Diesseits und jenseits des „Muttertages“. Von glücklichen Müttern und armen Kindern

Seien wir ehrlich – viele Menschen werden versucht sein, den heutigen „Muttertag“ als ein Hochamt zugunsten der notleidenden Blumenhändler zu charakterisieren bzw. abzuwerten. Und es fehlt natürlich auch nicht an kritischen Einwürfen, die in ihrer Extremvariante auf eine Instrumentalisierung dieses „Feiertages“ im Nationalsozialismus meinen hinweisen zu müssen bzw. zumindest darauf aufmerksam machen, dass es scheinheilig sei, an einem Tag des Jahres die Mütter mit ihrem Tun vor allem im Bereich der unbezahlten Arbeit in den Familien zu würdigen und an den Verhältnissen ansonsten nichts zu ändern. Aber so einfach ist es eben nicht, wenn man einen kurzen Moment innehält und zurückblickt in die Entstehungsgeschichte dessen, was heute mehr oder weniger gelungen in vielen Familien inszeniert wird – zugleich wieder einmal ein Lehrbuchbeispiel, was im Laufe der Zeit aus einer ursprünglichen Absicht so werden kann.

Der Muttertag hat seinen Ursprung nicht in den Untiefen der nationalsozialistischen Mutterideologie und auch nicht in den Blumenläden auf der Suche nach neuen Absatzkanälen – sondern in der amerikanischen Frauenbewegung. Ann Maria Reeves Jarvis (1832-1905) versuchte im Jahr 1865, eine Mütterbewegung namens Mothers Friendships Day zu gründen und sie organisierte Mothers Day Meetings, wo sich die Frauen austauschen konnten. Als Begründerin des heutigen Muttertags gilt jedoch Anna Marie Jarvis (1864-1948), die Tochter von Ann Maria Reeves Jarvis. In ihrem 2008 veröffentlichten Beitrag Die Muttertagsmaschinerie schreibt Sandra Kegel zu dieser Frau (und ihrer Mutter):

»Begonnen hat alles mit dem Einsatz der unverheirateten und kinderlosen Lehrerin, die im Hause ihrer Eltern lebt, für die Rechte der Frauen, die ihrer Ansicht nach unterdrückt werden, etwa, weil sie nicht wählen dürfen. Unterstützt wird Anna Jarvis von ihrer Mutter Ann, die ebenfalls politisch aktiv ist und im Jahr 1858 die Vereinigung „Mother’s Work Days“ gründet, um gegen hohe Kindersterblichkeit und für bessere sanitäre Anlagen zu kämpfen. Während des amerikanischen Bürgerkriegs mobilisiert sie Geschlechtsgenossinnen und kümmert sich mit ihnen um die Verwundeten auf beiden Seiten sowie um die Annäherung der verfeindeten Lager.«

Frauen- und Friedensbewegung. Das sind also die Quellen dessen, was wir heute als „Muttertag“ besprechen. Und wichtig in diesem Entstehungskontext: »Was ihr vorschwebt, ist nicht die Würdigung eines Mutterbilds von edler Einfalt, stiller Größe und nimmermüder Opferbereitschaft. Der Tochter eines Methodistenpfarrers ist es um die soziale und politische Rolle von Frauen in der Gesellschaft zu tun«, so Kegel in ihrem Artikel. Aus diesem Impuls entwickelte sich eine Bewegung, die dazu geführt hat, dass 1914 der „Muttertag“ erstmals als offizieller Feiertag in den USA begangen werden konnte. Und jetzt passierte, was man in vielen anderen Beispielfällen auch immer wieder erleben muss – das kapitalistische System zeichnet sich aus durch eine unglaubliche Kapazität der „Landnahme“ solcher Dinge, die ursprünglich eine ganz andere Intention verfolgen wollten als denn die Steigerung der Absatzzahlen irgendwelcher „Merchandising“-Produkte in diesem Fall rund um einen Feiertag. Aber die Kommerzialisierung des „Muttertages“ war unaufhaltsam – und sie bzw. die kommerziellen Potenziale waren der Auslöser für die Übernahme in Deutschland.

