Beschäftigte in Werkstätten für behinderte Menschen und Bundesfreiwillige als Budgetbremse für die Rentner? Ein Exkurs über die faktische Kraft der Statistik in der realen Sozialpolitik

Preisfrage: Kann jemand erklären, wie es diejenigen, die in Werkstätten für Menschen mit Behinderung arbeiten oder die als Bundesfreiwillige gute Dinge zu tun versuchen, schaffen, den 20 Millionen Rentenbeziehern in Deutschland ihre Vorfreude auf den Sommer 2015, in dem die nächste Rentenerhöhung ansteht, zu verderben?

Geht nicht, weil das nichts miteinander zu tun hat?

Dann kennt man nicht wirklich die Tiefen, besser Untiefen der letztendlich nur historisch zu verstehenden Sozialpolitik. Wir haben es zugleich mit einem Lehrbuchbeispiel zu tun, an dem man studieren kann, wie die Dinge alle miteinander verklebt sind. Oder vielleicht hat man schlichtweg auch keine Zeit, sich über solche Zusammenhänge Gedanken machen zu können, denn man geht einem Zweitjob neben seinem eigentlichen Normaljob nach, sicher, weil man so gerne arbeitet – oder? Schauen wir einmal genauer hin, auf beide Sachverhalte.

Die 20 Millionen Rentner in Deutschland müssen sich 2015 mit einer deutlich niedrigeren Rentenerhöhung begnügen als zunächst erwartet. Dies ist auf eine Korrektur der Beschäftigtenstatistik zurückzuführen, die wiederum die Höhe der Rentenanpassung beeinflusst, berichtet Thomas Öchsner in seinem Artikel Rentenerhöhung fällt niedriger aus als erwartet. Nach Angaben von Rentenexperten müsse man davon ausgehen, dass durch diesen statistischen Einmaleffekt der Aufschlag bei den Renten im nächsten Jahr um etwa einen Prozentpunkt niedriger ausfallen wird. Wobei man die an sich erst einmal eher verharmlosend daherkommende Nachricht von einem Prozentpunkt auch so gelesen werden kann bzw. muss:

»Angenommen die Rentenerhöhung würde im Westen und Osten zwei Prozent betragen, käme nur ein Aufschlag von einem Prozent heraus. Bei einer Rente von 1000 Euro würde das Plus also statt 20 Euro nur zehn Euro betragen.«

Wie nun kann es zu einer Halbierung der eigentlich anstehenden Rentenerhöhung – die bescheiden genug ausfällt – kommen? Öchsner führt dazu aus:

»Die Bundesagentur für Arbeit hatte weitgehend unbemerkt zum 30. Juni 2013 drei große Gruppen in die Statistik der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten neu aufgenommen. Dazu zählen knapp 300.000 Menschen mit einer Behinderung, die zum Beispiel in Werkstätten arbeiten. Hinzu kommen mehr als 30.000 Personen, die in Einrichtungen der Jugendhilfe oder etwa Berufsbildungswerken beschäftigt sind, sowie knapp 80.000 meist junge Leute, die ein freiwilliges soziales oder ökologisches Jahr oder einen Bundesfreiwilligendienst leisten. Dabei handelt es sich überwiegend um Beschäftigte aus dem Niedriglohnbereich – und das schlägt sich in der nächsten und übernächsten Rentenanpassung nieder.« (Nur eine korrigierende Anmerkung: Die Änderung hat nicht im vergangenen Jahr stattgefunden, sondern erst in diesem, also 2014).

