Wie passt das zusammen? Klagen über Fachkräftemangel und Akademisierungswahn – und dann fällt die Zahl der neuen Ausbildungsverträge auf einen historischen Tiefstand. An der Passung liegt es, aber nicht nur

Das sind keine erfreulich daherkommenden Nachrichten, die das Bundesinstitut für Berufsbildung in Bonn der Öffentlichkeit mitteilen musste: „Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge fällt auf historischen Tiefstand„, so ist die Botschaft überschrieben.

Die wichtigsten Befunde in der Zusammenfassung: »(Die) Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge fiel auf einen historischen Tiefstand, den niedrigsten Wert seit der Wiedervereinigung. Zugleich nahmen die Passungsprobleme zu: ein höherer Anteil des betrieblichen Ausbildungsangebots blieb unbesetzt, und mehr Ausbildungsplatznachfrager blieben bei ihrer Ausbildungsplatzsuche erfolglos. Insgesamt verschlechterte sich die Marktlage zu Lasten der Jugendlichen, und es gelang nicht mehr im selben Ausmaß wie in den drei Jahren zuvor, ausbildungsinteressierte Jugendliche an dualer Berufsausbildung zu beteiligen.«

Natürlich stellt sich angesichts dieser Daten die völlig naheliegende Frage, wie es sein kann, dass in den Medien andauernd über fehlende Fachkräfte – dabei auch und zutreffend in den „klassischen“ Ausbildungsberufen und nicht nur bezogen auf Ärzte oder Ingenieure – sowie fehlende Azubis diskutiert wird und ebenfalls grundsätzlich zutreffend über die problematischen Auswirkungen der expandierenden Akademisierung auf das System der dualen Berufsausbildung (vgl. hierzu beispielsweise die Arbeit „Wie viel akademische Bildung brauchen wir zukünftig? Ein Beitrag zur Akademisierungsdebatte“ von Hartmut Hirsch-Kreinsen) berichtet und diskutiert wird – und dann müssen wir einen solchen Einbruch bei der Zahl der Ausbildungsverträge zur Kenntnis nehmen?

Sven Astheimer versucht sich in der FAZ an Erläuterungsversuchen: »Neben dem demographischen Wandel gibt es weitere Gründe für den Rückgang in den Lehrberufen. Zum einen sorgt der Trend zu höheren Abschlüssen dafür, dass die Zahl der Studienanfänger mit mehr als einer halben Million mittlerweile fast gleichauf mit den neuen Lehrlingen liegt.« Und weiter: »Zum anderen sprechen Fachleute vom Bundesinstitut für Berufsbildung, die die Statistik erhoben haben, von einer steigenden „Passungsproblematik“: Das bedeutet, dass das Angebot an Lehrstellen und die Jugendlichen häufig nicht mehr zusammen passen. Das kann daran liegen, dass etwa Berufe im Handwerk, der Gastronomie oder in der Landwirtschaft nicht mehr den Wünschen der Jugendlichen entsprechen. Genauso gut ist möglich, dass die Qualifikation der Bewerber nicht den Anforderungen der Arbeitgeber entspricht.«

Bereits Ende Oktober hatte Astheimer in seinem Artikel „Lehrstellen und Bewerber finden schwerer zusammen“ auf diese Passungsprobleme hingewiesen und die Debatte darüber sofort als eine des Kampfes um „Deutungshoheit“ gewertet. Damit meint er die reflexhaften Reaktionen der Gewerkschaften und der Wirtschaft auf die sich verschlechternden Zahlen vom „Ausbildungsmarkt“ (wobei die Anführungszeichen hier von mir gesetzt werden vor allem für den Terminus „Markt“, denn es handelt sich wenn überhaupt nur um einen sehr amputierten „Markt“). Während die Gewerkschaften auf die „krisenhafte“ Entwicklung abstellen und angesichts der (wieder zunehmenden) Probleme eines Teils der jungen Menschen und der beobachtbaren Reduktion der Zahl der überhaupt ausbildenden Betriebe einen „Rechtsanspruch auf eine Lehrstelle“ fordern, kontern die Wirtschaftsvertreter: „Mangelnde Ausbildungsreife lässt sich nicht durch Rechtsanspruch aus der Welt definieren“. Mit diesen Worten wird Oliver Zander, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, in dem Beitrag von Astheimer zitiert. In allen Branchen und Berufen gebe es unbesetzte Lehrstellen. Die tatsächliche Zahl liege sogar noch deutlich über den offiziellen, denn längst nicht jedes Unternehmen melde seine offenen Stellen.

