Mit Zahlen, vor allem mit möglichst einer großen Zahl kann man Politik machen oder zumindest in deren Aufmerksamkeitsradius kommen. Nehmen wir den sowieso hoch sensiblen Bereich der Langzeitpflege. Allen ist klar, dass zum einen der Bedarf (weiter) steigt, für die zunehmende Zahl an pflegebedürftigen Menschen eine entsprechende Versorgung zu ermöglichen. Darüber hinaus wird seit Jahren mantrahaft der Personalmangel in der professionellen Langzeitpflege beklagt, in den Medien finden sich wiederkehrend Skandalisierungen von Missständen vor allem in der stationären Pflege (die sich auch leichter beobachten lässt als das, was im ambulanten oder gar im häuslichen Setting passiert) – und seit einigen Monaten werden wir konfrontiert mit sich überschlagenden Berichten über eine Insolvenzwelle, die über die Einrichtungen und Dienste der Langzeitpflege eingebrochen ist.
Die lokale, regionale und auch die bundesweite Berichterstattung der Medien ist prall gefüllt mit Meldungen über Pflegeheime, die in die Insolvenz gerutscht sind. Und immer wieder liest und hört man von Schließungen sowie dem damit verbundenen (angeblichen) Wegfall von Heimplätzen.
Bereits im vergangenen Jahr hat der Arbeitgeberverband Pflege (AGVP), die Interessenvertretung der privatgewerblichen Betreiber von Pflegeheimen und Pflegediensten, eine mit vielen bunten Stecknadeln und Punkten versehene Deutschlandkarte Heimsterben ins Netz gestellt (vgl. dazu z.B. den Beitrag Heimsterben in Deutschland auf neuer Karte sichtbar: „Lauterbachs Irrweg muss gestoppt werden“ vom 15.09.2024). Und sich mit einer erschreckenden Botschaft in den Medien platzieren können: 1.200 Einrichtungen geschlossen oder insolvent: »Seit Anfang 2024 sind in Deutschland mehr als 1.200 Pflegeeinrichtungen insolvent gegangen oder wurden geschlossen. Dies gab der Arbeitgeberverband Pflege bekannt«, so beispielsweise das ZDF Anfang April 2025. Auch das Deutsche Ärzteblatt hat das aufgegriffen und verbreitet: Mehr als 1.200 Pflegeeinrichtungen insolvent oder geschlossen: »Demnach wurden seit Anfang vergangenen Jahres bei 1.264 Pflegeeinrichtungen Insolvenzen oder Schließungen bekannt, wie AGVP-Geschäftsführerin Isabell Halletz sagte.« Bereits Anfang 2024, als die „Deutschlandkarte Heimsterben“ platziert wurde, wurde vom Arbeitgeberverband Pflege vermeldet: »Mehr als 800 Insolvenzen oder Schließungen in der Altenpflege zählte der Verband demnach im Jahr 2023.«
Sucht man beim AGVP die Originalmeldung, dann stößt man auf diese Pressemitteilung vom 7. April 2025: Die nächste große Pflege-Insolvenz: Das Pflege-Haus brennt ab, die politische Feuerwehr guckt zu. Und dort heißt es dann: »2023 und 2024 mussten über 1200 Pflegeeinrichtungen Insolvenz anmelden oder schließen, wie unser Heimsterben-Monitoring ergab … Um den Bedarf an Pflegeplätzen zu decken, müssten 200 zusätzliche Pflegeheime pro Jahr entstehen. Stattdessen werden im Trend Pflegeplätze abgebaut.« Hier geht es also um zwei Jahre.
Da wird der eine oder andere lieber bei pflegemarkt.com vorbeischauen. Die haben Mitte Februar 2025 mit Blick auf das vergangene Jahr diese Mitteilung herausgegeben: Schließungen und Insolvenzen in der Pflege 2024. Die haben für 2024 insgesamt 112 geschlossene Pflegeheime, 274 geschlossene Pflegedienste und 111 geschlossene Tagespflegen gezählt, mithin 497 Schließungen. Und weiter wird ausgeführt: »Damit sind der Pflegelandschaft in Deutschland … 5.596 vollstationäre Plätze verloren gegangen. Zudem versorgten die geschlossenen Pflegedienste insgesamt 15.926 Patienten. Die betroffenen Tagespflegen stellten 1.409 Plätze zur Verfügung.«
Auch im Bundestag wurde das Thema aufgegriffen – vgl. dazu beispielsweise bereits im Jahr 2024 die Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage „Insolvenzwelle im Pflegebereich und Rahmenbedingungen im Pflegesektor“ (BT-Drs. 20/10990 vom 10.04.2025).