Der eine oder die andere meint, das sei jetzt wieder eine dieser kritischen Übertreibungen? Also gut, schauen wir genauer hin, wie das in Deutschland gelaufen ist:

Sandra Kegel klärt uns auf: »In Deutschland ist es ein gewisser Rudolf Knauer, der 1922, als er aus Amerika von der Idee erfährt, begeistert mit Vortragsreisen durchs Land zieht und für eine solche Feier zu Ehren „der stillen Heldinnen unseres Volkes“ wirbt. Knauer aber handelt nicht als treusorgender Ehemann und Sohn, sondern als Beauftragter des Verbands Deutscher Blumengeschäftsinhaber, dessen Vorsitzender er 1923 wird – in jenem Jahr also, in dem die Inflation in Deutschland ihren Höhepunkt erreicht.« Da sind sie also schon, die Blumenhändler. Und die haben damals ein veritables Fallbeispiel für höchst modern daherkommende PR-Arbeit geliefert:

»Knauer wendet für seine Blumenoffensive geschickt eine PR-Strategie an, die man heute social marketing nennen würde: In der Verbandszeitung fordert er die Blumenhändler auf, „irgendeine gemeinnützige Gesellschaft“ als „neutrale Stelle“ zu finden, um den Muttertag aus Amerika zu importieren: „Ein zu starkes Hervortreten der Blumengeschäftsinhaber in Deutschland wäre einer baldigen Einführung nicht zum Vorteil“, warnt der Blumenlobbyist. Die „neutrale Stelle“ ist im Jahr 1925 gefunden: Die „Arbeitsgemeinschaft für Volksgesundung“ – ein Dachverband konservativ bis völkisch orientierter Vereine, in dem sich Alkoholgegner ebenso organisieren wie der Reichsbund der Kinderreichen, die kirchlichen Frauenverbände und Sittlichkeitsvereine „zur Bekämpfung von Schmutz und Schund“ – nimmt das Ansinnen Rudolf Knauers nur zu gern auf. Denn dieses Umfeld sieht die Mutterschaft als wahre Berufung der Frau und geißelt weibliche Berufstätigkeit, genauso wie die immer populärer werdende Emanzipationsbewegung.«

Man ahnt schon, was jetzt kommen muss: Bereits 1933 wurde der Muttertag von den Nationalsozialisten zum öffentlichen Feiertag erklärt und erstmals am 3. Maisonntag 1934 als „Gedenk- und Ehrentag der deutschen Mütter“ verankert. Anfang der fünfziger Jahre wird der Muttertag wiederbelebt, allerdings nur in der Bundesrepublik; die DDR, wo er als westlich-reaktionär verschrien ist, ersetzt ihn durch den „Internationalen Frauentag“ am 8. März. Und schon ist alles wohlbeordnet in den ideologischen Welten einsortiert.

Eine immer wieder vorgetragene Kritik am Muttertag bezieht sich auf die dadurch – ob bewusst oder unbewusst – transportierte Stabilisierung der unentgeltlichen Haushalts-, Erziehungs- und Pflegearbeit  im Sinne einer asymmetrischen Verteilung zwischen den Geschlechtern. Das wurde bereits im vergangenen Jahr in dem Blog-Beitrag Vom (eigentlich frauenbewegten) „Muttertag“ diesseits und jenseits des Blumenhandels bis hin zu einem (vergifteten) Lobgesang auf die unbezahlte Hausarbeit aufgegriffen und beleuchtet.

In diesem Jahr soll es um zwei etwas anders gelagerte Aspekte gehen, die anschlussfähig sind an den „Mutter“-Begriff: Zum einen die Frage, ob denn „die“ Mütter in Deutschland glücklich sind und zum anderen die Tatsache, dass bei allen Unterschieden Mütter eines gemeinsam haben: Sie haben Kinder. Und ein Teil ihrer Kinder wird sozialpolitisch hoch relevant in diesen Tagen erneut thematisiert unter dem Dach der „Kinderarmut“ und der ungleichen Chancen zwischen den Kindern in unserer Gesellschaft.