Es ist wie so oft eine Spiegelbild der allgemeinen wirtschaftspolitischen Debatte: Die Gewerkschaften fokussieren ihre Kritik auf die Nachfrageseite des „Ausbildungsmarktes“, also die Unternehmen, denen man „Versagen“ bei der Aufgabe, genügend Ausbildung nachzufragen, vorwirft, während die Arbeitgeber auf der Angebotsseite des „Ausbildungsmarktes“ herumreiten, also die mangelnde „Ausbildungsreife“ oder ein spezifisches Wahlverhalten der potenziellen Azubis beklagen, das dann im Ergebnis zu nicht besetzten Ausbildungsstellen führen würde. Und wie so oft wird die Wahrheit in der Mitte dieser beiden großen Schneisen liegen.

Die Bewerber sind oft nicht dort, wo es die Stellen gibt. Dann reicht eben der Blick auf die Gesamtzahl an angebotenen und nachgefragten Ausbildungsstellen nicht aus, er führt eher auf die falsche Fährte. Die ostdeutschen Bundesländer haben das jahrelang schmerzhaft zu spüren bekommen. Natürlich gebe es eine (aber nur scheinbar) einfache Lösung dieses allgemeinen Mismatch-Problems: Die junge Leute müssen eben dahin, wo es ausreichend oder gar zu viele Ausbildungsplätze gibt. Wenn man das aus welchen Gründen auch immer nicht hinbekommt oder auch nicht hinbekommen möchte, dann muss man für einen Teil der jungen Menschen Alternativen schaffen – auch davon können die ostdeutschen Bundesländer ein Lied singen.
Die Experten des Bundesinstituts für Berufsbildung gehen differenziert an die Situation heran. Sie identifizieren unterschiedliche Problemtypen auf dem Ausbildungsmarkt, eine instruktive Übersicht findet sich in dieser aktuellen Veröffentlichung:

Joachim Gerd Ulrich, Stephanie Matthes, Simone Flemming, Ralf-Olaf Granath, Elisabeth M. Krekel: Die Entwicklung des Ausbildungsmarktes im Jahr 2013. Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge fällt auf historischen Tiefstand. BIBB-Erhebung über neu abgeschlossene Ausbildungsverträge zum 30. September (vorläufige Fassung vom 12.12.2013), Bonn

Die dieser Publikation entnommene Abbildung (Ulrich et al. 2013: 12) verdeutlicht, dass das Besondere an dem „Passungsproblem“ ist, dass hier vielen erfolglosen Bewerbern zugleich viele offene Ausbildungsstellen gegenüberstehen. Regionale Mismatch-Situationen hingegen gehören oftmals zum „Versorgungsproblem“. Alle hier dargestellten Problembereiche des „Ausbildungsmarktes“ werden dann detailliert und mit aktuellen Daten bestückt analysiert.

60% aller neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge wurden im Bereich Industrie und Handel registriert. Im Handwerk – als zweitgrößtem Bereich – waren es 26,8%. Und hier sind leider die stärksten Rückgänge zu beobachten: Das Handwerk musste erneut einen deutlichen Rückgang bei den neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen hinnehmen musste (bundesweit um -5.200 bzw. -3,5% auf nunmehr 142.100). Ein noch deutlicheres Minus war in diesem Jahr jedoch im Bereich Industrie und Handel zu verzeichnen, wo insgesamt nur noch 318.500 neue Ausbildungsverträge (-14.100 bzw. -4,2% im Vergleich zum Vorjahr) abgeschlossen wurden (Ulrich et al. 2013: 8).

