Von „heißer Liebe zum deutschen Volk“ zum „1.000 Euro Starterpaket für jedes neue Baby“. Neues Altes zur Familien- und Rentenpolitik

„Aus heißer Liebe zum deutschen Volk“ – so hieß es am 26. Juni 1945 im Berliner Gründungsaufruf der Christdemokraten. Deshalb feiert die CDU ab der kommenden Woche ihren 70. Geburtstag und in einer etwas eigenen Adaption an diese Gründungsaufforderung hat sich jetzt die Junge Union zu Wort gemeldet, die Jugendorganisation der Union, immerhin mit offiziell 117.000 Mitglieder eine ziemlich große Organisation. Passend in unsere Zeit der Individualisierung wie auch der alle Lebensbereiche durchdringenden Ökonomisierung will man jetzt offensichtlich das deutsche Volk von unten unterstützen und die „heiße Liebe zum Kinderzeugen“ anreizen. Mit einem – festhalten, jetzt wird es ganz heiß – „1.000 Euro-Starterpaket für jedes neue Baby“. Wie scharf ist das denn?

Aber die Jungunionisten erweisen der immer irgendwie mitlaufenden Vorstellung, dass junge Menschen eine Präferenz für radikale Vorstellungen haben und sich gegen „die Alten“ auflehnen wollen und müssen (was empirisch spätestens seit den Shell-Jugendstudien mehr als widerlegt ist, denn dort wurde dokumentiert, dass die meisten Jugendlichen ihre Eltern als Kumpel und nette Partner wahrnehmen, was sicher nicht die Abarbeitung an den Positionen der Eltern befördert), scheinbar, aber eben nur scheinbar ihre Referenz: Sie fordern eine – aufgepasst – „radikale Reform der Familien- und Rentenpolitik“. Robert Roßmann beschreibt diese in seinem Artikel Junge Union fordert Sonderabgabe für Kinderlose.

Der JU-Chef Paul Ziemiak hat dazu einen Forderungskatalog dazu vorgelegt, der sich – man ahnt es schon – an „der“ demografischen Entwicklung abarbeitet.

Zur Rentenpolitik: Die Junge Union fordert die sofortige Abschaffung der Rente mit 63 und der JU-Chef »fordert eine grundlegende Änderung des Rentensystems. „Es muss eine Verknüpfung zwischen Renteneintrittsalter und Lebenserwartung geben“, sagt Ziemiak. Wenn die Lebenserwartung steige, verlängere sich bisher auch die Bezugsdauer der Rente, ohne dass die Versicherten dafür höhere Beiträge eingezahlt hätten …  Die Junge Union wolle, dass zwei Drittel der zusätzlichen Lebenszeit angerechnet werden.«

Nur eine von vielen möglichen kritischen Anmerkungen zu dieser Forderung, die ja nicht wirklich von den jungen Unionisten kommt, sondern die haben copy und paste gemacht beim Institut der deutschen Wirtschaft, bei Professor Sinn und anderen bis hin zu einem Teil der „fünf Wirtschaftsweisen“, die genau so eine Regelung seit längerem einfordern. Hier an dieser Stelle nur der eine Hinweis: Die Forderung kommt für viele auf den ersten Blick so plausibel daher, denn das leuchtet doch ein: Wenn die Lebenserwartung weiter ansteigt und man länger Rente bezieht, dann kann man doch einen Teil der gewonnenen Lebenserwartung dafür einbringen, über Arbeit die Beiträge (und Steuern) zu erwirtschaften, die man braucht, um das zu finanzieren. Genau so argumentiert die Junge Union in Person ihres Vorsitzenden Paul Ziemiak: „Wenn beispielsweise die durchschnittliche Lebenswartung der Jahrgänge von 1985 bis 1990 um drei Monate steigt, muss das Renteneintrittsalter für diese Jahrgänge um zwei Monate steigen“, so wird er zitiert. Schon mal was vom Unterschied zwischen Durchschnitt und Streuung der Originalwerte gehört? Ein Durchschnittswert kann zuweilen mehr verschleiern als Information verdichten, vor allem, wenn die Ausgangswerte sehr stark streuen um den Durchschnittswert. Und genau hier haben wir ein Riesenproblem bei dem durchschnittlichen Anstieg der Lebenserwartung. Der geht nämlich so: Bei der oberen Hälfte ist der Anstieg nicht drei Monate, sondern vielleicht fünf oder sechs, ganz oben noch mehr. Aber in der unteren Hälfte sind es nicht drei, sondern zwei, ganz unten vielleicht nur ein Monat oder gar keiner. Wenn wir jetzt aber eine anscheinend plausibel daherkommende Regelbindung haben, nach dem Muster ausgehend vom Durchschnitt drei Monate mehr = 2 Monate mehr beim gesetzlichen Renteneintrittsalter, dann ist die relative Belastung oben viel geringer als unten und unten erweist sich aufgrund der Streuung der Werte eine solche Regelung als das, was sie wohl auch sein soll: Eine richtig harte Rentenkürzung, denn man darf nicht vergessen, dass das Erreichen der Regelaltersgrenze verbunden ist mit der Abschlagsregelung im Rentenrecht, also alle, die es nicht bis dahin schaffen, werden mit lebenslangen Abschlägen bei ihrer – dann auch noch zumeist an sich niedrigeren – Rente belastet.

