltsleere der sozialpolitischen Beschlüsse abzulenken, würde dann doch einen Grad von Professionalität unterstellen, den man dieser Partei nicht wirklich zuschreiben sollte. Dabei gibt es gute Gründe, von dem abzulenken, was da beschlossen wurde.
Zur Erinnerung, um was es bei der „Rentenfrage“ geht: Bereits Anfang 2018 berichtete Sabine am Orde in ihrem Artikel über Höcke, die AfD und ihre Sozialpolitik: Rente von ganz rechts: Schon seit Monaten, so die Autorin, habe Höcke »den Sozialpopulismus für sich entdeckt.« Und sie weist auf den Vorlauf dieser Aktivitäten hin: Im vergangenen Jahr am 1. Mai, später auch während der Bundestagswahl, haben Höcke und die Seinen unter dem Titel „Sozial ohne rot zu werden“ zu Kundgebungen aufgerufen. „Sozialpolitik wird das große Zukunftsthema sein, wahlentscheidend bei uns im Osten“, so wird er zitiert. Höcke will die AfD »als Partei der sogenannten kleinen Leute aufstellen und ihr das Profil des „solidarischen Patriotismus“ verpassen« – um darüber weitere Wähler zu gewinnen, die bislang eher für SPD und Linkspartei gestimmt haben. Um das zu erreichen, wettert Höcke gegen Neoliberalismus und Großkonzerne, fordert mehr Solidarität und staatliche Sozialleistungen – aber nur für deutsche Staatsbürger. Er setzt auf einen »Sozialpopulismus nationalistischer bis völkischer Prägung.« Und weiter: »Höcke schlägt eine „Staatsbürgerrente“ vor: Auch Selbstständige, Freiberufler und Beamte sollen in die Rentenkasse einzahlen; am besten soll der Staat diese zu einem Drittel finanzieren … Höckes Rente soll nur für Deutsche gelten. Wenn er von „Solidargemeinschaft“ redet, meint er das „deutsche Volk“. „Eine Solidargemeinschaft braucht Grenzen und einen Nationalstaat, der dieses Solidarsystem begrenzt und verwaltet“«, so wird er zitiert.
In diesem Blog wurde bereits mehrmals über die sozialpolitischen Positionierungskämpfe innerhalb der AfD berichtet, mit einem besonderen Fokus auf die national-sozialen Ausprägungen innerhalb der Partei – nicht nur, aber auch, weil ein Teil der dort vertretenen Positionen auf den ersten Blick durchaus auch aus der „linken Ecke“ hätten stammen können, was natürlich vor dem Hintergrund gesehen werden muss, dass es Höcke & Co. vor allem um eine Instrumentalisierung der Rentenpolitik ging und geht, von der man sich gerade in Ostdeutschland einen weiteren Zuwachs an Wählerstimmen erhofft:
➞ Konturen einer rechtspopulistischen Sozialpolitik? „Solidarischer Patriotismus“ als umstrittenes Angebot innerhalb der AfD und was das mit der Rente und Betriebsräten zu tun hat (01.02.2018)
➞ Von neoliberaler Kritik am „Rentensozialismus“ bis hin zu einem „völkischen“ Rentenkonzept des national-sozialen Flügels: Anmerkungen zum rentenpolitischen Nebel in der AfD (07.06.2018)
➞ Die Rentenfrage als Lackmustest? Die AfD und ihre weiter ungeklärte sozialpolitische Ausrichtung (02.07.2018)
Man kann an den Datumsangaben erkennen, dass der erste Höhepunkt dieser innerparteilichen Gehversuche in der Sozialpolitik vor allem 2017 und 2018 stattgefunden haben. Die nächste Phase wurde dann mit den ostdeutschen Landtagswahlen 2019 eingeläutet:
➞ Die Landtagswahl in Thüringen mit Bruchstücken einer national-sozialen Sozialpolitik und offen vorgetragenen völkischen Gewaltphantasien (27.10.2020)
Und der bislang letzte Beitrag zu diesem Themenfeld wurde Anfang 2020 veröffentlicht:
➞ Die Rentenfrage als große Leerstelle der AfD. Von „parteischädigenden“ neoliberalen Abbau- und national-sozialen Umbauphantasien sowie einer Verschieberitis der Klärung des Unvereinbaren (01.02.2020)
Exkurs: Das national-soziale Rentenkonzept von Rechtsaußen, scheinbar links über Bande gespielt
Um das, was nun in Kalkar als offizielle AfD-Position zur Rentenpolitik beschlossen worden ist, richtig einordnen und bewerten zu können, muss man sich die Grundzüge des national-sozialen Rentenkonzepts von Höcke & Co. in Erinnerung rufen und sich anschauen, was davon übrig geblieben ist.