Mit Blick auf die Zukunft: Nicht nur die offensichtlich rückläufige Ausbildungszahlen am Anfang der Ausbildungsphase sollten vor dem Hintergrund des erheblichen Ersatzbedarfs in Handwerk und Industrie auf der Ebene der Facharbeiter sowie bei den kaufmännischen Berufen zu erheblicher Besorgnis Anlass geben. Wir steuern hier immer stärker auf massive Engpassprobleme zu. Außerdem muss berücksichtigt werden, dass bekanntlich nicht alle, die eine Ausbildung anfangen, diese auch mit einem Abschluss beenden. Wir sind in Teilbereichen des dualen Systems mit erheblichen Anteilen an Ausbildungsabbrechern konfrontiert:

»Im Jahr 2011 wurden im Bundesgebiet fast 150.000 Ausbildungsverträge (24,4 %) vorzeitig gelöst … Dabei gibt es zwischen den verschiedenen Ausbildungsberufen sehr große Unterschiede. Die Spannweite reicht vom Beruf Verwaltungsfachangestellte/-r mit der geringsten Quote von 3,7 % zum/zur Restaurantfachmann/ -frau mit der höchsten Quote von 51,0 %.« So die Zahlen aus der Studie von Ursula Beicht und Günter Walden: Duale Berufsausbildung ohne Abschluss – Ursachen und weiterer bildungsbiografischer Verlauf. Analyse auf Basis der BIBB-Übergangsstudie 2011 (=BIBB-Report 21/13), Bonn 2013.

Das alles hat nicht nur was mit mangelnder „Ausbildungsreife“ der jungen Menschen zu tun, sondern auch mit einer mangelhaften „Ausbildungsreife“ so mancher Betriebe- Hierzu ausführlicher:

Matthias Anbuhl und Thomas Gießler: Hohe Abbrecherquoten, geringe Vergütung, schlechte Prüfungsergebnisse – Viele Betriebe sind nicht ausbildungsreif. DGB-Expertise zu den Schwierigkeiten der Betriebe bei der Besetzung von Ausbildungsplätzen, Berlin 2012

Die neuen Zahlen geben uns bedenkliche Hinweise auf die Verhasstheit des dualen Ausbildungssystems – das insgesamt unter einem doppelten Druck steht: Zum einen „von oben“, da immer mehr junge Leute, die früher hier eingemündet sind, nunmehr an die überfüllten Hochschulen strömen, zum anderen aber auch „von unten“, weil gleichzeitig aufgrund der gestiegenen Anforderungen in vielen Ausbildungsberufen eine Öffnung hin zu den „leistungsschwächeren“ Jugendlichen verbaut oder zumindest erheblich erschwert ist.

Ein schrumpfender „Ausbildungsmarkt“ (der kein wirklicher Markt ist) für viele Jugendliche in Zeiten des (angeblichen) Fachkräftemangels und nicht besetzbarer Ausbildungsplätze in vielen Betrieben?

Rekapituliert man die Diskussion über die  Ausbildungslandschaft in Deutschland in der jüngeren Vergangenheit, dann muss man feststellen, dass die Debatte innerhalb weniger Jahre scheinbar von einem Extrem in das andere gekippt ist. Noch vor wenigen Jahren wurde händeringend um jeden weiteren, zusätzlichen Ausbildungsplatz für Jugendliche gekämpft. Immer wieder wurde darauf hingewiesen, wie wichtig die Möglichkeit Berufsausbildung für Schulabgänger sein. Seit einiger Zeit hingegen dominiert in der Berichterstattung der Aspekt, dass es zunehmend für viele Betriebe schwierig bis unmöglich geworden sei, überhaupt noch einen Bewerber oder eine Bewerberin auf einen zu besetzenden Ausbildungsplatz zu bekommen.