Darüber wurde auf der Facebook-Seite von „Aktuelle Sozialpolitik“ Anfang September kritisch berichtet: »Man muss an dieser Stelle darauf hinweisen, dass diese zusätzlich rund 400.000 Personen als sozialversicherungspflichtig beschäftigt gelten, nicht nur irgendwie als erwerbstätig, was ja auch Selbständige, geringfügig Beschäftigte oder Beamte sind. Also irgendwie „richtige“ Arbeitnehmer. Nun wird der eine oder die andere fragen, huch, Beschäftigte in Behindertenwerkstätten oder Teilnehmer am Bundesfreiwilligendienst – sind die wirklich „normal“ beschäftigt?« Eine gute und überaus berechtigte Frage. Denn Beschäftigte in den Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) bekommen bekanntlich gar kein „normales“ Entgelt, sondern eine Art Taschengeld und es darf an dieser Stelle nur darauf verwiesen werden, dass es derzeit eine Debatte über die Frage gibt, ob nicht auch diese Beschäftigten Anspruch haben auf den gesetzlichen Mindestlohn (vgl. weiterführend die aktuelle Publikation von Caroline Richter und Alexander Bendel: Zwischen Entgelt und Geltung: Zur Problematik von Lohnsystemen in Werkstätten für Menschen mit Behinderung. Berlin: Friedrich-Ebert-Stiftung, August 2014). Und auch die „Buftdis“, also die im Bundesfreiwilligendienst Tätigen bekommen ja nur ein Handgeld für das, was sie da machen.

Auch der DGB hatte sich Anfang September kritisch zu Wort gemeldet mit einer Pressemitteilung unter der Überschrift Geänderte BA-Statistik: Plötzlich 414.000 Beschäftigte mehr: »Ohne die zusätzlichen Personengruppen wäre nach dem neuen Konzept die sozialversicherte Beschäftigung absolut sogar um 67.000 Personen gesunken. Nun aber wird das Beschäftigungsniveau rein rechnerisch um 347.000 Personen höher ausfallen.« Wie praktisch. Wichtig ist der methodische Einwand des DGB gegen diese statistische „Korrektur“ der Beschäftigtenzahlen:

»Umgangssprachlich wird der Begriff der sozialversichert Beschäftigten für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verwendet, die gegen Lohn oder Gehalt am regulären Arbeitsmarkt tätig sind. Das trifft auf viele Menschen in den neu erfassten Personengruppen aber nicht zu. Teilweise werden künftig auch nicht erwerbsfähige Personen mitgerechnet.

So wie bei den jetzt erstmals einbezogenen Menschen mit Behinderung in Behinderten-Werkstätten. Sie können in der Regel (noch) nicht auf dem regulären Arbeitsmarkt tätig sein und erhalten neben einem sehr geringen Einkommen meist Sozialhilfe. Die hier tätigen Menschen mit Behinderung stehen in der Regel in keinem Arbeitsverhältnis. Der Verdienst in den Werkstätten ist gering und liegt im Schnitt unter 200 Euro pro Monat.

Auch bei den Freiwilligendiensten FSJ, FÖJ und BFD handelt es sich um keine klassische Beschäftigung für Lohn und Gehalt. Beim Bundesfreiwilligendienst wird beispielsweise nur eine Art „Taschengeld“ gezahlt – und zwar maximal sechs Prozent der Beitragsbemessungsgrenze der Rentenversicherung. Das sind aktuell 357 Euro im Westen und 300 Euro im Osten.«

Die damalige Kritik auch in meinem Blog-Beitrag auf der Facebook-Seite von „Aktuelle Sozialpolitik“ bezog sich vor allem auf die methodische Begründung für die Korrektur seitens der BA (vgl. hierzu die Erläuterungen im Monatsbericht der BA auf der Seite 10) und die damit verbundenen Auswirkungen auf die Arbeitsmarktstatistik im engeren Sinne – die nun thematisierten Folgen für die Rentenpolitik hatte ich noch gar nicht auf dem Schirm. In den zutreffenden Worten des DGB:

»Die Bundesagentur für Arbeit begründet die Änderungen unter anderem mit einer Annäherung an die statistischen Erhebungen der Internatioanlen Arbeitsorgansiation ILO und deren „Erwerbstätigenkonzept“. Mit diesem statistischen Modell werden aber alle Erwerbstätigen erfasst, ganz gleich in welchem Umfang sie arbeiten. Auch Menschen, die nur eine Stunde pro Woche arbeiten oder für ihre Tätigkeit nur Sachleistungen erhalten, fallen unter die ILO-Definition.«

Ein „wunderbarer“ Ansatz, um am Ende das Problem der Arbeitslosigkeit nicht nur zu halbieren, wie es ein Peter Hartz mal in Aussicht gestellt hat, sondern sukzessive ganz zu beseitigen. Also statistisch gesehen, so meine damalige Kommentierung.