»Die neoliberale Ideologie, die von allen Altparteien getragen wird und Staaten zu Wurmfortsätzen global agierender Konzerne gemacht hat, entzieht den Volkswirtschaften dringend benötigtes Investitionskapital und senkt in den westlichen Industrienationen die Löhne zugunsten der Kapitalrendite.« Und weiter: »Die Folgen für den Sozialstaat und die Renten sind verheerend.« Die gesetzliche Rentenversicherung sei zugunsten von privaten Versicherungen und Banken ausgehöhlt worden. CDU und SPD haben mit der Ausweitung der Leiharbeit Niedriglöhne auf breiter Front etabliert und das Lohngefüge zugunsten der Kapitalrendite gedrückt. Und die private Vorsorge war ein Irrweg.
Auch wenn es den einen oder anderen irritieren wird – das sind keine Zitate aus dem linken politischen Lager in diesem Land, sondern sie stammen von Björn Höcke. Sie sind einem Interview, das Ende November 2017 unter der bezeichnenden Überschrift „Das sind die Frontverläufe unserer Zeit“ veröffentlicht wurde, entnommen. Die Stoßrichtung von Höcke ist offensichtlich: Er will die AfD als Partei der sogenannten kleinen Leute aufstellen und ihr das Profil des „solidarischen Patriotismus“ verpassen – um darüber weitere Wähler zu gewinnen, die bislang eher für SPD und Linkspartei gestimmt haben, wenn sie denn überhaupt noch gewählt haben. Höcke fordert mehr Solidarität und staatliche Sozialleistungen – aber nur für deutsche Staatsbürger. Er setzt auf einen „Sozialpopulismus nationalistischer bis völkischer Prägung.“ Im Januar 2020 berichtete Mirko Wenig in seinem Artikel AfD streitet über Rente: „Meuthens Pläne parteischädigend“ über die Vorstellungen von Höcke & Co: Höckes Papier sieht vor, das sogenannte Rentenniveau dauerhaft bei 50 Prozent zu stabilisieren – höher als der aktuelle Wert. Um die Rente zu sichern, will Höcke deutlich höhere Reallöhne zahlen, was zum Beispiel durch einen höheren Mindestlohn gewährleistet werden müsste. Darüber hinaus will der gebürtige Westfale eine sogenannte Staatsbürgerrente einführen: ein Rentenplus, das Menschen mit niedrigen Altersbezügen gegen Armut absichern soll. Allein wer einen deutschen Pass besitzt, soll die Extrarente erhalten. Auch kinderreiche Familien sollen laut Papier begünstigt werden.« So die Zusammenfassung von Mirko Wenig.
Das hier thematisierte 52-seitige „Rentenkonzept“ des Höcke-Flügels in der AfD im Original:
➔ AfD Fraktion im Thüringer Landtag (2018): Es geht um Wertschätzung. Produktivitätsrente – Ein Konzept der AfD-Fraktion im Thüringer Landtag, Erfurt, Juni 2018
Und wie will man nun das „Rentenproblem“ angehen? Zu dem, was auf dem Bundesparteitag 2020 (nicht) beschlossen wurde
»Die AfD hat ihr Programm um ein sozialpolitisches Konzept ergänzt und damit vor der Bundestagswahl 2021 eine bislang bestehende inhaltliche Lücke geschlossen«, kann man beispielsweise dieser Meldung der Nachrichtenagentur dpa entnehmen: AfD beschließt sozialpolitisches Konzept. Ob die Lücke nun auch wirklich inhaltlich geschlossen wurde, darüber kann man wirklich geteilter Meinung sein, zumindest gibt es jetzt was auf dem Papier. Nach mehrstündiger Debatte haben fast 89 Prozent der rund 500 Delegierten für den Leitantrag der Bundesprogrammkommission gestimmt, zu dem der andere Bundesvorsitzende der AfD, Tino Chrupalla, anmerkt: Das AfD-Konzept schaffe es, dass die Leistungsbereitschaft und das Engagement, das ein Mensch in jahrzehntelanger Arbeit für das Land erbringe, im Alter angemessen belohnt werde: „Wir garantieren allen Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet haben, eine auskömmliche Rente.“ Eine „auskömmliche Rente“ soll also sicher sein. Hört sich doch gut an. Und wie will man das erreichen? Die „Reformvorstellungen“ der AfD zur Rentenpolitik findet man im Leitantrag zum Bundesparteitag 2020 auf den Seiten 15-17:
➔ Bundesgeschäftsstelle der Partei AfD: Leitantrag der Bundesprogrammkommission zur Debatte über die künftige Ausrichtung der AfD in Fragen der Sozialpolitik zum 11. Bundesparteitag der AfD in Kalkar 28. und 29. November 2020. Stand: 10. März 2020*
*) Es handelt sich bei diesem Dokument um den inhaltlich unveränderten Leitantrag der Bundesprogrammkommission, der zur ersten Einladung für den 11. Bundesparteitag im März 2020 versandt wurde.
