Eine „Höchstquote“ für Studienabbrecher? Über abbrechende Weiterstudierende, Schein-Studierende mit Semesterticket und am System Gescheiterte. Und einige kritische Anfragen an unser Bildungssystem

Da ist wieder so ein Vorhaben, das einen leider bestärken kann in dem Empfinden, dass in unserem Bildungssystem einiges richtig schief läuft: Unis lehnen Höchstquote für Studienabbrecher ab. Also bekanntlich gibt es ja ganz viele Quoten, für Frauen in Aufsichtsräten, für Syrien-Flüchtlinge usw. – aber eine „Höchstquote“ für Studienabbrecher? Schauen wir einmal genauer hin, um was es hier geht: Die rot-grüne Landesregierung von Nordrhein-Westfalen in Gestalt der Wissenschaftsministerin Svenja Schulze (SPD) plant eine Pflicht zur Absenkung der Studienabbrecher-Quoten an den Hochschulen in NRW.

Was sagt die Wissenschaftsministerin dazu?

»Rot-Grün will im „Hochschulzukunftsgesetzes“ festschreiben, dass die Hochschulen künftig Abbrecherquoten bilanzieren, hinterfragen und absenken sollen. „Es ist eine Verschleuderung von Talenten, wenn jeder zweite sein Ingenieurstudium abbricht“, sagte Schulze. Sie erwarte, dass bei besserer Unterstützung mehr Studenten den Abschluss schafften.« Das hört sich doch erst einmal nicht unplausibel an, wer kann denn etwas gegen mehr Unterstützung haben? Wenn man dadurch die Abbrecher-Zahl verringern kann, ist das doch eine gute Sache.

Ja, genau. Wenn.

Scheinbar passt dazu die heutige Meldung auf Spiegel Online: »Den Masterabschluss schaffen die meisten, doch im Bachelor sieht es teils finster aus: Jeder Vierte verlässt hier vorzeitig die Hochschule, in Mathematik scheitert sogar jeder Zweite«. Aber man muss genauer lesen, denn dann findet man diesen wichtigen Hinweis:
»Die Studie basiert nur auf statistischen Berechnungen: Die Forscher haben den Absolventenjahrgang mit relevanten Studienanfängerjahrgängen ins Verhältnis gesetzt. Fach- und Hochschulwechsler gehen nicht in die Quote ein. Die Ursachenforschung laufe, die aktuelle Veröffentlichung sei aber „rein deskriptiv“.«

Die Studie ”Die Entwicklung der Studienabbruchquoten an den deutschen Hochschulen. Statistische Berechnungen auf der Basis des Absolventenjahrgangs 2012″ des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) kann im Original als PDF-Datei abgerufen werden.

Anders gesagt: Wenn in einem Fach beispielsweise 50% der Studierenden, die angefangen haben, keinen Abschluss machen, dann kann das heißen, dass die alle das Studium abgebrochen haben und jetzt entweder unter der Brücke schlafen oder aber irgendwas anderes machen. Es kann aber auch so sein, dass von denen, die das Fach abgebrochen haben, viele in einem anderen Studienfach gelandet sind, wo sie ihr Studium mit Erfolg beendet haben. Oder es kann darunter Menschen geben, die sich nur eingeschrieben haben, weil man beispielsweise als Studierender ein höchst attraktives Semester-Ticket für den öffentlichen Personennahverkehr bekommt.
Wenn man das alles berücksichtigen würde, dann würden sich die Abbrecherquoten schon mal ganz anders darstellen.