Nun aber zurück zum deutschen Rentner und seiner Vorfreude auf die nächste Rentenerhöhung, die durch diese statistische Rumfummelei arg strapaziert wird. Wie läuft hier der Übertragungsmechanismus? Dazu schreibt Öchsner in seinem Artikel:

»Wie kräftig eine Rentenerhöhung ausfällt, hängt maßgeblich davon ab, wie sich die Löhne und Gehälter pro Arbeitnehmer nach den sogenannten Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR-Löhne) im Vergleich zum Vorjahr verändert haben. Den Ausschlag für 2015 gibt dabei der Vergleich der Einkommen von 2014 zu 2013. Da 2014 diese Geringverdiener neu in der Statistik hinzukommen, verringert dies den Lohnfaktor in der Rentenformel, was sich im Geldbeutel der 20 Millionen Ruheständler zunächst negativ bemerkbar macht.«

Bevor jetzt aber die Wutwelle zu pulsieren beginnt, muss man auch den folgenden Absatz zur Kenntnis nehmen: »2016 kehrt sich dies jedoch um. Die Rentenerhöhung wird dann entsprechend höher ausfallen, so dass unterm Strich die Rentner durch die statistischen Einmaleffekte nach den zwei Jahren weder besser noch schlechter gestellt sind.« Es sei denn, dass die Zahl der Niedriglöhner weiter ansteigt, in anderen Gruppen, wofür es in der Vergangenheit ja durchaus Beispiele gegeben hat. Wer sich wirklich für das Minenfeld der Berechnung der jährlichen Rentenanpassung interessiert, dem sei hier mein Blog-Beitrag Ein bescheiden gemachter Schluck aus der Pulle – wie die Rentenerhöhung 2014 berechnet wird. Zugleich ein Lehrstück für moderne „Formel-Sozialpolitik“ aus dem Juli 2014 empfohlen.

Fazit: Der Ärger für die Rentner ist berechtigt, aber auf ein „verlorenes Jahr“ begrenzt, wenn denn die optimistische Variante der nachträgliche Korrektur 2016 auch eintritt. Der eigentliche und weiterhin zu kritisierende Effekt der Korrektur der Beschäftigtenstatistik liegt darin, dass die Zahl der „normalen“, sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, was ja auch immer ein Qualitätsmerkmal darstellt, verwässert wird.

Aber bleiben wir beim Thema Arbeitsmarkt. Und werfen wir noch einen Blick auf eine ganz besondere Gruppe von Jobs. Den Zweitjobs.

»Nach aktuellen Zahlen der Bundesregierung ergänzten im vergangenen Jahr rund 2,35 Millionen Menschen ihren sozialversicherungspflichtigen Hauptberuf durch einen abgabenfreien Minijob. Das sind fast doppelt so viele wie vor zehn Jahren«, berichtet Rainer Woratschka in seinem Artikel Zahl der Minijobber hat sich verdoppelt, wobei er – ganz korrekt formuliert – nicht alle Minijobber meint bzw. meinen kann, sondern diejenigen, die das neben einem anderen Job ausüben, also nicht die Gruppe der ausschließlich geringfügig Beschäftigten.

