Flaschenhals Leitung. Die Kindertageseinrichtungen und ihre (nicht vorhandenen oder oft kurz gehaltenen) Leitungskräfte. Und wie es sein sollte

In den vergangenen Jahren war der Ausbau der Kindertagesbetreuung vor allem in Westdeutschland bei den unter dreijährigen Kindern immer wieder Gegenstand teilweise extrem kontroverser und emotionalisierter Debatten. Nach der Einführung des Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz zum August 2013 ist es dann wieder ruhiger geworden um das Thema, lediglich kurz unterbrochen von den Wochen des Kita-Streiks im Jahr 2015 (vgl. dazu u.a. den Beitrag Erzieherinnen als „Müllmänner 2.0“? Der Kita-Streik stellt mehrere Systemfragen gleichzeitig vom 7. Mai 2015). Das heißt aber noch lange nicht, dass jetzt alles gut ist – wenn, dann vielleicht in der Wahrnehmung der politisch Verantwortlichen, die den Eindruck haben, das Thema wäre vom Tisch. Für viele Eltern stellt sich die Situation ganz anders dar – sie müssen die teilweise sehr ernüchternde Erfahrung machen, dass ein Rechtsanspruch nicht immer auch bedeutet, dass daraus auch eine Realität wird (vgl. dazu beispielsweise den Artikel Wenn die Kita zwölf Kilometer entfernt ist). Und viele Kommunen müssen das „ausbaden“, was man ganz oben eingeführt hat, denn die Umsetzungsverantwortung liegt bei ihnen und viele Kommunen machen die Erfahrung, dass sie es beim „Bedarf“ an Kita-Plätzen mit einem „beweglichen Ziel“ zu tun haben, dass also der Bedarf deutlich größer ist als angenommen bzw. unterstellt und gerade dort, wo bereits erhebliche Kapazitäten aufgebaut wurden, der Bedarf weiter zunimmt.

Man nehme nur als ein Beispiel die Situation in der Hauptstadt Berlin. In Berlin gibt’s fast keine Kita-Plätze mehr, so ist einer der vielen Artikel überschrieben. »Wie schnell der Bedarf wächst, zeigt ein Vergleich zwischen 2014 und 2015: In nur einem Jahr kamen rund 10.000 unter Siebenjährige hinzu. Inzwischen sind es mehr als 241.000. In derselben Zeit stieg die Zahl der Kitakinder um mehr als 5000.« Derzeit gibt es in Berlin knapp 154.000 Plätze. Die Aufgabe ist gewaltig: Es werden rund 140 zusätzliche Kitas benötigt, für die Bauplätze aber erst noch gefunden werden müssen.

In den vergangenen Jahren hat es eine enorme Expansion der in den Kitas Beschäftigten gegeben. Die Entwicklung der Beschäftigung in den Kindertageseinrichtungen verdeutlicht die Abbildung am Anfang des Beitrags. »Von 1990/91 bis 2015 ist die Anzahl aller Beschäftigten bundesweit um 78% auf insgesamt rund 642.300 gestiegen. Ein deutlicher Personalzuwachs ist insbesondere seit 2006 zu beobachten. Seitdem wurden rund 227.300 (+55%) Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Kitas eingestellt«, kann man dem Fachkräftebarometer Frühe Bildung entnehmen. Und auch die Kitas haben sich verändert – die Kinder kommen heute in deutlich jüngeren Jahren in die Einrichtung, sie bleiben oftmals länger in der Kita und die Öffnungszeiten haben sich von den Betreuungszeiten der Kinder entkoppelt. Gleichzeitig hat sich das Personal von der Menge her in vielen Kitas vergrößert (auch durch andere Personalschlüssel aufgrund der Kinder unter drei Jahren) und der Anteil der Teilzeitbeschäftigten unter den pädagogischen Fachkräften hat weiter zugenommen. Hinzu kommt eine sehr hohe Erwartungshaltung seitens vieler Eltern und der Politik aufgrund der „bildungspolitischen Aufladung“ der Kitas. Das alles muss organisiert werden.

An dieser Stelle sind wir bei den Leitungskräften in den Kindertageseinrichtungen angekommen, denn die müssen genau das leisten. Müssten, sollten – aber das können sie natürlich nur, wenn sie dazu auch in die Lage versetzt werden, also konkret: für diese Leitungsaufgaben anteilig oder ganz freigestellt werden von der Arbeit an und mit den Kindern.

Und hinsichtlich der eigentlich erforderlichen Leitungsfreistellung sieht es schon seit Jahren mehr als bescheiden aus, was ebenfalls seit Jahren immer wieder beklagt wird. Dabei ist die Bedeutung der Leitungsarbeit und damit der Leitungskräfte nicht hoch genug einzuschätzen, denn die Leitungskräfte sind nicht nur dazu da, den Laden am Laufen zu halten, sondern wir wissen aus der Forschung gesichert, dass sie eine entscheidende Bedeutung haben für die (Nicht-)Qualität der konkreten Einrichtung. Vgl. dazu umfassend Deutsches Jugendinstitut/Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte (Hrsg.): Leitung von Kindertageseinrichtungen, München 2014.