Zeitweilig konnte man den Eindruck bekommen, dass auf der Basis der Medienberichterstattung zugespitzt formuliert Zeiten angebrochen sind, in denen junge Menschen bereits dann ein iPad geschenkt bekommen, wenn sie nur zu einem Vorstellungsgespräch kommen. Stellvertretend für die tatsächlichen Ausformungen sei hier auf den Artikel „Suche Azubi, biete Auto“ hingewiesen, der Anfang September veröffentlicht wurde: »Kurz vor Beginn des Lehrjahrs sind in Deutschland noch Zehntausende Ausbildungsplätze frei. Die Lehrbetriebe locken mit Begrüßungsgeld, Smartphone oder einem eigenen Wagen.« Und tatsächlich konnte und kann man in zahlreichen Regionen beobachten, dass bestimmte Schulabgänger, die noch vor kurzem einfach aufgrund der Tatsache, dass sie „nur“ mit einem Hauptschulabschluss die Schule verlassen haben, nicht mal in die Nähe eines Vorstellungsgesprächs gekommen sind, nunmehr einen Ausbildungsplatz bekommen, schlichtweg, weil sich die Angebots-Nachfrage-Relationen am so genannten „Ausbildungsmarkt“ zu ihren Gunsten verschoben haben. Immer mehr Betriebe äußern sich in der lokalen Presse darüber, dass es ihnen nicht mehr gelingt, überhaupt ausbildungsinteressierte junge Menschen zu finden. Und nicht selten wird natürlich der Hinweis gegeben, dass es oftmals an der so genannten „Ausbildungsreife“ der jungen Menschen in erheblichem Umfang mangelt. Diese Entwicklung wird erweitert durch den ängstlichen Blick auf die vor uns liegenden Jahre, für die immer deutlicher ein Mangel an Fachkräften besonders im mittleren Qualifikationsbereich vorhergesagt wird, was auch damit zusammenhängt, dass in der Vergangenheit „zu wenig“ ausgebildet wurde, als es genügend junge Menschen gab, während jetzt die Zahl der potenziellen für eine Berufsausbildung zur Verfügung stehenden Jugendlichen aufgrund der demografischen Entwicklung abnimmt.

Andererseits haben aufmerksame und zugleich kritische Beobachter dessen, was im System der Berufsausbildung passiert, immer darauf hingewiesen, dass selbst im vergangenen Jahr, als bereits überwiegend nur über „Fachkräftemangel“ und immer weniger Auszubildende diskutiert wurde, gut 270.000 junge Menschen nicht den Übergang in eine normale Berufsausbildung haben finden können oder wollen. Sie sind im so genannten „Übergangssystem“ gelandet, beispielsweise in einer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme.

Vor diesem Hintergrund muss man die folgende aktuelle Meldung lesen: „Tausende Jugendliche finden keinen Ausbildungsplatz„, so Spiegel Online: »Trotz der guten Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt sinkt die Zahl der Lehrstellen. Laut Arbeitsagentur haben in diesem Jahr 21.000 Jugendliche noch keine Ausbildung gefunden. Schlecht sieht es vor allem in Nordrhein-Westfalen, Hessen und Berlin aus.« Wie kann das sein?

Bevor es an die Beantwortung dieser und andere Fragen geht, ein kurzer, aber notwendiger Blick auf die Daten sowie auf die strukturellen Rahmenbedingungen im Ausbildungssystem. Hinsichtlich der Schulabgänger eines Jahres gibt es verschiedene Optionen: DieAbgänger, die eine Hochschulreife erworben haben, können ein Studium aufnehmen oder aber eine Berufsausbildung unterhalb des Hochschulniveaus absolvieren. Die Schulabgänger, die über einen Realschul- oder einen Hauptschulabschluss verfügen, haben ihrerseits die Möglichkeit, eine duale oder fachschulische Berufsausbildung aufzunehmen oder aber sie werden verwiesen an das bereits erwähnte „Übergangssystem“ mit einer Vielzahl an unterschiedlichen Maßnahmen, zu denen auch das Nachholen eines Schulabschlusses bzw. die Erlangung eines nächsthöheren Schulabschlusses gehören kann. Von den Schulabgänger/innen des Jahres 2012 sind beispielsweise 30 % direkt in eine duale Berufsausbildung eingemündet.

Die Abbildung zur Ausbildungsmarktentwicklung von 2009 bis 2012 (Stichtag 30. September) ist dem Datenreport des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) entnommen. 2012 wurden 584.547 Ausbildungsplätze angeboten, dem stand eine Ausbildungsnachfrage von 627.300 gegenüber. Tatsächlich abgeschlossen wurden 551.271 Ausbildungsverhältnisse. Am 30.09.2012 gab es 33.276 noch nicht besetzte Ausbildungsplätze, aber auch mehr als 76.000 noch nicht versorgte Bewerber/innen. Man muss an dieser Stelle darauf hinweisen, dass es sich hierbei um hoch aggregierten Daten für Deutschland insgesamt handelt. Eine besondere Problematik auf dem so genannten „Ausbildungsmarkt“ besteht darin, dass wir nur in einem sehr eingeschränkten Umfang von einem „Markt“ sprechen können. Man kann sich dies an zwei Beispielen verdeutlichen:

  • Zum einen ist die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen, aber vor allem auch das Angebot sehr stark lokal bzw. maximal regional fokussiert. Die jungen Menschen suchen in aller Regel vor Ort, da wo sie wohnen, einen Ausbildungsplatz und orientieren sich – neben ihren persönlichen Präferenzen – immer auch zwangsläufigerweise an den gegebenen Angebotsstrukturen, sie richten also ihre konkrete Nachfrage aus an dem vorhandenen Ausbildungsangebot, das natürlich von Region zu Region stark unterschiedlich bzw. dadurch gekennzeichnet ist, dass bestimmte Berufe (beispielsweise Friseure) überdurchschnittlich viele Ausbildungsplätze anbieten.
  • Zum anderen ist es natürlich auch so, dass der Ausbildungswunsch der jungen Menschen nicht selten konfligiert mit den Anforderungen bzw. den Erwartungen, die auf Seiten des Ausbildungsplatzangebots vorhanden sind. Die ganze Debatte rund um das überaus ambivalente Thema der so genannten „Ausbildungsreife“ lässt sich hier verorten. Das kann dann im Ergebnis auch dazu führen, dass angebotene Ausbildungsplätze nicht besetzt werden können, da die Betriebe keine aus ihrer Sicht geeignete Bewerber/innen vorfinden.

Im Ergebnis führt das zu einem regionalen wie auch qualifikatorischen Missmatch zwischen Angebot und Nachfrage, so dass die Tatsache, dass auf der einen Seite Ausbildungsplätze unbesetzt bleiben, während junge Menschen andererseits parallel keinen Ausbildungsplatz finden, eine zwangsläufige Konsequenz und bis zu einem gewissen Grad auch nicht vermeidbar ist.

Die aktuellen Berichte über die Lage auf dem Ausbildungsmarkt beziehen sich auf vorläufige Daten der Bundesagentur für Arbeit – dabei ist zu beachten, dass eben nicht alle Ausbildungsstellen bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldet werden und wenn im folgenden von nicht versorgten Bewerbern die Rede ist, dann muss man wissen, dass beispielsweise Jugendliche, die in das Übergangssystem eingemündet bzw. die als noch nicht ausbildungsfähig deklariert worden sind, in denen Zahlen gar nicht auftauchen.

Spiegel Online berichtet: »Während die Zahl der gemeldeten Ausbildungsplätze … um 2,4 Prozent auf 504.500 sank, blieb die Zahl der Bewerber mit 561.200 nahezu konstant. Auf eine betriebliche Ausbildungsstelle kommen statistisch gesehen rund 1,2 Bewerber. Gleichzeitig waren noch 33.500 Stellen unbesetzt – etwa aus Mangel an geeigneten Interessenten. Regional ist die Lage sehr unterschiedlich. Schlechte Aussichten gebe es in Teilen von Nordrhein-Westfalen und Hessen sowie in Berlin, während die Bedingungen für junge Menschen in Bayern, an der Ostseeküste und in Sachsen besonders gut seien.«

Und weiter heißt es in dem Artikel: »Die Ausbildungsbereitschaft der Unternehmen ist seit Jahren rückläufig. Im vergangenen Jahr stellten nur noch 21,7 Prozent der 2,1 Millionen Unternehmen in Deutschland Lehrlinge ein. Vor allem kleinere Betriebe ziehen sich aus der Ausbildung zurück.«
Sven Ascheimer thematisiert in seinem Artikel „Lehrstellen und Bewerber finden schwerer zusammen“ den Befund: »Tausende Bewerber finden keine Lehrstelle. Allerdings gibt es noch mehr unbesetzte Stellen.«

Astheimer berichtet in seinem Artikel auch von den gleichsam reflexhaften Reaktionen der wichtigsten Akteure im Feld der Berufsbildungspolitik – man könnte auch sagen, nichts Neues von dieser Seite:

»Aus Sicht der Arbeitnehmervertreter ist die Sache eindeutig. „Der Ausbildungsmarkt nimmt krisenhafte Züge an“, findet Elke Hannack, die stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Sie sieht vor allem kleine und mittlere Unternehmen aus der Ausbildung fliehen … Jeder Jugendliche mit einem Schulabschluss müsse zudem einen Rechtsanspruch auf eine Lehrstelle erhalten … Die Wirtschaft wies die Vorwürfe umgehend zurück. „Mangelnde Ausbildungsreife lässt sich nicht durch Rechtsanspruch aus der Welt definieren“, sagte Oliver Zander, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall.«

