Derzeit überschlagen sich die Berichte in den deutschen Medien über die Situation der Altenpflege. Immer offensichtlicher wird auch für die außenstehenden Beobachter der Szenerie, was Pflegenotstand bedeutet. Und zunehmend skandalös wirkt die Kleinteiligkeit der angekündigten Maßnahmen der sich konstituierenden neuen Großen Koalition in diesem Bereich – dass man die Dramatik der Situation einfach noch nicht wirklich begriffen hat, mag als „nette“ Erklärung für die Handlungsschwäche serviert werden. Und schaut man in die sozialen Netzwerke, dann wird man mit immer aggressiver bzw. frustrierter daherkommenden Wortmeldungen seitens der betroffenen Pflegekräfte konfrontiert, die sich hinter Hashtags wie #pflexit über ihre Flucht aus dem Arbeitsfeld austauschen. Und immer wieder und fast schon beschwörend werden Beiträge auch mit #pflegestreik hinterlegt. Aber ein Streik, geschweige denn ein großer Pflegestreik, ist derzeit in Deutschland nicht in Sicht.
»Einmal im Monat duschen, keine Hilfe beim Toilettengang, schlechtes Essen und überfordertes, weil zu knappes Personal« – eine solche Zustandsbeschreibung aus der Altenpflege wird aber auch aus einem Nachbarland berichtet: Frankreich. „Der Verdruss nimmt seit Jahren zu, jetzt aber steht das System am Ende seiner Belastbarkeit“. Mit diesen Worten wird der Präsident der Heimdirektoren, Pascal Champvert, in dem Figaro-Artikel Aide aux personnes âgées: «Le système est à bout» zitiert. Aber: In Frankreich sind am Dienstag die Mitarbeiter der Pflegeheime in einen 24 Stunden dauernden Streik getreten, um auf ihre Nöte aufmerksam zu machen. Erstmals ziehen alle sieben Gewerkschaften (CGT, CFDT, FO, UNSA, CFTC, CFE-CGC et SUD) sowie die Direktoren der Heime – Association des directeurs au service des personnes âgées (AD-PA) – und verschiedene Wohlfahrtseinrichtungen an einem Strang. Darüber berichtet der Artikel „Einmal duschen im Monat“, der in der FAZ vom 31.01.2018 veröffentlicht wurde. Zu dieser auf den ersten Blick überraschenden Koalition vgl. auch den Artikel Personnels et directeurs d’Ehpad unis pour une mobilisation inédite der französischen Tageszeitung Le Monde.
Was ist los in unserem Nachbarland? Dazu kann man dem FAZ-Artikel einige Hintergrundinformationen entnehmen: »7.400 Pflegeheime gibt es in Frankreich. In der Regel entsprechen sie … den klassischen Altersheimen, in die Menschen in hohem Alter und gebrechlichem Zustand einziehen.« Überall in Frankreich wird über fehlende Finanzmittel für die Altenpflege geklagt.
Hinsichtlich der Struktur der Heimbetreiber gibt es einen wichtigen Unterschied zu Deutschland: »In Frankreich gibt es zwar mehr staatliche Häuser, aber auch große private Anbieter, die international expandieren. Der Marktführer Orpea ist an der Börse mehr als 6 Milliarden Euro wert, die Nummer zwei Korian mehr als 2 Milliarden Euro.« Wobei genau diese international aufgestellten Konzerne mittlerweile auch in Deutschland kräftig expandieren. Dazu die beiden Beträge Bei den einen zu wenig, von dem anderen eine Menge. Die Altenpflege und das Kapital vom 3. November 2017 sowie Pflege-Business mit neuen Rekordmeldungen: Mit 1,1 Milliarden Euro kauft ein Private Equity-Investor einen Pflegeheimbetreiber vom 15. Dezember 2017.
Vor dem Hintergrund des besonderen Gewichts der großen privaten Anbieter in Frankreich müssen dann auch aktuelle Regierungspläne kritisch gesehen werden, nach denen die staatlichen Zuschüsse an den öffentlichen und den privaten Heimsektor bis 2023 angeglichen werden sollen, was eine Umverteilung zugunsten der Privatwirtschaft zur Folge haben wird.
Der frühere Präsident Nicolas Sarkozy hatte einst die Einführung einer staatlichen Pflegeversicherung versprochen – daraus ist bis heute aber nichts geworden. In Deutschland werden dabei mehr pflegebedürftige Menschen zu Hause versorgt als in Frankreich. Die Zahl der Heime und ihre Personalausstattung gelten dennoch als vergleichbar. Allerdings entspricht das französische Modell eher einer „Hospitalisierung im hohen Alter“, heißt es in dem FAZ-Artikel mit Bezug auf Aussagen privater Pflegeheimbetreiber.
Wie dem auch sei, die Pflegekräfte in Frankreich haben offensichtlich in der Altenpflege sehr vergleichbare Probleme wie die in Deutschland. Der 24-Stunden-Streik war ein erster Aufschlag gegen die Tatsache, dass das System am Ende ist. Zumindest die Medien berichteten umfassend in Frankreich über die Zustände und das setzt die Regierung unter Druck. Wir werden in Deutschland noch weiter warten müssen, ob und wann es auch hier bei uns zu einer vergleichbaren Aktion kommen wird. Gründe dafür gibt es genug.