Doppelt so viele wie noch vor zehn Jahren – darunter mag es Menschen geben, die gerne arbeiten, die vielleicht – aus welchen Gründen – möglichst spät nach Hause kommen wollen. Aber das wird eine überschaubare Gruppe sein. Daneben wird es eine Menge Menschen geben, die auf einen Zuverdienst angewiesen sind, weil sie in ihrem Hauptjob zu wenig Geld verdienen. Wobei das eben nicht nur ganz arme „working poor“ sein müssen, sondern auch viele heutige „Normalverdiener“ brauchen einen Zweitjob, um sich beispielsweise einmal im Jahr einen halbwegs ordentlichen Urlaub leisten zu können. Darüber wissen wir empirisch noch zu wenig bis gar nichts. Aber dass die Verdoppelung der Zweitjobs überwiegend auf arbeitssüchtige Menschen zurückzuführen ist, das glaubt doch wirklich keiner ernsthaft, außer, er oder sie muss es aus beruflichen Gründen so verkaufen.

Ein bescheiden gemachter Schluck aus der Pulle – wie die Rentenerhöhung 2014 berechnet wird. Zugleich ein Lehrstück für moderne „Formel-Sozialpolitik“

Die Rentner sollen sich freuen – ihre Altersbezüge wurden zum 1. Juli des Jahres angehoben. In den alten Bundesländern gibt es 1,67% mehr auf die Hand, in den neuen Bundesländern sind es sogar 2,36%. Immerhin, denn in den vergangenen Jahren gab es sogar „Nullrunden“ bei der Rentenanpassung, die natürlich in Wirklichkeit „Minusrunden“ sind, denn durch die Inflation haben die nominal nicht erhöhten, aber auch nicht abgesenkten Renten real an Wert verloren. Und auch die Erhöhung von 1,67% würde wie die Butter in der Sonne dahinschmelzen, wenn die Preissteigerungsrate höher liegt. Nun könnte man sich auf die Diskussion über die konkrete Rentenerhöhung kaprizieren, ist das viel zu wenig oder noch akzeptabel, aber das soll hier nicht im Mittelpunkt stehen. Denn eigentlich müsste die Erhöhung deutlich höher ausfallen, wenn man die Entwicklung der Bruttolöhne und -gehälter zugrundelegen würde, wie das früher mal der Fall war, als die Rentner teilhaben sollten an der wirtschaftlichen Entwicklung der Arbeitnehmer: Dann müssten die Renten in Westdeutschland am 1. Juli 2014 eigentlich um 2,2% steigen. Aber schon vor einigen Jahren hat man die Formel, mit der sich die Rentenanpassung berechnen lässt, so erweitert, dass ein kleinerer Betrag als die Lohnentwicklung der Arbeitnehmer herauskommen muss. Nimmt man diese Formel, dann würde sich immer noch in den alten Bundesländern eine Erhöhung von 2,13% ergeben. Aber – wie bereits erwähnt – am Ende werden daraus deutlich weniger, nur 1,67%. Wie schafft man das? Zur Beantwortung dieser Frage lohnt ein Blick in die Untiefen der modernen „Formel-Sozialpolitik“, die einem ganz bestimmten Motto folgt: Wenn man etwas verschleiern will, dann konstruiert man eine Formel, die so kompliziert daherkommt, dass die meisten Akteure sie nicht verstehen (wollen/können) und man legitimatorisch immer auf die scheinbar eindeutigen Rechenergebnisse zurückgreifen kann, die zudem noch die gewünschten Beträge liefern. Und wenn die Formelergebnisse mal nicht passen, erweitert man sie flexibel um eine weitere Komponente.

Dabei ist die eigentliche „Rentenformel“ von erstaunlicher Schlichtheit und Transparenz. Wenn man berechnen will, wie hoch die monatliche Brutto-Rente ist, dann greift man zu dieser multiplikativen Verknüpfung:

Monatsrente (in Euro) = EP x ZF x RF x aR

oder ausformuliert:

Monatsrente (in Euro) = Entgeltpunkte x Zugangsfaktor x Rentenartfaktor x aktueller Rentenwert

Die Entschlüsselung ist relativ simpel: Die Entgeltpunkte geben das Arbeitsleben des Versicherten wider. Beispiel: Wenn man ein Jahr lang gearbeitet hat und in dieser Zeit genau das durchschnittliche Arbeitseinkommen der in der gesetzlichen Rentenversicherung erfassten Arbeitnehmer verdient hat, dann bekommt man einen Entgeltpunkt gutgeschrieben. Sollte man in dieser Zeit deutlich weniger verdient haben als der Durchschnitt der Arbeitnehmer, dann verringert sich der entsprechende Wert für dieses Jahr, beispielsweise auf 0,6.

