Es muss ein guter Tag für die Langzeitarbeitslosen gewesen sein. Also auf dem Papier. Das ist bekanntlich geduldig

Auch wenn immer wieder über das so genannte „Jobwunder“ in Deutschland geschrieben und diskutiert wird – eine Gruppe unter den Arbeitslosen hat in den vergangenen Jahren definitiv so gut wie gar nicht profitieren können von der ansonsten durchaus erfreulichen Arbeitsmarktentwicklung in unserem Land. Die Rede ist hier von den Langzeitarbeitslosen. Arbeitsmarktexperten sprechen schon seit längerem von einer massiven „Verfestigung“ bzw. „Verhärtung“ der Arbeitslosigkeit.  Ein Teil der Arbeitslosen wird komplett abgekoppelt von der Integration in Beschäftigung. Hierbei handelt es sich keineswegs um eine zu vernachlässigende Größe.  So hat beispielsweise eine Ende des vergangenen Jahres veröffentlichte Studie der Hochschule Koblenz ergeben, dass rund 1,7 Millionen Menschen im Grundsicherungssystem in den vergangenen drei Jahren mehr als 90 % der Zeit ohne irgendeine Beschäftigung waren. Über 609.000 erwerbslose Menschen haben mehr als vier so genannte Vermittlungshemmnisse. Über 435.000 Menschen zählen nach dieser Studie  zu den arbeitsmarktfernen Personen, die mittelfristig, viele sogar auf Dauer keine realistische Perspektive haben, wieder irgendeinen Job auf dem ersten Arbeitsmarkt zu bekommen. In den Haushalten dieser Menschen leben mehr als 305.000 Kinder unter 15 Jahren, die besonders  negativ von der Situation in ihrem Elternhaus betroffen sind.

Gleichzeitig wurden Milliardenbeträge gekürzt im Bereich der Arbeitsförderung für Menschen im Grundsicherungssystem. Immer offensichtlicher wird das Dilemma, dass auf der einen Seite eine zunehmende Zahl an Arbeitslosen in die Langzeitarbeitslosigkeit abrutscht und dort auch nicht mehr herauskommt, gleichzeitig aber kaum noch Möglichkeiten einer gezielten Förderung dieser Menschen zur Verfügung stehen. Dies nicht nur aufgrund fehlender Finanzmittel, sondern gleichzeitig wurde das Förderrecht gerade im Bereich der öffentlich geförderten Beschäftigung seitens des Bundesgesetzgebers noch restriktiver ausgestaltet, so dass sinnvolle Maßnahmen oftmals schlichtweg nicht mehr möglich sind.

Die erwähnte Studie kann hier abgerufen werden:

Obermeier, T.; Sell, S. und Tiedemann, B.: Messkonzept zur Bestimmung der Zielgruppe für eine öffentlich geförderte Beschäftigung. Methodisches Vorgehen und Ergebnisse der quantitativen Abschätzung (= Remagener Beiträge zur Sozialpolitik 14-2013), Remagen, 2013

Nunmehr scheint es aber Grund zur Hoffnung zu geben, folgt man den Medienberichten, die im Anschluss an eine gemeinsame Pressekonferenz von Bundesagentur für Arbeit, Deutscher Städtetag und Deutscher Landkreistag erschienen sind: „Staat soll Langzeitarbeitslose besser fördern„, „Bundesagentur will mehr Hilfe für Langzeitarbeitslose“ oder von der anderen Seite „Kommunen wollen neue Initiative für Hartz-IV-Empfänger„. Da ist sogar von einem „Maßanzug für Langzeitabeitslose“ die Rede. Das hört sich doch insgesamt sehr positiv und dem wachsenden Problemdruck in diesem Bereich angemessen an. Schauen wir also einmal genauer hin.

