„Deutsche unterstützen Maßnahmen gegen Ungleichheit in der Bildung“ versus „Mehrheit der Deutschen gegen gezielte Förderung von benachteiligten Kindern“. Was denn nun? Zum ifo-Bildungsbarometer

»Die Deutschen unterstützen Maßnahmen zur Verringerung von Ungleichheit in der Bildung. Das ist das Ergebnis des neuesten ifo-Bildungsbarometers, für das 4000 Bundesbürger befragt wurden.« So beginnt eine Mitteilung des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung in München, die man mit dieser Überschrift versehen hat: ifo Institut: Deutsche unterstützen Maßnahmen gegen Ungleichheit in der Bildung. Das Zentrum für Bildungsökonomik des ifo Instituts hat sein Bildungsbarometer in diesem Jahr dem Thema Bildungsungleichheit gewidmet. Mehr als 4.000 erwachsene Personen in Deutschland wurden nach ihren Einstellungen zu Chancengerechtigkeit und Bildungspolitik befragt.

Die Relevanz des Themas Bildungsungleichheit ist seit Jahren immer wieder herausgestellt worden: »Deutschland wird immer wieder dafür kritisiert, dass der Bildungserfolg von Kindern hier besonders stark von der sozialen Herkunft ihrer Eltern abhängig ist. Das belegte unter anderem eine Sonderauswertung der Pisa-Studie … Demnach hatten 15-Jährige aus sozial benachteiligten Familien Lernrückstände von bis zu dreieinhalb Jahren gegenüber Gleichaltrigen mit privilegierten Eltern – bei vergleichbaren kognitiven Voraussetzungen. Weitere Studien zeigten, dass Kinder aus besser gestellten Familien 2,5-mal so oft eine Gymnasialempfehlung erhalten, die Studierendenquote ist unter Akademikerkindern fast dreimal so hoch wie unter Nicht-Akademikerkindern«, so Inga Barthels in ihrem Artikel Das denken Deutsche über Bildungsungleichheit, in dem sie über die Ergebnisse des neuen Bildungsbarometers berichtet.

Die Ergebnisse des ifo-Bildungsbarometers sind auf den ersten Blick hinsichtlich des Ziels, Bildungsungleichheiten zu bekämpfen, beeindruckend: »Eine besonders hohe Zustimmung findet zum Beispiel der Ausbau von Stipendienprogrammen für einkommensschwache Studierende mit 83 Prozent. Weiter sind 78 Prozent für die staatliche Übernahme von Kindergartengebühren. 67 Prozent halten die Einführung einer Kindergartenpflicht für ein sinnvolles Instrument, um Ungleichheit abzumildern. Für eine spätere Aufteilung auf weiterführende Schulen nach der 6. Klasse plädieren 61 Prozent, für eine Erhöhung staatlicher Ausgaben für Schulen mit Schüler*innen aus benachteiligten Verhältnissen 81 Prozent. 64 Prozent finden, dass Lehrer*innen, die viele Kinder aus benachteiligten Verhältnissen unterrichten, höhere Gehälter bekommen sollten. Die Einführung eines Ganztagsschulsystems befürworten 56 Prozent.«

Wie aber passt dann so eine Überschrift? Mehrheit der Deutschen gegen gezielte Förderung von benachteiligten Kindern. Dort erfahren wir: »Gießkannenprinzip oder gezielte Förderung? Bei der Frage, wie zusätzliches Geld im deutschen Bildungssystem verteilt werden sollte, gehen die Meinungen der Deutschen laut dem ifo Bildungsbarometer 2019 auseinander. Mehr als zwei Drittel der Befragten sprechen sich gegen spezielle Maßnahmen für benachteiligte Kinder aus – zusätzliche Finanzmittel sollten lieber gleichmäßig verteilt werden, so das Ergebnis der Studie«, so Lisa Duhm in ihrem Bericht der das Bildungsbarometer.

„Trotz der hohen Zustimmungsraten für Maßnahmen gegen Ungleichheit spricht sich die Mehrheit der Deutschen dafür aus, zusätzliche Mittel gleichmäßig wie mit der Gießkanne zu verteilen, statt sie gezielt für benachteiligte Gruppen zu verwenden. Dies kann möglicherweise den Kampf gegen die Bildungsungleichheit erschweren“, so Philipp Lergetporer vom ifo Zentrum für Bildungsökonomik. »Die Gießkanne bevorzugen 66 bis 76 Prozent der Deutschen, je nach abgefragtem Bildungsbereich, von den Kitas bis zur Hochschule. Zudem denken 85 Prozent der Befragten, dass ein hoher Bildungsabschluss eher von eigener Anstrengung als von äußeren Umständen abhängt«, so das ifo Institut in seiner Zusammenfassung der Umfrageergebnisse.

