Nicht nur eine zweite, auch eine dritte oder vierte Chance. Die Bedeutung der Produktionsschulen für die Erwerbsintegration junger Menschen

Wenn man einen oberflächlichen Streifzug durch die Medienberichterstattung über die Situation der jungen Menschen beim Übergang von der Schule in eine Berufsausbildung zusammenfassen sollte, dann müsste das Fazit so lauten: „Die“ jungen Menschen leben anders als noch vor ein paar Jahren heute in einem Paradies, was Ausbildungsplätze angeht. Überall berichten Arbeitgeber von Ausbildungsstellen, die sie anbieten, aber nicht besetzen können. Manche Unternehmen bekommen noch nicht mal irgendeine Bewerbung. „Azubi-Mangel“ taucht immer öfter auf. Und ohne Zweifel ist das auch Teil der Realität. »Viele Lehrstellen bleiben unbesetzt, jeder zehnte Betrieb bekommt nicht mal eine einzige Bewerbung auf seine Ausschreibung«, so im vergangenen Jahr der Artikel Azubi-Mangel: Jeder dritte Betrieb findet keinen Lehrling. Und die Süddeutsche Zeitung meldete sich mit diesem Beitrag zu Wort: Azubi-Mangel – Angebot und Nachfrage klaffen auseinander. Um nur zwei Beispiele zu nennen.

Aber die Meldung Ausbildungsstellenmarkt: Bilanz des 5. Quartals wenig zufriedenstellend signalisiert, dass es auch noch eine andere Seite der Medaille gibt. Da muss man erst einmal das an sich nicht mögliche „5. Quartal“ erklären: Zwischen dem 01.10. und dem 31.12. jeden Jahres unterstützt die Bundesagentur für Arbeit (BA) in der Nachvermittlung des 5. Quartals Bewerber und Betriebe bei der kurzfristigen Vermittlung in Ausbildungsstellen. Die Bilanz der BA fällt insgesamt mager aus. Das Ziel der Nachvermittlung in eine betriebliche Ausbildung erreicht nur etwa jeder Zehnte. Neben den eindeutig verbesserten Chancen für Ausbildungssuchende insgesamt stellt die BA aber eben auch eine Zunahme der Passungsprobleme am Ausbildungsstellenmarkt fest, die auf erhebliche regionale, berufsfachliche und qualifikatorische Ungleichgewichte zurückzuführen sind. 

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Fließbandarbeiter einer Bildungsindustrie in Zeiten eines Lehrermangels

Die Zeiten ändern sich. Es ist noch gar nicht lange her, da galt ein Lehramtsstudium als relativ sichere Eintrittskarte in berufsbiografische Abbiegeprozesse, beispielsweise in das Taxigewerbe oder in die Gastronomie. Aber schaut man heutzutage in die Berichterstattung der Medien, dann wird man immer öfter mit dem Gegenteil einer Überschussproduktion an Lehrkräfte konfrontiert – mit Lehrermangel.

Hier nur einige wenige Beispiele, wobei ganz bewusst nicht mit der Mangellage in Berlin begonnen wird: »Wegen des Lehrermangels unterrichten an Baden-Württembergs Schulen immer mehr Menschen, die dafür nicht die entsprechende Ausbildung haben«, kann man diesem Artikel entnehmen: Immer mehr Lehrer ohne entsprechende Ausbildung im Südwesten. Oder aus Nordrhein-Westfalen: Bezirksregierung Münster will gegen Lehrermangel vorgehen: Im »Regierungsbezirk sind zur Zeit 320 Lehrerstellen unbesetzt. Es fehlen den Schulen vor allem Sonderpädagogen für die Inklusion von Kindern mit Behinderung, aber auch an Grundschulen herrscht Notstand.« Und aus dem Ruhrgebiet erreichen uns solche Meldungen: »An einigen Schulen in Duisburg liegt die sogenannte Personalausstattungsquote bei unter 80 Prozent. Das heißt, dass mehr als 20 Prozent der vorgesehenen Stellen unbesetzt geblieben sind«, berichtet Tim Harpers unter der Überschrift Lehrermangel in Duisburg: An den meisten Schulen fehlen Lehrer. Und auch mit „Bewältigungsversuchen“, die einem auch aus anderen Bereichen bekannt vorkommen, wird man konfrontiert: Lehrermangel: Tullner sucht jetzt Erzieher als “pädagogische Mitarbeiter” an Grundschulen

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Das Bildungssystem als große Sortiermaschine. Vom Scheitern und den Chancen – an Schulen und Hochschulen, in Ausbildung und Beruf

»Von einer großen Sortiermaschine sprechen manche, wenn es ums Bildungssystem geht. In der Tat hängen Biografien und Karrieren von Zugängen zu Bildung ab. Und über diese Zugänge entscheidet nach wie vor der soziale Hintergrund der Einzelnen. Das … Dezember-Heft der WZB-Mitteilungen analysiert die Verteilung von Chancen – an Schulen, an Universitäten, in Ausbildung und Beruf«, so das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) in einem Hinweis auf die Ausgabe Bildung entscheidet: Von Schu­len, Chancen und Lebensläufen der WZB-Mitteilungen. Herausgekommen ist ein hoch interessanter und vor allem breit angelegter Exkurs in die unterschiedlichen Bereiche dessen, was man angesichts der enormen Heterogenität fast schon euphemistisch als „Bildungssystem“ bezeichnet.

