Der deutsche Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz und der österreichische Blick darauf

Am 1. August 2013 ist in Deutschland der individuelle Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz ab dem vollendeten ersten Lebensjahr in Kraft getreten und die Berichterstattung ist voll von scheinbaren Erfolgsmeldungen, was die Zahl der Betreuungsplätze für die unter dreijährigen Kindern und Kitas und der Tagespflege angeht (vg. hierzu aber Sell, S.: Das deutsche „Betreuungs(platz)wunder“. Einige kritische Anmerkungen zu den Erfolgsmeldungen am Vorabend des Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz für Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr (= Remagener Beiträge zur Kinder- und Jugendhilfe 06-2013), Remagen, 2013), aber auch von zahlreichen kritischen Berichten zum einen über fehlende Plätze, zum anderen auch über die Qualität bzw. Nicht-Qualität der Kleinkinderbetreuung.

Bei aller kritischen Distanz zu der Art und Weise der Umsetzung des Rechtsanspruchs in Deutschland – ein vergleichender Blick auf unsere Nachbarländer, was ja beispielsweise immer gerne in Richtung Frankreich oder die skandinavischen Länder getan wird, kann auch zeigen, dass Deutschland in den vergangenen Jahren erhebliche Fortschritte gemacht hat bei dem Angebot an Betreuungsmöglichkeiten, gerade mit Blick auf die Schweiz oder Österreich. Vor diesem Hintergrund ist es interessant zu sehen, wie in Österreich das Inkrafttreten des Rechtsanspruchs beobachtet und bewertet wird.

Recht auf Krippenplatz: Deutschland als Vorbild?“ fragen Karl Gaulhofer und Ulrike Weiser in ihrem Beitrag. Sie beschreiben die große Differenz zu den deutschen Nachbarn: In Österreich »gibt es weder ein Recht auf Krippe noch konkrete Pläne, auch beim Kindergarten existiert ein Rechtsanspruch erst ab dem fünften Lebensjahr.« Und die rot-schwarze Koalition in Österreich zeigt sich auf Nachfrage abwartend, was einen möglichen österreichischen Rechtsanspruch angeht.

»Würde man schon jetzt einen Rechtsanspruch für später fixieren, würde der Ausbau wohl schneller gehen, sagt Sonja Blum, Wissenschaftlerin am Österreichischen Institut für Familienforschung. Das zeige die Erfahrung aus Deutschland.« Als Zielgröße wird auch für Österreich eine Quote von 35% genannt, die am Anfang des Ausbaus in Deutschland stand. Aktuell soll die Betreuungsquote bei 20,8% liegen. Wobei gleich auf eine Erfahrung hingeweisen wird, die wir in Deutschland schmerzhaft machen mussten: »Angebot schafft Nachfrage. Seit sich die Politik offensiv um den Ausbau der Betreuung bemüht, wurden die Bedarfsquoten mehrmals nach oben korrigiert. Der Kita-Ausbau hat einen gesellschaftlichen Wandel ausgelöst.«

Der Artikel von Gaulhofer und Weiser identifiziert richtigerweise drei zentrale Konflikte beim Kita-Ausbau in Deutschland: Quantität versus Qualität, die Finanzierung sowie das Betreuungsgeld.

