Kinder der Krise. Millennials sind rund 40 Prozent ärmer als ihre Eltern. „Nur“ in den USA?

Wir gehören alle zu einer bestimmten Generation. Auch wenn die Abgrenzung ein naturgemäß schwieriges Unterfangen ist, so ist man doch immer wieder konfrontiert worden mit den „Baby Boomern“ (geboren zwischen 1946 and 1964, also in den USA, in Deutschland verschiebt sich das dann schon ein wenig) oder die „Generation X“ (geboren zwischen 1965 and 1980). Und die nach 1980 Geborenen werden als „Millennials“ bezeichnet – zuweilen und gerade bei uns auch als „Generation Y“ bekannt. Mit dieser Typologie arbeiten beispielsweise Lisa Dettling and Joanne W. Hsu in ihrem Artikel Playing Catch-up, der in der Zeitschrift „Finance & Development“, die vom Internationalen Währungsfonds herausgegeben wird. Dettling und Hsu beschäftigen sich mit diesem Thema: »Millennials began to enter the workforce during the most severe global economic crisis since the Great Depression, and their present and future economic decisions will be shaped by the historic upheaval in housing, financial, and labor markets they faced at the onset of adulthood. Millennials must also contend with other emerging issues critical to their prospects of building wealth, such as the rapidly escalating cost of higher education and uncertain retirement income.« Und sie kommen zu interessanten Ergebnissen.

Sie untersuchen die Auswirkungen unterschiedlicher Muster der makroökonomischen Bedingungen, die beim Einstieg in das Erwerbsleben gegeben waren, auf die finanzielle Situation typischer Haushalte in den verschiedenen Generationen. Datentechnisch beziehen sie sich auf den Survey of Consumer Finances, einer repräsentativen Untersuchung des amerikanischen Notenbank Fed. Die Daten beziehen sich also auf US-amerikanische Haushalte.

Einer der wichtigsten Befunde der Studie von Dettling und Hsu, der auch in der Abbildung am Anfang dieses Beitrags erkennbar wird: » Between ages 25 and 34, the typical millennial’s net worth was about 60 percent that of the typical baby boomer at the same age. And although baby boomers and Gen Xers looked similar in young adulthood, Gen Xers are currently faring worse than their baby boomer counterparts at the same age, due in part to the Great Recession.«

Die Studie wurde auch in diesem Artikel aufgegriffen: Kinder der Krise: Millennials sind rund 40 Prozent ärmer als ihre Eltern. »Laut IWF-Berechnungen profitierten frühere Generationen in den Industrieländern von einem wesentlich besseren gesamtwirtschaftlichen Umfeld. Auch wenn die Wirtschaftskrise überstanden scheint, bleibt das Wachstum doch weit hinter den Raten vergangener Jahrzehnte zurück … Zwar sinkt die Arbeitslosigkeit. Doch die Lohnentwicklung bleibt überraschend schwach.«

»Im Durchschnitt hat die Generation Y in den entwickelten Ökonomien ein 40 Prozent geringeres Vermögen als die Baby Boomer oder die Generation X zu ihrer Zeit, errechnet der IWF. Ein Grund dafür sei, dass die jungen Menschen heute seltener Immobilien erwerben können als früher.

Gleichzeitig kommen auf sie höhere Kosten für Bildung zu, insbesondere in Ländern wie den Vereinigten Staaten. Als Folge „starten Millennials ihr Berufsleben mit wesentlich höheren Schulden als junge Erwachsene früherer Generationen“, stellt der IWF fest. Das verschärft ein weiteres Problem der Jungen: die Sicherung des Alters. „Die Renten-Landschaft hat sich dramatisch geändert, seit die in den Sechzigern Geborenen ihr Berufsleben begannen“, so der Fonds. Die meisten Staaten hätten die Rentenleistungen gekürzt. Folge: drohende Altersarmut.«

Man muss an dieser Stelle allerdings anmerken, dass genau genommen die Werte, die da zitiert werden mit Bezug auf die Studie von Dettling/Hsu, erst einmal „nur“ für die USA gelten und deshalb nicht eins zu eins übertragen werden können beispielsweise auf Deutschland – das kann man nachvollziehen, wenn man die Bedeutung steigender Ausbildungskosten für die jüngere Generation betrachtet, die in den USA den rapide gestiegenen Studiengebühren geschuldet sind, die es so in dieser Form nicht gibt. Andere Aspekte sind aber sicher gut übertragbar, so beispielsweise die Tatsache, dass es für die jüngere Generation heute wesentlich schwerer ist als für die Vorgänger, Wohneigentum zu erwerben.