Zur „Familienpolitik“: »Die JU verlangt außerdem die Umwandlung des Ehegattensplittings in ein Familiensplitting. „Wir wollen nicht nur eine Erhöhung der Freibeträge, sondern ein echtes Familiensplitting“, sagt Ziemiak. Die steuerliche Entlastung durch das Splitting solle sich also – anders als bisher – mit der Zahl der Kinder erhöhen.«

Nun gibt  es diese Debatte schon lange und es handelt sich hier ebenfalls um keinen neuen Ansatz, sondern erneut haben die jungen Leute einfach nur abgeschrieben – aus dem Wahlprogramm der eigenen Mutterpartei. Die hat das 2013 bei der Bundestagswahl in ihrem Programm drin stehen gehabt. Eine „radikale“ Erweiterung besteht wohl darin, dass man ein „echtes“ Familiensplitting“ fordert und nicht „nur“ eine Anhebung der Freibeträge. Hier nur einige wenige Aspekte aus der kritischen Auseinandersetzung allein schon mit dem Modell der höheren Freibeträge, die von Richard Ochmann und Katharina Wrohlich 2013 in ihrem Aufsatz Familiensplitting der CDU/CSU: Hohe Kosten bei geringer Entlastung für einkommensschwache Familien vorgetragen wurden. Familien mit geringen Einkommen werden unterdurchschnittlich bis gar nicht entlastet. Je höher das (zu versteuernde) Einkommen, desto größer ist die Entlastung, was der Mechanik des Steuersystems geschuldet ist. Logischerweise und nicht vermeidbar bedeutet das, dass wenn man die Freibetragslogik mit der Zahl der Kinder koppelt, dass dann in den oberen Haushaltseinkommen richtig viel ankommt für deren Kinder, während es unten sehr viel weniger bis gar nichts wäre. Die notwendigen finanziellen Ressourcen für eine solche steuerliche Entlastung wären enorm. Und Oschmann/Wrohlich weisen darauf hin: »Generell haben alle Splittingmodelle den gravierenden Nachteil, dass sie dem familienpolitischen Ziel der Vereinbarkeit von Beruf und Familie entgegenwirken.«