Die Bundesagentur für Arbeit (BA) hat ihre Pressemitteilung so überschrieben: „Hilfen für Langzeitarbeitslose verbessern – Hohes Engagement der Jobcenter allein kann Probleme nicht lösen„. Auch hier wird auf den enormen Problemdruck innerhalb des Grundsicherungssystems hingewiesen: »Drei Millionen erwerbsfähige Menschen erhalten seit zwei oder mehr Jahren Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Rechnet man die Kinder hinzu, sind rund vier Millionen Menschen langfristig auf diese Leistungen angewiesen.« Die BA weist darauf hin, dass von den Langzeitbeziehern, die vermittelt worden sind, aber etwa die Hälfte innerhalb eines Jahres wieder in die Grundsicherung zurückkommt. Und auch auf die bereits angesprochene prekäre Finanzlage wird seitens des Deutschen Städtetages hingewiesen: »Von 2010 bis 2013 sank die Anzahl der Arbeitslosen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende um lediglich 8 Prozent. Im gleichen Zeitraum wurden die Mittel für Fördermaßnahmen aber um etwa 40 Prozent reduziert, von 6,6 Milliarden Euro auf 3,9 Milliarden Euro.«
Die beiden kommunalen Spitzenverbände bringen die von vielen kritischen Beobachtern der Arbeitsmarktpolitik seit Jahren immer wieder vorgetragenen Schwachstellen auf den Punkt:

»Die Strategien für Menschen, die nur kurze Zeit arbeitslos sind, lassen sich nicht einfach auf Langzeitarbeitslose übertragen. Aktuell sind die arbeitsmarktpolitischen Instrumente der Jobcenter an viele Auflagen seitens des Gesetzgebers und an eher kurze Zeiträume gebunden. Schwer zu vermittelnden Langzeitarbeitslosen kann aus Sicht der Kommunen damit zu wenig geholfen werden. Der Bund sollte den Jobcentern deshalb die Entwicklung flexibler und längerfristiger Strategien zugestehen.«

Und sie fordern mit Blick auf die Vergangenheit mehr Geld – vom Bund: »Hatte der Bund zur Einführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende noch ein Budget von durchschnittlich 3.200 Euro pro Leistungsempfänger für Aktivierung, Eingliederung und Leistungsgewährung im Jahr veranschlagt, standen im Jahr 2012 nur noch 1.700 Euro zur Verfügung.«
Für etwa eine Million Menschen, die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende erhalten, sei eine Vermittlung in den Arbeitsmarkt äußerst schwierig. Während die BA in Gestalt von Heinrich Alt „neue Ideen über Zugangswege in Arbeit, mehr Perspektiven in Betrieben“ fordert,  sind für die Kommunen »die drohende Verfestigung der Langzeitarbeitslosigkeit und damit verbundene soziale Folgen eine der wichtigsten Herausforderungen. Viele Menschen, die sehr lange nicht mehr in der Arbeitswelt waren, brauchen neben der Vermittlung in Qualifizierungen oder in Arbeit eine intensive und individuell passgenaue Unterstützung.«

Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Dr. Stephan Articus, wird mit den folgenden Worten zitiert:

»Um Langzeitarbeitslosen mit sozialen und beruflichen Integrationsproblemen Chancen auf Teilhabe in Arbeitsprozessen zu ermöglichen, halten die Städte es für sinnvoll, auch die öffentlich geförderte Beschäftigung weiterzuentwickeln. Solche Angebote können dazu beitragen, sich dem ersten Arbeitsmarkt wieder anzunähern. Und für Menschen, die dort nicht mehr Fuß fassen können, sind sie eine Alternative zu Ausgrenzung und sozialer Isolation.«

Der Deutsche Landkreistag sekundiert mit Blick auf den „harten Kern“ der Langzeitarbeitslosen, »dass es eine Gruppe schwer zu vermittelnder Langzeitarbeitsloser gibt, für die der erste Arbeitsmarkt unabhängig von bestehenden Fördermitteln und Instrumenten nicht erreichbar ist. Diese Menschen benötigen längerfristige Angebote.« Gefordert wird »ein tragfähiges Konzept für öffentlich geförderte Beschäftigung. Denn auf dem regulären Arbeitsmarkt werden viele Langzeitarbeitslose realistischerweise keinen Job finden.«

Ja, ja und nochmals ja. Die immer wieder vorgetragenen Punkte aus der Arbeitsmarktdebatte der vergangenen Jahre tauchen hier in konzentrierter Form wieder auf.