Die AfD-Positionierung zur Rentenpolitik besteht aus sieben Punkten und einem „Ausblick“: 1. Freiheit beim Renteneintritt, 2. Altersarmut verhindern, 3. Abschaffung der Politikerpensionen, 4. Einbeziehung neu eingestellter Staatsbedienster durch Reduzierung des Beamtenstatus auf originär hoheitliche Aufgaben, 5. Altersvorsorge für Selbständige, 6. Lastengerechtigkeit zwischen Familien und Kinderlosen herstellen und 7. Private Vorsorge stärken.
Schauen wir uns nur einige wenige Punkte daraus einmal genauer an. Man wird merken, wie blass und offensichtlich mit heißer Kompromiss-Nadel gestrickt die „rentenpolitische Programmatik“ der selbsternannten Alternative für Deutschland daherkommt.
Nehmen wir den ersten Punkt „Freiheit beim Renteneintritt“. Was wird uns da serviert? »Wir wollen deshalb jedem ermöglichen, länger zu arbeiten und im Einvernehmen mit dem jeweiligen Arbeitgeber, zum individuellen Wunschzeitpunkt den Ruhestand anzutreten. Die Rentenhöhe hängt dabei von den eingezahlten Beiträgen und dem Renteneintritt ab. Wer länger arbeitet, bekommt entsprechend mehr Rente. Zur Berechnung der Rentenhöhe wird das Regel-Rentenalter nach SGB herangezogen. Wer früher in den Ruhestand geht, muss entsprechende Abschläge in Kauf nehmen. Wer auf der anderen Seite über das Regel-Rentenalter hinaus arbeitet, sammelt weitere Rentenpunkte und bekommt entsprechend eine höhere Rente.«
Ja und? So sieht die Rechtslage heute schon aus (mit Ausnahme der Ermöglichung, jederzeit vor dem Erreichen der Regelaltersgrenze in die Rente zu gehen, was aber exorbitant hohe Abschläge zur Folge haben müsste, die ja auch von der AfD vertreten werden). Es gibt das gesetzliche Renteneintrittsalter (das derzeit Schritt für Schritt weiter in Richtung 67 angehoben wird). Und wenn man früher in Rente gehen will/muss, dann gibt es bis zum Tod Abschläge von der ansonsten zustehenden Rente – im bestehenden Rentenrecht wären das bei 3 Jahren (36 Monate) vor dem regulären Renteneintrittsalter 10,8 Prozent (oder 4,86 Entgeltpunkte), die von der Altersrente abgezogen werden.
Und selbstverständlich – ein Blick in die Rentenformel und hier in den § 66 SGB VI (Persönliche Entgeltpunkte) verdeutlicht, dass es eine höhere Rente gibt, wenn man nach dem Erreichen des Renteneintrittsalters weiter arbeitet. So ist es bereits derzeit so, dass man pro Monat, in dem über das reguläre Rentenalter hinaus die Rente nicht in Anspruch genommen wird, einen Rentenzuschlag von 0,5 Prozent bekommt. Für ein Jahr des späteren Rentenbeginns gibt es also 6 Prozent mehr und die Rente erhöht sich außerdem durch die Beiträge, die während der weiteren Beschäftigung noch eingezahlt werden.