Aber auch wenn wir davon ausgehen, dass die Studierenden das Studium abgebrochen haben, weil sie schlichtweg kognitiv gescheitert sind an den basalen Anforderungen des Studiums – wir reden hier beispielsweise von dem halbwegs sicheren Umgang mit Prozentrechnung (also nicht etwa Differential- oder Integralrechnung) im Studium der Wirtschafts- und anderer Sozialwissenschaften. Jeder neutrale Beobachter würde sicher zugestehen, dass das eine unabdingbare Voraussetzung für den erfolgreichen Abschluss eines Studiums in diesen Bereichen sein sollte. Oder die Fähigkeit, einen Brief oder einen Bericht in einem halbwegs fehlerfreien Deutsch zu verfassen. Wenn diese Studierenden dann an den zwangsläufigerweise immer selektierenden Hürden einer Klausur auch im dritten Anlauf scheitern und deshalb ausscheiden – ist das wirklich ein Problem? Ist es nicht eher eine Selbstverständlichkeit, dass man dann auch sagen können muss, das passt nicht?

Zum Problem könnte es dann werden, wenn die Strukturen, in denen sich die Studierenden bewegen müssen, keinerlei Hilfestellung anbieten, wenn die Dozenten einen miesen Unterricht machen, der zum Scheitern maßgeblich beiträgt. Dann könnte man sagen, dass es hier ein Stück weit um Systemversagen geht, das sich in scheinbar individuellen Versagen ausdrückt und eine Investition in widergelagerte Strukturen wäre sinnvoll und hilfreich. Aber auch die Hilfestellung hat ihre Grenzen, nicht alle können auch durch eine gute Förderung auf das notwendige Niveau gehoben werden, außer – ja, außer man senkt das Niveau ab. Und auf diese Gefahr verweist auch der Einwand des Rektors der Uni Duisburg-Essen, Ulrich Radtke: »Die Gefahr von „Fehlsteuerungen“ sei groß, wenn die Zahl der Abbrecher zum gesetzlichen Qualitätsmerkmal erhoben werde«. Klar, weil die Systeme dann auf diese Anforderung entsprechend reagieren werden (müssen), also wird man die Zahl der Abbrecher mit allen Mitteln zu verringern versuchen, auch wenn das mit einer erheblichen Absenkung des Niveaus verbunden wäre. Das kann dem einen oder der anderen möglicherweise helfen, einen Abschluss zu bekommen – auf dem Papier. Aber hilft es auch der Sache und am Ende auch den Betroffenen? „Besser der eine oder andere Ingenieur bricht ab als später die Brücke“, so wird der Rektor der Universität Duisburg-Essen zitiert.

Man betritt hier vermintes Gelände – aber nur, weil es irgendwie nicht konform ist, sollte man es sich trotzdem nicht so leicht machen wie viele andere, einfach den Gegenstand der Beobachtung zu umschiffen oder einfach auszublenden. Und gerade wenn man den Standpunkt vertritt, dass es wichtig ist, Strukturen und Prozesse des Förderns, des Begleitens und des Untersützens zu stärken und einzufordern, gerade dann hat man das Recht und die Pflicht, auch die andere Seite einzufordern. Beispielsweise Anstrengung, Mitarbeit und Engagement. Und auch die Akzeptanz, das manche Dinge nicht passen und auch nicht passend gemacht werden können.
In diese Richtung gehen nur scheinbar kulturpessimistisch daherkommenden Ausführungen zur Lage an der „Bildungsfront“, wie man sie beispielhaft finden kann in dem Kommentar von Jürgen Kaube über den man sicher streiten kann, der aber einige diskussionsbedürftige Wahrheiten enthält: Die Bildungsmisere hört nie auf.
Kaube denkt in Spiralen. Das geht so: »Eine Spirale ist das: Die Politik verspricht den Aufstieg für alle. Das finden alle gut, außer denen, die nicht dran glauben, und denen, die schon aufgestiegen sind, die wollen nur nicht absteigen. Aber das sind Minderheiten. Der Aufstieg für alle soll über Bildung erfolgen. Also sollen alle aufs Gymnasium und von dort ins Studium.«

Hierzu nur eine Zahl als Illustration: Anfang der 1980er Jahre haben vielleicht 25% eines Jahrgangs die allgemeine Hochschulreife erlangt. Im vergangenen Jahr waren das in Rheinland-Pfalz mehr als 52% aller Schulabgänger. Und durch das, was wir unter dem Stich- und Reizwort „Akademisierungswahn“ diskutieren, kommen die meisten auch an die Hochschulen oder in das, was sich also solche bezeichnet.