Und nun? Was tun? Da wird es schon dünner bzw. angesichts der intensiven Diskussionen und der vorliegenden konkreten Modelle eines „zweiten“ oder wie er auch immer heißen soll Arbeitsmarkt muss man den Kopf schütteln angesichts solcher Worte des BA-Vorstandsmitglieds Heinrich Alt zur öffentlich geförderten Beschäftigung, die Katharina Schüler in ihrem Artikel „Kommunen wollen neue Initiative für Hartz-IV-Empfänger“ zitiert:

»Bislang leide der zweite Arbeitsmarkt jedoch unter dem Paradox, dass nur Tätigkeiten, die keine normale Beschäftigung gefährden, gefördert werden dürften, sagte Alt. Arbeitslose lesen beispielsweise in Heimen vor oder sammeln Müll in den Parks ein. Die Art der Tätigkeiten verringere die Chancen, dass der Übergang vom zweiten in den ersten Arbeitsmarkt gelinge. Auch das Prestigeprojekt der früheren Arbeitsministerin Ursula von der Leyen, die Arbeitslose zu Bürgerarbeitern machen wollte, erwies sich als Flop. „Hier müssen wir nochmal neu nachdenken“, sagte Alt.«

Da muss man angesichts der vielen Modelle nicht wirklich neu nachdenken, sondern man braucht mehr Mittel und vor allem rechtlich auch die entsprechenden Möglichkeiten, beispielsweise in professionellen Beschäftigungsunternehmen mit dem „ersten Arbeitsmarkt“ zusammen arbeiten zu können. Da hätte man sich schon eine klare Forderung an den Bundesgesetzgeber gewünscht: Abschaffung der „Zusätzlichkeit“ und der „Wettbewerbsneutralität“ von Maßnahmen der öffentlich geförderten Beschäftigung, damit man die Andockstellen an das „real life“ des Arbeitsmarktes endlich bestimmen und ausbauen kann.

Das wäre nur ein Beispiel für konkrete Forderung auch und gerade an die Große Koalition, die man hätte formulieren können und müssen. Statt dessen bekommen wir wieder einmal viel Lyrik serviert, gerade von Heinrich Alt, dem für das SGB II zuständige Vorstandsmitglied. In dem Artikel „Maßanzug für Langzeitabeitslose“ wird er mit den folgenden Worten zitiert: „Mit Konfektionsware kommen wir in der Grundsicherung nicht weiter“. „Wir brauchen eher was wie den Maßanzug, der vor Ort geschneidert werden sollte.“ Wohlfeile Formulierungen, wenn man sich die Realität in vielen Jobcentern anschaut.

Fazit: Nicht nur die enormen Mittelkürzungen in der Arbeitsmarktpolitik der vergangenen Jahre müssen rückgängig gemacht werden, weil man ansonsten keine halbwegs vertretbaren Maßnahmen für die Betroffenen entwickeln und anbieten kann. Aber gleichzeitig muss endlich das Förderrecht so eingedampft werden, dass man die vielen (übrigens seit Jahren geforderten) Freiheitsgrade in der Arbeit vor Ort endlich mal bekommt. Viele Jobcenter-Mitarbeiter sagen einem, auch wenn wir wollen, wir dürfen nicht. Hinsichtlich der erforderlichen Bearbeitung der vielen, wieder einmal richtig beschriebenen Probleme braucht es Flexibilität und Entscheidungsspielräume vor Ort.

Aber – auch wenn man nicht depressiv enden soll – selbst wenn das gelingen würde, wofür es derzeit keine Anhaltspunkte gibt, bleibt das Problem, dass viele Jobcenter-Mitarbeiter in den kommenden Monaten gar nicht mehr dazu kommen können, neue Wege zu gehen bzw. auszuprobieren. Weil sie absaufen in der internen Arbeit. Das, was hier angedeutet werden soll, ist ein sich abzeichnendes Drama der innersystemischen Paralyse und das hat einen Namen: „Allegro“. In der Musik ist Allegro eine Tempobezeichnung mit der Bedeutung schnell. Das ist vielleicht der Wunsch der BA-Spitze und der sie begleitenden Unternehmensberater. Die (fast schon zynische) Wahl des Programmnamens „Allegro“ ist irgendwie konsequent aus der Perspektive der da oben, denn das Wort kommt ursprünglich aus der italienischen Sprache und bedeutet „fröhlich, lustig, heiter“.

Aber das, was auf die Jobcenter zukommt, sieht ganz und gar nicht nach einem „fröhlichen, lustigen und heiteren“ Arbeiten am „Kunden“ aus. Denn „Allegro“ ist eine neue Software, in der Langfassung steht das für „ALG2-Leistungsverfahren Grundsicherung Online“. Und eine ganz neue Software verheißt gerade in der Einführungsphase nicht wirklich was Gutes.