Wir brauchen ein Recht auf gute Kindergärten„, so das Plädoyer von Christoph Schwarz in seinem Leitartikel. Der Ausbau in Österreich, so Schwarz, wäre wünschenswert, aber zuvor braucht es ein Umdenken, denn viele sehen die Kindergärten als bloße Aufbewahrungsstätte. Er lobt den deutschen Weg: »Das Erfrischende an dem deutschen Vorstoß ist, dass es ausnahmsweise einmal nicht um eine Pflicht – wir erinnern uns an die immer wiederkehrende Debatte um die Kindergartenpflicht – geht, sondern um ein Recht, eine garantierte Leistung in Anspruch nehmen zu können. Die deutsche Politik zollt mit der Maßnahme zugleich der veränderten gesellschaftlichen Realität Tribut.« Soweit die positive Bewertung, er adressiert allerdings auch eine wichtige Kritiklinie: »Der rasante Ausbau der Krippenplätze, den Deutschland derzeit vornimmt, lässt den Verdacht aufkeimen, dass es sich bei dem Konzept eben nur um eine bloße Arbeitsmarktmaßnahme handelt. Die pädagogischen und bildungspolitischen Aspekte, die einer derartigen Entwicklung zwingend innewohnen müssten, scheinen dabei im Hintergrund zu stehen. Oder wer würde – wie in Deutschland nun der Fall – sein zweijähriges Kind gern in einer notdürftig umgebauten Kfz-Werkstatt oder ein paar Containern betreut sehen?« Schwarz sieht die Ursache für diese Schattenseite darin, dass sich immer noch nicht das Verständnis durchgesetzt hat, dass die Kindertageseinrichtungen mehr sind als eine bloße Aufbewahrungsstätte: » Der Gedanke vom Kindergarten als „erster Bildungseinrichtung“, der in der Wissenschaft mittlerweile als unumstritten gelten kann, hat es noch nicht in die Gesellschaft geschafft.« Und er verweist auf eine aus dieser Unterbewertung resultierende strukturelle Problematik, die wir auch in Deutschland zur Genüge kennen und diskutieren:

»Das spiegelt sich in Österreich nicht zuletzt im gelinde gesagt letztklassigen Umgang mit den Kindergartenpädagoginnen wider … den wir hierzulande immer noch an den Tag legen. Während es den Lehrern gelungen ist, sich dank starker Gewerkschaft zu zentralen Gestaltern ihrer eigenen Arbeitsbedingungen aufzuschwingen, verhält es sich bei den Kindergärtnerinnen genau umgekehrt.
Die Bezahlung ist schlecht. Um eine neu gestaltete Ausbildung auf akademischem Niveau hat die Regierung die Kindergärtnerinnen ebenfalls betrogen. Sie reformierte die Lehrerausbildung, teilte den Kindergärten in letzter Sekunde aber mit, dass sie beim neuen Konzept (entgegen früheren Versprechungen) nicht mit an Bord seien.«

Bereits diese Hinweise deuten an, dass es zahlreiche Ähnlichkeiten hinsichtlich der strukturellen Probleme zwischen Deutschland und Österreich gibt, immer unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Österreicher der deutschen Entwicklung noch erheblich hinterherhinken. Auf diesen Tatbestand verweist auch der Artikel „Der Kindergarten als ewiger Problemfall“ von Julia Neuhauser und Jakob Zirm. Sie gehen davon aus, dass sich in Österreich für die Kleinsten in absehbarer Zeit wenig tun wird und beschreiben dann die strukturellen Probleme im Bereich der Betreuung der 3- bis 6-Jährigen in Österreich. Und ihre Auflistung kann man eins zu eins auf Deutschland übertragen. Sie formulieren die Schwachstellen in acht Punkten:

1. Das Betreuungsverhältnis in den heimischen Kindergärten lässt zu wünschen übrig.
»Als „Massenkindhaltung“ bezeichnet Raphaela Keller, die Vorsitzende der „Berufsgruppe Kindergarten- und HortpädagogInnen Wiens“, das, was in den heimischen Kindergärten passiert. Häufig ist eine einzige ausgebildete Kindergartenpädagogin (in der Regel sind es Frauen) für 25 Kinder zuständig. Wenn sie Glück hat, hilft eine Assistentin, oft aber auch nicht.«
2. Die Bezahlung der Kindergärtnerinnen ist schlecht. Der Job dadurch wenig attraktiv.
»Zwischen 1700 und 2200 Euro brutto im Monat verdienen die Pädagoginnen – je nach Bundesland –, wenn sie in den Beruf einsteigen.«
3. Die Ausbildung wird noch lange nicht auf akademischem Niveau stattfinden.
»Eigentlich sollte mit der „PädagogInnenbildung neu“ nicht nur die Lehrerausbildung, sondern auch die der Kindergartenpädagoginnen reformiert werden. Geworden ist daraus nichts. Die Ausbildung wird weiter an den Bakips stattfinden … Ein Grund – neben dem fehlenden Geld: Derzeit gibt es in Österreich nur eine einzige Uni-Professur für Elementarpädagogik.«
4. Die Kindergartenpädagoginnen haben keine politische Lobby.
»Gemessen an ihrer Zahl müssten die Pädagoginnen … eigentlich durchschlagskräftiger sein: Fast 52.000 sind es, und damit mehr als doppelt so viele wie etwa AHS-Lehrer. Doch während die Gewerkschaft Letzterer die Regierung und auch die Öffentlichkeit mit den ständigen Diskussionen über das Lehrerdienstrecht auf Trab hält, ist die Situation der Kindergartenpädagoginnen kaum jemals Thema.«
5. Es fehlt ein Bundesrahmengesetz. Durch die Länderkompetenz wird vieles erschwert.
6. Das Angebot in den Bundesländern ist höchst unterschiedlich – teils mangelhaft.
7. Gute Kindergärten kosten Geld. Geld, das Länder und Gemeinden oft nicht haben.
8. Bei Kindergärten stellt sich die oft Frage, ob das Geld nicht effizienter einsetzbar wäre.