Der Zugangsfaktor ist dann genau 1,0, wenn man mit dem gesetzlichen Renteneintrittsalter sein Erwerbsarbeitsleben beendet. Geht man früher in die Rente, dann werden hier die Abschläge abgebildet.

Der Rentenartfaktor beträgt für persönliche Entgeltpunkte bei Renten wegen Alters 1,0. Bei großen Witwen- beziehungsweise Witwerrenten steht hier 0,6 beziehungsweise 0,55.

Der aktuelle Rentenwert ist der Betrag, der einer monatlichen Rente aus Beiträgen eines Durchschnittsverdieners für ein Jahr entspricht. Er wird durch die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrats jeweils am 1.7. eines Jahres festgelegt.

Wenn man jetzt den aktuellen Rentenwert kennt, dann ist man ohne Probleme in der Lage, die Brutto-Monatsrente des so genannten „Eckrentners“ zu berechnen. Bei dem „Eckrentner“ handelt es sich um diese Kunstfigur des deutschen Rentenrechts, bei der man davon ausgeht, dass sie 45 Jahre lang ohne irgendeine Unterbrechung immer Rentenbeiträge gezahlt hat, in Höhe des durchschnittlichen Arbeitseinkommens der Versicherten und die regulär mit dem gesetzlichen Renteneintrittsalter aus dem Erwerbsleben ausscheidet. Wenn man diese Bedingung erfüllt – wovon natürlich viele Menschen nur träumen können in der Realität, in der sie leben –, dann ergibt sich die folgende Brutto-Monatsrente:

45 x 1,0 x 1,0 x 28,14 € = 1.266,30 Euro

Bei den 28,14 € handelt es sich um den aktuellen Rentenwert für die alten Bundesländer für den Zeitraum von Juli 2013 bis Juli 2014. Von der sich hier ergebenden Brutto-Monatsrente in Höhe von 1266,30 € muss der Rentner dann noch die Beiträge an die Kranken- und Pflegeversicherung sowie unter Umständen eine (in den kommenden Jahren ansteigende) Versteuerung abführen. Mit so einem Betrag kann man keine großen Sprünge machen – und wie gesagt, es handelt sich hier um die Rente einer Person, die 45 Jahre lang immer im Durchschnitt verdient und Beiträge gezahlt hat. Da es aber bekanntlicherweise viele Menschen gibt, die weniger oder deutlich weniger als das Durchschnittseinkommen zur Verfügung haben, kann man sich vorstellen, dass diese Personen nur sehr niedrige Renten werden erreichen könnten aufgrund der hier in der Formel enthaltenen Systematik.

Nun aber zurück zu unserem eigentlichen Thema, also der Rentenanpassung, die jedes Jahr zum 1. Juli durchgeführt wird. Die Rentenanpassung bezieht sich auf den aktuellen Rentenwert in der dargestellten Rentenformel. Wenn dieser Betrag erhöht wird, dann steigen natürlich die Renten, da die einzelnen Bestandteile wie beispielsweise die Entgeltpunkte mit dem aktuellen Rentenwert multipliziert werden. Wie aber berechnet man nun die Veränderung des aktuellen Rentenwerts? Auch dafür gibt es eine Formel, aber diese Formel kommt weitaus komplizierter daher wie die normale Rentenformel. Schauen wir uns die Rentenanpassungsformel genauer an (vgl. hierzu die hervorragende und detailgenaue Aufarbeitung bei Johannes Steffen: Rentenanpassung 2014, Bremen, 31.03.2014, die folgenden Abbildungen sind dieser Ausarbeitung entnommen):

Ganz offensichtlich wird der bisherige, anzupassende aktuelle Rentenwert (also bis zum 1. Juli 2014 waren das die 28,14 € in den alten Bundesländern) gewichtet mit drei Faktoren: Dem „Entgeltfaktor“, dem „Riester-Faktor“ und dem „Nachhaltigkeitsfaktor“.