Nun hat die Bertelsmann-Stiftung einen genaueren Blick auf die Situation der Leitungskräfte geworfen und zugleich berechnet, wie es eigentlich sein sollte, aber (noch?) nicht ist: Kita-Leitungen fehlt Zeit für Führungsaufgaben – Qualität leidet, so ist der Bericht über die neue Studie überschrieben. »Für Pädagogik, Personal, Budget und Elterngespräche fehlt den Leitungskräften durchschnittlich etwa die Hälfte der eigentlich notwendigen Zeit.« Und die Situation unterscheidet sich bereits zwischen den Bundesländern ganz erheblich.

Zur Bewertung zu wenig oder ausreichend braucht man einen Maßstab. Nach diesem Maßstab »sollten jeder Kita unabhängig von ihrer Größe 20 Stunden pro Woche für Führungsaufgaben zur Verfügung stehen. Für jedes rechnerisch ganztags betreute Kind sollten zusätzlich 0,35 Stunden wöchentlich hinzukommen, um die Mehrarbeit bei einer wachsenden Kita-Größe bewältigen zu können. Das bedeutet: In einer Kita mit 30 Kindern hätte eine Leiterin 30,5 Wochenstunden, um mit Eltern und externen Partnern zusammenzuarbeiten oder am Kita-Konzept zu feilen. Fast doppelt so viele Leitungsstunden würden einer Einrichtung mit 115 ganztags betreuten Kindern zur Verfügung stehen.«

Fangen wir mit den „guten“ Kitas an, gemessen an diesen Vorgaben: »Nur 15 Prozent der mehr als 51.000 Kitas in Deutschland erfüllen derzeit unsere Empfehlungen.«

Nu in jeder zweiten Kita in Deutschland ist wenigstens eine halbe Stelle für Leitungsaufgaben vorhanden. »Allen anderen knapp 25.000 Kitas in Deutschland steht noch nicht einmal der von uns empfohlene Sockel von 20 Leitungsstunden zur Verfügung. Fast 11 Prozent der deutschen Kitas haben sogar überhaupt keine zeitlichen Ressourcen für Leitungs- und Verwaltungsaufgaben. Davon betroffen sind vor allem kleinere Einrichtungen. Jeder vierten Kita mit weniger als 40 Plätzen steht keinerlei Zeit für Leitung und Verwaltung zur Verfügung.«

Wir krass die Unterschiede sind zwischen den Bundesländern verdeutlicht dieser Passus:

»Überhaupt keine zeitlichen Ressourcen haben in Bremen 28 Prozent der Kitas, in Sachsen-Anhalt und Thüringen hingegen nur knapp 1 Prozent. Und während in Hamburg jede zweite Kita unsere Empfehlungen erfüllt, erreichen in Thüringen nur 3 Prozent der Kitas den empfohlenen Wert. Nicht viel besser ist die Lage in Sachsen-Anhalt (4 Prozent), Mecklenburg-Vorpommern (5 Prozent) und Bayern (6 Prozent).«

Bundesweite Standards sind nicht nur angesichts der Bedeutung der Leitungsarbeit, sondern auch vor dem Hintergrund dieser massiven Streuung unabdingbar. Aber man kann sich vorstellen, dass das angesichts der Unterausstattung eine Menge zusätzliches Personal und – keine Überraschung – zusätzliche Finanzmittel erfordern würde, um den Standard flächendeckend erreichen zu können.  Auch das hat die Bertelsmann-Stiftung dankenswerterweise berechnet:

»Um den Standard zu erreichen, ist vor allem eines notwendig: mehr Personal. Für die Leitungsebene fehlen umgerechnet 21.800 Vollzeitkräfte in Deutschland. Würde man sie einstellen, würden die Personalkosten bundesweit um jährlich bis zu 1,3 Milliarden Euro ansteigen. Das entspricht in etwa 5 Prozent der öffentlichen Ausgaben für die Kindertagesbetreuung.«

Wenn das jetzt dem einen oder anderen viel vorkommt: Der von der Bertelsmann-Stiftung berechnete Idealzustand bei der nötigen Zeit für das Führungspersonal liegt sogar noch unter der Forderung des Bundesfamilienministeriums. Dieses berücksichtigt bei der Berechnung der für Leitungsaufgaben nötigen Zeit in Kitas auch Faktoren wie Mitarbeiterzahl und soziales Umfeld (vgl. dazu Kitaleitern fehlt Zeit für Führungsaufgaben). Gerade der letzte Punkt ist von enormer sozialpolitischer Bedeutung, wenn man berücksichtigt, wie groß die Heterogenität zwischen den Kitas ist, die ja im Regelfall Kinder versorgen aus ihrem räumlichen Umfeld. Insofern wären Kitas in „schwierigen“ Stadtteilen grundsätzlich mit mehr Fachkräften auszustatten, aber auch die Managementfunktionen sind hier nochmals anspruchsvoller und ressourcenintensiver als in einer Kita, die sich in einem Wohngebiet befindet, in dem vor allem gut situierte Kinder leben.