Aber die Jungunionisten fordern nicht nur, sondern wie es sich heutzutage gehört, man liefert den Hohepriestern der Religion von der „schwarzen Null“ und einem schuldenfreien Haushalt gleich auch schon das passende Opfer der Gegenfinanzierung der Geld kostenden Vorschläge. Und was schlägt die Junge Union hier vor – um das gleich scheinbar „familienpolitisch“ zu ummänteln?
»Kinderlose sollen eine Sonderabgabe in Höhe von einem Prozent des Bruttoeinkommens zahlen.«
Man hat die Stimmen schon im Ohr, die auf eine gruppenbezogene Diskriminierung hinweisen werden. Der JU-Chef hält dagegen: „Das wäre keine Benachteiligung, sondern nur ein Ausgleich“, so wird er zitiert. Ausgleich für was bitte? Die Argumentation von Ziemiak geht so: »Eltern hätten enorme Ausgaben, die Kinderlose nicht hätten. Wegen der Mehrwertsteuer auf diese höheren Ausgaben würden Eltern bisher auch steuerlich schlechter gestellt als Kinderlose.« Aber auch daran ist gar nichts Neues, denn bereits vor drei Jahren hatten Bundestagsabgeordnete aus der Union genau diese Forderung zur Diskussion gestellt: »Die Abgeordneten hatten vorgeschlagen, Kinderlose vom 25. Lebensjahr an mit einem Prozent ihres Einkommens zur Kasse zu bitten. Die Abgabe sollte nach der Anzahl der Kinder gestaffelt werden. Kinderlose müssten voll zahlen, Eltern mit einem Kind die Hälfte, Eltern mit mehreren Kindern nichts.«

Auch das hat sich nicht ohne Grund nicht durchgesetzt, der vielleicht am Anfang vorhandene Charme einer gewissen Logik, „die“ Kinderlosen zahlen mehr als die armen mit Kindern belasteten Familien schmilzt wie die Butter in der Sonne, wenn man berücksichtigt, dass „die“ Kinderlosen dann zusätzlich belastet werden sollen für den Ausgleich einer höheren Steuerbelastung der Familien, obgleich die doch in dem Modell der Union parallel massiv entlastet werden sollen über das Familiensplitting.

Abschließend sind wir wieder am Anfang angekommen, denn die Junge Union fordert »die Einführung eines „Starterpakets“ für Eltern. Sie sollen für jedes Kind, das geboren wird, 1000 Euro vom Staat als Erstausstattung erhalten.« Super. Aber mal ehrlich – unabhängig von der Tatsache, dass es viele einkommensschwache Familien gibt, für die 1.000 Euro bei der Geburt eines Kindes mehr als hilfreich sein könnte: Von einer Begrenzung des „Starterpakets“ auf die, die materiell wirklich in schwierigen Verhältnissen sind, liest man nichts. Das „Starterpakekt“ sollen alle bekommen, also auch die Haushalte, die nun wirklich nicht angewiesen sind auf diesen Betrag. Und davon gibt es Gott sei Dank immer noch sehr viele in unserem Land. Was soll das? Will man perspektivisch die Premium-Hersteller von Kinderwägen pampern über diesen Betrag, den die Eltern dann in ein noch hipperes Modell reinvestieren werden? Vielleicht ist das aber auch ein geniales Programm zur Stärkung der Binnennachfrage.

Halt – alle würden die 1.000 Euro bekommen? Es steht zu befürchten, dass das in einer Hinsicht wieder nicht gelten würde: Für die, die einen solchen Betrag am nötigsten hätten. Also die Eltern im Grundsicherungsbezug. Erinnern wir uns an dieser Stelle an das „Betreuungsgeld“, das von den Befürwortern ausdrücklich als eine Honorierung der elterlichen Erziehung- und Betreuungsleistung zu Hause herausgestellt wurde, deshalb würden auch alle in den Genuss dieser Leistung kommen, also einkommensabhängig. Und tatsächlich ist es auch so, dass auch sehr einkommensstarke Haushalte die 150 Euro überwiesen bekommen – alle, aber nicht die „Hartz IV-Eltern“, denn bei denen wird das Betreuungsgeld vollständig angerechnet auf ihren Anspruch auf SGB II-Leistungen, mithin verrechnet. Sie gehen leer aus. Es steht zu befürchten, dass der gleiche Mechanismus zuschlagen würde beim „Starterpaket“.

Ach, jede Gesellschaft hat die Jugend, die sie verdient, könnte man jetzt bilanzieren. Oder anders: Entweder mal richtig auf die Pauke hauen und was Großes fordern oder aber wenn man sich schon so klein macht, dass man passungsfähig zu werden hofft, dann muss man sich eben auch messen lassen an Sorgfältigkeit beim Denken und entsprechendem Tiefgang beim Verfassen von Forderungen. Aber vielleicht wollte man einfach auch nur mal wieder in die Medien.