Aber weiter bei Kaube, der sich an dem Aufstiegsversprechen für alle abarbeitet:

»Wenn das nicht allen auf Anhieb gelingt, weil natürlich Integralrechnung, Iphigenie und Zitronensäurezyklus nach wie vor schwierig sind, stimmt etwas mit dem Gymnasium nicht. Denn dann ist es ja ein Aufstiegshindernis. Also muss man das Gymnasium abschaffen. Das geht schwer. Oder man muss es so ändern, dass man leichter drüber hinwegkommt. Das geht leicht. Man druckt einfach mehr Abiturzeugnisse und setzt die Namen ein. Anschließend muss man allerdings noch im Hochschulbau etwas machen. Denn hochschulreif ist dann ja bald nicht mehr ein Viertel, sondern die Hälfte eines Jahrganges. Doch das Doppelte soll der Aufstieg aller nun auch wieder nicht kosten.«

Durch die Hauptspirale »drängen sich nun fast alle in der Aufstiegszone, wobei das Gedränge noch zunimmt durch doppelte Jahrgänge (G8), gebührenfreies Studieren, Herunterreden der Berufsbildung und Heraufreden der Wissensgesellschaft. Wenn dieses Gedränge einen kritischen Wert erreicht, fangen die Hochschulen an, Studienhürden zu errichten.« Das kann man tatsächlich derzeit flächendeckend erleben an den deutschen Hochschulen. Knapp die Hälfte aller Bachelorstudiengänge hat schon einen Numerus clausus; die Hochschulrektoren haben gerade gedroht, es könnten noch mehr werden.

Und dann der entscheidende Passus, der zeigt, wie sich die Systeme (alle kriegen ihr Fett weg) auf den Wahnsinn einstellen und ihn perpetuieren, gleichsam zur Vollendung bringen:

»Du hast zwar ein Spitzenabitur, teilt das mit, aber das reicht natürlich nicht, um Zahnarzt oder Kostenrechner zu werden, das können nur Genies. Also müssen die Abiturnoten noch besser werden, damit es zum Aufstieg für alle kommt. Dem werden sich die Schulen gewiss nicht versperren. Haben sie ja auch in den vergangenen Jahren nicht getan. Inzwischen muss man sich echt anstrengen, damit am Ende eine Drei vor dem Komma steht. Man kann die Lehrer da auch verstehen, wer möchte schon durch allzu strenges Abprüfen von Iphigenie und Zitronensäure eine Zahnarztkarriere verhindern oder den Arbeitsmarkt auch nur um eine einzige Unternehmensberaterin bringen? Also durchgelassen. Was ja auch für Hochschulen gilt, die nur nach unten gern streng tun, sonst jedoch ebenfalls alles – mit Durchschnitts(!)note 1,8 – loben, was sich zur Prüfung angemeldet hat. Am Ende werden dann alle zur 1,0 aufgestiegen sein.«