Diese acht Punkte fokussieren auf die strukturellen Herausforderungen, denen wir uns auch in Deutschland gegenüber sehen. Sie sind – nicht wirklich überraschend – häufig Folgeprodukte aus der föderalen Verfasstheit der (Nicht-)Entscheidungs- und (Nicht-)Zuständigkeitsstrukturen, von denen wir in Deutschland ein Lied singen können.

Die lieben Kleinen und das Personal. In den Kindertageseinrichtungen wird es voller, enger und jünger. Gleichzeitig fehlen bereits heute vorne und hinten Fachkräfte

Bevor das statistische Bundesamt die neuen Daten aus dem März dieses Jahres über die Zahl der Betreuungsplätze für unter dreijährige Kinder veröffentlicht, auf die sich die Öffentlichkeit angesichts des zum 1. August anstehenden Rechtsanspruchs auf einen solchen Platz ab dem vollendeten ersten Lebensjahr der Kinder stürzen wird, sei an dieser Stelle auf die neue Veröffentlichung des „Länderreports Frühkindliche Bildungssysteme“ der Bertelsmann-Stiftung hingewiesen: „Eine Frage der Qualität: Kitas haben oft zu wenig Personal„, so hat die Stiftung ihre Pressemitteilung überschrieben. Es fehlt an Erzieherinnen: Der Personalmangel in der Kinderbetreuung ist nicht nur die größte Hürde, wenn es ab August gilt, den Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz für Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr einzulösen, so die Bertelsmann-Stiftung – sondern bereits heute sind wir in den Kindertageseinrichtungen mit Personalschlüsseln konfrontiert, die oftmals wenn überhaupt nur eine Betreuungsfunktionalität ermöglichen, nicht aber die Umsetzung anspruchsvoller Bildungsziele, die in der aufgeregten Nach-Pisa-Zeit den Kitas über teilweise sehr voluminöse Bildungspläne verordnet worden sind. Und dann sind da ja auch noch die Erziehungsaufgaben, von denen aber weitaus seltener gesprochen wird. Und noch etwas kommt hinzu, wenn man die von der Bertelsmann-Stiftung präsentierten Daten richtig einordnen will: In den vergangenen Jahren haben die Kitas einen tiefgreifenden Strukturwandel dergestalt durchlaufen, dass sie zum einen immer jüngere Kinder aufgenommen haben bzw. aufnehmen mussten, dass sie einen Teil der Kinder immer länger betreuen müssen und schlussendlich, dass sie die Öffnungszeiten der Einrichtungen immer mehr ausgedehnt haben. Das alles muss vor dem Hintergrund gesehen werden, dass es sich im Regelfall bei den Kindertageseinrichtungen um überwiegend kleine Betriebe handelt, mit in der Regel weniger als zehn Beschäftigten und darunter seit Jahren immer mehr teilzeitbeschäftigten Frauen – mittlerweile beläuft sich der Anteil der Teilzeit arbeitenden Beschäftigten in westdeutschen Kindertageseinrichtungen auf 66,5%. Eine solche Struktur hat natürlich erhebliche personalwirtschaftliche Auswirkungen, beispielsweise bei Ausfällen einzelner Mitarbeiterinnen, ganz abgesehen von den qualitativen Implikationen, die mit einer höheren Fluktuation der Fachkräfte beispielsweise angesichts des Bedarfs an „Bezugserzieherinnen“ für die ganz Kleinen verbunden sind.