Brutto ist bekanntlich nicht netto
Man muss bei den Berichten über Insolvenzen und Schließungen von Einrichtungen und Diensten zweierlei berücksichtigen: Zum einen bedeutet die Insolvenz eines Unternehmens nicht zwangsläufig, dass die davon betroffenen Angebote eingestellt werden. Zum einen gibt es zahlreiche Beispiele, dass Insolvenzverfahren zur Sanierung angeschlagener Unternehmen genutzt werden (oft auch in Eigenverantwortung des insolventen Unternehmens) und die betroffenen Einrichtungen und Dienste werden nicht oder nicht alle vom Netz genommen. Zum anderen kommt es zu Übernahmen der Einrichtungen und Dienste durch andere Unternehmen, die eine Fortführung des Leistungsangebots ermöglichen. Und schlussendlich sollte man nicht nur die Seite der Insolvenzen und Schließungen betrachten, sondern muss auch berücksichtigen, dass es gleichzeitig Neugründungen gibt.
Auch hier wieder mit Hilfe der Daten von pflegemarkt.com eine Betrachtung des Jahres 2024:
2024 wurden insgesamt 112 geschlossene Pflegeheime, 274 geschlossene Pflegedienste und 111 geschlossene Tagespflegen gezählt, mithin 497 Schließungen. Der Pflegelandschaft in Deutschland sind 5.596 vollstationäre Plätze verloren gegangen. Zudem versorgten die geschlossenen Pflegedienste insgesamt 15.926 Patienten. Die betroffenen Tagespflegen stellten 1.409 Plätze zur Verfügung. | 2024 wurden gleichzeitig insgesamt 569 neue Pflegedienste gegründet – hinzu kommen 111 Neueröffnungen von vollstationären Pflegeheimen. Im Bereich der Tagespflege konnten insgesamt 315 Neueröffnungen verzeichnet werden. Im Bereich der stationären Pflege zeigt sich, dass damit 7.186 vollstationäre Plätze eröffnet wurden. Im Bereich der Tagespflege sind 5.984 neue Plätze entstanden. |
(Quelle der Daten: Schließungen und Insolvenzen in der Pflege 2024 sowie Neugründungen in der Pflege 2024)
Mit Blick auf die hier im Mittelpunkt stehende Diskussion der (möglichen) Folgewirkungen muss natürlich auch einschränkend berücksichtigt werden, dass mit bundesweiten Daten operiert wird (wie ja auch in der allgemeinen Berichterstattung über die eine Zahl an Insolvenzen bzw. Schließungen). Man kann nicht davon ausgehen, dass die Neugründungen dort stattfinden, wo es gerade Schließungen gegeben hat oder gibt und im Idealfall ein Nullsummenspiel vor Ort stattfindet.
Besonders auffällig und beunruhigend und zugleich ein Indikator für die wachsenden wirtschaftlichen Schieflagen der Betreiber von Pflegeinrichtungen und -diensten ist die Zunahme der Schließungsdynamik, die seit längerem beobachtet werden muss. Bereits 2023 wurde beispielsweise berichtet: 2022 haben 142 Pflegeheime schließen müssen – in den ersten drei Monaten des Jahres 2023 waren es bereits 200, so Ingrid Bertram in ihrem Beitrag Warum immer mehr Pflegeheime pleitegehen, der am 11.09.2023 veröffentlicht wurde. Aus dem bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen wurde die gleiche Entwicklung berichtet: »Alleine im ersten Quartal 2023 gab es in den NRW-Pflegeheimen mehr Insolvenzen als im ganzen Vorjahr. Auch im zweiten Quartal hält der Trend an … Laut NRW-Gesundheitsministerium mussten 27 Einrichtungen der Pflegebranche Insolvenz einreichen – zwei mehr als im ganzen Jahr 2022. Darunter auch extreme Fälle, wie der des Hauses Elisabeth in Solingen. Das Pflegeheim musste Mitte Mai schließen, 32 Pflegebedürftige verloren ihren Platz.« Allerdings wurde auch damals schon seitens des nordrhein-westfälischen Gesundheitsministers Karl-Josef Laumann (CDU) darauf hingewiesen, dass „in der ganz überwiegenden Zahl der Fälle die gemeldeten Überschuldungen nicht zu Schließungen der Leistungsangebote und einem damit verbundenen Wegfall von Plätzen in der stationären Pflege geführt haben“. So habe es oft Betreiberwechsel gegeben.
