Zwischen Gottes Lohn und „marktgerechter“ Vergütung: Was Hilfs- und Fachkräfte in der Pflege verdienen und warum die Altenpflege (auch) entgeltmäßig eine Großbaustelle werden muss

Die Unterschiede bei Löhnen und Arbeitszeiten zwischen den Regionen in Deutschland beinhalten immer auch ein gewisses Aufregerpotenzial. Das kann man bei solchen Meldungen mit den Händen greifen: »Auf dem deutschen Jobmarkt gibt es noch immer ein Ost-West-Gefälle. Beschäftigte in den neuen Bundesländern arbeiten mehr Stunden pro Jahr als in den alten – und verdienen deutlich weniger.« Das kann man in diesem Artikel nachlesen: Ostdeutsche arbeiten länger als Westdeutsche. Die Überschrift ist kurz und präzise ausgerichtet auf das offensichtlich nicht trügerische Gefühl, dass man im Osten unseres Landes abgehängt sei und weniger für mehr Arbeit bekommt. Die aktuelle Berichterstattung über die Unterschiede zwischen West und Ost wurde angestoßen durch die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Sabine Zimmermann von den Linken, die dann mit solchen Worten zitiert wird: Die Spaltung am Arbeitsmarkt halte auch mehr als ein Vierteljahrhundert nach der Wende an. „Die Bundesregierung hat sich offensichtlich mit einem Sonderarbeitsmarkt Ost abgefunden.“

Natürlich kann und muss man die präsentierten Daten differenziert betrachten und man kann einige der Unterschiede auch gut erklären. Beispielsweise mit Verweis auf die deutlich niedrigere Tarifbindung der Unternehmen und der Beschäftigten in Ostdeutschland – und Tariflöhne sind in der Regel eben höher als das, was auf der freien Wildbahn gezahlt wird.

In diesem Beitrag soll das gar nicht weiter vertieft werden. Der Tatbestand einer erheblichen Ost-West-Differenz spielt aber auch bei dem hier interessierenden Thema der Vergütungssituation in der Pflege eine gewichtige Rolle, wie wir gleich sehen werden.

»In der Altenpflege gibt es nach wie vor ein erhebliches regionales Lohngefälle. Das geht aus neuen Zahlen der Bundesagentur für Arbeit hervor«, kann man diesem Artikel entnehmen: Großes regionales Lohngefälle in der Altenpflege. Und dann wird man mit Zahlen versorgt: »Spitzenreiter beim mittleren Brutto-Monatslohn von Vollzeit-Pflegekraftkräften war im vergangenen Jahr Baden-Württemberg mit 3.036 Euro. In Sachsen-Anhalt lag der mittlere Lohn für diese Beschäftigten bei 2.136 Euro – so niedrig wie in keinem anderen Bundesland. Im bundesweiten Schnitt kamen Vollzeit-Fachkräfte in der Altenpflege im vergangenen Jahr auf 2.744 Euro brutto im Monat.«

Man lernt also schon mal aus diesen wenigen Zahlen, dass die Altenpflegefachkräfte in Sachsen-Anhalt fast 1.000 Euro pro Monat weniger verdienen als die im Ländle. Das ist – Preisunterschiede hin oder her – schon ein gewaltiges und mehr als begründungsbedürftiges Gefälle. „Es ist einfach nicht akzeptabel, dass es für die gleiche, qualifizierte Arbeit im regionalen Vergleich ganz erhebliche Lohnunterschiede gibt – und dabei reden wir auch, aber eben nicht nur über die sogenannten alten und neuen Bundesländer, sondern zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen bei Vollzeitkräften im Schnitt über fast 400 Euro mehr als in Niedersachsen“, wird Andreas Westerfellhaus, Pflegebevollmächtigter der Bundesregierung, in dem Artikel zitiert.

Aber der aufmerksame Leser wird noch bei einer anderen Zahl stutzig geworden sein: Im Schnitt kamen die Fachkräfte in der Altenpflege über alle Bundesländer hinweg mit einem Betrag von 2.744 Euro brutto im Monat auf einen Wert, der unter dem liegt, was der nun nicht mehr so ganz neue Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) wohlfeil als Zielmarke des Selbstverständlichen in den medialen Raum gestellt hat: 3.000 Euro im Monat sollten es schon sein. Davon nun sind sehr viele Fachkräfte in der Altenpflege meilenweit entfernt. Zu den Vergütungsrealitäten in der Pflege – zu der nicht nur die Altenpflege, sondern auch die Krankenhauspflege gehört – wurde hier bereits am 18. Januar 2018 ausführlich berichtet: Die konstanten Lohnfragen: Entgelte von Vollzeit-Pflegekräften, die Schere zwischen Alten- und Krankenpflege, die Unterschiede zwischen hier und da. Und die Frage: Was tun?