Die Bertelsmann-Stiftung hat in ihrem „Länderreport“ neben anderen Daten über die Kindertageseinrichtungen auch den „Personalschlüssel“ dargestellt – dabei ist vor dem aktuellen Hintergrund natürlich besonders interessant der Schlüssel für die Betreuung der unter dreijährigen Kinder:

»Im bundesweiten Durchschnitt beträgt demnach der Personalschlüssel in Krippen 1:4,5. In den ostdeutschen Krippen jedoch betreut eine Vollzeitkraft rechnerisch sechs Ganztagskinder. Nach dem von der Bertelsmann Stiftung empfohlenen Personalschlüssel (1:3) sollte eine Erzieherin nur für halb so viele Kinder verantwortlich sein. Das einzige Land, das diese Empfehlung nahezu erfüllt, ist Bremen, wo eine Vollzeitkraft für 3,1 ganztags betreute Kinder verantwortlich ist. Die schlechteste Betreuungsrelation finden Eltern für ihre unter dreijährigen Kinder in Sachsen-Anhalt (1:6,5).«

In den Medien wurde dann entsprechend berichtet und der nicht vorbelastete Beobachter wird diese Daten so interpretieren, wie sie scheinbar daherkommen: Man stellt sich eine Kita vor und geht davon aus, dass im ausgewiesenen günstigsten Fall 3,1 der Kinder von einer Fachkraft umsorgt werden, während es bei dem Land mit der roten Laterne immerhin mehr als das Doppelte an Kindern sind. Aber  wie so oft im Leben: So einfach ist es leider nicht, worauf die Stiftung in ihren methodischen Erläuterungen auch ausführlich hinweist und bereits in der zitierten Meldung heißt es ja, dass z.B. in Sachsen-Anhalt „eine Vollzeitkraft“ für 6,5 „ganztags betreute Kinder“ zuständig sei. Daraus resultieren zwei zu beachtende Randbedingungen: Zum einen darf man diesen Wert nicht verwechseln mit tatsächlicher Arbeit einer Fachkraft mit dem Kind/den Kindern, das wäre die Fachkraft-Kind-Relation und die liegt höher (anders gesagt: die ist dann noch schlechter), denn man muss ja berücksichtigen, dass die Erzieherin auch mal nicht da ist oder sein kann bzw. dass es auch Aktivitäten gibt, die nur „mittelbar“ mit den Kindern zu tun hat, beispielsweise Elterngespräche oder Vor- und Nachbereitung des pädagogischen Programms.

Die GEW hat anhand eines Beispiels den Unterschied zwischen Personalschlüssel und Fachkraft-Kind-Quote rechnerisch erläutert. Und zum anderen ist dieser Personalschlüssel ein statistischer Wert, man muss ja unterschiedliche Zeitkonstellationen sowohl bei den Betreuungszeiten der Kinder wie auch bei der Arbeitszeiten der Erzieherinnen kompatibel machen, wenn man sie denn miteinander vergleichen möchte. Die Stiftung erläutert dieses „Gleichmachen“ unterschiedlicher Zeitkonstellationen an der Definition des Personalschlüssels in ihren methodischen Hinweisen:
Der Personalschlüssel gibt an, »wie viele Ganztagsbetreuungsäquivalente aufseiten der betreuten Kinder auf ein Vollzeitbeschäftigungsäquivalent aufseiten der pädagogisch Tätigen kommen« (S.3), es handelt sich also um eine Umrechnung der Arbeitszeiten der Fachkräfte auf eine (fiktive) Vollzeitarbeitskraft und ebenso die Umrechnung der unterschiedlichen Betreuungszeiten der Kinder auf ein (fiktiv) ganztags betreutes und damit in der Einrichtung anwesendes Kind. Anders geht es nicht, wenn man alle miteinander vergleichen will.