Wie immer hängt eine Menge an der Arbeitsmarktentwicklung. Und mit Blick auf den Arbeitsmarkt der vor uns liegenden Jahre heben auch die IWF-Autoren die Dramatik hervor. Dazu beispielsweise der Beitrag von Arun Sundararajan: The Future of Work: »The digital economy will sharply erode the traditional employer-employee relationship.« Um Arbeitsplätze zu verbilligen und zu automatisieren, zerlegen die Unternehmen Vollzeitjobs in einzelne Aufgaben und Projekte. Das Arbeitsleben wird zersplittert. Vorbei die Zeiten, in denen man jahrelang zu festen Zeiten für das gleiche Unternehmen arbeitete. „Die Macht der Gewerkschaften wird schwinden“, prophezeit Sudararajan. Das Problem dabei sei, dass das System der sozialen Sicherung meist noch auf Vollzeitjobs basiere: Mindestlöhne, bezahlter Urlaub, Rente, Krankenversicherung. Dieses System gerät aus den Fugen. „Die Herausforderungen für die Millennial-Arbeitnehmer sind recht beängstigend“, so Sudararajan.

Das hat auch Auswirkungen in Deutschland, wo die Wirtschaft deutlich besser läuft als in vielen anderen Ländern und die Arbeitsmarktlage deutlich entspannter geworden ist aufgrund der demografischen Entwicklung. Dennoch: Nur einer von drei Millennials blickt zuversichtlich in die Zukunft, meint eine Umfrage der Unternehmensberatung Deloitte gefunden zu haben. Nur jeder achte glaube, ihm werde es finanziell besser gehen als den Eltern. Vgl. dazu Deloitte Millennial Survey 2017.

Abzüglich des zu berücksichtigenden „typisch deutschen“ Grundpessimismus wird es nicht verkehrt sein, anzunehmen, dass die Entwicklung so weitergeht.

Das hat auch Folgen für die politische Haltung eines Teils der jungen Generation, folgt man diesen Ausführungen: »Laut Deloitte wünscht sich immerhin ein Drittel der deutsche Millennials einen radikalen Wandel der Gesellschaft. In Großbritannien, den USA und Frankreich wenden sich die jungen Menschen den „alten Sozialisten“ zu. „Das Manifest der britischen Labour-Partei wurde von der Presse als ‚Rückschritt in die 70er Jahre’ bezeichnet“, schreibt die 29jährige Sarah L. June in der New York Times. „Für einige mag das wie eine Bedrohung geklungen haben, aber für viele junge Menschen ist es ein Versprechen.“

Abb.: IMF (2017), Amassing wealth

Soziale Ungleichheit bei der Wahlbeteiligung – und durch die Wahlen? Eine sozialpolitische Herausforderung

Die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen liegt hinter uns und hat ein Erdbeben in der Politik ausgelöst. Die Sozialdemokratie habe ihre „Herzkammer“ verloren, wenn man der blumigen Terminologie folgen will. Und die dritte Wahlniederlage der SPD in Folge seit der Inthronisation des Kanzlerkandidaten Martin Schulz hat den offensichtlich mehr als lädiert. Die Umfragewerte für die SPD gehen nach unten und die für die Union nach oben. In einem Abwasch wird dann auch gleich behauptet, auf das Thema soziale Gerechtigkeit zu setzen, zahle sich nicht aus, das könne man ja jetzt sehen, weil es die Leute gar nicht interessiert, denn es gehe ihnen gut. Interessanterweise zeigt allerdings eine Analyse der Themen, die für die Wähler wahlentscheidend waren, dass in NRW mit 46 Prozent auf Platz 1 die „Soziale Gerechtigkeit“ stand, so infratest dimap, wie Philipp Seibt in seinem Artikel Drei Lehren für das große Finale berichtet. Was daraus dann hinsichtlich der konkreten Wahlentscheidung folgt und wie das mit den anderen Themen gewichtet wird, darüber kann man sicher lange streiten.

