Ein Hoffnungsschimmer für die Geringverdiener in der Rentenversicherung zwischen den Schützengräben der Rentendebatte? Zum Konzept einer Mindestbeitragsbemessungsgrundlage

Gegenwärtig scheint die deutsche Rentendiskussion erneut ihren Grundcharakter zu offenbaren: Ab in die Schützengräben für die einen, für die anderen heißt es versuchen, retten, was zu retten ist, um aus ihrer Sicht einen Schritt nach vorne zu kommen, auch wenn man dafür eine Menge Federn hergeben musste.

Für die letzte Fraktion steht stellvertretend das Konzept einer sogenannten „Grundrente“, das in nun mehrfach abgespeckter Form in dieser Woche im Bundeskabinett verabschiedet und auf den parlamentarischen Weg gebracht werden soll. Während die einen den ganzen Ansatz für falsch halten und dagegen wettern (dazu beispielsweise der frühere Vorsitzende des Sozialbeirats der Bundesregierung, Franz Ruland, unter der Überschrift Weil daran alles falsch ist. Stoppt die Grundrente!), versuchen die Befürworter trotz der offensichtlichen und teilweise hoch problematischen Ungereimtheiten des vorliegenden Konzepts darauf hinzuweisen, dass man vor dem Hintergrund, dass seit den Tagen von Ursula von der Leyen als Bundesarbeitsministerin in mehreren Legislaturperioden bislang erfolglos eine „Grundrente“ angestrebt wurde und man nun (natürlich mit Bauchschmerzen) lieber den dünnen Vogel in der Hand nehmen statt auf die Taube auf dem Dach starren sollte.

Und für die gleichzeitig beobachtbare Bewegung in die rentenpolitischen Schützengräben steht in diesen Tagen beispielhaft das Zerbröseln der von der Bundesregierung eingesetzten Rentenkommission „Verlässlicher Generationenvertrag“, wo offensichtlich der eine oder andere kurz vor dem Abgabetermin des Abschlussberichts die Nerven bzw. die Lust verloren hat (vgl. hierzu bereits den Beitrag Wenn der „Kommission Verlässlicher Generationenvertrag“ zur Alterssicherung ab 2025 die Verlässlichkeit eines Mitglieds abhanden kommt: „Erwarten Sie besser gar nichts“ vom 14. Februar 2020). Und auch Gregor Waschinski geht in seinem Artikel Die Rentenkommission steht vor dem Scheitern – und mit ihr die Rentenpolitik der GroKo zuerst auf das Ausscheren von Axel Börsch-Supan, Direktor des Max-Planck-Instituts für Sozialrecht und Sozialpolitik in München, ein: »Im Umfeld der Rentenkommission wird … (hart) mit Börsch-Supan ins Gericht gegangen. So ist in der Großen Koalition von der „Eitelkeit eines Professors“ die Rede, der wohl gehofft habe, er könne sich mit einer am akademischen Reißbrett entworfenen Rentenreform verewigen. Praktische Sozialpolitik laufe aber anders als das Verfassen wissenschaftlicher Aufsätze.« Aber was hätte man auch erwarten sollen? »Das „ganz große einstimmige Ergebnis“ sei von Anfang nicht zu erwarten gewesen, heißt es aus der Kommission. Eigentlich habe es sich um „fortgesetzte Koalitionsverhandlungen“ unter Einbeziehung von Wissenschaft und Sozialpartnern gehandelt.«

Und auch die begleitenden Stellungnahmen von der einen oder anderen Seite bestätigen den Eindruck, dass sich hier die üblichen „Lager“ gegenüberstehen. So weist Gregor Waschinski darauf hin, »dass SPD und DGB in der Kommission eine Erhöhung des Renteneintrittsalters zur roten Linie erklärt hätten. Für viele Sozialdemokraten und Gewerkschafter war schon die Rente mit 67 eine Zumutung.« Auf die Frage, ob Erwerbstätige angesichts des demografischen Wandels länger arbeiten müssen, kann diese Kommission nur die folgende Antwort geben: „Nach sorgfältiger Abwägung aller Fakten und Argumente kommt die Kommission zu dem Schluss, dass zum jetzigen Zeitpunkt über eine weitere Anhebung der Regelaltersgrenze noch nicht entschieden werden soll“, steht es angeblich in dem Beschlussentwurf. Die sich hier unmittelbar manifestierende Paralyse des Gremiums wird dann auch in dem folgenden „Lösungsvorschlag“ erkennbar: »Ein „fest installiertes Gremium“ solle sich aber „kontinuierlich und auch wirkmächtig“ mit der Frage der steigenden Lebenserwartung auseinandersetzen und Vorschläge zur weiteren Entwicklung des Renteneintrittsalters erarbeiten. Sollte dieser Beschlussentwurf am Ende im Abschlussbericht stehen, würde das im Klartext bedeuten: Die Rentenkommission schlägt vor, eine weitere Kommission einzusetzen, um die Frage der Lebensarbeitszeit zu klären.«