Aber fangen wir mit dem „Glück“ an. Wobei das zugegebenermaßen noch schwieriger daherkommt als die Bestimmung von „Armut“, über die bekanntlich gerade derzeit wieder einmal heftig gestritten wird.
Norwegen ist das beste Land für Mütter – Deutschland auf Platz acht. So eine der Überschriften von Artikeln, in denen über eine neue Studie berichtet wird. Das Ranking ist das Ergebnis der diesjährigen internationalen Vergleichsstudie, die die Kinderschutzorganisation Save the Children in New York veröffentlicht hat. Für ihren 16. jährlichen Mütter-Index untersuchte die Hilfsorganisation 179 Länder. Deutschland gehört demnach zu den Top Ten und belegt Platz acht. Also dürfen wir uns freuen. Bevor man jetzt aber eine Falsche aufmacht, werfen wir noch einen Blick auf die Kriterien, mit denen die Organisation versucht zu messen, was „glückliche Mütter“ ausmacht. Dafür verwendet Save the Children fünf Kriterien:

Müttersterblichkeit, die Sterblichkeit bei unter fünfjährigen Kindern, die durchschnittliche Dauer der Ausbildung, Pro-Kopf-Einkommen und die Beteiligung von Frauen an der Regierung.

Nicht nur der eine oder andere Leser wird an dieser Stelle skeptisch den Blick auf den Aussagegehalt solcher Kriterien für den Glückszustand der Mütter richten. Ohne das hier wirklich vertiefen zu können: Bereits eine Annäherung an den Glücksbegriff auf Wikipedia-Nievau muss zahlreiche Fragezeichen generieren:

»Das Wort „Glück“ kommt von mittelniederdeutsch gelucke/lucke (ab 12. Jahrhundert) bzw. mittelhochdeutsch gelücke/lücke. Es bedeutete „Art, wie etwas endet/gut ausgeht“. Glück war demnach der günstige Ausgang eines Ereignisses. Voraussetzung für den „Beglückten“ waren weder ein bestimmtes Talent noch auch nur eigenes Zutun. Dagegen behauptet der Volksmund eine mindestens anteilige Verantwortung des Einzelnen für die Erlangung von Lebensglück in dem Ausspruch: „Jeder ist seines Glückes Schmied“. Die Fähigkeit zum Glücklichsein hängt in diesem Sinne außer von äußeren Umständen auch von individuellen Einstellungen und von der Selbstbejahung in einer gegebenen Situation ab.«

Wer es hier wissenschaftlich fundierter braucht, dem seien nur beispielhaft die Beiträge zur Glücksforschung des Ökonomen Karl-Heinz Ruckriegel empfohlen, der sich seit Jahren und intensiv damit beschäftigt.

Wie schwierig das mit „dem“ Glück „der“ Mütter ist, kann man an einer aktuellen und überaus kontroversen Debatte aufzeigen, die sich an einer neuen Studie entzündet hat. »Anfang April veröffentlichte die israelische Wissenschaftlerin Orna Donath eine Studie, in der 23 Mütter öffentlich ihren Kinderwunsch bereuten. Vor allem in Deutschland entwickelte sich eine hitzige Debatte. Zahlreiche Medien berichteten darüber, unter dem Hashtag „RegrettingMotherhood“ diskutierten Männer und Frauen in sozialen Netzwerken«, so der Einstieg in das informative Tageschau-Dossier Alles gut zum Muttertag? Mutterschaft im Wandel von Anna-Mareike Krause und Michael Stürzenhofecker.