Hierzu als ein Beispiel von vielen der Artikel 100 Kinder, 37 Nationen, zu wenig Geld, der über eine Studie der Hochschule Niederrhein berichtet, nach der die (meisten) Kitas mit den Landespauschalen in Nordrhein-Westfalen finanziell nicht über die Runden kommen (können). Auch hier taucht die Leitungsfrage wieder auf:

»Sabine Howaldt muss nicht lange überlegen. Was sie sich als Leiterin einer evangelischen Kindertagesstätte in Essen wünschen würde? „Dass die Träger finanziell besser ausgestattet werden.“ Dann, so die 61-Jährige, könnte sie sich ganz auf ihre Arbeit konzentrieren und müsste nicht noch stundenweise in den Gruppen tätig werden. „Ich leite schließlich ein mittelständisches Unternehmen; bei uns sind 100 Kinder aus 37 Nationen“, sagt Howaldt.«

Aber schlussendlich muss auf eine weitere Baustelle hingewiesen werden: Selbst wenn die Politik sich entscheiden würde, dass man nicht nur die Leitungsfrage lösen, sondern auch die seit Jahren geforderten besseren Personalschlüssel für die Arbeit an und mit den Kindern  zur Verfügung stellen will – es fehlt in vielen Gegenden schlichtweg an qualifiziertem Personal. Der bisherige Ausbau und der damit verbundene personelle Mehrbedarf (wohlgemerkt, auf Basis der aus fachlicher Sicht zu schlechten Personalschlüssel) konnte noch mehr oder weniger erfolgreich gemeistert werden. Aber woher das Fachpersonal kommen soll, wenn a) der quantitative Ausbau weitergehen muss, weil die Bedarfe der Eltern weiter ansteigen und b) dann auch noch zusätzliches Personal erforderlich wird, um die Qualität zu steigern, dass kann derzeit wohl kaum einer schlüssig beantworten.

Abbildung: Fachkräftebarometer Frühe Bildung. in Projekt der Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte; www.fachkraeftebarometer.de/personal/beschaeftigte/ (Abruf am 07.03.2017)

Bundesweit fehlen 228.000 Kita-Plätze für Kleinkinder. Wirklich?

Das Jahr 2016 geht zu Ende und erneut werden wir Zeuge einer eigenartigen, mehr als diskussionswürdigen Entwicklung in der Medienlandschaft: Da berichtet jemand über die Ergebnisse einer „Studie“ von Wissenschaftlern und wenn man das gut platzieren kann, dann schreiben alle anderen ab und verbieten die Botschaft in der heute üblichen Schnelligkeit. Und wenn man sich das dann genauer anschaut, wird man konfrontiert mit der Ausgangsquelle, die aus einer „noch nicht veröffentlichten Studie“, so dass man das glauben muss, was da berichtet wird und – für Wissenschaftler ein echtes Problem – auch nicht überprüfen kann anhand der Originalquelle, wer da wie vorgegangen ist und ob man den Ergebnissen vertrauen kann/soll.
Nehmen wir als Beispiel diesen Artikel, dessen Inhalt sich sehr schnell im Netz verbreitet hat, nachdem er am 30.12.2016 am frühen Morgen publiziert wurde: Bundesweit fehlen 228.000 Kita-Plätze für Kleinkinder, so die Online-Ausgabe der Rheinischen Post. Bereits die Überschrift lässt keinen Zweifel zu, sondern berichtet offensichtlich über einen nicht in Frage zu stellenden Tatbestand. Lesen wir weiter: »Nach einer noch unveröffentlichten Studie des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) fehlen aktuell bundesweit Betreuungsplätze für 228.000 Kinder unter drei Jahren. Das sind gut zehn Prozent der Kinder, für die Bedarf besteht.« Da haben wir sie, die „noch unveröffentlichte Studie“.

Der „Erfolg“ im Sinne einer ungefilterten Verbreitung ist beeindruckend – nicht nur die Daten, auch die Interpretationen werden übernommen: »Trotz Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz gehen 228 000 Kinder leer aus. In manchen Orten ist der Grund schlichtweg das fehlende Engagement der Kommunen«, so die Süddeutsche Zeitung in ihrem Artikel Jedes zehnte Kind unter drei ohne Kitaplatz. Die FAZ ebenfalls: Deutschland fehlen 228.000 Betreuungsplätze für Kleinkinder. Und auch Zeit Online schließt sich an: Deutschland fehlen 228.000 Betreuungsplätze. Die Liste ließe sich erheblich verlängern. Eine wie gesagt beeindruckende Medienresonanz auf eine „noch unveröffentlichte Studie“, die der Wissenschaftler angesichts der enormen Zahl, die hier in den Raum gestellt wird, unbedingt im Original einsehen möchte.

Nachdem die Botschaft durchs Netz gegangen ist, konnte man dann auf der Seite des Instituts der deutschen Wirtschaft (scheinbar) fündig werden: Bund muss Kita-Lücken schließen, so ist die Mitteilung des IW überschrieben, dort findet man dann auch die am Anfang dieses Beitrags dokumentierte Abbildung mit den Zahlen für die einzelnen Bundesländer.