Und das Bild von den Schützengräben wird von Waschinskis Ausführungen weiter gefestigt: »Besonders vehement vertritt dem Vernehmen nach Annelie Buntenbach, scheidendes DGB-Bundesvorstandsmitglied, ihre Position in der Kommission. Im Januar legte sich der Gewerkschaftsbund bei einer Bundesvorstandskonferenz fest: „Eine Unterschreitung des Rentenniveaus von 48 Prozent lehnen wir ab, gleich in welcher Form dies vorgeschlagen wird – auch wenn das bedeuten sollte, dass die Rentenkommission keine konsentierte Empfehlung machen kann.“ Außerdem positionierte sich der DGB gegen die in der Kommission diskutierte Idee, eine zusätzliche betriebliche Altersversorgung verpflichtend zu machen. „Keiner der Vorschläge sieht eine Arbeitgeberbeteiligung vor, sondern lädt die Lasten auf der Arbeitnehmerseite ab“, so die Haltung der Gewerkschaft.«

Aber es gibt ja auch noch die „andere“ Seite: »Auch CDU und CSU haben ihre eigenen Vorstellungen, wie die Zukunft der Alterssicherung in Deutschland aussehen soll. In der vergangenen Woche wurde ein Papier einer Arbeitsgruppe der Union öffentlich, die parallel zur Rentenkommission über Reformvorschläge nachdachte. Demnach müssten die Deutschen grundsätzlich länger arbeiten, Betriebsrenten und private Vorsorge müssten ausgebaut werden.« Auch so ein Vorschlagsreigen überrascht den interessierten Beobachter der rentenpolitischen Debatte nicht wirklich. Die Überlegungen aus den Reihen der Union findet man in diesem Positionspapier einer „Fraktionsarbeitsgruppe zur Begleitung der Rentenkommission“.

Allerdings lohnt es sich, einmal genauer in das Positionspapier der Union zu schauen, denn bei aller Bestätigung der erwartbaren Positionen findet sich dort ein Punkt, der vor dem Hintergrund der zunehmenden Altersarmut bei einem Teil der Senioren sowie den krampfhaften Klimmzügen, die wir derzeit im Umfeld der „Grundrente“ erleben, aufhorchen lässt und den man so auch nicht unbedingt hier erwartet hätte:

Einführung einer Mindestbeitragsbemessungsgrundlage für Geringverdiener

Auf der Seite 4 des Positionspapiers findet man diese richtige Diagnose: »Die Rente spiegelt die Höhe der Beitragsleistung während der Erwerbsphase. Auch eine Beschäftigung zum Mindestlohn garantiert nach 40 Jahren noch keine Rente über dem durchschnittlichen Grundsicherungsniveau.« Und was folgt daraus? Eine Option wäre natürlich ein Mindestlohn, der in der Höhe mindestens auf dem Stundenlohnniveau liegt, mit dem man entsprechende Rentenanwartschaften erwirtschaften könnte. Es gibt aber auch noch einen anderen Ansatzpunkt:

»Um nach einem Erwerbsleben von 40 Jahren sicher eine Rente über dem durchschnittlichen Grundsicherungsniveau zu erhalten, müsste die Beitragsleistung bei Geringverdienern erhöht werden.«

Und wie stellt man sich das praktisch vor? In dem Positionspapier findet sich dieser Lösungsvorschlag:

»Eine Lösung wäre die Einführung einer arbeitgeberfinanzierten Mindestbeitragsbemessungsgrundlage auf Höhe von 80% der Bezugsgröße (2020 = 14,70 Euro pro Stunde). Grundlage ist die schon für Behinderte Menschen bestehende Regelung.
Bis zum tatsächlichen Entgelt zahlen demnach Arbeitnehmer und Arbeitgeber jeweils den normalen Beitrag in Höhe von 9,3% (jeweils 0,87 Euro pro Arbeitsstunde bei Mindestlohn von 9,35 Euro). Zwischen dem tatsächlichen Entgelt und der Mindestbeitragsbemessungsgrundlage zahlt der Arbeitgeber den vollen Rentenversicherungsbeitrag in Höhe von einem zusätzlichen Euro pro Arbeitsstunde (5,35 Euro Differenz zwischen Mindestlohn und Mindestbeitragsbemessungsgrundlage x 18,6% =1 Euro).
Damit würde der Beitrag bei einer Vollzeitbeschäftigung immer von einem Jahresentgelt von 80% der Bezugsgröße entrichtet (2020 = 30.576 Euro). Damit ergäbe sich nach 40 Jahren eine Rente von ca. 1.000 Euro.« (S.4, Hervorhebung nicht im Original)

Dieser Ansatz hätte mehrere Vorteile, so das Positionspapier aus der Unionsfraktion:

➞ Das Risiko späterer Altersarmut wird bereits in der Beitragsphase bekämpft.
➞ Die Beitragsäquivalenz bleibt erhalten.
➞ Dadurch erübrigen sich zukünftige Aufwertungen von Beiträgen durch die Grundrente. Durch die zukünftig höhere Beitragsleistung würde die Grundrente somit nur für Zeiten bis zur Einführung der Mindestbeitragsbemessungsgrundlage relevant und auslaufen.
➞ Durch das Umlagesystem gäbe es direkt Mehreinnahmen mit denen auch die Mehrkosten der Grundrente abgefedert werden.
➞ Regelung des Leistungsexports wären unproblematisch, da die Rente auf tatsächlicher Beitragsleistung beruht.
➞ Das individuelle Rentenniveau wäre für Geringverdiener weit höher, da die Rente im Verhältnis zum individuellen Durchschnittsverdienst höher ausfällt.

Zwischenfazit: Man muss diesen den einen oder anderen möglicherweise erst einmal irritierenden Vorschlag so lesen, dass damit zwei zentrale Stoßrichtungen verbunden sind:

➔ Zum einen geht es darum, den aktuellen Ansatz der „Grundrente“, der innerhalb der Union mehr als umstritten ist und wo lediglich eine zähneknirschende Zustimmung mit Blick auf den fragilen Zustand der GroKo zu erwarten sein wird, mit einem Ansatz zu beantworten, der aus der geplanten Regelung eine „auf Zeit“ macht, die durch diesen Ansatz dann wieder hinfällig werden würde.

➔ Auf den ersten Blick könnte man einwenden, dass man angesichts der „Wirtschaftsfreundlichkeit“ der Union nicht erwartet hätte, dass aus deren Reihen ein Vorschlag kommt, der explizit die Arbeitgeber und dann auch noch einseitig stärker belastet, denn die müssen ja in diesem Modell höhere Beiträge zahlen. Aber auch diese Irritation lässt sich schnell auflösen. In den Worten der Fraktionsarbeitsgruppe geht das dann so: »Als Nachteil würden Mehrkosten für Arbeitgeber im Niedriglohnsektor entstehen. Diese Mehrkosten würden jedoch geringer ausfallen, als wenn der Mindestlohn insgesamt angehoben würde. Des Weiteren könnten die Mehraufwendungen durch steuerliche Regelungen abgefedert werden.«

Man muss allerdings einschränkend darauf hinweisen, dass der hier präsentierte Ansatz offensichtlich keineswegs konsentiert ist, sondern eben einer, der von einer Arbeitsgruppe in die Diskussion geworfen wurde. So berichtet Gregor Waschinski speziell zu diesem Punkt: »Unionsfraktionsvize Hermann Gröhe, der für die CDU in der Rentenkommission sitzt, speiste dem Vernehmen nach einige der Ideen in die Beratungen ein. Dazu gehört der Vorschlag, dass Arbeitgeber für Geringverdiener höhere Rentenbeiträge zahlen sollen, um ihr Armutsrisiko im Alter zu mindern. Doch das Positionspapier der Unions-AG ist innerhalb der eigenen Parteien umstritten. So kann der Wirtschaftsflügel der Union einer einseitigen Anhebung der Arbeitgeberbeiträge wenig abgewinnen.«