»Eine junge israelische Wissenschaftlerin veröffentlicht eine Studie in einer amerikanischen Fachzeitschrift für Geschlechterwissenschaft – und das deutsche Internet explodiert. Wie kann das sein? Nun, es ging um Mütter«, so die lapidare und auf die besondere Überhöhung des Mütter-Begriffs gerade in Deutschland abstellende Zusammenfassung in dem Artikel Mütter, die wie Männer denken von Anna Sauerbrey. Sie verweist auf einen interessanten Punkt: »An Frauen, die wie Männer denken, fühlen und handeln, hat sich die Gesellschaft gewöhnt. An Mütter, die wie Männer denken, fühlen und handeln, nicht.« Das Thema hat seine medialen Kreise gezogen – neben vielen Zeitungsartikeln wurde es auch in Radiobeiträgen aufgegriffen. Vgl. hierfür nur stellvertretend die Sendung Ich bereue – Vom Glück und Elend der Mütter des Hessischen Rundfunks.
Warum wird das hier aufgerufen? Um an diesem einen Beispiel zu zeigen, dass man äußerst behutsam mit Begriffen wir „Glück“ umgehen sollte. Es eignet sich nicht wirklich für eine gesellschaftspolitische Thematisierung von so komplexen und zugleich normativ enorm aufgeladenen Tatbeständen wie dem Geschlechterverhältnis oder dem Selbstverständnis von dem, was als „Mutterrolle“ verstanden wird, wobei sich das bereits zwischen zwei benachbarten Gesellschaften wie Deutschland und Frankreich erheblich unterscheiden kann (vgl. dazu und mit Blick auf weitere Länder den Artikel mit der leider sehr euphemistischen Überschrift Glückliche Mütter – was andere Länder besser machen).

Also rufen wir den zweiten Aspekt auf und der kommt leider weitaus handfester und bedrängender daher als die Frage nach dem „Glück“ der Mütter. Es geht um die Kinder bzw. um einen Teil von ihnen. Also denjenigen, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens gelandet sind, sondern auf der anderen Seite. Die in Armut leben (müssen).

Armutsgefährdete Kinder sind materiell unterversorgt und sozial benachteiligt – unter dieser erst einmal leider nicht wirklich überraschend daherkommenden Diagnose hat die Bertelsmann-Stiftung auf zwei neue Studien hingewiesen, die von ihr in Auftrag gegeben wurden: »Jedes fünfte Kind in Deutschland gilt als armutsgefährdet. Verzicht und ein Mangel an gesellschaftlicher Teilhabe sind die Folgen. Doch die staatliche Unterstützung für Familien in prekären Lebenslagen orientiert sich zu wenig an den Bedarfen der Kinder. Zu diesen Ergebnissen kommen zwei Studien der Bertelsmann Stiftung.«

»In der Bundesrepublik wachsen 2,1 Millionen unter 15-Jährige in Familien auf, deren Einkommen unter der Armutsgefährdungsgrenze liegt. Eine repräsentative Befragung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) verdeutlicht, was Armut für den Alltag der Kinder bedeutet: Er ist geprägt von Verzicht und einem Mangel an Teilhabe. Für eine zweite Untersuchung haben Armutsforscherinnen der Universität Frankfurt vertiefende Interviews mit Eltern und Fachkräften geführt. Demnach kann das staatliche Unterstützungssystem Armut nur unzureichend auffangen.«

Die beiden Studien – die man nicht frei zugänglich abrufen kann, sondern als Buchpublikationen bestellen müsste – werden von der Stiftung so zusammengefasst:

»Das IAB hat den Lebensstandard von Kindern aus SGB-II-Haushalten untersucht und mit der Situation von Kindern in gesicherten Einkommensverhältnissen verglichen. Während im Bereich der elementaren Grundversorgung nur geringe Benachteiligungen vorliegen, zeigen sich in anderen Bereichen deutlichere Unterschiede: 20 Prozent der Kinder im Grundsicherungsbezug leben aus finanziellen Gründen in beengten Wohnverhältnissen – gegenüber 3,9 Prozent der Kinder, die in gesicherten Einkommensverhältnissen aufwachsen (Übrige). Drei von vier Kinder, deren Eltern SGB-II-Leistungen erhalten, können keinen Urlaub von mindestens einer Woche machen (Übrige: 21 Prozent), 14 Prozent leben in Haushalten ohne Internet (Übrige: 1 Prozent), 38 Prozent in Haushalten ohne Auto (Übrige: 1,6 Prozent) und knapp einem Drittel ist es aus finanziellen Gründen nicht möglich, wenigstens einmal im Monat Freunde zum Essen nach Hause einzuladen (Übrige: 3,3 Prozent). Bei jedem zehnten Kind mit SGB-II-Bezug besitzen nicht alle Haushaltsmitglieder ausreichende Winterkleidung (Übrige: 0,7 Prozent).