Die „echten Helden unserer Leistungsgesellschaft“ dürfen sich freuen. Alleinerziehende werden steuerlich entlastet. Über ein dann letztendlich doch nur kümmerliches Kümmern

Im Jahr 2013 gab es in Deutschland knapp  8,1 Millionen Familien mit minderjährigen Kindern. In diesen Familien lebten insgesamt 18,6 Millionen Kinder, darunter knapp 13 Millionen Kinder unter 18 Jahren. Trotz der rückläufigen Entwicklung traditioneller Familien waren im Jahr 2013 die Ehepaare mit minderjährigen Kindern mit 70 % die häufigste Familienform. Alleinerziehende Mütter und Väter machten 20 % der Familien mit Kindern unter 18 Jahren aus. Im Jahr 1996 hatten diese Anteile noch 81 % (Ehepaare) bzw. 14 % (Alleinerziehende) betragen. So kann man es beim Statistischen Bundesamt nachlesen. Wir reden also nicht von irgendeiner unbedeutenden Randgruppe, sondern davon, dass jede fünfte Familie aus einer Ein-Eltern-Familie besteht. Wir sprechen über 1,6 Millionen alleinerziehenden Mütter und Väter.

Nun gibt es nicht „die“ Familie und eben auch nicht „die“ Alleinerziehenden. Die sind genau so bunt wie das, was man als „herkömmliche“ Familien etikettieren würde. Und auch der Status Alleinerziehende ist nichts Festes, die einen sind das sehr lange, die anderen nur für eine kurze Zeit. Die einen sind richtig alleine, die anderen haben eine Partnerschaft, aber leben formal alleine mit ihrem Kind oder den Kindern.

Was man aber sagen kann bei aller Heterogenität – nicht immer, aber in einer erheblichen Größenordnung bedeutet die Realität der Alleinerziehenden ein manifestes Armutsrisiko. Die Zahlen sind hier leider eindeutig: Fast 40 Prozent der Alleinerziehenden benötigen staatliche Grundsicherung, befinden sich also im Hartz IV-System.

Und als vor kurzem die Große Koalition ihr „Familienpaket“ der Öffentlichkeit vorgestellt hat, da war die gerade seitens der SPD geforderte steuerliche Entlastung der Alleinerziehenden gar nicht enthalten, weil der Bundesfinanzminister Schäuble (CDU) kein Cent für dieses Anliegen locker machen wollte aus dem allgemeinen Haushalt. Mit dem im parlamentarischen Verfahren befindlichen Gesetz zur Anhebung des Grundfreibetrags, des Kinderfreibetrags, des Kindergeldes und des Kinderzuschlags  sollen alle Leistungen rückwirkend zum 1. Januar 2015 angepasst werden. So soll das Kindergeld für dieses Jahr um vier und 2016 um weitere zwei Euro im Monat erhöht werden. Da haben sich schon ganz viele „normale“ Familien sicher ganz doll gefreut – vor allem die wohlhabenderen unter ihnen aufgrund der für sie relevanten Anhebung der Kinderfreibeträge. Und jetzt hat man, gleichsam in Vorwegnahme des Weihnachtsfestes mit seinen Bescherungen, auch ein Einsehen bei den Alleinerziehenden und will ihnen doch den einen oder anderen Euro zukommen lassen. Da muss offensichtlich ordentlich was bei rumkommen, wenn man solche Schlagzeilen zur Kenntnis nimmt: Bundesregierung will Alleinerziehende deutlich besser stellen, berichtet die Süddeutsche Zeitung und Spiegel Online schreibt schon etwas gedämpfter Koalition will Alleinerziehende stärker entlasten.

Und auf der semantischen Ebene überschlägt sich die Politik mit einem Anerkenntnis der oftmals schwierigen Lebenslage und der besonderen Leistungen, die von Alleinerziehenden erbracht werden müssen: So wird uns in einem Beschluss der beiden geschäftsführenden Fraktionsvorstände von Union und SPD zur Begründung für die nun beabsichtigte steuerliche Entlastung der Alleinerziehenden ausgeführt:

»… alleinerziehende Erwerbstätige würden „enorm viel“ leisten. Sie gingen „arbeiten, kümmern sich um ihren Nachwuchs und führen den Haushalt – was sich Elternpaare teilen können, schultern sie allein“. Alleinerziehende seien dabei überdurchschnittlich häufig erwerbstätig, sie verfügten im Schnitt jedoch über deutlich geringere Haushaltseinkommen als Paarfamilien und seien „überproportional von Armut betroffen“. Außerdem hätten erwerbstätige Alleinerziehende häufig hohe Kinderbetreuungskosten. Diese besondere Lebenssituation wolle die große Koalition jetzt „besser berücksichtigen“.