Wo kommt das eigentlich her? Zurück ins Jahr 2014

Wie so oft im sozial- und anderen politischen Leben ist es nicht so, dass dieser Vorschlag 2020 vom Himmel gefallen ist, sondern man sich der Vor- und Ausarbeitungen anderer bedient. So offensichtlich auch in diesem Fall. Da ist es erhellend, sich diese Veröffentlichung aus dem Jahr 2014 anzuschauen:

➔ Johannes Steffen (2014): Plädoyer für eine Mindestbemessungsgrundlage für Rentenbeiträge auf Arbeitsentgelt, Bremen, Januar 2014

Damals hatten wir die Ausgangssituation, dass die Installierung eines gesetzlichen Mindestlohnes (ab 2015) Kernbestandteil des damaligen Koalitionsvertrages zwischen den Unionsparteien und der SPD war. Und es war bereits klar, dass dieser Mindestlohn keine Höhe erreichen würde, die innerhalb des bestehenden Rentensystems eine gesetzliche Rente ermöglichen kann, die oberhalb des Grundsicherungsniveaus liegen würde. »Die im schwarz-roten Koalitionsvertrag festgelegte Mindestlohnhöhe ist zu gering, um nach erwerbslebenslanger Pflichtmitgliedschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung eine Rente in Höhe des Existenzminimums zu erreichen«, so beginnt dann auch der damalige Text von Steffen.

Eine unbefriedigende Situation und vor diesem Hintergrund formulierte Steffen die folgende Zieldimension: »Es muss der Grundsatz gelten, dass bei Zugrundelegung einer standardisierten, erwerbslebenslangen Vollzeitbeschäftigung jede versicherte Arbeitsstunde für sich genommen einen adäquaten Vorsorgebeitrag zur Existenzabsicherung im Alter leistet – adäquat bedeutet konkret: Mindestens entsprechend dem erforderlichen Entgeltpunkte-Anteil einer Arbeitsstunde an der zur Existenzsicherung notwendigen Entgeltpunkte-Summe.«

Und im Kontext der damaligen (und heute übrigens erneut geführten) Debatte über die „notwendige“ Höhe der Lohnuntergrenze: »So, wie der (Stunden-) Lohn bei typisierender Betrachtung und vollzeitnaher Beschäftigung ausreichend hoch sein muss, um Alleinstehenden eine Lebensführung unabhängig von staatlichen Fürsorgeleistungen zu ermöglichen, so muss die Summe der nach dem Lohn bemessenen Rentenanwartschaften nach 45 Beitragsjahren ausreichend hoch sein, um – ebenfalls bei typisierender Betrachtung – eine Rente oberhalb des Existenzminimums zu gewährleisten. Wo der Lohn die erforderliche Höhe nicht erreicht, muss daher bei abhängiger Beschäftigung zwingend eine Mindestbemessungsgrundlage für Rentenbeiträge zum Zuge kommen, die dies rechnerisch gewährleisten kann.«

Warum das? Steffen dazu kompakt: »Die Rente selbst ist vorleistungsabhängig und gründet auf dem Prinzip der Teilhabeäquivalenz, also der Fortschreibung der durchschnittlichen relativen versicherten Entgeltposition während des Erwerbslebens in die Nacherwerbsphase. Eine das Existenzminimum sichernde Grund- oder Basisrente im Sinne eines von den Einkommens- und Vermögensverhältnissen unabhängigen Sockels, auf der das beitragsfinanzierte und äquivalenzorientierte Versicherungssystem aufsetzt, kennt das deutsche System sozialer Sicherung nicht.« Genau das ist eines der seit Jahren von vielen Seiten – gerade im internationalen Vergleich, siehe die Rentenberichte der OECD – immer wieder vorgetragene Kritik an der Ausgestaltung des deutschen Rentensystems.