Das Aufwachsen von Kindern in armutsgefährdeten Familien ist vielfach geprägt von einem Bündel an Problemen. Das zeigen Familieninterviews der Armutsforscherinnen Sabine Andresen und Danijela Galic (Universität Frankfurt). Zur chronischen Geldnot kommen oftmals Krankheiten, Trennung der Eltern, beengte Wohnverhältnisse und unsichere Schulwege hinzu. Erziehung bedeutet für die Eltern häufig Erklärung von Nein-Sagen und Verzicht. Eine große Belastung, denn auch bei einkommensschwachen Eltern sind die Kinder der Lebensmittelpunkt: Sie wünschen sich für ihre Kinder vor allem gute Bildung und sind bereit, dafür eigene Bedürfnisse zurückzustellen. Das Gefühl fehlender Selbstbestimmung führt bei einkommensschwachen Eltern oftmals zu Resignation und Erschöpfung. Auslöser ist auch Unzufriedenheit mit staatlicher Unterstützung. Eltern, die von der Grundsicherung leben, klagen über zu viele behördliche Anlaufstellen, wechselnde Ansprechpartner und bürokratische Hürden. Sie vermissen, als Familie mit spezifischen Problemlagen wahrgenommen zu werden. Die befragten Fachkräfte aus Verwaltung und Bildungseinrichtungen problematisieren ähnliche Themen und pflichten den Familien bei. Zeitmangel, bürokratische Hürden und verschiedene Zuständigkeitsbereiche erschweren passgenaue Unterstützung.«

Und was folgt daraus – zumindest für die Auftraggeberin, also die Bertelsmann-Stiftung?

»Bislang, so die Andresen/Galic-Studie, konzentriere sich die Familien- und Sozialpolitik zu stark auf die Integration von Eltern in den Arbeitsmarkt. Empfehlenswert sei die Einrichtung zentraler Anlaufstellen mit festen Ansprechpartnern, die die jeweilige Familiensituation kennen. Zugleich sollten strukturelle Veränderungen Fachkräften mehr Entscheidungsspielräume und eine passgenaue Unterstützung ermöglichen. Zudem setzt sich die Bertelsmann Stiftung dafür ein, das Existenzminimum für Kinder zu überprüfen und die staatliche Grundsicherung anzupassen.«

Übrigens – von „Glück“ wird im vorliegenden Fall nicht einmal gesprochen.

Immer diese ungenauen Überschriften. Oder: Was die Beschäftigten bei McDonald’s in den USA mit den Frauen in Deutschland gemeinsam haben

Es ist ein letztendlich unvermeidliches Dilemma, das mit der Gestaltung von Überschriften verbunden ist. Kurz sollen sie sein und die wesentliche Botschaft auf den Punkt bringen. Dabei muss immer was verloren gehen, was nicht zu vermeiden ist, aber dann zu einem Problem wird, wenn die eigentliche Botschaft richtig verzerrt wird, man aber berücksichtigen muss, dass oftmals nur die Überschrift hängen bleibt.