Wieder einmal wird bei diesen reflexhaften Reaktionen auf die neuen Zahlen vom Ausbildungsmarkt vergessen, woraus die wirklichen Herausforderungen vor allem des Berufsausbildungssystems in Deutschland bestehen: Zum einen gerät das gesamte System der dualem Berufsausbildung „von oben“ unter Druck. Damit soll ausgedrückt werden, dass durch den Anstieg des Anteils derjenigen, die eine Hochschulreife erwerben sowie durch den gesellschaftlichen, auf eine akademische Qualifikation fokussierte Diskussion, die Hochschule eine unglaubliche Sogwirkung auf die jungen Menschen ausübt, was aber eben auch zur Folge hat, dass viele, die früher eine duale Berufsausbildung gemacht hätten, heute direkt an die Hochschulen gehen und sich dem System der betrieblichen Ausbildung entziehen. Zum anderen aber kommt das System der dualen Berufsausbildung auch „von unten“ unter Druck. Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, dass die Betriebe angesichts des Wegbrechens vieler potenzieller Auszubildender am oberen Rand nunmehr ausweichen müssten in den Bereich der so genannten „leistungsschwächeren Jugendlichen“, was einige Betriebe und das oft auch sehr vorbildhaft tun. Allerdings gibt es in der Realität für viele Unternehmen hier eindeutig Sperren nach unten, denn in den vergangenen Jahren sind viele Berufe auch und gerade kognitiv erheblich aufgewertet worden, was die Inhalte und die Komplexität derselben angeht. Hier stellt sich nicht selten das Problem, dass „leistungsschwächere“ Auszubildende, denen man nun eine Chance geben möchte (oder aufgrund der Marktverhältnisse geben muss), an den Anforderungen beispielsweise in den Berufsschulen scheitern. Unter diesem Doppeldruck von oben und unten droht das gewachsene – und von vielen Außenstehenden beobachtete und besonders gelobte und herausgestellte – deutsche System der dualen Berufsausbildung in eine existenziell bedrohliche Schieflache zu geraten.
Hinzu kommt die Problematik, dass aufgrund des massiven Bewerberüberhangs in den zurückliegenden Jahren zu wenig junge Menschen ausgebildet worden sind und diejenigen, die damals ohne eine Berufsausbildung geblieben sind, heute in einem Alter zwischen 20 und 30 Jahren ohne eine formale Berufsqualifikation im Arbeitsleben mit zahlreichen erheblichen Risikofaktoren zu kämpfen haben. Die eigentlich zu ziehende Konsequenz aus diesem Tatbestand wäre eine umfassende und gut ausgestattete Ausbildungsinitiative unter denjenigen, die heute zwischen 20 und 30 Jahre alt sind, damit deren Qualifizierungspotenziale wenigstens ansatzweise zum Durchbruch gelangen können. Davon hört man derzeit in Berlin und anderswo leider nichts. Stattdessen wird Empfängern von Hartz IV -Leistungen in dieser Altersgruppe mit „warmen“ Gesprächen nahegelegt, doch eine Ausbildung zu machen – ein Ansatz, der natürlich schon aus strukturellen Gründen grosso modo zum Scheitern verurteilt ist, denn viele in dieser Altersgruppe können sich eine Ausbildung zu klassischen Bedingungen gar nicht leisten oder auch nicht vorstellen. Hier müssten die Formate der dualen Berufsausbildung an diese andere Altersgruppe entsprechend angepasst werden.
Vor diesem Hintergrund kann man den beteiligten und verantwortlichen Akteuren nur zurufen: Raus aus den Schützengräben und gemeinsam die weitere Existenz des gewachsenen deutschen Systems der dualen Berufsausbildung verteidigen, dass sich bereits auf einer schiefen Ebene mit einem gefährlichen Neigungswinkel befindet.