Im Zusammenspiel mit der Tatsache, dass die Rentenversicherung als Pflichtversicherung für die Arbeitnehmer ausgestaltet ist, ergibt sich dieser Befund: »Wer vollzeitbeschäftigt und erwerbslebenslang der Rentenversicherungspflicht unterliegt, sollte daher auf eine (Netto-) Rente vertrauen können, die (deutlich) oberhalb des Existenzminimums angesiedelt ist. Ist dieses Ziel strukturell nicht (mehr) zu gewährleisten, gerät die Pflichtversicherung mehr und mehr in eine ernsthafte Legitimationskrise.«

Wie leitet Steffen nun seine Forderung nach einer Mindestbemessungsgrundlage für Rentenbeiträge ab? Er verweist zuerst einmal auf die damalige Mindestlohndebatte im engeren Sinne: »In der Debatte um einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn weist ein zentrales Argument zu Recht darauf hin, dass über aufstockende SGB-II-Leistungen staatlich subventioniertes Lohndumping verhindert werden muss. Als ein notwendiger – aber keineswegs hinreichender oder abschließender – Parameter für die Bestimmung einer angemessenen Mindestlohnhöhe gilt dabei der normative Anspruch, dass in Vollzeit beschäftigte Alleinstehende auf Basis des Mindestlohns ein monatliches Bruttoentgelt erzielen können müssen, dessen (Netto-) Höhe – bei typisierender Betrachtung – ausreicht, um die Leistungsberechtigung nach SGB II auszuschließen. Auf diesem Wege soll Geschäftsmodellen die Grundlage entzogen werden, die auf nicht existenzsichernden Löhnen basieren.«

Wenn man dieser Zielsetzung folgt, dann ist ein Transfer auf den Rentenbereich eigentlich zwingend: »45 Beitragsjahre in Vollzeitbeschäftigung (Standarderwerbsbiografie) müssen eine Nettorente gewährleisten, die mindestens auf Höhe des Existenzminimums liegt und die damit für Alleinstehende eine Aufstockung durch Leistungen nach SGB XII im Regelfall (und unter Status-quo-Bedingungen) ausschließt.«

Der konkrete Ansatzpunkt von Steffen ist die einzelne Arbeitsstunde: »Unabhängig vom bisherigen sowie vom völlig ungewissen ferneren Verlauf einer Versichertenbiografie muss jede einzelne Arbeitsstunde für sich betrachtet einen adäquaten Beitrag zur Existenzabsicherung im Alter leisten – adäquat bedeutet in diesem Zusammenhang konkret: Mindestens entsprechend dem erforderlichen Entgeltpunkte-Anteil einer Arbeitsstunde an der für die Existenzsicherung im referenzierten Kalenderjahr notwendigen Entgeltpunkte-Summe.« Und warum? »Kann dies nicht (mehr) gewährleistet werden, so werden Armutsrenten – die nicht umstandslos gleichzusetzen sind mit Altersarmut – zu einem systemischen Problem«, so Steffen. Hervorzuheben ist hier sein Hinweis, dass es um das Problem von Armutsrenten geht, die man aber nicht automatisch gleichsetzen kann und darf mit Altersarmut. Dazu ergänzend mein gleichfalls differenzierender Beitrag Die Untiefen der großen kleinen Zahlen: Von mickrigen Renten, einer falschen Gleichsetzung mit Altersarmut sowie zugleich deren beharrliche Leugnung vom 12. Juli 2018.

Und bereits in seinem 2014 veröffentlichten Text hat Steffen auf ein Problem hingewiesen, mit dem wir derzeit im Umfeld der vor der endgültigen Beschlussfassung stehenden „Grundrente“ stehen. Ausgehend von dem beschriebenen Problem, dass Armutsrenten aus den Konstruktionsprinzipien der als Pflichtversicherung ausgestalteten Rentenversicherung resultieren: »Versuche, dies dauerhaft nachträglich zu kompensieren, etwa im Wege einer im Koalitionsvertrag ebenfalls vorgesehenen »solidarischen Lebensleistungsrente«, sind untauglich und tragen zudem am Ende ihrerseits eher zum weiteren Akzeptanzverlust als zur Stärkung des Pflichtversicherungssystems bei.«

»Herstellen lässt sich die erforderliche strukturelle Kompatibilität zwischen Beitragsbemessungsgrundlage und normativer Vorgabe letztlich nur durch einen ausreichend hohen und allgemein gültigen Mindestlohn oder … ergänzend durch eine Mindestbemessungsgrundlage für Rentenbeiträge auf Arbeitsentgelt«, wenn eben die Höhe der Lohnuntergrenze unter dem Maß des für die Rente erforderlichen Niveaus liegt, was ja das Ausgangsproblem ist.