Unbestreitbar Verlierer bei den Insolvenzen und Schließungen sind die zumeist hochgradig vulnerablen pflegebedürftigen Bewohner/innen, die teilweise ohne längere Vorankündigung umziehen müssen, wenn sie bzw. ihre Angehörigen denn irgendwo anders einen Platz finden – und da kann man froh sein, überhaupt irgendeinen Ersatzplatz zu bekommen, ganz unabhängig von der Frage, ob man dort überhaupt seinen Lebensabend verbringen möchte, mit welchen Kosten und mit welcher Qualität der Versorgung man konfrontiert wird.
Welche Ursachen für Insolvenzen und Schließungen im Pflegebereich werden diskutiert?
Schauen wir uns ein konkretes Beispiel an, über das bereits 2023 berichtet wurden:
»Das Ursula-Lambertz-Haus in Kalterherberg bei Monschau ist freundlich gelb gestrichen, hat große Fensterfläche und einen schönen kleinen Park hinter dem Haus. „Unsere Warteliste ist lang. Jeden Tag rufen zwei Interessenten für einen Heimplatz an“, sagt Andreas Nowack, der kommissarische Heimleiter. Doch das Heim steht zu großen Teilen leer. Derzeit sind nur 17 der 38 Plätze belegt. Anfang des Jahres stand das Haus in privater Trägerschaft kurz vor der Pleite. „Ich hatte tüchtig Angst, das muss ich ehrlich zugeben“, erinnert sich Irmtraud Prümmer. Die 81-Jährige wohnt erst seit einem Jahr hier. Ihre Familie und Freunde leben in den umliegenden Orten. Wenn das Haus geschlossen worden wäre, wäre das nächste Heim für sie erst knapp 50 Kilometer weiter gewesen. Das Problem: Das Haus ist eigentlich zu klein, um sich selbst tragen zu können. Eigentlich bräuchte es 70 bis 80 Plätze, damit es sich rechnet, so Heimleiter Nowack. Er arbeitet für das Deutsche Rote Kreuz in Aachen, das vor drei Monaten das Haus übernommen hat. Keine leichte Aufgabe. Denn das eigentliche Problem ist das fehlende Fachpersonal. Nur mit dem richtigen Personalschlüssel könnten auch genügend Bewohner und Bewohnerinnen aufgenommen werden. Doch mit der drohenden Insolvenz haben sich hier viele der Fachkräfte nach einem neuen Job umgesehen. Eine schwierige Spirale, aus der ein Heim erstmal rauskommen muss. Und so geht es vielen.«
Sind weniger als 98 Prozent der Plätze belegt, rutscht eine Einrichtung nach Angaben der Verbände der Pflegeheimbetreiber in die roten Zahlen. Und das kann schnell gehen, wenn das Personal fehlt.
Hier ist ein strukturelles Problem erkennbar, was auch in den neueren Berichten über Insolvenzen vorgetragen wird. Ein Beispiel aus dem April 2025: »Der Pflegekonzern Argentum, spezialisiert auf die Versorgung von Senioren, ist insolvent. 3100 Pflegebedürftige und rund 2800 Mitarbeiter blicken sorgenvoll in die Zukunft – in der Branche ist das kein Einzelfall«, so dieser Artikel In 40 Einrichtungen eine Frage: Wie geht es weiter?: »Gerade der Fachkräftemangel macht sowohl kleinen Heimen als auch großen Gruppen zu schaffen: Sind nicht genug ausgebildete Fachkräfte in einem Haus, müssen seit einem neuen Personalbemessungsverfahren aus dem Sommer 2023 Teilbereiche oder Pflegestationen eines Heims geschlossen werden. Für einen rentablen Betrieb von Senioreneinrichtungen gelten aber rund 98 Prozent Mindestauslastung als Voraussetzung.« Laut Bundesverband private Anbieter sozialer Dienste (bpa) sind die 98 Prozent Belegungsquote der Wert, den die Pflegekassen bei ihren Verhandlungen mit den Trägern zugrunde legen – und zwar unabhängig davon, ob die Bereiche – ausreichend Personal vorausgesetzt – tatsächlich belegt werden können.