Damit hier keine Missverständnisse aufkommen – gerade die Hochschulen, um die es ja bei dem eingangs zitierten Beispiel mit der „Höchstquote“ für Studienabbrecher geht, zeichnen sich aus durch einen erheblichen Weiterentwicklungsbedarf, gerade hinsichtlich Didaktik und Rahmenbedingungen. Zugleich ist die Ausstattung viele Hochschulen unterirdisch, vor allem hinsichtlich der Betreuungsrelationen. Es ist sicher keine Übertreibung zu sagen, dass die Privatisierung weiter Teile des Studiums eine substanzielle Bedingung des erfolgreichen Bestehens ist, also betriebswirtschaftlich gesehen das Outsourcing gewichtiger Teile der Ausbildung auf die Studierenden selbst. Nur kann man an dieser Stelle einwenden – war das nicht eigentlich immer schon so, gleichsam ein Wesenszug der akademischen Ausbildung? Auch wenn das stimmt – hier schlägt es wieder zu, das Gesetz der großen Zahl sui generis. Denn das Modell mag funktionieren, wenn nur eine Minderheit in den Genuss oder die Möglichkeit kommt, ein Studium aufnehmen und absolvieren zu können. Wenn das aber mehr als die Hälfte eines Jahrgangs ist, dann wird es automatisch auch mehr Scheiternsfälle geben müssen, es sei denn, man senkt die Anforderungen noch weiter ab.
Aber damit wäre nur kurzfristig etwas gewonnen. Gerade wenn man die Gebührenfreiheit des Studiums fordert und auch mittlerweile so gut wie flächendeckend durchgesetzt hat, darf man angesichts der erheblichen steuerfinanzierten Ausgaben für die Hochschulen auch von den Studierenden eine adäquate Gegenleistung erwarten.

Die Sorge um die einen schließt eine gut begründete Leistungserwartung an die anderen nicht aus – man könnte sogar auf die Idee kommen, das eine bedingt das andere. Wie immer – auf die Zusammenhänge kommt es an.

Studierst Du endlich oder willst Du ewig darben? Bildung lohnt sich ein Leben lang, vor allem für die Akademiker. Jedenfalls war das bisher so

Quelle: A. Schmillen und H. Stüber: Bildung lohnt sich ein Leben lang.
Lebensverdienste nach Qualifikation (= IAB-Kurzbericht Nr. 1/2014)

Das ist mal ein klare Ansage: Bildung zahlt sich aus. Personen, die eine Berufsausbildung abgeschlossen haben, verdienen über ihr Erwerbsleben hinweg im Schnitt knapp 250.000 Euro mehr als Personen ohne Berufsausbildung und Abitur. Das zeigt eine aktuelle Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Für Abitur, Fachhochschul- oder Universitäts-Studium liegen die Bildungsprämien durchschnittlich bei rund 500.000 Euro, 900.000 Euro und 1.250.000 Euro. So stellt man sich ein hierarchisches Entsprechungsverhältnis von Bildungsabschluss und Einkommen vor. Und erneut wird das Auswirkungen haben auf die Entscheidungen der Eltern und der betroffenen Jugendlichen hinsichtlich der eigenen Bildungsbiografie. Ein Abitur sollte es schon sein – und ganz offensichtlich wird man dabei doch mehr als gestützt durch die Befunde der Wissenschaft. Die Daten entstammen einer Studie von Achim Schmillen und Heiko Stüber, die unter dem Titel „Bildung lohnt sich ein Leben lang. Lebensverdienste nach Qualifikation“ veröffentlicht worden ist.

Wenn man sich die Unterschiede zwischen den durchschnittlichen Lebensverdiensten anschaut, die man mit einer Berufsausbildung oder mit einem Hochschulabschluss bekommen kann, dann werden solche Werte mit Sicherheit eine Debatte befeuern, die seit einiger Zeit unter der etwas reißerisch angelegten Überschrift „Akademisierungswahn“ geführt wird. Denn bei den (potenziellen) Adressaten dieser Information, die vor der Frage stehen, welchen Bildungs- und Berufsweg sie selbst oder ihre Kinder einschlagen sollen, ist die Botschaft doch mehr als eindeutig: Ein Abitur und ein Studium sollten es schon sein. Koste es, was es wolle. Zu offensichtlich scheint der Beleg für den Tatbestand „Je (formal) höher, desto (materiell) besser“. Nun lohnt es sich, einmal genauer hinzuschauen und dabei nicht nur die Daten zu hinterfragen, sondern diese (vergangenheitsbezogenen) Werte einzuordnen in eine noch schwierigere Diskussion, also ob alles so bleiben wird, wie es war, oder ob es anders kommen kann, als man heute denkt.