Und auch der Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel wird so zitiert:

»SPD-Chef Sigmar Gabriel sagte am Donnerstag in Berlin, Alleinerziehende leisteten enorm viel für ihre Kinder und die Gesellschaft. „Es ist bitter notwendig und längst überfällig, ihnen mehr Unterstützung zukommen zu lassen.“«

Und die Steigerungsform von toll ist die Heldenbeschreibung des Fraktionschefs der Sozialdemokraten im Deutschen Bundestag, Thomas Oppermann, der so zitiert wird:

»SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann betonte am Rande der Klausur in Göttingen: „Wir haben immer mehr Alleinerziehende in unserer Gesellschaft.“ Diese Personen hätten eine ganz besondere „Dreifachbelastung“. Neben der Arbeit müssten sie auch beide Elternrollen garantieren. „Deshalb sagen wir, das sind echte Helden unserer Leistungsgesellschaft.“

Da wird es jetzt aber Zeit, einmal genauer hinzuschauen, was denn nun auf die Alleinerziehenden, also die echten Helden unserer Leistungsgesellschaft nach der Oppermann’schen Terminologie, zukommen soll. Man habe sich darauf verständigt, dass der Entlastungsbetrag um 600 Euro auf 1.908 Euro erhöht werden soll. Und oben gibt es auch was dazu: Der Entlastungsbetrag soll künftig auch nach der Zahl der Kinder gestaffelt werden. Für jedes weitere Kind erhöht sich der Basisbetrag von 1.908 Euro um jeweils 240 Euro. Das hört sich ordentlich an.

In einer ersten kritischen Anwandlung darf und muss man darauf hinweisen, dass der derzeitige steuerliche Entlastungsbetrag für Alleinerziehende in Höhe von 1.308 Euro pro Jahr seit seiner Einführung im Jahr 2004 nie angepasst worden ist. Er ist bis heute, 2015, eingefroren auf dem damaligen Niveau. Kinderfreibetrag und Kindergeld wurden seitdem um mehr als 20 Prozent erhöht.

Der echte Berufsskeptiker wird sich vor dem Hintergrund der Tatsache, um wie viele Alleinerziehende es in unserem Land geht, in seiner an Versprechungen grundsätzlich erst einmal zweifelnden (bzw. verzweifelnden) Grundhaltung bestätigt fühlen, wenn er herausfindet, um welches Finanzvolumen es hier geht: »Die Besserstellung der rund 1,6 Millionen alleinerziehenden Mütter und Väter wird rund 80 Millionen Euro im Jahr kosten«, so Spiegel Online in einem Artikel über den neuen großkoalitionären Beschluss. Das wären ja, umgelegt auf die Alleinerziehenden insgesamt, 50 Euro. Pro Jahr. Was aber nicht stimmt, wir wollen wenigstens hier korrekt mit den Zahlen hantieren, denn es handelt sich um eine steuerrechtliche Maßnahme und da ist der Bund nur einer der Beteiligten. So ist das auch hier, denn die 80 Mio. Euro beziehen sich nur auf das, was der Bund aufbringen muss. Berücksichtigt man die anderen Ebenen unseres föderalen Systems, dann belaufen sich die Gesamtkosten geschätzt auf etwa 200 Mio. Euro, was dann stolze 125 Euro pro Jahr und echtem Held unserer Leistungsgesellschaft, also Alleinerziehende, wären.