Und fast schon wie eine Leerformel kommt dann so eine Formulierung daher: »Das allgemeine Rentenniveau muss sowohl die Interessen der arbeitenden Bevölkerung als auch der Rentner berücksichtigen und einen Ausgleich schaffen. Es muss deshalb auf Grundlage der Lebenserwartung und des Beitragsaufkommens kontinuierlich angepasst werden.« Damit kann man alles rechtfertigen – auch eine erhebliche Absenkung des Rentenniveaus aufgrund einer angeblichen allgemeinen Steigerung der Lebenserwartung, die bekanntlich sehr ungleich verteilt ist. Oder weil das Beitragsaufkommen einfach nicht mehr reicht und aus politischen Gründen nicht erhöht werden soll.
Wie will die AfD denn nun die Altersarmut bekämpfen? Die wird gerade in Ostdeutschland – das haben Höcke & Co. gut erkannt – ohne substanzielle Änderungen im Rentensystem ein großes Problem werden in den kommenden Jahren. Dazu gibt es insgesamt nur diesen Passus:
»Wer lange in die Rentenkasse eingezahlt hat, sollte auch bei einem geringeren Einkommen bessergestellt werden als Personen, die größtenteils arbeitslos waren. Dies wird erreicht, indem nur 25% der Altersrente auf die Grundsicherung im Alter angerechnet wird. Auf diese Weise wird Altersarmut verhindert oder zumindest deutlich verringert. Während der Erwerbsphase lohnt es sich damit, auch Tätigkeiten mit geringem Einkommen anzunehmen, aus denen ja teilweise auch höherbezahlte Beschäftigungsverhältnisse entstehen. Soziale Gerechtigkeit ist ein integraler Bestandteil der AfD-Politik, muss aber immer auch zur Eigenverantwortung anregen.«
Was für schöne unbestimmte Rechtsbegriffe. Was ist „lange“? 50 Jahre, 40 oder reichen auch 30? Oder vielleicht doch 35? Man denke hier an die Auseinandersetzung um die Voraussetzungen bei der sogenannten „Grundrente“ der Regierungsfraktionen.
Aber hanebüchen wird es bei der – selten genug in dem Papier – konkret daherkommenden Forderung, dass „nur 25% der Altersrente auf die Grundsicherung im Alter angerechnet“ werden sollen. Zu diesem „AfD-Anrechnungsmodell“ muss man sich folgendes klar machen:
Die Grundsicherung im Alter (und bei Erwerbsminderung) ist eine bedarfsorientierte und bedürftigkeitsgeprüfte Fürsorgeleistung nach dem SGB XII. Zugang zu den Leistungen haben erwachsene Personen, deren (anrechenbares) Einkommen, (verwertbares) Vermögen und/oder (realisierbare) Unterhaltsansprüche nicht ausreichen, um den individuellen Bedarf zu decken. Im Bundesdurchschnitt betrug der (Brutto-)Bedarf bei älteren Hilfebedürftigen 813 Euro (Dezember 2019).
Während die Grundsicherung für Ältere also eine Sozialhilfeleistung ist, die nur unter der Voraussetzung einer zu prüfenden Bedürftigkeit geleistet wird (und angesichts der vergleichbaren Leistungen als Hartz IV für Ältere bezeichnet werden kann), ist die Altersrente eine Versicherungsleistung, auf die es einen individuellen Anspruch gibt, ohne dass der Sozialversicherungsträger prüfen muss, wie und mit wem der Rentenbezieher lebt, ob er oder sie im Lotto gewonnen hat oder andere Vermögensbestandteile vorhanden sind. Welche Schwierigkeiten auftauchen, wenn man beide Systeme miteinander vermischt, haben wir erst gerade bei dem Kompromissmodell einer sogenannten „Grundrente“ der Großen Koalition gesehen, Stichwort „Einkommensprüfung“.
Apropos „Grundrente“ – in diesem Zusammenhang ist bereits eine gewisse Nicht-Anrechnung von Altersrenten aus der gesetzlichen Rentenversicherung auf Leistungen der Grundsicherung im Alter nach SGB XII eingeführt worden: Wenn Rentner/innen die Mindestanzahl von Beitragszeiten vorweisen können und zugleich Leistungen der Grundsicherung beziehen (was aber anders als bei der „Grundrente“ mit der dort vorgegebenen „Einkommensprüfung“ die erheblich härtere „umfassende Bedürftigkeitsprüfung“ nach SGB XII als Zugangsvoraussetzung beinhaltet), dann gibt es einen Freibetrag von grundsätzlich 100 Euro zuzüglich 30 Prozent der darüber hinausgehenden Ansprüche auf gesetzliche Renten bis maximal 50 Prozent der Regelbedarfsstufe 1 (2020 wären das 216 Euro maximal, die anrechnungsfrei bleiben würden). Alles, was darüber liegt, wird auf den Grundsicherungsanspruch angerechnet.