Aber nicht bestreiten lässt sich diese Diagnose: »Die wachsende Kluft zwischen armen und reichen Stadtvierteln zeigt sich immer deutlicher auch in der Wahlbeteiligung. Während in den sozialen Brennpunkten der Städte in Nordrhein-Westfalen Wahlmüdigkeit und Demokratieverdrossenheit wachsen, kommt es in den besseren Vierteln zu „einer Art bürgerlicher Gegenmobilisierung“, ergab eine Studie der Bertelsmann Stiftung. Damit verschärft sich ein besorgniserregender Trend der vergangenen Jahre. 

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EU-Kommission blickt kritisch auf die Armuts- und Ungleichheitsentwicklung in Deutschland

Die Europäische Kommission hält der Bundesregierung schwere Versäumnisse bei der Bekämpfung der sozialen Not in Deutschland vor. So Markus Sievers in seinem Artikel EU prangert Armut in Deutschland an. Er bezieht sich dabei auf einen in der hiesigen Debatte nur wenig rezipierten Bericht der EU-Kommission:

Europäische Kommission (2017): Länderbericht Deutschland 2017 mit eingehender Überprüfung der Vermeidung und Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte, Brüssel, 22.02.2017

Wörtlich schreibt die Brüsseler Behörde in ihrem aktuellen Länderbericht: „Im Zeitraum 2008 bis 2014 hat die deutsche Politik im hohem Maße zur Vergrößerung der Armut beigetragen.“ Wie kann das sein? Markus Sievers fasst die Argumentation der Kommission dahingehend zusammen, »dass bedarfsabhängige Leistungen „real und im Verhältnis zur Einkommensentwicklung gesunken sind“. Damit sind zwei Fehlleistungen angesprochen, die sich die Bundesregierung nach dem Befund der Kommission vorwerfen lassen muss. Erstens erhöhte sie die Unterstützung etwa für Hartz IV-Bezieher, Wohngeld-Empfänger oder BaföG-Berechtigte nicht einmal in dem Maß, um für die Betroffenen die Kaufkraftverluste durch die Preissteigerung auszugleichen. Zweitens ignorierte sie den  Wohlstandsanstieg in weiten Teilen der Bevölkerung, von dem die Menschen am unteren Ende der Einkommensskala abgekoppelt wurden.«

Im Länderbericht Deutschland 2017 der Kommission findet man diese Ausführungen:

»Trotz der insgesamt positiven Wirtschafts- und Arbeitsmarktentwicklungen der vergangenen Jahre haben die Einkommensunterschiede zugenommen und schwächen sich erst seit Kurzem wieder ab, während die Vermögensungleichverteilung nach wie vor eine der größten im Euroraum ist.« (S. 7)

Woran macht die Kommission das fest?

»Bedingt durch ungünstige Entwicklungen am Arbeitsmarkt und das zunehmende Gewicht von Kapitaleinkünften im Vergleich zu Arbeitseinkommen wuchs die anhand des S80 /S20-Indikators* bestimmte Einkommensungleichverteilung bis 2007 auf 4,8 an. 2012 ging sie auf 4,3 zurück und stieg 2014 erneut auf 5,1. Wenngleich sie nach wie vor knapp unter dem EU-Durchschnitt liegt, war dies doch der höchste jemals erfasste Wert. Das gleiche Muster gilt auch für den GINI-Index.« (S. 7)
* Der S80/S20-Indikator – oder Einkommensquintilverhältnis – misst das verfügbare Äquivalenzeinkommen der reichsten 20 % der Haushalte im Verhältnis zu den ärmsten 20 %. 2015 lag der EU- Durchschnitt bei 5,2, d. h. das Einkommen des reichsten Fünftels der Haushalte lag 5,2-fach über dem Einkommen des ärmsten Fünftels.