Auch bei einem anderen Punkt kann man erkennen, dass die Befragten sehr wohl Unterschiede machen und eine Hierarchie der Förderbedürfigkeit abbilden: »Das „Gute-Kita-Gesetz” findet mit 83 Prozent sehr hohe Zustimmung, wobei die zusätzlichen Mittel am ehesten für geringere Gebühren (56 Prozent), höhere Gehälter der Erzieher*innen und kleinere Gruppen (jeweils 52 Prozent) eingesetzt werden sollen. Falls es Platzmangel in den Kitas gibt, sind 78 Prozent für eine Bevorzugung von Familien mit einem alleinerziehenden Elternteil, 66 Prozent für die Bevorzugung von Familien, in denen die Eltern in Vollzeit arbeiten, 65 Prozent für eine bevorzugte Platzvergabe an Familien mit geringem Einkommen und 59 Prozent für eine Bevorzugung von Familien mit vielen Kindern. Eine Bevorzugung von Familien mit Migrationshintergrund hat in der deutschen Bevölkerung dagegen keine Mehrheit (nur 36 Prozent dafür, 37 Prozent dagegen).«

➞ Diese Abstufung hinsichtlich der Menschen mit Migrationshintergrund zeigt sich auch in einer zeitlich parallel zum Bildungsbarometer veröffentlichten Befragungsstudie der Bertelsmann-Stiftung: Unter der zuspitzenden Überschrift Deutschland braucht Einwanderung, will sie aber nicht erfahren wir: »Fragt man rund 2000 Deutsche nach ihrer Haltung zur Einwanderung, erhält man mitunter widersprüchliche Befunde. In einer aktuellen Umfrage der Bertelsmann Stiftung sagen 52 Prozent der Befragten, es finde „insgesamt zu viel Einwanderung statt“. Gleichzeitig sagen 65 Prozent der Teilnehmer, Einwanderung habe einen positiven Effekt auf die Wirtschaft. 71 Prozent hingegen finden, sie belaste den Sozialstaat zusätzlich.« Und weiter: »Viele Menschen verbinden mit Zuwanderung vor allem Negatives. Eine Mehrheit (63 Prozent) findet, dass zu viele Migranten die deutschen Wertvorstellungen nicht übernehmen. Und etwa ebenso viele (64 Prozent) befürchten als Folge von Zuwanderung Probleme an den Schulen und Wohnungsnot in Ballungsräumen (60 Prozent). 69 Prozent befürchten Konflikte zwischen Einwanderern und Einheimischen.« Aber auf der anderen Seite auch das hier: »64 Prozent sagen, Zuwanderung sei ein Mittel gegen die Überalterung der Gesellschaft. Zudem meinen 41 Prozent der Befragten, Einwanderung sei nötig, um den Fachkräftemangel zu bekämpfen. Vor zwei Jahren lag dieser Anteil noch bei 33 Prozent. Gut zwei Drittel der Befragten finden zudem, Migration mache das Leben interessanter.« Ausführlicher: Ulrich Kober und Orkan Kösemen (2019): Willkommenskultur zwischen Skepsis und Pragmatik. Deutschland nach der „Fluchtkrise“, Gütersloh: Bertelsmann Stiftung, August 2019.

Ein möglicher bildungspolitischer Ansatzpunkt für eine die Ungleichheit reduzierende Vorgehensweise könnte in der erkennbaren „institutionenbezogenen Offenheit“ für eine umverteilende Förderung liegen. Neben der Tatsache, dass die Mehrheit der Befragten die Gießkanne gegenüber einer besonderen Förderung bestimmter Personengruppen bevorzugt (wohl nicht umplausibel ist hier die Annahme, dass dahinter der Blick auf das eigene Portemonnaie steht, was auch mit erklären kann, dass über 70 Prozent für kostenfreie Kitas im Sinne einer Abschaffung der Elternbeiträge sind), zeigt sich bei der Unterstützung unterschiedlicher Reformvorschläge ein interessantes Bild: »Die zweithöchste Zustimmung (81%) erhält der Vorschlag, staatliche Ausgaben für Schulen mit vielen SchülerInnen aus benachteiligten Verhältnissen zu erhöhen.«

Und abschließend ein weiteres Ergebnis des Bildungsbarometers 2019. In einem anderen wichtigen Bereich der Bildungspolitik – der Inklusion – gibt es große Vorbehalte und Skepsis bei einem Teil der Befragten, denn »bei der Frage nach einem gemeinsamen Unterricht von Kindern mit und ohne Lernschwächen fällt die Zustimmung geringer aus, 44 Prozent sind dafür, 41 Prozent dagegen.« Möglicherweise mischen sich hier personenbezogene Ablehnung mit den für viele ernüchternden Erfahrungen, die mit der praktischen Umsetzung von Inklusion in den Regelschulen gemacht bzw. über die berichtet wurde.

Wer sich die Befunde des Bildungsbarometers 2019 im Detail anschauen möchte, der wird in dieser Veröffentlichung fündig:

➔ Ludger Wößmann, Philipp Lergetporer, Elisabeth Grewenig, Sarah Kersten, Franziska Kugler und Katharina Werner (2019): Was die Deutschen über Bildungsungleichheit denken. Ergebnisse des ifo Bildungsbarometers 2019, in: ifo Schnelldienst, Heft 17/2019