»In Deutschland gibt es derzeit fast 230.000 Betreuungsplätze für unter Dreijährige weniger, als den Wünschen der Eltern zufolge benötigt würden – damit sind gut 10 Prozent der Kinder in dieser Altersgruppe unversorgt.«

Natürlich stellt sich sofort die Frage, wie man denn zu einer derart genauen Quantifizierung fehlender Plätze kommt? Wenn man in der IW-Meldung weiterliest, stößt man auf diese Antwort:

»Die Ursachen für die fehlenden Plätze liegen zum einen darin, dass das bereits für 2013 vereinbarte Ziel, 750.000 Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren zu schaffen, noch immer nicht erreicht ist – obwohl es schon 2007 auf dem sogenannten Krippengipfel beschlossen wurde. Im März 2016 standen aber lediglich 720.000 staatliche oder staatlich geförderte Plätze zur Verfügung.
Zum anderen ist aber auch der Bedarf in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen:
War der Krippengipfel 2007 noch davon ausgegangen, dass sich 35 Prozent der Eltern bereits vor dem dritten Geburtstag ihres Kindes eine institutionelle Betreuung wünschen, sind es nach neuesten Zahlen des Familienministeriums mehr als 43 Prozent.«

Ergänzend wird nun noch darauf hingewiesen, dass „wieder mehr Kinder geboren“ werden und außerdem sind da ja auch noch die Flüchtlinge, unter denen sich auch kleine Kinder befinden, so  dass »Ende Dezember 2015 … in Deutschland 120.000 Jungen und Mädchen unter fünf Jahren (lebten), die erst im Laufe des Jahres« nach Deutschland gekommen seien.

Also hat man das alles berücksichtigt? Das nun kann man mit dem vorliegenden Material nicht beantworten, denn eine richtige Studie ist derzeit nicht zu finden, lediglich die Pressemitteilung des Instituts mit der Abbildung. Und dort kann man der Fußnote entnehmen:

Betreuungsbedarf: Stand 2015. Ursprungsdaten: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Das war es dann. Eine richtige Quellenangabe fehlt, mehr Informationen bekommen wir nicht. Das ist mehr als unbefriedigend. Hat man etwa auf Umfragedaten zu den Betreuungsbedarfen zurückgegriffen, die vom Deutschen Jugendinstitut (DJI) in der Vergangenheit veröffentlicht worden sind – wohlgemerkt, Befragungsergebnisse auf Stichprobenbasis? Sollte das sein – was vermutlich so ist, dem Material aber wie gesagt nicht belegbar entnommen werden kann -, dann wäre zu berücksichtigen, dass es sich um Umfrageergebnisse handelt, die gerade in dem hier relevanten Feld der Bedarfe an Kindertagesbetreuung mit Vorsicht zu genießen sind, denn erfahrungsgemäß unterscheiden sich schon die Werte, wenn nicht nur ein allgemeiner Bedarf abgefragt wird, sondern die Befragten auch mit dem Preis konfrontiert werden, der in vielen Bundesländern aus teilweise ganz erheblichen Elternbeiträgen besteht.

Der Verdacht kommt auf, dass die – nun ja – „Studie“ daraus besteht, dass man einfach die Zahl der in jedem März eines Jahres erhobenen (tatsächlich besetzten) Kita-Plätze für die unter dreijährigen Kinder genommen hat (die aktuellsten und regional differenziertesten Werte für 2016 findet man in dieser Veröffentlichung: Statistisches Bundesamt: Kindertagesbetreuung regional 2016. Ein Vergleich aller 402 Kreise in Deutschland, Wiesbaden, Dezember 2016) und die Differenz zwischen den dort für die einzelnen Bundesländern ausgewiesenen Werten und den (angeblichen) Bedarfen – also dem im IW-Text genannten 43 Prozent-Wert – berechnet und als „fehlende“ Plätze ausgewiesen hat. Eine recht simple Rechenoperation. Aber andere, vor allem weiterreichende methodische Hinweise kann man den dürren Erläuterungen des IW nicht entnehmen.
Das wäre natürlich ein mehr als fragwürdiges Unterfangen, wenn man um die Komplexität des Themas Kindertagesbetreuung weiß.