»Wegen einer Software-Umstellung bei den Jobcentern könnte es im April zu Problemen bei der Auszahlung von Hartz-IV-Leistungen kommen. Betroffen seien vor allem die Ballungsräume und Großstädte, warnt Personalratschef Lehmensiek im Deutschlandfunk. Es gehe um vier Millionen Empfänger und deren Kinder«, so kann man es dem Vorspann zu einem Interview mit Uwe Lehmensiek, entnehmen. Im April soll der Testbetrieb beginnen. Zwar soll die neue Software parallel zur alten eingeführt werden, um die Probleme des Startjahres 2005 zu vermeiden. Dennoch kommt es in den Jobcentern zu einer Menge Mehrarbeit durch die EDV-Umstellung – womöglich zu so viel Mehrarbeit, dass über diese Umstellung auch die Hartz-IV-Auszahlungen in Mitleidenschaft gezogen werden könnten. Denn in den Jobcentern muss diese gewaltige Umstellung – inklusive der händischen Eingabe der vorhandenen Daten in das neue System – mit Bordmitteln und „neben“ dem Tagesgeschäft erfolgen.

Die Umstellung erfolgt händisch und parallel zum normalen Betrieb, da kein Budget für zusätzliche Fachkräfte eingeplant wurde. Dort, wo die Jobcenter zusätzlich Personal eingestellt hätten, laufe die Finanzierung aus dem „Eingliederungstitel“, also dem bereits zusammengestrichenen Topf für Fördermaßnahmen, denn diese Mittel sind „deckungsfähig“ mit den Verwaltungskosten.

Zu diesem problematischen Punkt berichtete das Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (BIAJ): » Insgesamt 445 Millionen Euro sind aus dem Haushaltstitel mit der Zweckbestimmung „Leistungen zur Eingliederung in Arbeit“ (darunter „Leistungen zur Engliederung nach dem SGB II“) in den Haushaltstitel mit der Zweckbestimmung „Verwaltungskosten für die Durchführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende“ (Bundesanteil) umgeschichtet worden.« Und weiter: »Die „Verwaltungskosten“ der insgesamt 410 Jobcenter betrugen demnach im Haushaltsjahr 2013 … in etwa 5,3 Milliarden Euro. Noch nie zuvor wurde vom Bund und den Kommunen so viel für diesen Zweck („Verwaltungskosten für die Durchführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende“) ausgegeben wie im neunten „Hartz IV-Jahr“.«

Bevor die Umstellung überhaupt beginnt, würden die Mitarbeiter geschult und Akten auf den neuesten Stand gebracht. Hier gebe es noch großen Nacharbeitungsbedarf. Wenn der Testbetrieb im April beginnt, seien dann, vor allem in Großstädten, Fehler und Zeitverzögerungen zu erwarten.
Wenn Bescheide und Geldleistungen in großem Umfang zu spät oder fehlerhaft herausgehen, erwartet Lehmensiek „Aggression und Gewalt, das wollen wir verhindern. Deswegen ist das unsere größte Sorge, dass es mit der Zahlung nicht klappt.“, erläutert er im Interview.

Dazu noch eine Ergänzung, gefunden im neuesten Newsletter von Harald Thomé: Kommt es durch Computerpannen und nicht rechtzeitiger Zahlung zu wirtschaftlichen Schäden bei den Betroffenen, z.B.  in Form von Rückbuchungsgebühren, Mahngebühren des Energieversorgers oder Vermieters, Zinsen wegen Kontoüberziehung, dann ist das Jobcenter dafür ersatzpflichtig. Der Ersatzanspruch begründet sich über § 40 Abs. 1 S. 1 SGB II iVm § 60 S. 2 SGB X iVm § 839 BGB iVm ständiger Rechtsprechung des BSG zum sozialrechtlichen Herstellungsanspruch.
Wahrscheinlich muss man dann noch mehr umbuchen aus dem Eingliederungstitel.

Das sind keine guten Rahmenbedingungen für neue Wege, um Langzeitarbeitslose wieder in Beschäftigung zu bringen.