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Die Postleitzahlen als Glaskugel-Ersatz für die Vorhersage der Bildungschancen der Kinder? Eine neue OECD-Studie über Schulen, Kinder und Eltern

Da hat man gerade erst einen Beitrag zu den Tiefen und Untiefen des mehr als unübersichtlichen Bildungssystems in Deutschland veröffentlicht – vgl. dazu Das Versprechen eines Aufstiegs durch Bildung in der „Bildungsrepublik“ Deutschland, die nackten Zahlen und einige grundsätzliche Anfragen vom 22. Oktober 2018 – und schon folgen solche Schlagzeilen: Sozial benachteiligte Schüler holen auf, erfährt man von der Süddeutschen Zeitung. Die FAZ greift zu einer Überschrift, die wie ein Platzhalter für bildungspolitische Debatten vieler zurückliegender Jahre wirkt: Soziale Herkunft entscheidet über Chancen in der Schule. Und nur auf den ersten Blick skurril erscheint dann so eine Überschrift, die Simone Schmollack in der taz verwendet: Postleitzahl entscheidet über Zukunft.

Der wie immer konzertierte Ausstoß der Medien geht zurück auf die Veröffentlichung von Ergebnissen des OECD-Berichts „PISA Chancengleichheit: Barrierenabbau für Soziale Mobilität“. »In Deutschland ist der soziale Hintergrund wichtiger als in vielen anderen OECD-Ländern. Um soziale Mobilität und Chancengleichheit für alle Kinder und Jugendlichen zu erreichen, sind einige Politikanpassungen nötig«, wird uns aus der OECD-Dependance in Berlin zugerufen.

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Das Versprechen eines Aufstiegs durch Bildung in der „Bildungsrepublik“ Deutschland, die nackten Zahlen und einige grundsätzliche Anfragen

»Vor genau zehn Jahren, am 22. Oktober 2018*, verkündeten die Regierungschefs von Bund und Ländern auf ihrem Dresdener Bildungsgipfel ein durchaus anspruchsvolles bildungspolitisches Programm. Sie gaben dem damals von ihnen vereinbarten Maßnahmenpaket, das bis 2015 umgesetzt werden sollte, die Überschrift „Aufstieg durch Bildung“ … Die Erzählung vom „Aufstieg durch Bildung“, die seit mehr als fünfzig Jahren die deutsche Bildungspolitik prägt (schon 1963 gab die SPD dem kulturpolitischen Forum ihres Hamburger Deutschlandtreffens diesen Titel), begleitete den durchaus erfolgreichen Weg der Bildungsexpansion: Immer mehr junge Menschen nahmen an weiterführender Bildung teil, die Zahl der Jugendlichen ohne Schulabschluss ging deutlich zurück, die Zahl der jungen Menschen mit mittlerem Schulabschluss stieg. Ebenso die Zahl derer, die eine Studienberechtigung und dann auch einen Hochschulabschluss erwarben.« (Klemm/Anbuhl 2018: 1; *2018 steht im Original-Text, die Verfasser meinen natürlich das Jahr 2008)

Auch im Bundestag ist das, was vor zehn Jahren in Dresden inszeniert worden ist, ein Thema. In einer Kleinen Anfrage der Bundestagsfraktion der Grünen (Bundestags-Drs. 19/4078 vom 31.08.2018, Antwort der Bundesregierung auf Drs. 19/4563 vom 25.09.2018) wurden die damaligen Ziele wieder in Erinnerung gerufen: »Nichts weniger als eine „Bildungsrepublik“ wurde von der Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel und den Ministerpräsidenten der Länder auf dem Dresdner Bildungsgipfel im Oktober 2008 ausgerufen. Auf diesem wurde beschlossen, dass die Quote an Schulabgängern ohne Schulabschluss bis zum Jahr 2015 von 8 auf 4 Prozent halbiert werden sollte, gleiches wurde für die Quote an jungen Erwachsenen ohne Berufsausbildung vereinbart – auch hier sollte die Quote von 17 auf 8,5 Prozent gesenkt werden. Die Kindertagesbetreuung von unter Dreijährigen sollte auf 35 Prozent ausgebaut und auch die Weiterbildungsquote sowie die Studienanfängerquote sollte erhöht werden – auf 40 Prozent eines Altersjahrgangs. Erhöht werden sollten zudem auch die Ausgaben für Bildung und Forschung – auf 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.« Man kann zumindest eines erkennen: Es wurden nicht nur warme Worte in den Dresdner Himmel geblasen, sondern offensichtlich handfeste und auch messbare Ziele.

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