Zum „Entgeltfaktor“: Die Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer sind im Jahr 2013 gegenüber dem Jahr 2012 um 2,18 Prozent in den alten Bundesländern gestiegen. Aber: Dieser Wert enthält sämtliche Entgeltbestandteile – so vor allem auch nicht beitragspflichtige Entgeltteile oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze oder Entgeltbestandteile, die beitragsfrei in eine Anwartschaft auf betriebliche Altersversorgung umgewandelt wurden, wie Steffen ausführt. Und weiter: »Seit dem Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetz legt § 68 Abs. 2 SGB VI fest, dass die Entgeltentwicklung die Veränderung der beitragspflichtigen Entgelte widerspiegeln muss. Hintergrund: Die beitragspflichtigen Entgelte haben sich in der Vergangenheit meist schwächer entwickelt als die VGR-Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer.« Was bildet der Teil „Entgeltfaktor“ der Anpassungsformel nun im Ergebnis ab? Wenn der Gewichtungsfaktor größer als Eins ist, die beitragspflichtigen Entgelte also schwächer gestiegen sind als die Löhne und Gehälter insgesamt, dann wird Entgeltfaktor der Anpassungsformel damit gesenkt und kann seine „dämpfende“ Wirkung entfalten. Beispiel: Im Jahr 2012 sind die beitragspflichtigen Entgelte im Westen mit einem Zuwachs von 2,36 Prozent schwächer gestiegen als die Löhne und Gehälter insgesamt (3,17 Prozent).



Zum „Riester-Faktor“: Der in der Anpassungsformel zu berücksichtigende Altersvorsorgeanteil (AVA) beträgt seit 2012 4,0 Prozent. Damit bildet man die Absenkung des gesetzlichen Rentenniveaus in Verbindung mit der Einführung der staatlich geförderten „Riester-Rente“ ab, denn die soll ja die Ausfälle durch die Rentenniveauabsenkung kompensieren durch staatlich geförderte private Alterssicherungsverträge, die allerdings nicht obligatorisch ausgestaltet worden sind.  Vor allem die mittleren und höheren Einkommen haben die staatliche Förderung in den vergangenen Jahren sicherlich sehr gerne mitgenommen, obgleich sie auch ansonsten gespart hätten.  Aber die unteren Einkommensgruppen hingegen, bei denen entsprechende Sparanstrengungen sinnvoll wären angesichts der Bedeutung der Kürzungen beim Rentenniveau, sind kaum vertreten im Bereich der privaten Altersvorsorge und noch weniger im Bereich der betrieblichen Altersvorsorge.
Zum „Nachhaltigkeitsfaktor“: Der Wert des Nachhaltigkeitsfaktors wird bestimmt durch die Entwicklung des Rentnerquotienten sowie den mit einem Wert von 0,25 vorgegebenen Parameter Alpha. Der Rentnerquotient drückt das rechnerische Verhältnis zwischen Rentnern und Beitragszahlern aus. Das bedeutet, wenn die Zahl der Beitragszahler sinkt die Zahl der Rentner steigt, dann kann man durch diese Formelkomponente diesen Effekt weitergeben, so dass eine die Rentenanpassung senkende Wirkung eintritt.