Mehr als nur ein Blick in die Glaskugel: IAB-Prognose zur Arbeitsmarktentwicklung 2013/14 – und einige Schlussfolgerungen für die Arbeitsmarktpolitik

Regelmäßig veröffentlicht das zur Bundesagentur für Arbeit gehörende Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) eine Prognose der Arbeitsmarktentwicklung. Einen detaillierten Blick auf die – wahrscheinliche – Arbeitsmarktentwicklung im laufenden und im kommenden Jahr liefert der neue IAB-Kurzbericht 18/2013 mit dem Titel „Arbeitslosigkeit sinkt trotz Beschäftigungsrekord nur wenig“ von Johann Fuchs, Markus Hummel, Christian Hutter, Sabine Klinger, Susanne Wanger, Enzo Weber, Roland Weigand und Gerd Zika. Die Vorhersage der Arbeitsmarktentwicklung ist natürlich eine höchst komplexe Angelegenheit, die von vielen schwer bestimmbaren Faktoren beeinflusst wird. Die wichtigsten Annahmen und Befunde in aller Kürze:
Für 2013 und 2014 geht das IAB davon aus, dass die BIP-Wachstumsraten bei 0,6 Prozent und 1,8 Prozent liegen werden.
Zur Arbeitslosigkeit schreiben die Autoren: Nach einem geringen Anstieg in diesem Jahr wird die Arbeitslosigkeit 2014 wieder sinken, wenn auch nur leicht um 40.000 auf 2,9 Mio. Personen – wobei man hier wieder anmerken muss, dass damit die registrierte Arbeitslosigkeit gemeint ist, die man als Untergrenze der tatsächlichen Betroffenheit von Arbeitslosigkeit verstehen sollte.
Mit Blick auf die Erwerbstätigkeit überbringen die Wissenschaftler erfreulich daherkommende Nachrichten aus dem deutschen „Jobwunderland“: »In diesem und im nächsten Jahr erwarten wir Zuwächse von je 240.000 Personen. Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung entwickelt sich noch stärker und erreicht ein neues Allzeithoch.«
Das Arbeitsangebot – gemessen am Erwerbspersonenpotenzial – wird sich weiter vergrößern, denn aufgrund der starken Zuwanderung und einer leicht steigenden Erwerbsbeteiligung geht das IAB von einem Wachstum um 220.000 Personen im Jahr 2013 und um fast 120.000 im Jahr 2014 aus.

Und dann kommt in der Zusammenfassung des IAB zu den eigenen Prognosen eine interessante und hier besonders hervorzuhebende Aussage:

»Mit einem starken Rückgang der Arbeitslosigkeit ist vorerst nicht mehr zu rechnen, strukturelle Probleme werden deutlicher. Um die Beschäftigungschancen wieder zu erhöhen, sollte die Arbeitsmarktpolitik auf eine wirksame Qualifizierungsstrategie fokussiert werden und der steigenden Bedeutung des harten Kerns der Arbeitslosigkeit Rechnung tragen.«

Immer wieder – auch in den Beiträgen hier im Blog „Aktuelle Sozialpolitik“ – wird darauf hingewiesen, dass wir in den vergangenen Jahren, die ja gekennzeichnet waren durch eine insgesamt sehr positive Arbeitsmarktentwicklung und mithin also eigentlich optimale Rahmenbedingungen, gleichzeitig eine Verhärtung der Langzeitarbeitslosigkeit im Grundsicherungssystem (SGB II) beobachten mussten.