„Es geht hier nicht um Milliarden, sondern um 80 Millionen. Die Ministerien werden eine Lösung finden“, so wird denn auch Unions-Fraktionschef Volker Kauder. Allerdings bezogen auf die Frage, die die Buchhalter sofort aufwerfen, wo denn das Geld (also das Bundesgeld) – ob nun wenig oder viel – herkommt. Und hier werden wir – trotz der überschaubaren Summe, mit der hier hantiert wird – vertröstet, folgt man dem Beschluss zwischen Union und SPD: „Die notwendige Finanzierung aus dem Haushalt des Familienministeriums muss zwischen diesem und dem Finanzministerium vereinbart werden.“ Man achte auf die Formulierung: Klar ist eines: aus dem Haushalt des Bundesfamilienministeriums. Das war auch schon vorher die Forderung von Schäuble gewesen und Manuela Schwesig wollte das nur mit dem Geld, das für das „Betreuungsgeld“ vorgesehen ist, machen. Wir werden uns überraschen lassen.

Aber der hier wirklich entscheidende Punkt ist ein ganz anderer: Hinsichtlich einer Gesamtbewertung der beschlossenen Maßnahme trifft es diese Überschrift am besten: Nur kümmerliches Kümmern, so hat Falk Steiner im Deutschlandfunk seine Kommentierung betitelt. Und Steiner bringt es auf den Punkt:

»Denn mit der Erhöhung des Entlastungsbetrages für Alleinerziehende wird eines nicht einhergehen: wesentliche Veränderungen an der Situation jener, bei denen die Kasse tatsächlich zu knapp ist. Von finanziellen Wohltaten ist man meilenweit entfernt, bei den meisten Alleinerziehenden dürfte es sich am Ende um eine Steuerersparnis zwischen 100 und 200 Euro handeln – jährlich, wohlgemerkt. Und auch diese nur dann, wenn sie denn, nach Abzug aller Freibeträge, überhaupt über steuerpflichtiges Einkommen verfügen. Was gerade bei Alleinerziehenden mit Teilzeitjobs im unteren Einkommensbereich keineswegs selbstverständlich ist. Dort, wo das Geld von vornherein schon nicht reicht, ändert die nun so tapfer von der SPD vorgetragene Erfolgsmeldung zur Alleinerziehendenfreibetragserhöhung nichts.«

Ach ja, wie so oft in der Geschichte, kaum ist man zum Held erklärt worden, vergessen einen die Leute schon wieder, weil der nächste Held durchs Dorf getrieben wird.

Anything goes? Diese Sichtweise auf „Familie“ wird einigen sehr weh tun, spiegelt aber die Realität. Spannend ist die Frage, was man familienpolitisch daraus (nicht) macht

Bekanntlich ist die Familienpolitik in Deutschland ein vermintes Gelände. Kaum ein Politikbereich ist dermaßen ideologisch aufgeladen wie die Frage, was Familie eigentlich ist, geschweige denn, wie man „die“ Familien mit was genau fördern kann und soll. Das gewaltige Konfrontationspotenzial haben wir im vergangenen Jahr beispielsweise in der Debatte über den Ausbau der Kindertagesbetreuung für die unter dreijährigen Kinder sowie den erbitterten Streit um das Für und Wider des „Betreuungsgeldes“ erleben müssen. Vor diesem Hintergrund lässt die folgende Meldung aufhorchen:

»Ein Ehepaar mit Kindern ist eine Familie, so viel ist klar. Für die meisten Deutschen gelten aber auch andere Lebensentwürfe als „Familie“. Daher fordert nun ausgerechnet die Konrad-Adenauer-Stiftung von der Politik, keine Leitbilder mehr vorzugeben – und bricht so mit allem, was Konservativen heilig ist«, schreibt Ulrike Heidenreich in ihrem Artikel mit der überspitzenden Überschrift Vater/Mutter/Kind war gestern.

Es ist ohne Frage richtig, was Heidenreich postuliert: »… wie keine andere Partei ringen CSU und CDU um ein Familienleitbild. Um eine Richtlinie, eine ungefähre Umrahmung dessen, was in der Gesellschaft schon lange zum Leben gehört und das die christlich orientierten Anhänger nicht allzu sehr verstören soll.« Und damit steht die Union nicht alleine – man denke hier nur an die teilweise hanebüchen daherkommenden Klimmzüge der katholischen Kirche, mit ihren Moralvorstellungen auf einem Ozean des kirchenvorschriftswidrigen Verhaltens von 90 bis 99,1% der eigenen Mitglieder zu segeln. Aber auch in der anderen großen Kirche ist das ein ganz heißes Eisen, was die Verantwortlichen zu spüren bekommen haben, als sie den Versuch einer „Orientierungshilfe“ vorgelegt haben zum Thema Familie und zahlreiche Kritik an der angeblichen Untergewichtung der Ehe kassieren mussten (vgl. hierzu EKD: Zwischen Autonomie und Angewiesenheit: Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken. Eine Orientierungshilfe des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Gütersloh, Juni 2013).