Aber wie immer im Leben lohnt hier ein genauerer Blick auf die Zahlen – aber auch, was sie aussagen können und was nicht. Der zitierte und andere Artikel beziehen sich auf den Entgeltatlas der Bundesagentur für Arbeit. Dazu sollte man folgendes wissen (vgl. die methodischen Hinweise der BA): Die Entgeltstatistik ist Bestandteil der Beschäftigungsstatistik und liefert ein differenziertes Bild über die sozialversicherungspflichtigen Bruttomonatsentgelte (inkl. Sonderzahlungen) der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Die Entgeltinformationen stammen aus den Arbeitgebermeldungen zur Sozialversicherung. Es handelt sich um eine Vollerhebung dieser Beschäftigten in Deutschland.
Die Bruttomonatsentgelte werden als Medianwerte ausgewiesen: Die Hälfte der Beschäftigten erzielt ein geringeres Entgelt als der Medianwert, die andere Hälfte ein höheres Entgelt. Der Median ist – anders als das arithmetische Mittel – gegenüber sogenannten Ausreißern robust, also gegenüber Werten, die extrem von anderen Werten abweichen. Vertiefende Hinweise findet man auch in dieser Publikation: Statistik der Bundesagentur für Arbeit (2016): Bruttomonatsentgelte von Beschäftigten nach der Revision 2014, Nürnberg 2016.

Werfen wir einen Blick auf die neuesten Zahlen aus der Entgeltstatistik – bezogen auf die Altenpflege und zugleich das Problem der regionalen Unterschiede aufgreifend:

Man kann an der Tabelle die enorme Varianz der mittleren Monatseinkommen schon auf der Ebene der Bundesländer erkennen. Hinzu kommt die Streuung der realen Vergütungen innerhalb der Bundesländer nach Regionen und selbst dort zwischen verschiedenen Pflegeheimen und Pflegediensten. In der Tabelle sind nicht nur die Pflegefachkräfte, sondern auch die Pflegehelfer/innen mit ihren Monatseinkommen ausgewiesen. Die Bedeutung der regionalen Unterschiede wird bei genauerem Hinsehen auch daran erkennbar, dass das mittlere Arbeitsentgelt für Pflegehelfer in Nordrhein-Westfalen, Hamburg und Saarland über dem liegt, was für eine examinierte Pflegefachkraft in Sachsen-Anhalt ausgewiesen wird.

Wenn man nun weiß, dass der am Median gemessene mittlere Bruttoverdienst für Pflegefachkräfte über alle Bundesländer hinweg bei 2.744 Euro pro Monat bei einer Vollzeitbeschäftigung liegt (und wohlgemerkt alle Zulagen einberechnet sind in diesen Wert), dann stellt sich natürlich die Frage, ob das nun wenig, geht so oder gar viel ist. Zur Beantwortung dieser Frage brauchen wir eine Vergleichsgröße. Oder zwei. Also einmal das mittlere Bruttomonatsentgelt aller sozialversicherungspflichtig beschäftigten Arbeitnehmer und zum anderen kann man die Fachkräfte aus der Altenpflege vergleichen mit denen aus der Gesundheits- und Krankenpflege, die überwiegend in den Krankenhäusern tätig sind. Wenn man das macht, dann zeigt sich das folgende Bild:

Hier nun wird eine doppelte Problematik der Altenpflege sichtbar: Zum einen liegen die mittleren Bruttoarbeitsentgelte in diesem Bereich deutlich unter dem aller Beschäftigten und zugleich gibt es seit Jahren ein erhebliches strukturelles Gefälle zwischen der Gesundheit- und Krankenpflege auf der einen und der Altenpflege auf der anderen Seite. Der Vergütungsabstand liegt konstant bei 20 Prozent. Also 20 Prozent weniger für die in der Altenpflege beschäftigten Fachkräfte.