Was man auch noch wissen muss – und was sicher für die tatsächlich in den Einrichtungen arbeitenden Erzieher/innen wichtig ist, die ihre Realität in den Gruppen teilweise deutlich schlechter wahrnehmen als es die ausgewiesenen Personalschlüssel nahelegen: Es gibt gruppenübergreifend tätige Fachkräfte, die also nicht direkt in den Gruppen arbeiten. Da die Statistiker nicht wissen, wo und wie lange die was machen, wird deren Arbeitszeit einfach über alle Gruppen bzw. über alle Kinder der Einrichtung anteilig verteilt, deren Betreuungsrelation also zugerechnet. Genauso verfährt man übrigens mit den Leitungskräften, die ebenfalls umgelegt werden auf die Kinder, in praxi aber gar nicht oder nur teilweise zur Verfügung stehen. Das muss man wissen, denn dann versteht man auch, dass die ausgewiesenen Werte oftmals eine Überschätzung der tatsächlichen Personalausstattung zum Ausdruck bringen, mit anderen Worten: An der Betreuungsfront sind die Personalrelationen noch schlechter, als sie von der Stiftung bereits mit Bezug auf die statistischen Kunstwerte ausgewiesen werden.

Zwei interessante Zusammenhänge kann der Ländermonitor der Bertelsmann-Stiftung herausarbeiten: Vereinfacht gesagt lautet ein funktionaler Zusammenhang vor allem bei Berücksichtigung der West-Ost-Differenzen und mit Blick auf die unter dreijährigen Kinder:
1.) Je mehr die Bedarfe der Eltern gedeckt werden, desto schlechter sind aber die Betreuungsrelationen (und umgekehrt, wie man am Beispiel Bremen sehen kann: rechnerisch gute Betreuungsrelation, aber mit 20% Nicht-Deckung des Bedarfs Schlusslicht im Westen).
2.) Die Differenzen zwischen den Bundesländern sind massiv und nicht zu rechtfertigen (wenn man den Personalschlüssel als eine der wichtigen und unverzichtbaren Rahmenbedingungen für Qualität versteht): Im Westen hat die Stadt Hamburg den ungünstigsten Personalschlüssel. Dort ist eine Vollzeitkraft für durchschnittlich 5,2 Kinder unter drei Jahre verantwortlich, während es in Bremen „nur“ 3,1 Kinder sind, rechnerisch gesehen – das bedeutet, wir werden damit konfrontiert, dass ausgehend vom Bremer Personalniveau das in Hamburg um 68% schlechter ist! Natürlich noch schlimmer werden diese Abweichungen, wenn wir West und Ost vergleichen.

Auf einen weiteren und höchst bedenklichen Befund weist der Ländermonitor in seiner differenzierten Analyse der Betreuungsformate der Kleinkinder hin: Der Personalschlüssel variiert erheblich je nach Gruppenform, in der die Kinder betreut werden – das Spektrum reicht hier von der kleinen Krippengruppe, in der nur unter dreijährige Kinder betreut werden, bis hin zur „geöffneten“ großen Kindergartengruppe, in die dann einige Kleinkinder gesteckt werden. Die Bertelsmann-Stiftung erläutert die hier zu beobachtenden Spannweiten:
In den westdeutschen Bundesländern »ist in den Krippen eine Erzieherin statistisch für 3,7 Kinder verantwortlich. In den altersübergreifenden Gruppen, die gut 15 Prozent der unter Dreijährigen besuchen, betreut eine Erzieherin rechnerisch 5,8 Kinder. Noch ungünstiger ist die Personalausstattung in für Zweijährige geöffneten Kindergartengruppen (1:7,9). In eine solche Gruppe geht im Westen fast jedes fünfte Kita-Kind (18 Prozent) unter drei Jahren.«
Das entsprechende Fazit zieht Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann-Stiftung: »Die Personalschlüssel in den altersgemischten Gruppen orientieren sich derzeit an den Bedürfnissen der über Dreijährigen. Wir müssen aufpassen, dass die Jüngsten nicht zu kurz kommen, denn ihre Bildungschancen verschlechtern sich mit unzureichenden Betreuungsrelationen.« Und das ist noch „nett“ ausgedrückt.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) mahnte Verbesserungen an. »Wir brauchen endlich eine bundesweite Regelung, in der hohe Qualitätsstandards verankert sind«, erklärte GEW-Vorstandsmitglied Norbert Hocke in Frankfurt am Main. Über die Qualität des Krippenangebots dürfe weder der Zufall noch die Haushaltslage eines Landes oder einer Kommune entscheiden, so die Zitation in dem Artikel „Miese Noten für Kinderkrippen„.

