Man kennt das in der deutschen Sozialpolitik zur Genüge: die Suche nach Verschiebebahnhöfen, wenn die eine Sozialkassen in den Seilen hängt. Wo kann man wie viel umleiten, um ein Loch zu stopfen. In diesen Tagen werden wir erneut Zeugen, wie es ist, wenn man sich auf die Suche macht.
Der Hintergrund: Blicken wir zurück in die Zeiten der rot-grünen Bundesregierung unter Gerhard Schröder, konkret in das Jahr 2004. Zu Beginn dieses Jahres trat das „Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung“ in Kraft. Seinerzeit waren die Sozialkassen klamm und die rot-grüne Bundesregierung suchte fieberhaft nach neuen Einnahmequellen. Unter der damals zuständigen Ministerin Ulla Schmidt (SPD) wurde auf der Suche nach zusätzlichen Geldern für die Gesetzliche Krankenversicherung die volle Beitragspflicht für Einkünfte aus der betrieblichen Altersvorsorge eingeführt – und das auch rückwirkend für alle Altverträge. Dass das als ein massiver Vertrauensbruch von den dadurch Betroffenen wahrgenommen wurde und wird, überrascht jetzt nicht wirklich. Die von den Betroffenen als kalte Enteignung wahrgenommene Doppelverbeitragung wird von ihnen – und beispielsweise vom Verein Direktversicherungsgeschädigte – seit Jahren immer wieder kritisiert und eine Korrektur eingefordert.
Nun muss man vorweg den in dieser kontroversen Debatte immer wieder auftauchenden Begriff der „Doppelverbeitragung“ einmal genauer erläutern, dann wird auch noch verständlicher, warum das so ein Aufregerthema ist – eben nicht nur aufgrund der finanziellen Konsequenzen für die betroffenen Rentner, sondern auch wegen der eklatanten Verletzung von Gerechtigkeitsempfindungen und schlussendlich aufgrund der negativen Folgewirkungen hinsichtlich der (Nicht-)Attraktivität der betrieblichen Altersvorsorge, die auf der anderen Seite aus rentenpolitischen Gründen aber gestärkt werden soll.
Dazu finden wir diese Hinweise beim aba – Fachverband für betriebliche Altersversorgung: Der Begriff Doppelverbeitragung wird nicht einheitlich verwendet:
➔ Zum einen wird mit „Doppelverbeitragung“ die Tatsache bezeichnet, dass Betriebsrenten seit dem 1. Januar 2004 nicht mehr mit dem ermäßigten Beitragssatz zur Krankenversicherung der Rentner verbeitragt werden, sondern mit dem vollen Beitragssatz. Da der Beitragssatz sich vom ermäßigten, halben Beitragssatz auf den vollen verdoppelt hat, wird vereinzelt von einer Doppelverbeitragung gesprochen.
➔ Zum anderen wird von Doppelverbeitragung gesprochen, wenn sowohl auf die Finanzierung der betrieblichen Altersversorgung in der Ansparphase als auch auf Betriebsrenten Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung erhoben werden.
Dass es zu einer Doppelverbeitragung sowohl in der Ansparphase wie auch bei der Auszahlung kommen kann, bezieht sich auf diese Fallkonstellationen:
➞ bei pauschalversteuerter Entgeltumwandlung nach § 40b EStG aus laufendem Einkommen
➞ bei der Fortführung einer Pensionskassenzusage mit eigenen Beiträgen
➞ bei echten Eigenbeiträgen nach § 1 Abs. 2 Nr. 4 BetrAVG
➞ bei Beiträgen zu einer Pensionskasse, einem Pensionsfonds oder einer Direktversicherung von mehr als 4% der Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung (West)
Früher musste auf betriebliche Zusatzrenten nur der halbe Beitragssatz zur Kranken- und Pflegeversicherung gezahlt werden. Einmalige Kapitalsummen etwa aus einer Direktversicherung waren sogar komplett beitragsfrei.
Soweit zur Ausgangslage. Dagegen wird seit Jahren protestiert und auch geklagt. Aber sowohl das Bundessozialgericht wie auch das Bundesverfassungsgericht haben bislang gegen die Kläger entschieden und das damalige Vorgehen des Gesetzgebers für legal erklärt: Der Gesetzgeber könne auch bestehende Verträge nachträglich mit höheren Abgaben belasten. Nur in zwei Sonderfällen gab das Bundesverfassungsgericht den Klägern Recht: Wer eine Direktversicherung oder Pensionskasse über die Firma abschließt und nach seinem Ausscheiden privat weiterzahlt, ist für den privaten Teil im Alter von den Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung befreit. Vgl. dazu den Beitrag Das Bundesverfassungsgericht als Retter der Pensionskassen? Auf alle Fälle werden der Sozialversicherung goldene Eier aus dem Nest genommen vom 9. September 2018.