➔ Seit dem 1. Juli 2023 gilt das schrittweise einzuführende neue Personalbemessungsverfahren (PeBeM) in der Altenpflege. Grundlage ist der § 113c SGB XI (Personalbemessung in vollstationären Pflegeeinrichtungen). Es geht hier um die Umsetzung von quantitativen und qualitativen Anforderungen in einem „Qualifikationenmix“ der Hilfs-, Assistenz- und Fachkräfte, mit dem die bisherige in den ordnungsrechtlichen Bestimmungen der einzelnen Bundesländern geregelte Fachkraftquote (vereinfacht gesagt: mindestens 50 Prozent müssen Pflegefachkräfte sein) hinfällig wird, denn ein Ziel des neuen Personalbemessungsverfahrens ist es, dass die gesetzlichen Regelungen für einen qualifikationsorientierten Personaleinsatz perspektivisch diese gesetzlichen Fachkraftquoten abzulösen. Das neue PeBeM geht zurück auf die wissenschaftlichen Vorarbeiten einer Gruppe um Heinz Rothgang (vgl. hierzu ausführlicher den Abschlussbericht von Rothgang et al.: Entwicklung und Erprobung eines wissenschaftlich fundierten Verfahrens zur einheitlichen Bemessung des Personalbedarfs in Pflegeeinrichtungen nach qualitativen und quantitativen Maßstäben gemäß § 113c SGB XI (PeBeM), Bremen, August 2020). Dazu auch der am 25. Februar 2020 in diesem Blog veröffentlichte kritische Beitrag Die Zukunft der stationären Altenpflege zwischen Mindestlohn und wenn, dann mehr Hilfskräften? Kritische Anmerkungen angesichts einer doppelten Absenkung in einem ganz besonderen Arbeitsfeld.
Hinzu kommen steigende Kosten für die Pflegeheimbetreiber. Zum einen die allgemeine und branchenspezifische Inflationsentwicklung, die seit Mitte 2021 – bis zu der kürzlich zu beobachtenden Rückbildung – zu sehr hohen Inflationsraten geführt hat. In gar nicht so wenigen Fällen gibt es dabei das Sonderproblem der Heimbetreiber, die ihre Immobilie nur gemietet oder gepachtet haben und bei Miet- oder Pachtverträgen, die an die Inflationsrate gekoppelt sind, laufen die Immobilien-Aufwendungen dann schnell davon.
Daneben müssen die Heimbetreiber Kostensteigerungen verbuchen und zu refinanzieren versuchen, die mit guten Absichten ausgelöst worden sind – konkret: eine Verbesserung der Vergütung der in der Pflege Beschäftigten. Gemeint ist hier zum einen der Tatbestand, dass es seit dem 1. September 2022 Versorgungsverträge nur noch mit Pflegeheimen geben darf, die nach Tarif zahlen – also entweder einen eigenen Tarifvertrag abgeschlossen haben oder ein bestehendes Vertragswerk übernehmen und sich daran orientieren müssen, was in vielen bislang tariflosen stationären Pflegeeinrichtungen zu deutlichen Gehaltssteigerungen geführt hat. Außerdem gab es Anhebungen der branchenbezogenen Mindestlöhne in der Pflege. Eine bessere Vergütung der Arbeit in der Pflege wird von allen begrüßt und gefordert – in jeder Sonntagsrede taucht das auf. Aber zugleich muss die einzelne Einrichtung die damit verbundenen höheren Aufwendungen auch refinanziert bekommen.
Und dann diese Refinanzierung, die auf die lange Bank geschoben wird
Nicht nur die privatgewerblichen Anbieter von Pflegeleistungen beklagen eine teilweise desaströse Zahlungsmoral einiger Pflegekassen, vor allem aber der Sozialämter, die Kostenträger sind für die „Hilfe zur Pflege“-Leistungen nach dem SGB XII. Und wenn man bedenkt, dass in den Heimen mittlerweile im Schnitt 40 Prozent, teilweise auch die Hälfte der Bewohner/innen aufgrund der Höhe der zu leistenden Eigenanteile auf die bedürftigkeitsabhängige Sozialhilfeleistung angewiesen sind, dann kann man sich vorstellen, welche Bedeutung rechtzeitige Zahlungsflüsse seitens der Sozialhilfeträger haben bzw. welche Liquiditätsprobleme aus Zahlungsverzögerungen resultieren können, die dann bei fehlenden finanziellen Puffern schnell an den Rand der Zahlungsunfähigkeit des Heimträgers führen können, vor allem bei den vielen kleinen Heimbetreibern, die (noch) die stationäre Versorgung dominieren.