Aber der Arbeitsmarkt brummt doch, die Beschäftigung erreicht immer neue Höchststände? Immer wieder hören und lesen wir vom „Jobwunder“ in Deutschland. Ja, aber … Mit dem „der“ Arbeitsmarkt ist das so eine Sache:

»Im relativ großen Niedriglohnsektor wurden neue Beschäftigungsmöglichkeiten geschaffen, was die Einkommensungleichverteilung und die Armut trotz Erwerbstätigkeit aber eher verschärft. Auch die durch die relativ starke Korrelation zwischen sozioökonomischem Hintergrund und Bildungsabschluss bedingten geringen Aufstiegschancen tragen weiter zu dieser Ungleichverteilung bei.«

Und die (mögliche) Umverteilungspolitik in Deutschland bekommt keine guten Noten:

»Auch haben die Umverteilungsmaßnahmen, die Ungleichverteilung und Armut entgegenwirken sollen, an Wirksamkeit eingebüßt. Im Zeitraum 2008-2014 hat die deutsche Politik in hohem Maße zur Vergrößerung der Armut beigetragen, was auf die Tatsache zurückzuführen ist, dass die bedarfsabhängigen Leistungen real und im Verhältnis zur Einkommensentwicklung gesunken sind … Eine Reihe früherer Änderungen bei Steuern und Sozialabgaben könnten ebenfalls zu einem Teil für die nachlassende Wirksamkeit der Umverteilungsmaßnahmen verantwortlich sein. Die Abschaffung der Vermögenssteuer im Jahr 1997, die Absenkung des Einkommensteuerspitzensatzes von 53 % im Jahr 2000 auf 42% im Jahr 2004, die pauschale Besteuerung von Kapitalerträgen seit 2009 und die Anhebungen der Sozialversicherungsbeiträge seit Anfang der 1990er Jahre haben dazu beigetragen, den progressiven Charakter des Steuersystems zu verringern, und die Einkommensunterschiede möglicherweise zu erhöhen.« (S. 7)

Die Ausführungen der EU-Kommission in ihrem Länderbericht Deutschland 2017 sind eine wichtige Ergänzung zu dem, was uns in den kommenden Woche (wieder) droht, wenn die Bundesregierung ihren neuen, den „5. Armut- und Reichtumsbericht“ veröffentlichen wird, der sich derzeit in der finalen Ressortabstimmung befindet – vgl. den Entwurf des 5. Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung (Stand: 13.12.2016). Die Debatte ist schon in vollem Gange, vgl. beispielsweise die Positionierung des DGB: Armut stagniert auf hohem Niveau. Armutsbericht der Regierung belegt dringenden Handlungsbedarf. Nun handelt es sich um einen Bericht der Bundesregierung und deshalb auch die Abstimmung unter den Ministerien, was da in der finalen Fassung drin stehen darf und soll. Auch das wird immer wieder kritisiert – eine Alternative dazu wäre die Umsetzung dieses Vorschlags: Armuts- und Reichtumsbericht: Paritätischer Wohlfahrtsverband fordert unabhängige Sachverständigenkommission:

»Bereits seit Oktober vergangenen Jahres ziehe sich das „Feilschen um wohlfeile Passagen“ innerhalb der Koalition und das „Spiel mit den Medien“ hin, kritisiert der Verband. „Es wird Zeit, dass der offizielle Armutsbericht endlich von einer unabhängigen Sachverständigenkommission verfasst wird und nicht mehr von einer eigeninteressierten Bundesregierung … Der Verband schlägt vor, den Armuts- und Reichtumsbericht künftig von einer unabhängigen Sachverständigenkommission erstellen zu lassen. Zu dem Bericht sei dann die Bundesregierung aufgefordert, Stellung zu nehmen. Bericht und Stellungnahme können sodann im Bundestag debattiert werden. Die Berufung der Sachverständigen soll durch den Bundespräsidenten erfolgen.«