Mit den Werten der Rentenanpassung kann man nun die Rentenanpassungsformel bestücken.

aRneu = 28,14 Euro x „Entgeltfaktor“ x „Riester-Faktor“ x „Nachhaltigkeitsfaktor“

aRneu = 28,14 Euro x 1,0138 x 1,0092 x 0,9981 = 28,74 Euro

Wenn das stimmen würde (und rein rechnerisch stimmt das absolut), dann steigt der „aktuelle Rentenwert“ also von 28,14 Euro auf 28,74 Euro, das wären nach den Fundamentalregeln des Prozentrechnens + 2,13% für die Rentenerhöhung.
Das ist jetzt irritierend – irgendetwas kann hier nicht stimmen, denn eingangs wurde doch berichtet, dass die Rentenerhöhung in den alten Bundesländern nur + 1,67% beträgt. Haben wir uns doch verrechnet?

Da wir richtig gerechnet haben, kommt auch Johannes Steffen auf den Wert von + 2,13% für die eigentliche Rentenanpassung in den alten Bundesländern. Am Ende seines Textes findet sich dann die – selbst für Experten schwer verdauliche – Auflösung, wie man aus +2,13% zu nur noch +1,67% kommt: Denn neben dem „Entgeltfaktor“, dem „Riester-Faktor“ und dem „Nachhaltigkeitsfaktor“ gibt es noch einen weiteren Faktor – den „Nachholfaktor“:

Die eigentlich anfallende Erhöhung der Renten im Westen um +2,13% entspricht einem Anpassungsfaktor von 1,0213. »Tatsächlich fällt der Anpassungssatz im Westen aber niedriger aus – verantwortlich hierfür ist der »Nachholfaktor« oder Ausgleichsbedarf aufgrund von in der Vergangenheit wegen der Schutzklausel unterbliebener Anpassungsdämpfungen (nicht realisierte nominale Rentenkürzungen).« Anders formuliert: In den vergangenen Jahren hätten die nominalen Renten sogar gekürzt werden müssen aufgrund der Konstruktionslogik der Rentenanpassungsformel, nach der beispielsweise Rentenbeitragssatzsteigerungen oder zurückbleibende Löhne und Gehälter an die Rentner weitergegeben werden müssen. Das hat man aber aus politisch-psychologischen Gründen den Rentnern (immerhin alles potenzielle und tatsächliche Wähler) nicht zumuten wollen, also hat man damals auf eigentlich sich ergebende Kürzungen verzichtet, zugleich aber einen Mechanismus konstruiert, mit dem man das später schrittweise nachholen kann. Und das wirkt sich jetzt handfest aus, indem die Anpassung heute niedriger ausfällt, als sie eigentlich ausfallen müsste. Alles klar? Jetzt brauchen wir wieder Daten, die uns Steffen liefert: Der »Ausgleichsbedarf beträgt zum 30. Juni 2014 in den alten Ländern 0,9954 und entspricht damit einer noch nachzuholenden Anpassungsdämpfung von 0,46 Prozentpunkten.« Und jetzt wird es richtig anstrengend: Solange der Ausgleichsbedarf kleiner als 1,0000 ist, ist der bisherige aktuelle Rentenwert (ARt-1) mit dem hälftigen Anpassungsfaktor zu multiplizieren; der hälftige Anpassungsfaktor 2014 beträgt [(1,0213 – 1) / 2] + 1 = 1,0107. Weiterhin ist in einem solchen Fall zu prüfen, ob nach Anwendung des hälftigen Anpassungsfaktors der neu zu bestimmende Ausgleichsbedarf den Wert von 1,0000 übersteigt: 0,9954 x 1,0107 = 1,0061. Da dies der Fall ist, wird der AR (2014) ermittelt, indem der AR (2013) mit dem Faktor vervielfältigt wird, der sich aus der Multiplikation des bisherigen Ausgleichsbedarfs mit dem Anpassungsfaktor (1,0213) ergibt:

AR (2014) = AR (2013) x 0,9954 x 1,0213

AR (2014) = 28,14 Euro x 1,0166

AR (2014) = 28,61 Euro.

Und 28,61 Euro sind nun mal definitiv weniger als die eigentlich anzuwendenden 28,74 Euro. Deshalb gibt es für die Lebendrentner eben nicht +2,13%, sondern nur +1,67%.

Alles klar?