Wer sich genauer mit den Untiefen der Personal- sowie Fachkraft-Kind-Schlüssel beschäftigen will und wer auf der Suche beispielsweise nach „kritischen Schwellenwerten“ ist, bei deren Unterschreiten wir in den Bereich einer Gefährdung des Kindeswohls kommen, dem sei an dieser Stelle die Forschungsarbeiten von Viernickel et al. empfohlen: Zum einen die 2011 veröffentlichte Studie „Schlüssel zu guter Bildung, Erziehung und Betreuung – Wissenschaftliche Parameter zur Bestimmung der Fachkraft-Kind-Relation“ von Viernickel und Schwarz sowie ganz aktuell den neuen Forschungsbericht „Schlüssel zu guter Bildung, Erziehung und Betreuung – Bildungsaufgaben, Zeitkontingente und strukturelle Rahmenbedingungen in Kindertageseinrichtungen“ von Viernickel et al. (2013).

Fazit: Wir haben bereits im bestehenden System eine erhebliche Schieflage zwischen dem, was sein sollte und dem, was ist. Bei allen methodischen Problemen einer genauen Bestimmung des Personaleinsatzes – die besondere Brisanz der Befunde liegt in der Tatsache begründet, dass unser besonderes Augenmerk der Situation der unter dreijährigen Kinder geschuldet sein muss, denn zum einen findet hier ein erheblicher quantitativer Ausbau der Angebote statt, zum anderen handelt es sich um die vulnerabelsten Kinder, die eigentlich besonders eindeutige und gute Standards bedürfen. Hier nun bewegen wir uns in dem Dilemma, dass die quantitative Expansion der Angebote („irgendwelche Plätze und die bitte möglichst günstig und schnell“), die im Mittelpunkt des politischen Handelns wie auch der Berichterstattung in den Medien steht angesichts der Fixierung auf den Stichtag 1. August mit dem Rechtsanspruch, schon grundsätzlich in einem Spannungsfeld steht zu den qualitativen Anforderungen an eine gute Arbeit, die in diesem Bereich vor allem mit qualifizierten Personal verbunden ist, dass es – soviel sollte mittlerweile angekommen sein – derzeit zumindest in nicht wenigen Regionen und vor allem Städten, in denen zugleich auch noch ein hoher Bedarf vorhanden ist, schlichtweg nicht da ist. Mit der erwartbaren Folge, dass man „Übergangslösungen“ eben auch beim Personal für unvermeidbar erklärt.

Aber – so meine Prognose zu den am 11. Juli vom Statistischen Bundesamt zu erwartenden Daten über den Stand des Ausbaus der Kita-Plätze (mit dem Stichtag März dieses Jahres): Alles wird gut und die Botschaft wird lauten, eigentlich haben wir schon alles geschafft, nur noch hier und da mag es den einen oder anderen Platz noch bedürfen. Und so, wie sich viele Erzieherinnen von der Betreuungsfront über die – wie hier erläutert – rechnerischen Größen zum Personalschlüssel irritiert gezeigt haben, weil sie die genannten Relationen anders erleben, so werden auch tausende Eltern, die verzweifelt nach einem Betreuungsplatz suchen, irritiert zur Kenntnis nehmen müssen, dass sie ein bedauerlicher, aber nur ein Einzelfall in einer schönen neuen Welt des „Betreuungswunders“ in Deutschland sind.