Steffen hat dann für das Jahr 2014 eine konkrete Berechnung vorgenommen, wie hoch die angesprochene Mindestbemessungsgrundlage für die Arbeitsstunde sein müsste, um eine existenzsichernde Nettorente, wohlgemerkt nach 45 Beitragsjahren bei Vollzeitbeschäftigung, erreichen zu können. Nach seinen Rechenschritten »ergibt dies eine Mindestbemessungsgrundlage pro Arbeitsstunde in Höhe von 10,89 Euro.« Wir erinnern uns: Zum 1. Januar 2015 wurde dann der gesetzliche Mindestlohn eingeführt – mit 8,50 Euro pro Stunde.

Interessant vor dem Hintergrund der aktuellen Vorschläge im Positionspapier aus der Unionsfraktion – auch Steffen hat sich bereits 2014 der Frage angenommen, wer denn die mit einer Mindestbeitragsbemessung verbundene zusätzliche Beitragslast tragen sollte. Seine damalige Schlussfolgerung findet man auch in dem aktuellen Positionspapier: »Hinsichtlich der Verteilung der Beitragslast wäre der auf den gezahlten Stundenlohn fällige Beitrag wie bisher paritätisch von den Versicherten und ihrem Arbeitgeber zu tragen. Der auf den Differenzbetrag zwischen Stundenlohn und Mindestbemessungsgrundlage fällige Beitrag wäre demgegenüber alleine vom Arbeitgeber zu entrichten (Aufstockungsbetrag).«

Allerdings muss man sich über einen Tatbestand im Klaren sein: »Ein vorsorgekompatibler Mindestlohn wie auch eine Mindestbemessungsgrundlage für Rentenbeiträge können ihre Wirkung auf die Rentenanwartschaft der davon erfassten Versicherten stets nur für die Zukunft entfalten. Niedriglöhne der Vergangenheit sind damit nicht mehr korrigierbar«, so Steffen 2014.

Und was ist mit den armen Schluckern, die Opfer ihrer rententechnisch schlechten Vergangenheit geworden sind bzw. werden? Auch hier hat Steffen eine wichtige Antwort geliefert: »Daher bleibt es … notwendig, zurückliegende Zeiten mit niedrigem Entgelt im Nachhinein für die Rente aufzuwerten; eine Verlängerung der gegenwärtig auf Zeiten vor 1992 begrenzten Regelungen zur sogenannten Rente nach Mindestentgeltpunkten bis zum Zeitpunkt der Einführung einer Vorsorgeuntergrenze bildet insofern die leistungsrechtliche Kehrseite der beiden Medaillen Mindestlohn und Mindestbemessungsgrundlage.«

Fazit

Es ist gut und richtig, dass der seit längerem diskutierte Ansatz einer möglichen Lösung des strukturellen Problems der Produktion von Armutsrenten innerhalb des bestehenden Systems nun von einer den einen oder anderen erst einmal überraschenden Seite aufgegriffen wurde. Und man sollte das nicht nur zu Kenntnis nehmen, sondern aktiv darüber diskutieren und die rententechnische Stoßrichtung unterstützen, denn man kann davon ausgehen, dass der Punkt „Einführung einer Mindestbeitragsbemessungsgrundlage für Geringverdiener“ der Aspekt in dem Positionspapier der Fraktionsarbeitsgruppe der Union ist, der innerhalb der Union am heftigsten umstritten ist und angegriffen wird, vor allem vom Wirtschaftsflügel der Partei.

Aber man muss zugleich die systembedingten Restriktionen des Lösungsvorschlags zur Kenntnis nehmen, die sich nicht vermeiden lassen, wenn man im bestehenden System operiert: Auch Steffen konzeptualisiert seinen Vorschlag vor dem Hintergrund des immer mitlaufenden Standardmodells der Erwerbsbiografie innerhalb des deutschen Rentensystems: Vollzeitarbeit sowie möglichst unterbrechungsfreie und mit Beitragszahlungen belegte 45 Jahre. Zugespitzt formuliert: Teilzeitarbeit beispielsweise (und die dann zu niedrigen oder selbst „normalen“ Stundenlöhnen) über längere Zeiträume können in der deutschen Rentenformel für sich genommen nicht adäquat abgebildet werden (adäquat hier im Sinne einer existenzsichernden Rente aus dem Pflichtsystem). Sie setzt ergänzende Einkommenszuflüsse im Alter aus anderen Quellen voraus, um die Existenzsicherung und mehr zu ermöglichen. Hier müsste man dann konsequenterweise über andere „Sockel“- oder „echte“ Grundrentenmodelle diskutieren und streiten.