Im vergangenen Jahr 2018 hat es zu diesem Thema allerdings eine Menge Bewegung gegeben, was man auch daran ablesen kann, dass in diesem Blog neben dem bereits zitierten Beitrag zur Entscheidung des BVerfG dreimal das Thema Doppelverbeitragung aufgerufen wurde:
➞ Wird ein „staatlich organisierter Raub“ endlich beendet? Die Doppelverbeitragung von Betriebsrenten ist mal wieder Thema im Bundestag (21.04.2018)
Die Bundesregierung ist unter Druck gesetzt geworden – neben den seit langem vorgetragenen Protesten der Betroffenen auch aus den Reihen der Opposition. Am 12. Dezember 2017 hatte die Linksfraktion diesen Antrag im Bundestag eingebracht: „Gerechte Krankenversicherungsbeiträge für Betriebsrenten – Doppelverbeitragung abschaffen“ (Bundestags-Drucksache 19/242). Mit diesem Antrag wurde der Finger in eine Ankündigungswunde der GroKo gelegt, denn eigentlich sollte mit dem „Betriebsrentenstärkungsesetz“ das Problem gelöst sein: Durch dieses Gesetz würden „alle Formen der betrieblichen Altersversorgung insoweit gleich behandelt, als sie einheitlich nur einmal verbeitragt werden, d. h. entweder in der Einzahlungs- oder in der Auszahlungsphase“ (vgl. Begründung zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Bundestags-Drucksache 18/11286, S. 52). Dem ist aber nicht so: Die doppelte Verbeitragung wurde stattdessen jedoch ausschließlich für den Fall der wenig verbreiteten betrieblichen Riester-Versorgung abgeschafft: Vom 1. Januar 2018 an sind nur Auszahlungen aus der betrieblichen Riester-Rente beitragsfrei in der Kranken- und Pflegeversicherung. Für die anderen Konstellationen, die zu doppelter Verbeitragung führen, hat das Gesetz keine Verbesserungen vorgesehen.
Der Antrag beinhaltete diese Forderung: »Die Beitragspflicht zur gesetzlichen Krankenversicherung darf bei Versorgungbezügen nur einmal anfallen. Demzufolge sollten entweder auf das Einkommen in der Ansparphase oder auf die Auszahlung der Versicherungsleistungen Beiträge gezahlt werden. Wurden die Beiträge für die betriebliche Altersvorsorge aus nicht beitragspflichtigem Einkommen aufgebracht, dann sind in der Bezugsphase Beiträge zu zahlen. Wurden die Beiträge aus Einkommen gezahlt, für das bereits Krankenversicherungsbeiträge abgeführt wurden, darf die Versicherungsleistung nicht erneut verbeitragt werden. Hier muss die Bundesregierung endlich Gerechtigkeit herstellen.«
Dieser Vorstoß zieht sich nun wie Kaugummi durch das Parlament. Der Bundestag hat nicht nur am 1. Februar 2018 erstmals im Parlament über den Antrag der Linken diskutiert, der nun offensichtlich erneut im Parlament wie eine Art Schlossgespenst aufgetaucht ist, sondern am 25. April 2018 wurde sogar eine öffentliche Anhörung im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages durchgeführt (vgl. dazu den Bericht des Bundestages unter der Überschrift Streit über Beiträge zu Betriebsrenten). Und am 12.10.2018 wurde hier in dem Beitrag Alle sind gegen einen „staatlich organisierten Raub“. Also eigentlich. Wenn da nicht das Beutegut wäre. Die Doppelverbeitragung der Betriebsrenten als Murmeltier im Bundestag berichtet: »Der Bundestag hat sich am Donnerstag, 11. Oktober 2018, zum wiederholten Mal mit der sogenannten Doppelverbeitragung von Betriebsrenten befasst und einhellig die Auffassung vertreten, dass die hoch umstrittene Regelung reformiert werden sollte. Allerdings ist unklar, in welcher Form die seit 2004 geltende Regelung verändert werden soll und wie das zu finanzieren ist.« Das berichtet der Pressedienst des hohen Hauses unter der Überschrift Beiträge auf Betriebsrenten sind unter den Fraktionen umstritten.«
Redner aller Fraktionen machten in der Debatte deutlich, dass sie gewillt sind, die Regelungen im Sinne von mehr Gerechtigkeit zu ändern. Aber dann kommt gleich wieder kübelweise Wasser in das Gläschen Wein: Allerdings ist in jedem Fall mit erheblichen Kosten zu rechnen, weshalb um das beste Konzept noch gerungen wird. Wann eine Lösung auf dem Tisch liegen könnte, ist unklar.