Fachkräftemangel und mehr in den deutschen Vereinen. Zufriedene Lehrer trotz ihrer Schulen. Und sich selbst finanzierende Kitas

Der deutsche Verein steckt in einer Krise – über eine solche Meldung könnte man nun vielleicht noch hinwegsehen, wenn man beispielsweise an Karnevals- oder Kaninchenzüchtervereine denkt. Aber aus einer explizit sozialpolitischen Sicht ist diese Nachricht nicht unproblematisch, denn zahlreiche soziale Initiativen und Organisationen sind in dieser Rechtsform tätig. Fast 600.000 Organisationen haben diese Rechtsform – über die üblichen Sport- und Freizeitvereine hinaus reicht sie tief in den Sozial- und Bildungssektor hinein, so Albert Funk in seinem Artikel. Das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung hat einen genaueren Blick auf die Vereine geworfen und identifiziert drei zentrale Probleme, die dazu führen, dass die Forscher ihre Studie überschrieben haben mit „Vereine an den Grenzen der Belastbarkeit“:

»… die Überalterung der aktiven Mitgliederschaft, der einsetzende Mangel an Ehrenamtlichen für Leitungsaufgaben und eine zunehmende Ökonomisierung, einhergehend mit finanziellen Schwierigkeiten.«

Nach der Studie bestehen Vereine zunehmend aus älteren Menschen, wobei diese Überalterung nicht nur auf die demografische Entwicklung zurückzuführen ist, sondern auch das Ergebnis einer Abschottung gegenüber Jüngeren sein kann/ist. So haben die Forscher beispielsweise herausgefunden: In einem Drittel der Vereine fehlen Jüngere unter 30 Jahren in den ehrenamtlichen Leitungsfunktionen völlig. Sozialpolitisch besonders relevant ist der Befund: »Bei Vereinen, in denen es um Gesundheit, Soziales und Bildung geht, die also vor allem dienstleistungsorientiert sind, beobachten die WZB-Forscher eine immer stärkere Ökonomisierung.« Der Staat verteilt seine Mittel nicht nur immer zielgenauer, sondern bindet die Vereine auch in immer mehr Vorschriften ein. 

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Wenn Planer von Kindern kalt erwischt werden, dem Mangel an Kita-Plätzen und Erzieherinnen als Mangelware. Dann auch noch diese Inklusion. Und die Hochschulen machen auch Stress

Der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz ab dem vollendeten ersten Lebensjahr, der im August dieses Jahres in Kraft treten wird, bewegt nicht nur viele Menschen, sondern stresst auch die Planer vor Ort. Das betrifft aber nicht nur die Frage der wahrscheinlich notwendigen Kita-Plätze, sondern kann auch die Grundschüler voll treffen, wenn die Planer – wie man am Beispiel Berlin sehen kann – von Kindern kalt erwischt werden: In Berlin steigt die Kinderzahl schneller als erwartet. In manchen Bezirken platzen die Grundschulen schon aus allen Nähten. Schnelle Hilfe ist aber nicht in Sicht, so Alke Wierth in ihrem Artikel. Sie beschreibt den „unerwarteten Anstieg“ der Schüler/innen-Zahlen in Berlin aufgrund der Bevölkerungszuwanderung in die Hauptstadt.

Doch nicht nur die Schulen machen Stress in Berlin, da ist ja noch wie bereits angedeutet der anstehende Rechtsanspruch für die ganz Kleinen und auch hier meldet Berlin – die schon vergleichsweise viele Kita-Plätze für die unter dreijährigen Kinder haben – Ungemach:  Schon jetzt sind die Wartelisten lang, die Wege oft zu weit. Künftig dürfte es in vielen Kiezen noch schwieriger werden, einen Platz zu ergattern, so Anna Klöpper in ihrem Artikel Auf die Plätze, fertig, los. Man muss sich verdeutlichen, von welchen Verhältnissen wir hier sprechen: Knapp zwei Drittel der Ein- bis unter Dreijährigen sind in Berlin bereits in Betreuung, bis Ende 2015 sollen es 70 % sein. Allein im vergangenen Jahr wurden 2.300 neue Plätze geschaffen – bis Ende 2015 sollen es 19.000 Plätze werden. Und wenn man dann weiter liest, stößt man auf ein scheinbares Paradox: Ein Mangel an Kita-Plätzen trotz freier Plätze. Wie das? 

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