Insofern sind die Unionsparteien in „guter“ Gesellschaft. Nun aber gibt es – auf dem Papier, der Waffe derjenigen, die mit dem Wort arbeiten (müssen) – Bewegung: »Eine Expertise, die die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung … veröffentlicht, bricht mit so ziemlich allem, was konservativen Politikern bisher heilig war.« Das hört sich interessant an. Es geht um diese Publikation:

Norbert F. Schneider, Sabine Diabaté, Detlev Lück, Christine Henry-Huthmacher: Familienleitbilder in Deutschland. Ihre Wirkung auf Familiengründung und Familienentwicklung, Sankt Augustin: Konrad-Adenauer-Stiftung, 2014

Die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) hat das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) beauftragt, die gegenwärtigen Familienbilder zu eruieren.  Dazu wurden 5.000 Personen im Alter zwischen 20 und 39 Jahren befragt. Zunächst einmal die für alle Traditionalisten wie aber auch Realisten beruhigende Botschaft: Nach wie vor bildet das verheiratete Ehepaar mit Kind bzw. Kindern das Referenzmodell, das zu 100 Prozent mit Familie identifiziert wird. Allerdings – die Studie hat ebenfalls zu Tage gefördert, dass die Menschen zu fast 90 Prozent auch homosexuelle Paare, Patchworkkombinationen oder Alleinerziehende mit dem Familienbegriff verbinden.

»Mit 97 Prozent Zustimmung genieße auch das unverheiratete Paar eine große Akzeptanz. Homosexuelle Paare (88 Prozent) mit eigenen Kindern würden etwas häufiger als Familie definiert als Patchworkfamilien (85 Prozent) oder als die alleinerziehende Mutter (82 Prozent).« (Quelle: Konrad-Adenauer-Stiftung kritisiert Familienpolitik)

Anders ausgedrückt: Die Vielfalt der Familienformen ist in der Bevölkerung nicht nur angekommen, sondern mittlerweile auch tief verankert. Da tut sich ein Teil der Politik wesentlich schwerer. Die Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung transportiert eine klare Botschaft: »Auseinandersetzungen mit „Kampfbegriffen wie Rabenmutter oder Heimchen am Herd“ sollten beendet, der „Familiendiskurs sollte entideologisiert“ werden.« Die Öffnung dessen, was man unter Familie versteht, ist das eine. Die Realität, in der die Menschen leben (müssen), ist eine andere, jedenfalls für viele. Beim Versuch, Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen, seien junge Frauen heutzutage so zerrissen wie nie zuvor. Auch Väter stünden unter steigendem Druck, zwischen den Erwartungen und den eigenen Ansprüchen der Familie gegenüber, was sich beispielsweise in der Nachfrage nach Elternzeit zumindestens ansatzweise Ausdruck verschafft, während sie auf der anderen Seite konfrontiert sind mit einer weiterhin beharrlich traditionell ausgerichteten Erwerbsarbeitswelt.