Es soll und kann an dieser Stelle nicht vertiefend um die aktuelle Diskussion in Deutschland gehen, die unter dem Etikett „Akademisierungswahn“ geführt wird.  Hierzu ist neben den Wortmeldungen von Julian Nida-Rümelin (dazu das Interview „Wir sollten den Akademisierungswahn stoppen„, erschienen in der FAZ im September 2013) ) eine ganze Reihe an zustimmenden, aber natürlich auch ablehnenden Stellungnahmen erschienen. Es sei hier stellvertretend nur auf die im November 2013 vorgelegte Publikation „Wie viel akademische Bildung brauchen wir zukünftig? Ein Beitrag zur Akademisierungsdebatte“ von Hartmut Hirsch-Kreinsen oder den Sammelband „Die Akademiker-Gesellschaft. Müssen in Zukunft alle studieren?„, herausgegeben von Tanjev Schultz und Hurrelmann hingewiesen, in denen die Debatte gut abgebildet wird.

Hier soll es vor allem um den so selbstverständlich daherkommenden Begriff der „Bildungsprämie“ gehen, denn darauf basiert ja die ganze Argumentationslinie der Studie des IAB. Und die wird so dargestellt, dass es für jeden offensichtlich ist, dass sich ein Studium einfach lohnen muss. Auch umgangssprachlich ist es so, dass man bei dem Wort „Prämie“ an etwas denkt, was „on top“ kommt, oben drauf, zusätzlich. So muss man das auch hier verstehen, denn die Hochschulabsolventen bekommen nach der Studie mehr als 1,2 Mio. Euro über ihr Erwerbsleben hinweg „mehr“ als diejenigen ohne eine Berufsausbildung, also die „ganz unten“. Die sind die Bezugsgröße für alle berechneten „Prämien“ der anderen.

Wie sieht die Datengrundlage aus? Basis ist die sogenannte Stichprobe der Integrierten Arbeitsmarktbiografien (SIAB). Für zwei Prozent aller Personen auf dem deutschen Arbeitsmarkt enthält sie alle Episoden sozialversicherungspflichtiger oder geringfügiger Beschäftigung – bedeutet zugleich auch, dass Selbstständige, Beamte oder Studierende dagegen nicht im Datensatz enthalten sind. Was hat man jetzt gemacht? Für alle in der genannten Stichprobe enthaltenen (Vollzeit-) Beschäftigungsepisoden aus den Jahren 2008, 2009 und 2010 wurden die Durchschnittslöhne nach Bildung und Alter berechnet. Die Summe aller Jahresentgelte vom 19. bis zum 65. Lebensjahr ist dann das Lebensentgelt, wobei aber darauf hinzuweisen ist, dass man die Beträge z.B. der 25jährigen Personen aus den Beträgen ermittelt hat, die in den drei Jahren 2008 bis 2010 bei dieser Altersgruppe jeweils angefallen sind – und man hat dann diese Werte auf die Lebensentgelte der einzelnen Gruppen hochgerechnet. Die Studienautoren sprechen deshalb auch von einer „synthetischen Kohorte“, es handelt sich also nicht um die tatsächlichen Einkommen, sondern um hochgerechnete aus dem kleinen Zeitfenster 2008-2010. Dass das nicht ohne ist, wissen die Verfasser der Studie selbst, schreiben sie doch auf den Seiten 5/6 des IAB-Kurzberichts:

»Einschränkend muss aber betont werden, dass die hier vorgelegten konkreten Zahlen eher als Ergebnis einer Modellrechnung denn als exakte Prognose individueller Entgelte verstanden werden sollten. Unsere Befunde beziehen sich nur auf die betrachtete synthetische Kohorte. Es ist davon auszugehen, dass sich für tatsächliche Geburts- oder Arbeitsmarkteintrittskohorten mehr oder weniger große Abweichungen ergeben.«

Ein Fazit:

  • Schon der Blick zurück ist nur eine Annäherung, es handelt sich nicht um die tatsächlich gemessenen Werte bei den Betroffenen, sondern um eine Konstruktion aus den Daten einer Stichprobe und dem Zeitraum 2008-2010. 
  •  Und durchaus bedeutsam ist die Feststellung, dass auch wenn die Annäherung an die Realität in der Vergangenheit trotz aller zwangsläufigen und nicht vermeidbaren Abweichungen gelungen sein sollte: es bleibt die offene Frage, ob man die Niveauunterschiede einfach so in die Zukunft prolongieren kann. Dieser Aspekt soll an einem Beispiel verdeutlicht werden:  Möglicherweise sind die deutlich höheren Einkommen der Akademiker im Durchschnitt über alle Studiengänge in der Vergangenheit schlichtweg dadurch bedingt gewesen, dass die in der Vergangenheit vorhandenen Akademiker tatsächlich aufgrund ihrer relativ geringen Zahl ausschließlich gut bezahlte Positionen besetzt haben. Angesichts der Tatsache, dass in den 1980er Jahren, gerade aber auch in den davor liegenden Jahrzehnten lediglich 20-25 % eines Jahrgangs überhaupt die Hochschulreife erworben haben, um auf dieser Basis ein Studium absolvieren zu können, muss man zumindestens in Erwägung ziehen, dass heute, wo beispielsweise in Rheinland-Pfalz 52 % der Schulabgänger über irgendeine Form der Hochschulreife verfügen,  die dann auch fast alle über kurz oder lang irgendein Hochschulstudium absolvieren, die Situation aufgrund der völlig veränderten Angebotsrelationen auf dem Arbeitsmarkt eine andere sein muss.  Wenn also immer mehr studieren und dadurch bedingt das Angebot an Akademikern kontinuierlich ansteigt, dann muss es nach allen Gesetzen der Ökonomie zu einem Preisverfall kommen, auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Nachfrage nicht gleich geblieben ist, sondern aufgrund der Teil-Akademisierung der Beschäftigung in vielen Berufsfeldern eine Ausweitung erfahren hat.  Das könnte zu mindestens relativ plausibel bedeuten, dass Akademiker, die in der Vergangenheit aufgrund der Knappheitsrelationen eine relativ hohe Vergütung bekommen haben, nunmehr nicht in der Lage sind bzw. sein werden, in der Zukunft ihre Einkommensposition halten zu können. Das würde im Ergebnis dazu führen, dass die Betroffenen nicht mit den Vergangenheitswerten vergleichbare (dazu noch auf der beschriebenen durchaus schmalen empirischen Basis konstruierten) Lebenseinkommen werden realisieren können.

Selbstausbeuter an der Massagebank, Kritik am Akademisierungswahn rechtzeitig zum Beginn des Sommersemesters, Profi-Fußballer vor und Kinder in Hartz IV

Es wird ja immer gerne viel über die Herausforderungen durch den demografischen Wandel geschrieben und diskutiert. Nimmt man die plausible Prognose ernst, dass der Anteil, vor allem aber die Zahl der älteren Menschen erheblich ansteigen wird in den kommenden Jahren, dann wird das erhebliche Auswirkungen haben müssen auf die Art und Weise der Gesundheitsversorgung. Immer öfter und immer mehr wird es nicht um die kurzfristige Behandlung, Heilung und Wiederherstellung gehen (können), sondern um die Begleitung chronischer Erkrankungen oder Einschränkungen. Hierbei könnte die Physiotherapie eine ganz zentrale Rolle spielen, kann sie doch beispielsweise Prozesse, die zu einer Pflegebedürftigkeit führen können, zumindest verzögern, aufhalten und die Folgen für die Betroffenen lindern. Dafür bräuchte man nicht nur Physiotherapeuten an sich in ausreichender Zahl, sondern eigentlich müsste man auch das Niveau der Ausbildung wie schon seit langem in anderen Ländern geschehen, anheben. Soweit die Theorie. 

mehr