Ein Grundproblem ist natürlich, dass wir es mit einem „beweglichen Ziel“ zu tun haben. Das IW verweist ja selbst auf den Tatbestand, dass man bei der früher ausgewiesenen „bedarfsdeckenden“ Quote an Kinderbetreuungsplätzen immer von den 35 Prozent ausgegangen ist (der Wert wurde später auf 39 Prozent angehoben), was sich mittlerweile als zu niedrig herausgestellt hat, um den wirklichen Bedarf der Eltern abzubilden.  Aber darauf haben viele schon in der Vergangenheit hingewiesen, beispielsweise das Statistische Bundesamt selbst in der Veröffentlichung der regional differenzierten Werte des Jahres 2014. Dort haben sie angemerkt:

»Auf dem Krippengipfel von Bund, Ländern und Kommunen im Jahr 2007 wurde vereinbart, bis zum Jahr 2013 bundesweit für 35 % der Kinder unter 3 Jahren ein Angebot zur Kindertagesbetreuung in einer Kindertageseinrichtung oder durch eine Tagesmutter beziehungsweise einen Tagesvater zu schaffen. Die damalige Planungsgröße wurde auf 750.000 Plätze beziffert. Mittlerweile wird der Bedarf sogar auf rund 780.000 Plätze für unter 3-Jährige geschätzt, was einer Betreuungsquote von gut 39 % entspricht. Da der Bedarf regional unterschiedlich hoch sein wird, kann es auf regionaler Ebene zu deutlichen Abweichungen nach oben oder auch nach unten kommen.« (S. 5)

Am 20. Februar 2015 wurde in diesem Blog in dem Beitrag Noch nie so viele. Kinder unter 3 Jahren in Kitas und Tagespflege. Und viele Fragen jenseits der nackten Zahlen ergänzend darauf hingewiesen: »Und die Insider wissen, dass auch diese Quote von 39 % von vielen Fachleuten als zu niedrig angesetzt eingeschätzt wird, der tatsächliche Bedarf also eigentlich einen noch höheren Wert zur Folge haben müsste.«

Damit keine Missverständnisse aufkommen: Es geht nicht darum, die Zahl von 228.000 (angeblich) fehlenden Kita-Plätzen nach unten zu rechnen, es gibt durchaus Hinweise (und die schon seit langem), dass die Zahl noch weitaus größer sein könnte. Aber wir können das derzeit nicht quantifizieren und die Veröffentlichung der „Studie“ des IW, die ja auch – weil sie mit der einen Zahl bzw. – wie praktisch für regionale Berichterstattung – mit der einen Zahl für jedes Bundesland operiert – von den Medien so gerne aufgegriffen wurde, suggeriert ein Wissen, das derzeit schlichtweg nicht existiert.

Nehmen wir für die zahlreichen methodischen Probleme nur als ein Beispiel die vom IW selbst erwähnten Flüchtlingskinder. Die sind zusätzlich dazu gekommen – aber um die Auswirkungen auf den Platzbedarf in der Kindertagesbetreuung korrekt quantifizieren zu können, müsste man berücksichtigen, dass die ja nicht gleichverteilt sind über alle Regionen in Deutschland, sondern ganz im Gegenteil oftmals eine ganz erhebliche regionale bzw. lokale Konzentration zu beobachten ist, die dazu führt, dass es dort vor Ort große zusätzliche Bedarfe gibt und an anderen Orten nichts davon zu spüren ist.

Man kann und muss deutlich beklagen, dass sowohl die Bundes- wie auch die Bundesländerebene in den vergangenen Jahren beim Aufbau einer elaborierten Bedarfsforschung versagt haben – und das gilt nicht nur für die eben nicht triviale Frage nach dem Platzbedarf, sondern beispielsweise auch für die Frage, wie viel Personal brauchen wir denn in der Kindertagesbetreuung (und auch diese Abschätzung ist nicht trivial, denn man müsste dabei auch berücksichtigen, unter welchen Personalschlüsseln sollen die Fachkräfte arbeiten).

Aber so ist es derzeit leider. Und mit einer Zahl an „fehlenden Kita-Plätzen“ zu operieren mag zwar medientauglich sein, ist aber schlichtweg nicht wirklich seriös und führt gleichzeitig – ob bewusst oder unbewusst – auf ein gefährliches Gleis: Wieder einmal nur über Quantitäten zu diskutieren und dabei erneut die Frage nach den Qualitäten auszublenden bzw. zu verdrängen. Das aber wäre ein neues Fass, das im kommenden Jahr aufgemacht werden muss.

Die Kita-Qualität steigt, sagen die einen. Aber was macht ihr mit unseren Kindern, fragen die anderen?

Die Bertelsmann-Stiftung hat sich mit neuen Daten aus dem „Ländermonitor Frühkindliche Bildungssystem“ an die Öffentlichkeit gewandt.  Mit diesem Monitoring begleitet die Stiftung seit Jahren die Entwicklung der Kinderbetreuungssysteme in den einzelnen Bundesländern. Die neue Botschaft hört sich verhalten positiv an: Kita-Qualität steigt, aber Unterschiede zwischen den Ländern bleiben enorm, so haben die ihre Meldung überschrieben.