Nun haben wir schon seit langem eine intensive Diskussion über den Pflegenotstand – und seit dem vergangenen Jahr hat die Zahl an Artikel, Fernsehbeiträgen und anderen Medienformaten, die sich mit den teilweise katastrophalen Zuständen in der Pflege beschäftigen (sowohl in den Krankenhäusern wie auch den Pflegeheimen und -diensten), wobei seit geraumer Zeit vor allem über das fehlende Personal in der Pflege berichtet und diskutiert wird. Nun wird an dieser Stelle immer wieder gerne eingeworfen, dass wenn es einen solchen Fachkräftemangel geben würde, dann müssten doch nach allen Gesetzen der Ökonomie eben die Preise für das Arbeitsangebot steigen, mithin die Löhne für die Pflegekräfte. Dass das in der Realität gar nicht so einfach ist, hat durchaus erklärungsfähige Gründe, die vor allem in den besonderen Strukturen und Prozessen begründet liegen, die sich in der Altenpflege erheblich unterscheiden von dem, was in anderen, „normalen“ Branchen abläuft (vgl. ausführlicher dazu den Beitrag Der sich ausbreitende Mangel an Pflegekräften, die besondere Problematik eines doppelten Mangels in der Altenpflege und ein lösungsorientierter Blick auf die Arbeitsbedingungen vom 19. Januar 2018).

Aber wie sieht es in der Vergütungswirklichkeit aus? Zumindest auf der Grundlage der Entgeltstatistik kann man die Entwicklung der vergangenen Jahre nachzeichnen (die Daten dazu wurden von der Statistik der Bundesagentur zur Verfügung gestellt).

Diese Entwicklung der Verdienste für alle sozialversicherungspflichtig Arbeitnehmer sowie die der Kranken- und Altenpflegefachkräfte kann man auch mit Blick auf die Dynamik der vergangenen Jahre so darstellen:

(Erst) seit 2016 liegt der Anstieg der mittleren Bruttomonatsverdienste der Altenpflegefachkräfte über dem aller Arbeitnehmer, aber auch über dem in der Gesundheits- und Krankenpflege. Insofern kann man also schon sagen, dass „der Markt“ zu reagieren versucht, wobei der Startpunkt für die Altenpflege natürlich auch ein sehr tiefer war (und das Niveau immer noch deutlich unterdurchschnittlich ist).

Dennoch bleiben das unterdurchschnittliche Niveau der Verdienste in der Altenpflege und der erhebliche Abstand zu den Vergütungen, die in der Gesundheits- und Krankenpflege realisiert werden. Vor diesem Hintergrund erscheinen dann auch die Äußerungen aus den Reihen der privaten Betreiber von Pflegeheimen und -diensten besonders zynisch: Der Arbeitgeberverband Pflege (AGVP) widersprach den verbreiteten Klagen einer Vielzahl von Pflegeberufsverbänden über mangelnde Wertschätzung und schlechte Arbeitsbedingungen insbesondere in der Altenpflege, so dieser Beitrag: Arbeitgeberverband: „Pflegeberuf ist schon heute attraktiv“. Die Beschäftigung nimmt stetig zu und die Bezahlung der Pflegekräfte sei in Ordnung. Und die eigentlich Stoßrichtung der Intervention kann man dem folgenden Passus entnehmen: »Einen flächendeckenden Tarifvertrag lehnt Verbandspräsident Thomas Greiner ab. Wichtig sei aber eine Absicherung nach unten. Dazu müsse die Pflegemindestlohnkommission, die der ehemalige Bundesarbeitsminister Olaf Scholz ins Leben gerufen hatte, ihre Arbeit wieder aufnehmen.« Klar, die privaten Pflege-Arbeitgeber wehren sich mit Händen und Füßen gegen eine tarifvertragliche Strukturierung der Altenpflege und der damit verbundenen Vergütungsbedingungen.

Und noch deutlich die Überschrift im Deutschen Ärzteblatt: Arbeitgeber sehen bei Altenpflegelöhnen keinen Handlungsbedarf, dem man zugleich die zweite strategische Stoßrichtung der privaten Altenheimbetreiber entnehmen kann, diesmal vom bpa Arbeitgeberverband vorgetragen: »Angesichts einer positiven Gehaltsentwicklung im Altenpflegebereich hat der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa) die Diskussion um höhere Löhne als „Debatte aus der politischen Mottenkiste“ kritisiert und stattdessen bessere Rahmenbedingungen für den Einsatz in- und ausländischer Arbeitskräfte gefordert.« Und weiter: »Vor diesem Hintergrund plädierte Brüderle dafür, ein unbürokratisches Einwanderungsgesetz zu verabschieden, damit die Unternehmer in der Altenpflege, künftig mehr Fachkräfte aus dem Ausland gewinnen können.«