Bei der Analyse der Ursachen für die konstant niedrige Geburtenrate wird oftmals – so eine der Thesen in der vorliegenden Studie – der Aspekt vernachlässigt, was in den Köpfen der Betroffenen abläuft. Norbert Schneider, der Direktor des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) und einer der Autoren der Studie postuliert, dass es keine positiv besetzten Familienleitbilder in Deutschland gebe. Der klassischen Mutter und Ehefrau, die sich um die Kinder, den Haushalt und die Familie kümmert, »wird vorgehalten, dass sie es sich gut gehen lasse oder dass man sie gut ausgebildet habe und sie diese volkswirtschaftlichen Kosten nun verschwende.« Sie wird zunehmend in eine kaum oder gar nicht realisierbare Rechtfertigungsposition für ihr Rollenmodell geschoben. Aber auch ihr Pendant am anderen Ende des Spektrums, also die in Vollzeit berufstätige Mutter, die nach kurzer Unterbrechung ihre Erwerbsarbeit wieder aufnimmt, wird ebenfalls mit erheblichen Anfeindungen bzw. Infragestellungen ihrer Art und Weise zu leben konfrontiert: »Der Aussage „Ein Kleinkind leidet, wenn die Mutter berufstätig ist“ stimmen der Studie zufolge teils mehr als 60 Prozent der Befragten in … Westdeutschland zu. Im Osten Deutschlands sind es nur 34 Prozent«.
»Die oft kulturell vorgegebene Definition dessen, was ein „normales“, „richtiges“ oder „gutes“ Zusammenleben als Paar oder Familie sei, stelle vor allem an Mütter sehr hohe und kaum einzulösende Anforderungen, heißt es in der Studie. Dieser Umstand erschwere die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zusätzlich und reduziere sowohl Frauenberufstätigkeit als auch die Bereitschaft zum Kinderkriegen in Deutschland«, kann man in einem anderen Artikel lesen.

Interessant und sicherlich einige Kontroversen innerhalb der Union auslösend wird es natürlich bei den familienpolitischen Schlussfolgerungen, die aus den in der Studie dokumentierten umfangreichen Ergebnissen der Befragungen hinsichtlich der Familienleitbilder abgeleitet werden – und in einigen Medien wird die Berichterstattung über die neue Studie auch nur auf diesen Aspekt verengt, beispielsweise in dem Artikel Konrad-Adenauer-Stiftung kritisiert Familienpolitik. Dort heißt es ziemlich knackig: »Eine Studie der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung stellt der Koalition bei der Familienpolitik ein schlechtes Zeugnis aus – sie fordert Toleranz und rät von der „Hausfrauenehe“ als Vorbild ab.« Auch Heidenreich weist in ihrem Artikel auf die Kritik an der tradierten Familienpolitik, die man der Studie entnehmen kann, hin: »Die derzeitige Familienpolitik sei in hohem Maße zu einseitig an der Ehe orientiert, sie biete oft keine Hilfe bei durch Brüche gekennzeichneten Familienbiografien. Das alles sei nicht mehr zeitgemäß. So profitiert etwa eine kinderlose Ehe vom Ehegattensplittung, nicht aber die nicht eheliche Stieffamilie. Nachdem lange Zeit latent das klassische Bild der Hausfrauenehe bestimmend war, müssten nun Wege gefunden werden, die Wünsche von Vätern nach mehr Familienleben und jene von Müttern nach mehr Berufstätigkeit zu fördern.«

Diese aus der Studie entnommenen Diagnosen werden einigen in den Unionsparteien sicher nicht gefallen: Die Familienpolitik lässt keine strategische Ausrichtung erkennen. Bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf gibt es wenig eindeutige und teilweise widersprüchlich Signale. Die Familienpolitik sei zersplittert. Kritisiert wird, dass wirtschaftliche Interessen deutlich vor denen der Familien stehen und das es an einem „unbedingten Willen“ mangelt, die Arbeitswelt familienfreundlicher zu gestalten.

Man darf an dieser Stelle gespannt sein, ob die neue Studie mit ihren vielen durchaus interessanten Ergebnissen und vor allem familienpolitischen Ableitungen neue Schneisen schlagen kann innerhalb der Unionsparteien. Schneisen in Richtung nicht nur auf ein realistisches Bild von dem, was heute Familie ist bzw. als solche auch wahrgenommen wird, sondern vor allem hinsichtlich einer an diesen vielgestaltigen Familienformen ausgerichteten vernünftigen Förderung vor allem derjenigen Familien, die dringend der Hilfestellung und der unterstützenden Infrastruktur bedürfen. Auf alle Fälle liefert die vorliegende Untersuchung reichlich Material für eine notwendige schrittweise Entideologisierung der zahlreichen Lebensformen, in denen Menschen leben und versuchen, sich durch die Wirklichkeit zu schlagen.