Die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) und die soziale Pflegeversicherung hängen bekanntlich finanziell schwer in den Seilen. Die Ausgaben steigen stärker als die Einnahmen und zugleich hat der Bund in den zurückliegenden Jahren die Sozialversicherungen ausgenommen wie eine Weihnachtsgans.
Man denke hier an die Milliarden Euro-Beträge, die während der Corona-Pandemie aus der Kasse der beitragsfinanzierten sozialen Pflegeversicherung ausgegeben werden mussten für pandemiebedingte Ausgaben, die selbst von der Bundesregierung anerkannt gesamtgesellschaftliche Leistungen waren, so dass man eine – bis heute aber nicht vollzogene – Rückerstattung von fünf Milliarden Euro aus Steuermitteln versprochen hat. Oder an den ehemaligen Bundesgesundheitsminster Jens Spahn (CDU), der zur vorübergehenden Vermeidung von Anhebungen des Zusatzbeitrags der Krankenkassen sowie von möglichen Einschnitten auf der Leistungsseite seit 2018 die GKV gezwungen hat, ihre Rücklagen abzubauen, bis quasi nichts mehr im Topf war.1 In den vergangenen Jahren hat sich die Politik wiederholt an den Rücklagen bedient, um die strukturellen Defizite auszugleichen und das Finanzierungsproblem in die Zukunft zu verschieben. Nun fehlen diese Rücklagen und die Beitragszahler müssen höhere Zusatzbeiträge in Kauf nehmen.
Seit geraumer Zeit wird die (alte und nunmehr teilweise neue) Bundesregierung aus den Reihen der Kranken- und Pflegekassen in immer dringlicher vorgetragenen Statements davor gewarnt, dass die beiden Zweige der Sozialversicherung finanziell gegen die Wand fahren. Und immer wieder mahnen (nicht nur) Vertreter der Kassen strukturelle Teil-Lösungskomponenten an, wie beispielsweise endlich eine (dann auch verbindliche) Steuerfinanzierung der sogenannten „versicherungsfremden Leistungen“ (vgl. dazu den Beitrag von Stefan Sell: Systembedingte Grenzen der GKV-Finanzierung überwinden, in: Gesundheit und Gesellschaft Wissenschaft, Heft 2/2025, S. 33-42 sowie Stefan Sell: Politik der Verschiebebahnhöfe hat Grenzen erreicht, in Gesundheit und Gesellschaft Online, 14.02.2025).
Das würde schon mal eine Menge Druck nehmen aus der gegebenen Beitragsfinanzierung. Dazu müsste man natürlich Steuermittel einsetzen, was (auch) die neue Bundesregierung offensichtlich zu verweigern scheint.
Was bekommen wir stattdessen serviert angesichts der tatsächlich eskalierenden Finanzlage der Kranken- und Pflegeversicherung?
»Der Haushaltsentwurf 2025 von Bundesfinanzminister Lars Klingbeil sieht Darlehen vor, um die angespannte Finanzlage der gesetzlichen Krankenversicherung und der sozialen Pflegeversicherung zu stabilisieren. Krankenkassen und Wohlfahrtsverbände halten die Maßnahmen für völlig unzureichend und fürchten historische Beitragssatzsteigerungen«, so beginnt dieser Beitrag von Mona Backhaus unter der leider zutreffenden Überschrift Bundeshaushalt: „Völlig absurdes Vorgehen“ bei den Sozialversicherungen. Für die gesetzliche Kranken- und die soziale Pflegeversicherung soll es nur temporäre Darlehen statt der erhofften Zuschüsse geben.
So sollen die Krankenkassen 2025 und 2026 ein Darlehen von jeweils 2,3 Milliarden Euro erhalten. Die Pflegeversicherung – konkret: der Ausgleichsfonds der sozialen Pflegeversicherung soll 2025 ein Darlehen von 0,5 Milliarden Euro und im nächsten Jahr von 1,5 Milliarden Euro bekommen.
➔ Übrigens: Eine erste Finanzspritze für den Gesundheitsfonds hat es in diesem Jahr bereits gegeben. Im Mai 2025 wurde berichtet: »Die finanzielle Lage der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV)hat sich derart verschlechtert, dass der Bund den Gesundheitsfonds mit einer Finanzspritze stützen muss.« 800 Millionen Euro Bundeszuschuss werden bereits Mitte Mai zum Auffüllen der Liquiditätsreserve zur Verfügung gestellt (vgl. Bund stützt Gesundheitsfonds mit 800 Millionen Euro). »Grund für das Eingreifen des Bundes: Die sogenannte Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds war unter den gesetzlich festgelegten Wert gefallen. In den Gesundheitsfonds fließen die Beiträge von gesetzlich versicherten Mitgliedern und deren Arbeitgebern sowie Steuermittel. Der Fonds verteilt das Geld dann an die Krankenkassen.«
Wohlgemerkt – es handelt sich hier sowohl für die Kranken- wie auch für die Pflegeversicherung um Darlehen, die sich bekanntlich dadurch auszeichnen, dass man sie als Schuldner an den Gläubiger wieder zurückzahlen muss.