Aus der Perspektive der Arbeitgeber sicher verständlich, diese Hoffnung auf eine Lösung der Personalprobleme von außen. Allerdings wird das aus ganz unterschiedlichen Gründen so nicht funktionieren, aber gerade wenn man Arbeitskräfte aus fernen Ländern importiert, dann müssen die Rahmenbedingungen des Arbeitens so gestaltet werden, dass die Löhne in der Altenpflege endlich wieder die Signalfunktion ausüben können, die dringend erforderlich wäre angesichts der täglich größer werdenden Personallücken – vor allem mit Blick auf eine dringend notwendige Attraktivitätssteigerung der Pflegeberufe, vor allem der Altenpflege, die ja, das sollte man nicht vergessen, auch aufgrund des medialen Bildes immer stärker als ein Berufsfeld wahrgenommen wird, das man eher meiden sollte.

Vor dem Hintergrund des beschriebenen doppelten Problems der Altenpflege müsste eigentlich mindestens Schneisen in den Wald geschlagen werden und das idealerweise parallel:

➔ Zum einen brauchen wir angesichts des sehr niedrigen Grades an Tarifbindung in Verbindung mit einer beklagenswert niedrigen Organisationsquote der Beschäftigten in diesem Bereich in der Gewerkschaft einen flächendeckenden Tarifvertrag, der für alle Heime und Dienste Anwendung finden muss, auch wenn die Arbeitgeber nicht im Arbeitgeberverband und nicht-tarifgebunden sind. Das will die Bundesregierung auch – kann aber bislang (noch) kein schlüssiges Konzept vorlegen, wie man das auch rechtlich sauber hinbekommt.

➔ Aber selbst wenn man dann beispielsweise über die Instrumentalisierung des Arbeitnehmerentsendegesetzes eine Allgemeinverbindlicherklärung hinbekommen sollte, stellt sich zum anderen die zweite, parallel laufende Aufgabe, dass man die Löhne in der Altenpflege mit einem oder einigen wenigen kurzfristigen Schritten deutlich anheben müsste. So wäre eine anzustrebende Zielgröße die Beseitigung der offensichtlichen Unterschiede von gut 20 Prozent zwischen Fachkräften aus der Altenpflege und den Pflegekräften im Krankenhausbereich. Angesichts der vielen Beschäftigten in diesem Feld wären damit ganz erhebliche Mehrkosten für die Heimbetreiber verbunden, so dass man eine tatsächliche Umsetzung dieser so wichtigen Forderung eher abbuchen muss unter dem Stichwort „Gut gemeinte, aber nicht realisierbare Versprechungen, jedenfalls kurzfristig“.

➔ Und schlussendlich sollte man nicht vergessen, dass die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Altenpflege nicht nur mit mehr Geld für die Pflegekräfte erreicht werden kann, sondern die Aufgabe einer Verbesserung der Personalbesetzung über die Einführung von mittel- und langfristig verbindlichen Personalschlüsseln, die deutlich über den heutigen skelettösen Verhältnissen liegen, wird als eine ganz zentrale gerade von den betroffenen Pflegekräften selbst bezeichnet. Das aber würde nicht nur a) einen noch höheren Personalbedarf generieren und b) weitere erhebliche Mehrkosten zur Folge haben.

Im Zusammenspiel dieser drei eigentlich zu leistenden Aufgaben darf ein Aspekt abschließend nicht fehlen: Selbst wenn man sich auf die beiden hier skizzierten Schneisen fokussieren und diese entgegen aller Widrigkeiten auch umsetzen würde, stellt sich die Frage, wer denn die damit verbundene Rechnung bezahlen soll/muss. In diesem Blog wurde mehrfach über die im bestehenden System zwingende Logik einer Finanzierung über die Betroffenen berichtet. Die Bewohner der Heime haben dann über den Eigenanteil die meisten Kostenanstiege ausschließlich allein zu tragen. Wenn man dieses Faß aufzumachen gedenkt (und daran geht kein Weg vorbei, um die angesprochenen Verbesserungen erreichen zu können), dann muss man über ein neues System der Pflegefinanzierung mit einer anderen Lastenverteilung als heute streiten.