Auf klassischen Pfaden in die Zukunft? Die Perpetuierung der Rollenverteilung im beruflichen Ausbildungssystem

In der Berufsbildung unterscheidet man drei Teil­bereiche: Der bedeutendste und größte Teilbereich ist die duale Ausbildung, in der theoretische und praktische Ausbildung in Berufschule und Betrieb miteinander kombiniert werden. In der vollzeitschulischen Ausbildung werden Schülerinnen und Schüler ausschließlich in Berufsschulen für das Berufsleben ausgebildet. Und dann gibt es da noch das so genannten „Übergangssystem“, in dem junge Menschen landen, die keinen direkten Zugang zu einer Ausbildung gefunden haben und dessen Heterogenität von berufsvorbereitenden Maßnahmen bis hin zum Erwerb eines (höheren) Schulabschlusses reicht (vgl. für eine Übersicht die Publikation Statistisches Bundesamt: Berufsbildung auf einen Blick, Wiesbaden 2013). Ein erstes Gefühl für die quantitative Bedeutung der drei Säulen der Berufsausbildung vermitteln die folgenden Zugangszahlen: »Im Jahr 2011 begannen 21% der Jugendlichen, die sich für eine Ausbildung entschieden, eine vollzeitschulische Ausbildung. 28% begannen mit Maßnahmen des Übergangssystems und 51% eine duale Ausbildung«, so das Statistische Bundesamt. Das Übergangssystem hat erkennbar an Bedeutung verloren, da sich die Lage am Ausbildungsmarkt entspannt und immer weniger Jugendliche um die knappen Ausbildungsplätze konkurrieren. 2006 landeten noch 36% der Jugendlichen im „Übergangssystem“, 2011 waren es „nur“ noch 28%. Auch wenn das hier nicht vertieft werden soll: Es sind immer noch mehr als 270.000 junge Menschen, die aus ganz unterschiedlichen Gründen nicht in das „normale“ Ausbildungssystem einsteigen.

Nun ist das Berufsausbildungssystem aus mehreren Gründen unter einem erheblichen Druck. Zum einen macht sich nun auch in Westdeutschland die demografische Entwicklung bemerkbar in Form rückläufiger Zahlen an jungen Menschen, so dass also die Grundgesamtheit potenzieller Auszubildender sinkt. Dazu kommt eine gewaltige Verschiebung in Richtung immer (formal) höhere Schulabschlüsse. Hierzu schreibt das Statistische Bundesamt mit Blick auf das Jahr 2011: »Die Verteilung der erreichten allgemeinbildenden Schulabschlüsse änderte sich im Vergleich zu 2001 zugunsten der allgemeinen Hochschul- bzw. Fachhochschulreife. Dieser Anteil hat sich in den letzten zehn Jahren von 30 % auf 43 % erhöht. Der Anteil der Abgänge ohne Hauptschulabschluss hat sich hingegen von 8 % auf 4 % bzw. mit Hauptschulabschluss von 24 % auf 17 % verringert. Der Anteil der Realschulabschlüsse veränderte sich nur gering (von 38% zu 36%).«

Und immer mehr der jungen Menschen, die eine Hochschulzugangsberechtigung haben, nehmen dann auch ein Studium auf, fehlen damit aber für die Berufsausbildung, ob dual oder fachschulisch. Und auch wenn der Übergangsbereich rückläufig ist – man kann nicht davon ausgehen, dass sich das jetzt gleichsam „biologisch“ löst, also auch die Jugendlichen, die früher oder heute noch rausgefallen sind, in Zukunft alle vom Ausbildungssystem aufgenommen werden, denn in den zurückliegenden Jahren gab es natürlich auch in den meisten Berufen einen Trend zu höheren Anforderungen (das klassische Beispiel ist an dieser Stelle immer der Formenwandel vom Kfz-Mechaniker früherer Tage  zum heutigen Kfz-Mechatroniker), was aber dazu führt, dass ein Teil der jungen Menschen schlichtweg an den kognitiven Anforderungen der Berufsausbildung heute auflaufen (vgl. insgesamt zu diesen Themen die kompakten Beiträge in der neuen Publikation von Christine Henry-Huthmacher und Elisabeth Hoffmann (Hrsg.): Duale Ausbildung 2020. 14 Fragen & 14 Antworten, St. Augustin, 2013.