Wenn man sich jetzt die „schlanke“ Formulierung der AfD anschaut, dann muss man sich die Augen reiben, denn das Freibetragsmodell würde hier in einer sehr radikalen Art und Weise ausgeweitet werden. Man kann sich das anhand der folgenden Abbildung verdeutlichen:
In der Formulierung der AfD-Programmatik gibt es keine Kappungsgrenze wie eben gerade am Freibetragsmodell nach den Veränderungen durch das Grundrentengesetz beschrieben. Theoretisch also könnte es tatsächlich so sein, dass jemand, der ausschließlich Leistungen aus der Gesetzlichen Rentenversicherung bezieht, bei einer nur 25-prozentigen Anrechnung auf Grundsicherung auch bei hohen und sehr hohen Renten noch Anspruch auf einen Aufstockungsbetrag aus der Grundsicherung hätte. In so einem theoretischen Fall würde das Anrechnungsmodell wie ein (nicht-bedingungsloses) „Grundeinkommen“ fungieren, nicht-bedingungslos, weil ja die grundsätzlichen Zugangsvoraussetzungen in die Sozialhilfeleistung Grundsicherung für Ältere laut dem Rentenkonzept der AfD nicht aufgehoben wird.
Möglicherweise geht man bei diesem Modell auch davon aus, dass der beschriebene theoretische Fall einer Kombination von Grundsicherung und höheren Renten nicht auftreten kann, weil diese Leute dann beispielsweise über Vermögen oder andere Einkommensquellen verfügen, die wiederum angerechnet werden würden bei der weiterhin existierenden Bedürftigkeitsprüfung.
Und es gibt auch noch eine andere Möglichkeit, wie man die kryptischen AfD-Ausführungen verstehen könnte: Die Nicht-Anrechnungsformulierung bezieht sich nur auf Fälle mit Renten, die unterhalb des Regelbedarfs in der Sozialhilfe liegen, dann wären die bisherigen Überlegungen (und die schöne Abbildung) hinfällig – aber das würde bedeuten, dass bei einem Bedarf von sagen wir 840 Euro und einer gesetzlichen Rente von 740 Euro von dieser nur 25 Prozent auf den Grundsicherungsanspruch angerechnet werden, das wären also 185 Euro, es verbleiben dann neben der Grundsicherung noch 555 Euro aus der eigenen Rente, die nicht von der Sozialhilfeleistung abgezogen werden. Und was macht in dieser Konstellation jemand, der mit seiner kleinen gesetzlichen Rente gerade ein paar Euro über der Bedürftigkeitsschwelle von 840 Euro liegt? Der wird auf seine Rente verwiesen, während derjenigen, der das „Glück“ hat, unter der Schwelle zu liegen mit seiner Mickerrente, durch die Kombination der Grundsicherung plus den größten Teil seiner Rente, die anrechnungsfrei bleibt, auf einen deutlich höheren Geldbetrag zu kommen, als der knapp oberhalb der Sozialhilfeschwelle. Ist das gerecht?
Wer kann das schon wissen, bei der dürftigen Beschreibung des vorliegenden „Modells“. Offensichtlich verheddert man sich hier in den unterschiedlichen Systemen und hat mögliche Auswirkungen nicht zu Ende gedacht.