»Auf eine Kita-Fachkraft kommen im Durchschnitt weniger Kinder als vor drei Jahren. Bundesweit ist zum 1. März 2015 eine vollzeitbeschäftigte Fachkraft für durchschnittlich 4,3 ganztags betreute Krippen- oder 9,3 Kindergartenkinder zuständig. Vor drei Jahren kamen auf eine Fachkraft noch 4,8 Krippen- beziehungsweise 9,8 Kindergartenkinder.«

Diese zahlenmäßige Verbesserung muss gesehen werden vor dem Hintergrund des enormen Ausbaus der Betreuungsplätze in den zurückliegenden Jahren. Es wird sogleich aber auch Wasser in den aufgetischten Wein gegossen: »Bundesweit ist der Trend zwar positiv, doch in den meisten Bundesländern sind die Personalschlüssel noch immer weit entfernt von einem pädagogisch sinnvollen Wert. Nach den Empfehlungen der Bertelsmann Stiftung sollte sich eine Fachkraft um höchstens 3 unter Dreijährige oder 7,5 Kindergartenkinder kümmern.« Und die Stiftung weist selbst auf ein methodisches Dilemma hin: Die Zahlen über die Betreuungsrelationen – auch wenn sie statistisch stimmen – spiegeln nicht eins zu eins die Realität in den Einrichtungen wider: »Zudem fällt das tatsächliche Betreuungsverhältnis im Kita-Alltag ohnehin ungünstiger aus als der rechnerisch ermittelte Personalschlüssel. Kita-Fachkräfte wenden mindestens ein Viertel ihrer Zeit für Team- und Elterngespräche, Dokumentation und Fortbildung auf. Auch zunehmend längere Betreuungszeiten sowie längere Öffnungszeiten der Kitas verschlechtern die Betreuungsrelationen, wenn diese nicht durch zusätzliches Personal abgedeckt werden können.«

Und die Stiftung verweist auch darauf, dass die Unterschiede bereits zwischen den Bundesländern enorm sind und sich 2015 im Vergleich zu 2012 bei den Personalschlüsseln für die Kindergartenkinder sogar noch vergrößert haben:

»Aktueller Spitzenreiter ist Baden-Württemberg (1 zu 7,3), wohingegen in Mecklenburg-Vorpommern fast doppelt so viele Kindergartenkinder pro Kita-Fachkraft betreut werden (1 zu 14,1).«

Für die ganz kleinen Kinder unter drei Jahren stellt sich bei ebenfalls enormer regionaler Varianz die Entwicklung etwas „besser“ dar bei den Personalschlüsseln:

»Im Krippenbereich sind derzeit die Unterschiede zwischen den Personalschlüsseln in den Bundesländern etwas kleiner als 2012. Baden-Württemberg hat auch für die unter Dreijährigen derzeit den bundesweit besten Personalschlüssel (1 zu 3,0). Sachsen ist unter den Bundesländern das Schlusslicht (1 zu 6,4).«

Erneut erkennbar wird ein gewaltiges und nicht zu rechtfertigendes Ost-West-Gefälle: »Eine ostdeutsche Kita-Fachkraft ist für 6,1 Krippenkinder zuständig, eine westdeutsche Fachkraft nur für 3,6 Krippenkinder. Dabei besucht in Ostdeutschland auch ein wesentlich größerer Anteil aller Krippenkinder eine Kita: 46,8 Prozent der unter Dreijährigen. In den westdeutschen Bundesländern sind es trotz des Ausbaus nur 23,6 Prozent.«

Nun hat die Stiftung ja auch konkrete Soll-Werte für die Personalausstattung vorgelegt und deren Realisierung würde natürlich zweierlei bedingen: a) mehr Fachkräfte und b) damit einhergehend mehr Geld als bislang:

»Um die Personalschlüssel auf das von der Bertelsmann Stiftung empfohlene Niveau zu heben, sind bundesweit zusätzlich 107.000 vollzeitbeschäftigte Fachkräfte erforderlich. Dieses Personal kostet nach Berechnungen der Stiftung jährlich rund 4,8 Milliarden Euro. Verglichen mit den derzeit im Kita-Bereich anfallenden Personalkosten in Höhe von 16,6 Milliarden wäre das ein Anstieg von rund einem Drittel (29 Prozent).«

Wohlgemerkt – das wäre das eigentlich zusätzlich erforderliche Personal, um die aus fachlicher Sicht anzustrebende Personalausstattung im gegebenen System erreichen zu können. Wenn man – wie immer wieder sehr gerne aus den Reihen der Wirtschaft – eine weitere Expansion der „Dienstleistung“ Kinderbetreuung einfordert, also (noch) längere Öffnungszeiten oder individuelle Betreuungsarrangements für Abend-, Nacht- und Wochenendstunden, dann reden wir über ganz andere Größenordnungen an zusätzlichem Personal.