Nehmen wir als Beispiel den Noch-Marktführer unter den Burger-Bratern in den USA, McDonald’s. Dieses Unternehmen ist richtig unter Druck, nicht nur, weil ein Teil der Kunden verloren geht, die sich zu anderen Anbietern und teilweise generell weg vom klassischen Fast Food orientiert (vgl. hierzu beispielsweise den Artikel Bastel-Burger gegen die Krise), sondern auch wegen der Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten in diesen Einrichtungen der modernen Nahrungsmittelversorgung. Jobben bei McDonald’s gilt als Synonym für schlecht bezahlte Arbeit in den USA. Und das ist nicht gut für das Image. Vor allem, wenn ein Teil der Beschäftigten und deren Gewerkschaften dauernd darauf hinweisen und immer wieder in den Medien kritisch Bericht wird. Also muss man – wenigstens in den Medien – in die Offensive kommen. Und das bekommt man durch positive Schlagzeilen hin. Auch wenn hier dann das bekannte Motto gilt: Papier ist geduldig. Ab Juli werde das Einstiegsgehalt einen Dollar über dem Mindestlohn im jeweiligen Bundesstaat liegen, erfahren wir aus der Zentrale des kriselnden Burger-Braters. Außerdem will der Konzern nach eigenen Angaben künftig Löhne auch während des Urlaubs weiter bezahlen, was bislang nicht der Fall ist. Na endlich und geht doch, mögen die ersten Reaktionen sein. Selbst in Deutschland wird über diesen doch offensichtlichen sozialen Fortschritt berichtet: McDonald’s will kein Knauserer mehr sein, so die FAZ und die Süddeutsche Zeitung sekundiert McDonald’s zahlt einen Dollar mehr. Bis Ende 2016 solle der durchschnittliche Stundenlohn von neun auf zehn Dollar steigen. Wobei es zwischen den Bundesstaaten und sogar zwischen Städten in den USA große Unterschiede gibt hinsichtlich des Mindestlohnes, den es gibt eben nicht den einen Mindestlohn in den USA, worauf die FAZ hinweist: »Der Mindestlohn in den Vereinigten Staaten variiert von Bundesstaat zu Bundesstaat. In Georgia etwa verdienen McDonald’s-Angestellte künftig mindestens 6,15 Dollar (5,70 Euro), in Kalifornien dagegen mindestens zehn Dollar die Stunde. Einige Städte haben noch höhere Standards: In Seattle beispielsweise werden Mitarbeiter der Fastfood-Kette einen Mindeststundenlohn von 16 Dollar erhalten.« Also alles gut? Nein, wie immer ist es eine Frage der Grundgesamtheit, die hier wirklich mehr bekommen wird/kann.

Und das ist im Fall McDonald’s nicht trivial: Der FAZ können wir entnehmen: »Davon profitieren allerdings nur Mitarbeiter in den konzerneigenen Schnellrestaurants. Da 90 Prozent der insgesamt über 14.300 US-Filialen von Franchise-Partnern betrieben werden, betrifft die Maßnahme nur etwa 90.000 Angestellte. Die mehr als 3100 Franchise-Nehmer würden selbst entscheiden, betonte McDonald’s.« Und die Süddeutsche Zeitung erläutert ebenfalls die angekündigte Lohnerhöhung betreffend: »Allerdings betrifft dies nur die Beschäftigten der 1.500 Restaurants, die der Konzern selbst betreibt. Es gibt daneben noch 14.000 Filialen, die Franchisenehmer betreiben.«

Aber was hat diese – nun ja – gewissermaßen Rosstäuscherei mit den Frauen in Deutschland zu tun? Auch die sind ein Opfer der sehr verkürzenden Überschriften geworden. Da heißt es beispielsweise und so auch vielfach übernommen: Frauen arbeiten 23 Prozent weniger als Männer. Sind die Männer in Deutschland schaffiger? Legen sich die Frauen nicht nur im Urlaub an den Strand, sondern generell auf die faule Haut? Tatsächlich berichtet wird von der Zeit für die Erwerbsarbeit – und das ist eben ein nicht trivial-kleiner Unterschied, wenn es (scheinbar) um die Arbeit geht. Der Artikel beleuchtet die „Gender Time Gap“ hinsichtlich der Erwerbsarbeitszeiten von Männern und Frauen, als der Geschlechterlücke bei der Arbeitszeit – mit den entsprechenden Nachteilen bei Karriereaussichten und Gehalt. »Während männliche Angestellte oder Beamte im Jahr 2013 auf eine Wochenarbeitszeit von durchschnittlich 39,6 Stunden kamen, waren es bei Frauen 30,3 Stunden.« Diese Information stammt aus der Studie Gender News: Große Unterschiede in den Arbeitszeiten von Frauen und Männern. Ergebnisse aus dem WSI GenderDatenPortal von Christina Klenner und Sarah Lillemeier. Und hinsichtlich der Erwerbsarbeitszeit sprechen wir hier über ein zunehmendes Problem, denn: »In den letzten 20 Jahren ist der Arbeitszeitunterschied sogar gewachsen und beträgt inzwischen 23 Prozent.«