Nehmen wir zur Illustration die kritische Berichterstattung von „O-Ton Arbeitsmarkt„. Unter der Überschrift „Langzeitarbeitslose: Verlierer des deutschen Arbeitsmarktes“ wird beispielsweise berichtet: »Während die Zahl der Arbeitslosen in der Arbeitslosenversicherung (SGB III) in den letzten Jahren stark gesunken ist, hat sich bei den Langzeitarbeitslosen (SGB II) daher auch deutlich weniger getan. Ihre Zahl hat sich seit 2009 von etwa 2,2 auf rund zwei Millionen Menschen verringert, ein Minus von 10 Prozent. Die Zahl der Kurzzeitarbeitslosen im SGB III hingegen reduzierte sich zeitgleich von rund 1,2 Millionen auf etwa 900.000 Personen um ganze 24 Prozent … Wenn die Arbeitssuche bei den „Hartz IV“-Arbeitslosen dennoch glückt, ist das Arbeitsverhältnis häufig nicht von Dauer …« Zugleich wird darauf hingewiesen, dass die Zahl der registrierten Arbeitslosen nur eine Teilgruppe darstellt unter den erwerbsfähigen Hartz IV-Empfängern. Und schaut man sich die genauer an, die ergeben sich erschreckende Befunde, die konturieren können, was mit „Verhärtung“ der Langzeitarbeitslosigkeit gemeint ist. Zu den erwerbsfähigen Leistungsempfängern erfahren wir: »Ende des Jahres 2012 waren es rund 4,4 Millionen Menschen. Gegenüber 2009 (4.909 Millionen im Jahresdurchschnitt) hat sich ihre Zahl um lediglich 13 Prozent verringert. Ganze 2,1 Millionen dieser erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, insgesamt 49 Prozent, waren im Dezember 2012 bereits seit mehr als vier Jahren abhängig von „Hartz IV“-Leistungen.«
Die angesprochene Diskrepanz zwischen den an sich guten (ökonomischen) Rahmenbedingungen auf dem Arbeitsmarkt und der Verfestigung von Langzeitarbeitslosigkeit wird auch in der IAB-Studie thematisiert: »Die … beschriebene Diskrepanz zwischen den Entwicklungen von Beschäftigung und Arbeitslosigkeit offenbart, dass die Konjunktur zuletzt nicht kräftig genug war, um strukturelle Schwierigkeiten beim weiteren Abbau von Arbeitslosigkeit zu kom­pensieren« (Fuchs et al. 2013: 5). Die gespaltene Entwicklung wird von den IAB-Wissenschaftlern so formuliert: »Die Beschäftigung hat bis zuletzt ihren Aufwärts­trend fortgesetzt … Einen wesentlichen Beitrag hat das noch immer steigende Erwerbsper­sonenpotenzial geleistet, vor allem die hohe Zuwan­derung. Demgegenüber stagniert die Arbeitslosigkeit seit Längerem mit leicht ungünstiger Tendenz, weil die Chancen zur Beendigung von Arbeitslosigkeit gesunken sind« (Fuchs et al. 2013: 9).

Die IAB-Forscher gehen davon aus, dass es strukturelle Ursachen sind, die einen weiteren Abbau der Arbeitslosigkeit erschweren. Problematisch bleibt nach Auffassung des IAB die Mismatch-Arbeitslosigkeit, die dadurch entsteht, dass für arbeitslose Personen z. B. in einem bestimmten Beruf, einer Branche oder einer Region keine Vakanz vorhanden ist, und umgekehrt.

Was tun? Es werden folgende Handlungsfelder für die zukünftige Arbeitsmarktpolitik skizziert (S. 12):

»Arbeitslose: In der Arbeitsmarktpolitik sollte der Trend stärker in Richtung nachhaltiger und individueller Maßnahmen sowie intensiver Betreuung gehen.«

Wohl wahr, genau das fordern die Kritiker der Arbeitsmarktpolitik der letzten Jahre schon seit langem. Gut, dass es jetzt auch so vom IAB formuliert wird. Was das praktisch bedeutet? Beispielsweise endlich wieder in stärkerem Maße die – eben auch erst einmal in the short run – teureren Umschulungsmaßnahmen zu fördern, die einen Berufsabschluss ermöglichen, der eine wichtige Eintrittskarte auf dem deutschen Arbeitsmarkt darstellt.

Aber das IAB greift auch einen Kritikpunkt aus dem Umfeld der Debatte über das deutsche „Jobwunder“ auf, der sich auf die Qualität der neuen Jobs bezieht:

»Beschäftigte: Dieser Aspekt erhält besondere Re­levanz, da es im letzten Jahrzehnt bei deutlichem Abbau der Arbeitslosigkeit auch zu einem deutlichen Aufbau von Beschäftigung niedrigerer Qualität kam. Will man strukturelle Probleme gerade im unteren Segment des Arbeitsmarktes angehen, so ist nicht nur der Einstieg, sondern auch der Aufstieg im Arbeits­markt essenziell … Weiterbildung, aber auch Betreuung sowie Verstetigung von Beschäfti­gung gehören zu einer Strategie, die von staatlicher Seite unterstützt und wesentlich unter Mitwirkung der Arbeitgeber vorangebracht werden sollte.«

Und auch die jungen Menschen fehlen nicht in dem Aufriss der Aufgaben an die Arbeitsmarktpolitik der vor uns liegenden Monate:

»Junge Generation: Strukturproblemen begegnet man am besten, bevor sie entstehen … Großes Potenzial liegt … noch in der Verbesserung der Chancen bildungsferner Gruppen. Die Ungleichheit verfestigt sich hier von Beginn an bis zum Abschluss des Bildungsweges. Der stärkste Hebel liegt in der frühzeitigen Förderung gerade von Kindern aus sozial benachteiligten Schichten. Die Arbeitsmarktpolitik kann einen Beitrag leisten, indem sie – in Zusam­menarbeit mit den Unternehmen – die Bemühungen für abschlussorientierte Maßnahmen im Hinblick auf eine zweite Chance für junge Erwachsene ohne Berufsabschluss noch weiter verstärkt.«

Alles natürlich in einem Fazit noch sehr allgemein gehalten, aber es ist wichtig, dass diese Punkte in dieser Veröffentlichung des IAB platziert worden sind. Bleibt zu hoffen, dass das Eingang findet in die nun anstehenden Koalitionsverhandlungen.

Auf das Basisjahr kommt’s an. Statistiker-Weisheit hilft bei der Einordnung der vielen Jubelmeldungen über den deutschen Jobwunder-Arbeitsmarkt

Da war sie wieder – eine dieser vielen Erfolgsmeldungen der Bundesregierung von der Arbeitsmarktfront: „Gute Jobaussichten für Langzeitarbeitslose„, so ist eine Pressemitteilung der Bundesregierung überschrieben. Darin findet sich gleich am Anfang die wohltuend daherkommende Botschaft: »Auch die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist deutlich gesunken: zwischen 2007 und 2011 von 1,72 Millionen auf 1,05 Millionen.« 670.000 Langzeitarbeitslose weniger – das ist doch was!
Doch bevor man jetzt in Ehrfurcht erstarrt angesichts dieses doch offensichtlichen Erfolgs der Bundesregierung, kann es hilfreich sein, kritische Stimmen zu Wort kommen zu lassen.

Und kritische Kommentierungen und Analysen findet man beispielsweise auf der Website „O-Ton Arbeitsmarkt„, die eine alternative Arbeitsmarktberichterstattung zu liefern verspricht. Dort wurde diese Jubelmeldung vom Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit unter die Lupe genommen – und das Fazit findet sich kompakt in der Überschrift: „Bundesregierung rechnet Rückgang der Langzeitarbeitslosigkeit schön“. Schauen wir uns die Argumentation genauer an.

Die Hauptkritik lautet: Bei genauem Hinsehen entpuppt sich der herausgestellte Rückgang der Langzeitarbeitslosigkeit als ein rein statistischer Effekt, den sich die Bundesregierung zunutze macht. Um das zu verstehen, muss man zurückschauen in das Jahr 2005: »Mit den Hartz-Reformen wurden die Arbeitslosen- und Sozialhilfe 2005 zur Grundsicherung für Arbeitssuchende („Hartz IV“) zusammengeführt. Zahlreiche ehemalige Sozialhilfeempfänger erhielten im Zuge dieser Umstellung irrtümlich den Status arbeitslos, obwohl sie dem Arbeitsmarkt tatsächlich nicht zur Verfügung standen. Das führte zu einem sprunghaften Anstieg der Arbeitslosenzahl 2005 und daher im Verlauf der Jahre 2006 und 2007 zu einem deutlichen Zuwachs bei den Langzeitarbeitslosen. Im Jahresdurchschnitt 2007 war die Zahl der Langzeitarbeitslosen allein deshalb auf den absoluten Höchstwert von 1,7 Millionen Menschen angestiegen.«

Dieser Höchstwert reduzierte sich in den Folgejahren durch Korrektur der Fehlzuweisungen. Daraus ergibt sich der überdurchschnittlich starke, aber hauptsächlich statistische, Abbau der Langzeitarbeitslosenzahl zwischen 2007 und 2009, so „O-Ton Arbeitsmarkt“.