Das ist schon eine mehr als dreiste Nummer: Da entzieht man beispielsweise den Pflegekassen in der Not mehrere Milliarden Euro an Beitragsgeldern für die Bewältigung einer pandemiebedingten Ausnahmesituation, was nun wirklich eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und entsprechend auch zu finanzieren ist
Die geplanten Darlehen decken nur einen Bruchteil des tatsächlichen Bedarfs.
Bereits 2024 verzeichnete die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) laut dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) ein Defizit von rund 6,2 Milliarden Euro. Auch in der sozialen Pflegeversicherung muss immer wieder und immer stärker gegengesteuert werden. Ende vergangenen Jahres wendete die Politik deren Zahlungsunfähigkeit in letzter Minute ab. Diese drohte für Februar. Der Beitragssatz wurde um 0,2 Prozentpunkte angehoben. Bereits wenige Wochen später musste eine Pflegekasse beim Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS) Finanzhilfe beantragen. Dadurch wird erkennbar, dass die Beitragserhöhung zum 1. Januar nicht ausreicht, um die Finanzierung der Ausgaben der sozialen Pflegeversicherung im Jahresverlauf zu gewährleisten.
Vor diesem Hintergrund ist dann die Kritik von Carola Reimann, Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, durchaus nachvollziehbar, die mit den Worten zitiert wird: Es werden „völlig unzureichende Teilbeträge auf Darlehensbasis eingestellt, und es wird auf mögliche Ergebnisse der Kommissionen verwiesen. Das sieht eher danach aus, als wolle man GKV und SPV in die Schulden treiben, statt die Beitragssätze nachhaltig zu stabilisieren.«
Und in den Worten von Anne-Kathrin Klemm, Vorständin des BKK Dachverbandes: „Anstatt die Sozialsysteme – und damit auch die Bürgerinnen und Bürger sowie Arbeitgeber – nachhaltig zu entlasten, wird geflickt und das Problem vertagt. GKV und SPV hätten seit Jahren unfairerweise Milliarden für versicherungsfremde Leistungen gezahlt und die Kassen gleichzeitig ihre Reserven abbauen müssen. Jetzt sei nichts mehr da, um die Ausgabendynamik zu bremsen.“
Das Vorgehen werde vollends absurd, wenn man bedenke, dass das Geld zurückgezahlt werden muss. Es gebe bereits ein weiteres Darlehen von einer Milliarde Euro aus dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz, das ebenfalls noch zurückgezahlt werden muss. Auch in der SPV sei zusätzlich ein altes Darlehen von 0,5 Milliarden Euro bis Ende 2028 zurückzuzahlen.
Durch die Darlehen könne die Finanzierungslücke der GKV „in 2026 erheblich reduziert, aber nicht geschlossen werden“, erklärte das Bundesgesundheitsministerium bei der Vorlage des Haushaltsplans für 2025. Nach derzeitiger Einschätzung dürfte eine Lücke von rund vier Milliarden Euro bleiben. „Die zugesagten Darlehen werden somit nicht ausreichen, um im kommenden Jahr Beitragssatzsteigerungen zu verhindern.“ Die neue Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) begrüßte zwar die Einigung auf den Haushaltsentwurf. Dieser könne aber „nicht das letzte Wort sein“ – sie setze hier auf das parlamentarische Verfahren. Beitragserhöhungen müssten verhindert werden. Mit den zugesagten Darlehen für die GKV und die Pflegeversicherung „wird das kaum gelingen“. Außerdem würden mit Darlehen die Probleme nur aufgeschoben, aber nicht aufgehoben.
Wohl wahr.
Und wer das mit vielen Zahlen unterlegt nachlesen möchte, der sei auf das im Juni 2025 veröffentlichte Update aus dem IGES-Institut zur Beitragsentwicklung in der Sozialversicherung verwiesen, die zum dem Schluss kommen, dass die nunmehr vorgesehenen Darlehen einen erneuten Beitragsanstieg im kommenden Jahr zwar dämpfen, aber nicht verhindern können:
➔ Richard Ochmann et al. (2025): Beitragsentwicklung in der Sozialversicherung. Update der szenarienbasierten Projektion bis zum Jahr 2035 im Auftrag der DAK-Gesundheit, Berlin: IGES-Institut, Juni 2025
Fußnote
- Mit dem Versichertenentlastungsgesetz (GKV-VEG), das im Wesentlichen am 1. Januar 2019 in Kraft getreten ist, wurde die einseitige Belastung der Versicherten mit den Zusatzbeiträgen wieder rückgängig gemacht. Das Gesetz regelte, dass die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung wieder komplett paritätisch von Arbeitnehmern und Arbeitgebern bzw. Rentnern und Rentenversicherung getragen. Und hier begann der Prozess des Abbaus der Rücklagen. In den Worten des Gesetzgebers: Um zu hohe Kassenbeiträge zu vermeiden, dürfen die Finanzreserven der Krankenkassen den Umfang einer Monatsausgabe künftig nicht mehr überschreiten. Gesetzliche Krankenkassen, die über höhere Finanzreserven verfügen, dürfen ihren Zusatzbeitrag ab 2019 nicht mehr anheben. Ab 2020 müssen überschüssige Beitragseinnahmen über einen Zeitraum von drei Jahren abgebaut werden. Der Beginn des Abschmelzprozesses wurde dann von Spahn mit dem „Gesetz für einen fairen Kassenwettbewerb in der gesetzlichen Krankenversicherung“ (GKV-FKG) scharf gestellt. ↩︎