Man ahnt natürlich schon, womit das zusammenhängt: »Besonders groß ist die Arbeitszeit-Lücke zwischen Männern und Frauen, wenn Kinder im Haushalt leben. Besonders in Westdeutschland fällt auf, dass jedes zusätzliche Kind den „Gender Time Gap“ noch vergrößert: Den WSI-Zahlen zufolge verdoppelt bei den Arbeitszeiten bereits ein Kind den Unterschied von sieben Stunden (Frauen und Männer ohne Kinder) auf fast 15 Stunden … Die Arbeitszeiten der Familienväter bleiben relativ stabil, unabhängig davon ob bzw. wie viele Kinder im Haushalt leben … Die Teilzeitquote von Müttern beträgt aktuell 70 Prozent, bei Frauen ohne Kinder ist sie nur halb so hoch.« So weit, so klar.

Der hier relevante Punkt ist aber ein anderer:

Die Frauen arbeiten keinesfalls weniger, man könnte es vielleicht so formulieren: Viele Frauen erwerbsarbeiten weniger, damit sie über die dadurch gewonnen Zeit, in der sie arbeiten, aber nicht erwerbsarbeiten, den anderen, also vor allem den Männern, eine noch längere Erwerbsarbeit ermöglichen können, die so gar nicht funktionieren würde bzw. könnte, wenn nicht die andere Arbeit, die aber keine Erwerbsarbeit ist, nicht von irgendjemanden erledigt wird. Die dann oftmals ziemlich lange arbeiten müssen, aber nichts erwerben – oder nur den Zugewinnausgleich, aber den auch nur dann, wenn sie klassisch verheiratet sind.

Die Geschlechter und ihre Löhne. Einige Gedanken und kritische Anmerkungen zum „Equal Pay Day“ im April 2015

Wieso denn „Equal Pay Day“ im April 2015, wird die eine oder der andere jetzt erstaunt fragen? Der war doch schon am 20. März, überall gab es an diesem Tag Aktionen und selbst die Gesetzgebungsmaschinerie soll angeworfen werden, nach der Frauenquote (für Aufsichtsräte von einigen wenigen börsennotierten Konzernen) will die Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) noch in diesem Jahr die gleiche Entlohnung von Frauen und Männern in einem „Entgeltgleichheitsgesetz“ festschreiben. »Die Politik habe zu lange zugeschaut, jetzt müsse gehandelt werden«, so wird die Ministerin zitiert. Um die Gehaltsunterschiede offenzulegen, wolle sie ein Auskunftsrecht gesetzlich verankern und Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern verpflichten, gerechtere innerbetriebliche Strukturen zu schaffen. Und das Thema scheint wirklich auch im medialen Mainstream angekommen zu sein – wenn man das daran messen möchte, dass selbst Günther Jauch seine Talksendung am 22.03.2015 unter den Titel Der ungerechte Lohn – warum verdienen Frauen weniger? Gleicher Lohn für gleiche Arbeit? Von wegen! gestellt hat.

In vielen anderen Medien wurde über die Geschlechter und ihre Löhne berichtet – beispielsweise im Radio: Lohntransparenz – Hat der Wert der Arbeit ein Geschlecht?, fragt etwa der Deutschlandfunk in einer Hintergrundsendung. Auch der Hessische Rundfunk hat sich auf die Suche gemacht: Zahlemann und Töchter – Warum Frauen weniger verdienen, so der Titel einer Sendung zum Thema. Aber sortieren wir in einem ersten Schritt einmal die Fakten – und korrigieren dann auch noch das „wahre“ Datum des „Equal Pay Day“ – der eigentlich erst auf den 11. April dieses Jahres zu terminieren wäre.  Um die ganze Sache dann noch so richtig zu verkomplizieren, könnte man darauf hinweisen, dass zum einen (ausgehend von 7 statt 22 Prozent Lohnlücke) der Equal Pay Day viel früher im Jahr hätte angesetzt werden müssen – oder aber man hätte das Datum deutlich nach hinten verlängert müssen, wenn man ihn von einem „Gender Pay Gap Day“ zu einem „Gender Income Gap Day“ erweitern würde, was auch schon vorgeschlagen wurde. Alles klar? Ein offensichtlich echtes Durcheinander, dass einer Aufdröselung zugeführt werden muss. 

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