Im Jahr 2012 haben insgesamt 549.003 Jugendliche einen neuen Ausbildungsvertrag abgeschlossen. Dies waren 3,0 % weniger als im Vorjahr. Und die konnten im Prinzip aus einem wirklich breit gefächerten Strauß an Angeboten auswählen, denn das deutsche Berufsausbildungssystem konnte 2012 immerhin 345 Ausbildungsberufe auf die Waagschale werfen, im laufenden Jahr wurde diese Zahl auf 331 Berufe reduziert – obgleich immer auch neue Berufsbilder hinzukommen – vor allem durch Zusammenlegung mehrerer bisher selbstständiger Berufsbilder (als aktuelles Beispiel sei hier die „Fachkraft für Metalltechnik“ genannt, in die insgesamt 11 „Altberufe“ wie der „Revolverdreher“, der „Drahtzieher“ oder der „Schleifer“ aufgegangen sind; für das kommende Jahr ist die Zusammenlegung der drei Berufe „Bürokaufleute“, „Kaufleute für Bürokommunikation“ und „Fachangestellte für Bürokommunikation“ zum neuen Berufsbild „Kaufmann/Kauffrau für Büromanagement“ vorgesehen).

Obgleich es also eine wirklich stattliche Anzahl an Berufsbildern gibt, konzentriert sich das tatsächliche Ausbildungsverhalten in einem doppelten Sinne:

  • Zum einen haben wir eine erhebliche Konzentration der Berufsausbildung auf einige wenige Berufe – nimmt man die 10 am stärksten besetzten Ausbildungsberufe, dann tummeln sich dort 52,6% der weiblichen und 32,4% der männlichen Auszubildenden. 
  • Zum anderen sehen wir wie in der Vergangenheit eine geschlechtsspezifische Ungleichverteilung  zwischen den Berufen im Sinne einer Perpetuierung von „Männer“- und „Frauenberufen“ und das dann auch noch hoch konzentriert.

In der Abbildung sind die Top 20-Berufe, differenziert nach Männern und Frauen, dargestellt. Klar erkennbar, wenn man sich einmal auf die 10 am stärksten Berufe fokussiert: bei den männlichen Auszubildenden stehen mit Ausnahme des Kaufmanns im Einzelhandel und des Kaufmanns im Groß- und Außenhandel ausschließlich technisch-handwerkliche Berufe im Zentrum, während bei den weiblichen Auszubildenden nicht nur die Konzentration auf nur einige wenige Berufe noch stärker ausgeprägt ist als bei den männlichen Pendants, sondern die Berufe sind alle im Dienstleistungsbereich angesiedelt. Nun könnte man ja an dieser Stelle argumentieren: So what, sind wir nicht auf dem Weg in die Dienstleistungsgesellschaft? Dann ist das doch eine rationale Berufswahl. Schaut man sich allerdings die Berufe genauer an, die von den weiblichen Auszubildenden gewählt worden sind, dann muss aus arbeitsmarktlicher Sicht ein großes Fragezeichen gesetzt werden: Denn die Konzentration auf Berufe wie Medizinische Fachangestellte (früher Arzthelferin), Verkäuferin und Friseurin führt dazu, dass viele der Absolventinnen solcher Ausbildungen in Berufsfeldern landen, in denen sie sehr wenig verdienen werden, teilweise so wenig, dass der Weg in eine Partnerschaft zur ökonomischen Absicherung der eigenen Existenz vorgezeichnet ist und die eigene Berufstätigkeit wenn, dann nur als „Zuverdienstmodell“ realisierbar ist. Zugleich sind die Beschäftigungsrisiken in diesen Arbeitsmarktsegmenten sehr hoch.

Die Konzentration der jungen Frauen auf einige wenige, von außen betrachtet oftmals hoch problematische Berufsbilder ist mit Blick auf die Entwicklung in den zurückliegenden Jahren konstant und ungebrochen – überspitzt könnte man formulieren, hier scheint fast schon eine anthropologische Grundkonstante zum Ausdruck zu kommen. Wie dem auch sei, aus arbeitsmarktlicher Sicht – und hier im Sinne einer Gleichzeitigkeit kollektiven wie auch individuellen Nutzens – wäre ein Aufbrechen der auskristallisierten klassischen Rollenverteilung bei der Berufswahl dringend angezeigt. Die Wahrscheinlichkeit, dass dies gelingt, mag gering sein, versuchen sollte man es trotzdem.