Was findet man noch in dem Rentenkonzept der AfD? „Einbeziehung neu eingestellter Staatsbedienster durch Reduzierung des Beamtenstatus auf originär hoheitliche Aufgaben“ – das ist schon ein Angriff auf das Beamtensystem und mittel- und langfristig, weil nicht die Bestandsfälle betreffend, auch auf das Pensionssystem als ganz eigener Zweig der Alterssicherung in Deutschland: »Die hohe Loyalität der Beamten beruht auf Gegenseitigkeit und ist eng mit den Pensionen verbunden. Die AfD möchte diese deshalb beibehalten, allerdings die Verbeamtung auf rein hoheitliche Aufgaben beschränken, wie z.B. bei Bundeswehr, Zoll, Polizei, Finanzverwaltung und Justiz. Auf diese Weise wird ein Großteil der künftigen Staatsbediensteten in die gesetzliche Rentenversicherung aufgenommen.«
Beim Punkt „Altersvorsorge für Selbständige“ gehen die Vorstellungen der AfD nicht über das hinaus, was man als Zielsetzung auch aus dem Regierungslager hört, denn auch dort gibt es den Punkt Altersvorsorgepflicht für Selbstständige. Die AfD: »Selbständige werden insofern grundsätzlich in die Gesetzliche Rentenversicherung aufgenommen, können aber bei Nachweis einer privaten Altersvorsorge austreten bzw. die Beitragszahlungen suspendieren.«
Ein eigener Punkt wird unter der Überschrift „Lastengerechtigkeit zwischen Familien und Kinderlosen herstellen“ gemacht. Man könnte auch sagen: 20.000 pro Kind winken den Eltern. Ausgangspunkt für die AfD ist wieder einmal die Gegenüberstellung Familien mit Kindern und diese Kinderlosen und die Gleichsetzung Kinder = zukünftige Beitragszahler: »Die Familien tragen die Lasten der Kindeserziehung, die späteren Leistungen der Kinder, insbesondere in der Rentenversicherung, kommen aber vor allem den Kinderlosen zu Gute. Die AfD möchte hier einen Ausgleich herstellen, indem Familien für jedes Kind 20.000 Euro Beiträge der Eltern zur Rentenversicherung aus Steuermitteln erstattet bekommen, ohne dass sich die Rentenansprüche dadurch verringern. Wurden noch keine Beiträge in entsprechender Höhe gezahlt, erfolgt eine Anrechnung auf zukünftige Rentenbeiträge.« Man könnte jetzt zynisch sein und darauf hinweisen, dass die AfD mit der vorliegenden Formulierung natürlich auch die Familien beglücken würde, die als Ausländer, Fremdländische oder eben sonst Nicht-Deutsche unter uns weilen. Kann das die AfD wirklich wollen?
Weil an dieser Stelle die völkischen Kräfte in der Partei zu hohen Blutdruck bekommen, hat man beim nächsten Punkt etwas eingebaut, das wieder nach ihrem Geschmack sein dürfte: Unter dem scheinbar harmlos daherkommenden Punkt „Private Vorsorge stärken“ wird auf der einen Seite die bisherige Absage des Höcke-Flügels hinsichtlich der staatlich geförderten privaten Altersvorsorge (Höcke Originalton: „… die private Vorsorge war ein Irrweg“) in die Mülltonne geworfen, aber bei den neuen natürlich flexiblen und unbürokratischen Formen der staatlich geförderten privaten Altersvorsorge geht es endlich mal in der Ergänzung um die „deutschen“ Kinder: »Pro geborenem Kind mit deutscher Staatsangehörigkeit und Lebensmittelpunkt in Deutschland soll der Staat außerdem eine zusätzliche Einzahlung in Höhe von 100 Euro pro Monat bis zum 18. Lebensjahr in die Spardepots der jeweiligen Kinder tätigen. Die Höhe dieses Beitrags ist regelmäßig vom Gesetzgeber dem Verlauf der Inflation anzupassen und entsprechend zu erhöhen.« Nehmt das, ihr ausländischen Kinder (und deren Eltern). Aber ernsthaft, das bedient nur die völkischen Tiefenschichten, jeder normale Jurist würde an der Stelle mit der deutschen Staatsangehörigkeit abwinken. Aber egal, es geht ja um Botschaften an die eigenen Reihen.
➞ Und nur als Randnotiz: Das „100 Euro pro Monat und Kind-Modell“ kommt einem bekannt vor, allerdings aus einer anderen Ecke: Dieser Vorschlag wurde fast identisch von CSU-Chef Markus Söder Anfang des Jahres in die Rentendebatte eingebracht: Markus Söder schlug vor, eine vierte Säule der Altersvorsorge einzuführen. Demach solle der Staat – steuerfinanziert – für Kinder „ab Geburt bis zum 18. Lebensjahr für jedes Kind einen Beitrag von 100 Euro pro Monat in einen Generationen-Pensionsfonds einzahlen, der das Geld renditeorientiert anlegt“. Das Geld sollen Kinder dann zusätzlich zur ihrer gesetzlichen Rente erhalten: als „Starterkit für die Altersvorsorge“ (vgl. dazu den Beitrag Rente: CSU will vierte Säule der Altersvorsorge vom 6. Januar 2020).