Das wir gerade bei diesem Thema ganz offensichtlich von unterschiedlichen Welten ausgehen müssen, kann man beispielhaft an diesem Bericht verdeutlichen: Neuer Service für Eltern: Kita-Erzieherin kommt nach Hause, so ein Artikel aus der Berliner Morgenpost. Viele Menschen, die in Berlin leben und die Realität der „Standardversorgung“ im Kita-Bereich mit ihren vielgestaltigen Problemen kennen, werden sich verwundert die Augen reiben, wenn sie lesen: »Für berufstätige Eltern soll es ab dem Sommer in Berlin eine neue Dienstleistung geben. Wer nachts, spätabends oder am frühen Morgen außerhalb der regulären Kita-Öffnungszeiten arbeiten muss und niemanden hat, der auf die Kinder aufpasst, kann künftig mit seinem Kita-Gutschein auch Betreuungskräfte nach Hause bestellen. Die Senatsjugendverwaltung hat die Leistung einer Servicestelle ausgeschrieben, die das Angebot koordinieren und Kontakte zwischen Firmen, Eltern und Betreuern vermitteln soll. Gedacht ist die Hilfe vor allem für Alleinerziehende. Aber auch berufstätige Paare können grundsätzlich den Dienst in Anspruch nehmen, der ebenso gratis ist wie die Berliner Kita. Bisher sind solche raren Services entweder teuer, nachts nicht verfügbar oder die Kinder müssen zur Tagesmutter.« Man darf gespannt sein, wie dieser Ansatz verwirklicht werden kann, wenn selbst für normale Kitas Personal vorne und hinten fehlt. Vgl. dazu nur als ein Beispiel den Beitrag Der real existierende Fachkräftemangel lässt sich hier besichtigen: Personalmangel in vielen Kindertageseinrichtungen schon unter den herrschenden Bedingungen vom 23. Januar 2016. Der „neue“ Vorstoß in Berlin erinnert einen fatal an den Mechanismus der Aktivitätssimulation, dessen Funktion vor allem im Ankündigen besteht, weniger oder gar nicht in der Umsetzung. Dazu aus dem vergangenen Jahr der Beitrag Kommen jetzt die 24-Stunden-Kita-Kombinate? Über ein gar nicht so neues Ferkel, das durchs Sommer-Dorf getrieben wird vom 5. Juli 2015.

Und parallel zu der Vorstellung der neuen Daten der Bertelsmann-Stiftung wird man dann mit so was konfrontiert: »Kitas sollen die Jüngsten behüten. Doch mehr als 2.000 Erfahrungsberichte zeigen: Mancherorts herrschen schlimme Zustände. Bund und Länder aber schauen weg«, behaupten Kai Biermann, Philip Faigle, Astrid Geisler, Karsten Polke-Majewski, Tilman Steffen und Sascha Tenor in ihrem Artikel Was macht ihr da mit unseren Kindern?

ZEIT ONLINE hat seine Leser Anfang Mai gefragt, ob sie Missstände in ihrer Kindertagesstätte beobachtet haben. Etwa 2.000 Eltern und 260 Kita-Mitarbeiter haben geantwortet. Wissenschaftler, Behördenmitarbeiter und Berufsaussteiger berichteten aus dem Inneren der Brombranche. Ein Reporterteam ist Dutzenden Erfahrungsberichten nachgegangen. Die teilweise nur erschreckend zu nennenden Ergebnisse kann man in dem Artikel nachlesen.

Die Autoren verweisen aber auch auf eine strukturelle Dimension des offensichtlichen Mangels, etwas gegen diese beklagenswerten Entwicklungen zu tun:

»Überall im Land sehen Kitaleiterinnen, Erzieherinnen und Eltern dramatische Missstände. Doch niemand hilft ihnen. Ob Kitaträger oder Ämter, viel zu viele schauen weg. Und im Bund boykottieren die zuständigen Ministerpräsidenten aller Parteien überfällige Mindeststandards, die Kleinkinder schützen würden.«

Der angesprochene Boykott der Ministerpräsidenten erinnert den einen oder anderen an ein Thema, das auch hier schon mehrfach aufgerufen wurde – die Forderung nach einem Bundesqualitätsgesetz für den Bereich der Kindertagesbetreuung. Das nun ist nicht wirklich neu und ohne jemanden gleich frustrieren zu wollen verweise ich hier nur auf meinen Beitrag vom 29. Oktober 2014: Die Hoffnung stirbt zuletzt und wenn, dann in der nächsten Legislaturperiode. (Zwei) Wohlfahrtsverbände und die Gewerkschaft GEW fordern ein „Bundesqualitätsgesetz“ für die Kindertagesbetreuung.

In dem ZEIT ONLINE-Artikel wird der Boykott durch die Ministerpräsidenten nicht nur behauptet, sondern auch belegt:

»Alle Länderchefs sind sich einig, „dass es keiner bundesweiten Standards bedarf“. Ihr Beschluss, von dem niemand erfahren soll, fällt am 11. Dezember 2014 im Bundeskanzleramt. Angela Merkel hat die Ministerpräsidenten der Bundesländer in ihren Amtssitz gebeten. Die Runde geht bereits dem Ende zu, als der drittletzte Tagesordnungspunkt aufgerufen wird: Kittqualität … Auch anderthalb Jahre später kennen nur Eingeweihte den Wortlaut dieses Beschlusses, der ZEIT ONLINE vorliegt. Er gilt als nicht öffentlich … Mit dem, was die 16 Ministerpräsidenten an diesem Wintertag im Kanzleramt entsorgen, brechen sie ein Versprechen. Es lautete: Erst bauen wir im großen Stil neue Kindergartenplätze, dann wird deren Qualität verbessert. Aber die Länder sagen den zweiten Schritt ab.«

Und wenn das Protokoll der Zeitung vorliegt, dann kann die das ja auch der Öffentlichkeit zugänglich machen. Genau das ist passiert und das Resultat findet man hier: Ministerpräsidenten wollen keine einheitlichen Standards. Es handelt sich um die wörtliche Abschrift des Sitzungsprotokolls einer Besprechung, die am 11. Dezember 2014 im Internationalen Konferenzsaal des Bundeskanzleramts stattgefunden hat. Entscheidend ist die Formulierung unter Punkt 3 des Beschlusses: Die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten seien sich »einig, dass es keiner bundesweiten Standards bedarf.« Punkt und Ende der Debatte.