Neues Jahr, neuer Versuch? Nun erreichen uns solche Meldungen: Schwarzer-Peter-Spiel: GroKo streitet über Entlastung von Millionen Betriebsrentnern, so hat Gregor Waschinski seinen Artikel überschrieben: »Union und SPD versprechen eine Senkung der Beitragslast bei Betriebsrenten. Doch ein Streit über die Finanzierung lähmt die Große Koalition.« Was genau ist los in Berlin?
Nachdem die SPD bereits eine Abkehr von der 2004 eingeführten doppelten Beitragspflicht versprochen hatte, zog die CDU mit einem Beschluss auf ihrem Parteitag Anfang Dezember nach. Beschlüsse sind das eine, die Umsetzung das andere. Und hier ist sie wieder, die entscheidende Frage: Wo soll das Geld für die Entlastung herkommen? Und wer soll wie viel genau entlastet werden?
»Die Union erhöht nun den Druck auf die Sozialdemokraten und ihren Finanzminister Olaf Scholz. „Die SPD ist mit dem Thema Doppelverbeitragung hausieren gegangen und muss nun auch einen Vorschlag machen, wie das finanziert werden soll“, sagt die gesundheitspolitische Sprecherin der CDU, Karin Maag, dem Handelsblatt.« Wie passend, dass derzeit der Bundesfinanzminister ein SPD-Parteibuch hat, vor Scholz war das Ministerium in Hand der CDU. Es sei „interessant, dass die Union jetzt nach dem Finanzminister ruft, wo dieser einer anderen Partei angehört“. CDU und CSU hätten bei der Entlastung von Betriebsrentnern lange blockiert – unter anderem mit der Begründung, dass der Finanzminister dafür kein Geld rausrücke, wird der rentenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Ralf Kapschack, zitiert. „Damals hieß der Finanzminister noch Wolfgang Schäuble.“
Der Finanzminister wiederum verweist darauf, dass der federführende Bundesgesundheitsminister, also Jens Spahn (CDU), aktiv werden müsse. Das Bundesgesundheitsministerium verweist wiederum auf Scholz.
Die empörten Ruheständler, die ihre Verträge vor 2004 abgeschlossen haben und sich von der Politik getäuscht sehen, werden weiter auf dem Trockenen sitzen bleiben: Eine rückwirkende Entschädigung, die mit Kosten von 40 Milliarden Euro verbunden ist, halten Union und SPD für unrealistisch.
»Doch zumindest bei künftigen Bezügen der Betriebsrentner will die Große Koalition entlasten. Für die Krankenkassen hätte eine Rückkehr zum halben Beitragssatz jährliche Einnahmeausfälle zwischen zwei und drei Milliarden Euro zur Folge«, berichtet Waschinski. »Für die Unionsfraktion komme nur eine Finanzierung aus Steuermitteln in Frage. „Und da ist Herr Scholz zuständig, uns zu sagen, ob und wie das möglich ist.“ Die Sozialdemokraten argumentieren dagegen, dass die gesetzliche Krankenversicherung die Mindereinnahmen verkraften könne.«
Zu den Ideen der SPD: »Neben der Halbierung des Beitragssatzes will Kapschack auch einen Freibetrag schaffen, auf den bei Betriebsrenten generell keine Sozialabgaben gezahlt werden müssen. Bislang gilt lediglich eine Freigrenze von 152,25 Euro im Monat. Das bedeutet: Wenn die Bezüge aus einer betrieblichen Altersvorsorge über dieser Grenze liegen, wird die gesamte Summe beitragspflichtig.«
Bleibt weiter die offene Finanzierungsfrage. Also muss man sich auf den Verschiebebahnhöfen umschauen: »Als mögliche Kompromisslinie gilt, die Mindereinnahmen der Krankenkassen bei den Betriebsrenten mit zusätzlichem Steuergeld für die Versorgung von Hartz-IV-Empfängern auszugleichen. So würden Union und SPD auch einen Punkt aus dem Koalitionsvertrag abräumen: Die Bundesregierung hat sich nämlich zum Ziel gesetzt, die bislang nicht kostendeckenden Beiträge für die Krankenversicherung von Hartz-IV-Beziehern zu erhöhen.«
Dass nun das eine mit dem anderen nichts zu tun hat, wird offensichtlich auch in der GroKo so gesehen und für problematisch erachtet. Wie es weitergeht? Wir wissen es (noch) nicht.