Wenn man die skizzierten Punkte in der Gesamtschau Revue passieren lässt, dann wird mehr als deutlich, dass es sich bei diesem „Konzept“ (übrigens eine zutiefst schmeichlerische Beschreibung für dieses Sammelsurium an unausgegorenen Gedankensplittern) um ein Kompromisspapier handelt, mit dem man die an sich unvereinbaren Positionen einer national-sozialen Rentenpolitik „für Deutsche“ mit den klassischen marktliberalen, im Fall des Parteivorsitzenden Meuthen sogar extremistischen Vorstellungen (denn er plädiert eigentlich für die „Abschaffung“ der umlagefinanzierten Rentenversicherung und dem Ersatz durch eine existenzminimale Grundsicherung) in einem Paket verschnürt. Offensichtlich ein Papier mit dem einzigen Ziel, einen vorläufigen Burgfrieden herzustellen und das Thema „abzuräumen“.
Und während der Höcke-Flügel anerkennen muss, dass wesentliche Bestandteile seiner ursprünglichen Rentenkonzeption geschreddert wurden, man aber an einzelnen Punkten dann immer wieder darauf hinweisen kann, dass das Gedankengut in den sieben Punkten hier und da eingebaut wurde bzw. man das so lesen könnte, verbleibt dem marktliberalen Flügel um Meuthen am Ende nur der Konjunktiv. Die Möglichkeitsform hat man in einen „Ausblick“ geschrieben und hinsichtlich der Leistungsversprechungen aufgehübscht – soweit, dass sich auch national-soziale Kräfte darauf im Prinzip beziehen könnten. Aber man sollte an dieser Stelle immer an die ursprünglichen sozialpolitischen Ideen von Meuthen denken, wie er sie auf dem Bundesparteitag 2018 in Augsburg vorgetragen hat (und mit der er auf Ablehnung gestoßen ist in der Partei): »Die durch Beiträge von Angestellten und Unternehmern finanzierte gesetzliche Rentenversicherung abschaffen und durch eine steuerfinanzierte Mindestrente ersetzen. Alles darüber hinaus sollte durch private Altersvorsorge finanziert werden«, so Robert D. Meyer in seinem Artikel Neoliberale Kümmerer. Im „Ausblick“ wird die Frage aufgerufen, ob ein Umlagesystem langfristig zukunftsfähig ist. Und dann kommt dieser Passus – auf den Meuthen sich zurückziehen könnte (neben dem Hinweis, im Leitantrag die schlimmsten Komponenten des anderen rentenpolitischen Flügels verhindert zu haben), man müsste dann nur später einige Stacheln ziehen, wie beispielsweise die Zielsetzung einer „deutlich über dem Niveau der Grundsicherung“ liegenden Grundrente:
»Eine steuerbasierte Altersvorsorge könnte die Vorteile haben, dass der Faktor Arbeit entlastet und durch Automatisierung und Digitalisierung entstandene Wertschöpfung in die Finanzierung einbezogen würde, sie bezöge alle Gesellschaftsschichten ein und bedürfte keiner eigenen Verwaltungsstruktur. Grundgedanke dieses steuerbasierten Systems ist, dass alle Steuerzahler auf der einen Seite die Altersversorgung der Rentnergeneration finanzieren und dadurch auf der anderen Seite Ansprüche auf eigene Leistungen im Alter aufbauen. Für Anspruchsberechtigte würde eine Grundrente gezahlt, die deutlich über dem Niveau der Grundsicherung zu liegen käme. Auf diese Weise würde die aktuell zu beobachtende Altersarmut weiter Bevölkerungsschichten in Zukunft verhindert.«
Aber bevor jetzt bei dem einen oder anderen die Gäule durchgehen, baut man gleich vor: »Ein derartiges System kann aber nur zusammen mit einer umfassenden Steuerreform realisiert werden, welche die unüberschaubaren Steuerarten und -ausnahmen durch ein einfaches Grundsystem mit wenigen Steuerarten und fast ohne Ausnahmetatbestände ersetzt. Die Alternative für Deutschland wird sich der Diskussion über eine weitergehende Steuer- und Rentenreform nicht verschließen.«
Eine „umfassende Steuerreform“ in Deutschland? Bevor das passiert, wird der Papst evangelisch. Bei so einem Ansinnen muss selbst der Konjunktiv kapitulieren.