Deshalb wird da auch nichts kommen.

Es sei denn, die Betroffenen machen enormen Druck und zwingen die Politik, sich zu bewegen.

Aber selbst dann, also wenn wir hypothetisch davon ausgehen, dass ein Bundesqualitätsgesetz – für das beispielsweise Gewerkschaften wie die GEW unermüdlich kämpfen (vgl. dazu GEW: „Bund muss jetzt handeln – Kita-Qualitätsgesetz notwendig!“ vom 29.06.2016) – auf den Weg gebracht werden würde, müsste man sich an die nackten Zahlen der Bertelsmann-Stiftung erinnern. Denn wenn man so große Unterschiede schon auf der Ebene der Bundesländer hat, was die Personalausstattung angeht, dann stellt sich natürlich die Frage, was denn ein Bundesqualitätsgesetz für Standards vorgeben soll. Sollen es Mindest-, Durchschnitts- oder Maximalstandards sein?
Diese systematische Frage ist nicht trivial, sondern berührt natürlich ein Kardinalproblem angesichts der enormen Varianz der gegebenen Personalausstattung.

Denn Mindeststandards im Sinne von Personalrelationen, die man nicht unterschreiten darf (gleichsam wie der gesetzliche Mindestlohn als Lohnuntergrenze) haben natürlich die Folge, dass mit ihnen – wenn überhaupt – nur verhindert werden kann, dass die Personalausstattung so schlecht ist, das beispielsweise das Kindeswohl erwartbar gefährdet wird oder werden könnte. Das kann aber hoch problematische Effekte haben im Sinne einer Orientierung der realen Personalausstattung nach unten.

Auch bei Durchschnittsstandards stellt sich das Problem, dass die Bundesländer, die heute schon höhere Standards haben, „zu viel“ Personal an Bord hätten, was natürlich angesichts des Haushaltsdrucks in den Ländern und Kommunen gewisse Anreize setzen könnte/wird.
Bleiben Maximalstandards, de man als (anzustrebende) Zielgrößen in so ein Gesetz einbauen könnte. Eine „milde“ Variante wäre, dass man die heutigen Spitzenreiter der Personalausstattung bei den Bundesländern als Referenzgröße heranzieht. Konsequenter wäre natürlich die Bezugnahme auf die Werte, die aus der fachwissenschaftlichen Diskussion als anzustrebende Werte abgeleitet worden sind, auch die Bertelsmann-Stiftung bezieht sich ja auf solche Relationen. Dann hätten auch die Bundesländer, die heute an der Spitze stehen, weiteren Personalbedarf. Aber die Lücke zwischen dem Ist und dem Soll wäre in den östlichen Bundesländern natürlich massiv und man kann sich vorstellen, dass das – unabhängig von der Frage, woher das zusätzliche Personal kommen soll – bei allen Bundesländern auf den größten Widerstand stoßen würde.

Auf der anderen Seite könnte alle unter Maximalstandards liegende Werte höchst problematische negative Anreize bei einem Teil der Bundesländer auslösen, die zu einer partiellen Verschlechterung führen könnten.

Das alles muss genau bedacht und konzeptualisiert werden für ein – wie ausgeführt: leider derzeit unrealistisches – Bundesqualitätsgesetz. Und dann muss das noch durch ein intelligentes Finanzierungssystem hinterlegt werden.

Auch wenn man sich etwas ganz anderes wünschen würde – auf diese Entwicklung zu hoffen, wird mit vielen Enttäuschungen garniert sein.

Was bleibt ist ein sicher unbefriedigendes Unterfangen: Man sollte die Berichte über offensichtliche oder vermeintliche Missstände in der Realität der Kindertagesbetreuung, wie sie aktuell beispielsweise in dem angesprochenen ZEIT ONLINE-Artikel an die Öffentlichkeit getragen werden, aufgreifen und die Politik zwingen, eine Antwort zu liefern auf die Frage: Wie verhindert ihr solche Zustände? Wie können sich die Eltern darauf verlassen, dass ihre Kinder nicht Schaden nehmen? Es geht hier nicht um das Plädoyer für den Aufbau einer wie auch immer gearteten Betreungsqualitätsbürokratie, aber die Frage ist natürlich „vergiftet“, denn würde man den schlechten Zuständen nachgehen, dann würde sich zeigen, dass eben nicht nur individuelles Fehlverhalten Schuld ist, sondern oftmals strukturelle Missstände wie zu wenig Personal benannt werden müssen.