Nun ist es so – um gleich möglichen Einwänden den Wind aus den Segeln zu nehmen -, dass die das nicht einfach behaupten, sondern das behauptet die Bundesagentur für Arbeit selbst. Hierzu ein Zitat aus dem 2011 von der BA veröffentlichten Bericht „Sockel- und Langzeitarbeitslosigkeit“:

»Allerdings können die hohen Werte in den Jahren 2005 und 2006 auch als Folge der anfänglich sehr weitreichenden Statuszuweisung „arbeitslos“ für erwerbsfähige Hilfebedürftige im Zuge der Einführung des SGB II gelten. Der deutliche Rückgang ist damit teilweise einer Bereinigung der übererfassten Fälle insbesondere in den ersten drei Jahren des SGB II geschuldet.«

„O-Ton Arbeitsmarkt“ arbeitet heraus, dass der Großteil des Rückgangs der Langzeitarbeitslosigkeit zwischen 2007 und 2011 in den Jahren 2008 und 2009 erfolgte, in denen die Korrekturen der Fehlzuweisungen vorgenommen wurden. In diesen beiden Jahren wurde die Langzeitarbeitslosenzahl statistisch um 590.000 Personen nach unten korrigiert.

Um tatsächlich von arbeitsmarktpolitischen Erfolgen sprechen zu können, sind erst die Zahlen ab 2010 aussagekräftig. Erst dann lässt sich wieder von einem statistisch unbeeinflussten Abbau der offiziell ausgewiesenen Langzeitarbeitslosigkeit sprechen – und für diesen Zeitraum sind die Rückgänge dann weitaus bescheidener.

Aber auch hier muss man genau auf die Wortwahl achten – denn „O-Ton Arbeitsmarkt“ spricht von der „offiziell ausgewiesenen Langzeitarbeitslosigkeit“ und will damit zum Ausdruck bringen, dass diese Zahl eine Unterschätzung des tatsächlichen Phänomens der Langzeitarbeitslosigkeit ist:

So müsse man berücksichtigen, »dass die offizielle Statistik die Zahl der Langzeitarbeitslosen massiv unterzeichnet.  So genannte „schädliche Unterbrechungen“ machen bisherige Langzeitarbeitslose zu „neuen“ Arbeitslosen – zumindest statistisch.
Denn was sich Unterbrechung nennt, bedeutet nicht zwangsläufig, dass die Arbeitslosigkeit tatsächlich zeitweise beendet wurde. „Schädlich“ ist beispielsweise schon die Teilnahme an einer arbeitsmarktpolitischen Maßnahme oder eine längere Krankheit. Nach dieser Unterbrechung wird die Dauer der Arbeitslosigkeit von vorne gezählt und ein neues Startdatum eingetragen. Dass die betreffenden Personen in der Zwischenzeit weder Arbeit gefunden noch den Arbeitslosengeldbezug beendet haben, ist irrelevant.«

Bereits im November 2012 hatte „O-Ton Arbeitsmarkt“ über diesen Tatbestand berichtet: „Statistik schönt Ausmaß der Langzeitarbeitslosigkeit„, so ist der damalige Artikel überschrieben worden.

Fazit: Eine alternative, kritische Berichterstattung kann ein wichtiges Korrektiv sein, vor allem in Zeiten, in denen Politiker gerne so mit Zahlen jonglieren, dass dem Bürger schwindelig wird.

Ein mehrfaches Drama in Zahlen: Zur gesundheitlichen Situation von langzeitarbeitslosen Menschen

Es gibt in der Arbeitsmarktforschung eine lange Traditionslinie von Forschungen, die eine besondere gesundheitliche Belastung von arbeitslosen Menschen, vor allem hinsichtlich der zerstörerischen Wirkung lang andauernder Arbeitslosigkeit, nachweisen können. Man denke hier nur an die für die Sozialforschung so wichtige „Marienthal-Studie“, die die Folgen des wirtschaftlichen Niedergangs dieses österreichischen Ortes in den 1930er Jahren untersuchte (vgl. hierzu: Jahoda, M., Lazarfeld, P. F. und Zeisel, H.: Die Arbeitslosen von Marienthal. Ein soziographischer Versuch über die Wirkungen langandauernder Arbeitslosigkeit, Frankfurt: Suhrkamp 1975).

»Gesundheitlich eingeschränkte Arbeitnehmer tragen ein höheres Risiko, entlassen zu werden, und sie bleiben überdurchschnittlich lange arbeitslos. Zudem kann Arbeitslosigkeit gesundheitliche Probleme auslösen oder verstärken. Auch die wahrgenommene Unsicherheit des eigenen Arbeitsplatzes hat bereits deutlich negative Auswirkungen auf die Gesundheit«: Mit diesen Worten beschreibt das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) einführend die Informationsplattform „Arbeitslos – Gesundheit los – chancenlos?„, auf der man zahlreiche Materialhinweise zum Thema finden kann. 

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