Für den Arbeitgeberverband Pflege (AGVP) ist schlechte Zahlungsmoral der gesetzlichen Pflegekassen und Sozialämter sogar die Hauptursache für die Insolvenzentwicklung in der Branche. Für den Bezug der „Hilfe zur Pflege“-Leistung sind Anträge erforderlich und die Bearbeitung dieser Anträge dauert bei den Sozialhilfeträgern gute sechs Monate, oft sogar zwölf oder auch 18 Monate, argumentiert der AGVP. Und wenn der gesetzliche Anspruch auf die Leistung besteht, warten die Pflegeunternehmen teilweise monatelang auf die Leistungen der Sozialämter (siehe den Beitrag Was steckt hinter dem Heimsterben?). Das ist offensichtlich ein Problem, das völlig unabhängig ist von der Trägerschaft der Heime. So haben sich beiden Verbände der konfessionell gebundenen Pflegeheimbetreiber, also der evangelische DVAP und der katholische VKAD, zu Wort gemeldet: „Jedes dritte Pflegeheim geht mit über 100.000 Euro in Vorleistung“, so ist deren Mitteilung vom 26. Mai 2025 überschrieben: »Viele Sozialämter kommen mit der Bearbeitung der Anträge nicht hinterher. Die Folge sind massive Außenstände, die Pflegebedürftige und Heime gleichermaßen belasten.«
➔ Die beiden Verbände verweisen auf eine Umfrage unter ihren Mitgliedseinrichtungen, die sie im April 2025 auf Initiative des Bundesgesundheitsministeriums durchgeführt haben. Befragt wurden Träger aus zehn Bundesländern – insgesamt wurden die Daten von 92 Trägern mit 211 stationären Einrichtungen ausgewertet, die gemeinsam 19.172 pflegebedürftige Menschen versorgen. Zu den Ergebnissen: 43 Prozent der Bewohner/innen beantragen Sozialhilfe bzw. Hilfe zur Pflege. 32 Prozent dieser Antragsteller warten auf Zahlungen. Davon warten 94 Prozent länger als 6 Monate, 30 Prozent sogar länger als 12 Monate. In 60 Prozent der Fälle übersteigen die Außenstände 10.000 Euro. Und mit Blick auf die Träger: 68 Prozent der Träger berichten von Außenständen. Bei 35 Prozent der betroffenen Einrichtungen liegen diese Außenstände bei über 100.000 Euro. 27 Prozent sehen dadurch ihre Liquidität akut gefährdet. Quelle: VKAD/DEVAP (2025): Bearbeitung von Anträgen auf Hilfe zur Pflege und deren Auswirkungen auf die Träger stationärer Pflegeeinrichtungen. Umfrage des Verbandes katholischer Altenhilfe in Deutschland (VKAD) und des Deutschen Evangelischen Verbandes für Altenarbeit und Pflege (DEVAP) im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit, Berlin, 26.05.2025. |
Für die Pflegeheime bedeutet dies, dass sie über Monate hinweg für Unterkunft, Verpflegung und Pflege in Vorleistung gehen müssen, ohne zu wissen, wann das Geld fließt. Bisher gibt es kaum wirksame Ansätze, um die Antragsbearbeitung zu beschleunigen. Oft bleibt Heimbewohnern nur der Weg über eine Dienstaufsichtsbeschwerde, um die Sozialämter zum Handeln zu bewegen. VKAD und DEVAP fordern konkrete Maßnahmen: Eine Vorfinanzierung der Sozialhilfeleistungen mindestens in Höhe von 75 Prozent der Ausgaben sowie ein nachgelagertes Prüfverfahren, damit Pflegeheime nicht länger in finanzielle Schieflagen geraten. Zudem muss das Antragsverfahren digitalisiert und entbürokratisiert werden. Der Arbeitgeberverband Pflege (AGVP) formuliert seine Forderungen unter der Überschrift Beamtenmikado beenden: Pünktlich zahlen oder Strafzinsen für Bummel-Sozialämter so: »Wir fordern verbindliche Bearbeitungsfristen von maximal sechs Wochen, die Vereinfachung und vollständige Digitalisierung der Verfahren und Strafzinsen bei Zahlungsrückstand. Wer zu spät zahlt, zahlt drauf. Das gilt für alle, also muss es auch für die Sozialämter gelten. Es darf nicht sein, dass das Risiko staatlicher Untätigkeit weiter auf die Einrichtungen abgewälzt wird. Der Staat muss seinen Schutzauftrag gegenüber den Pflegebedürftigen erfüllen – und zwar jetzt, nicht am Sankt Nimmerleinstag.«