Da war doch noch was in der Pflegewelt? Der „Totengräber“ Orpea zwischen den vor sich hin mahlenden Mühlen der Justiz und staatlichem Rettungsgeld

Anfang Februar 2022 wurde hier dieser Beitrag veröffentlicht: „Die Totengräber“: Ein Pflegeheimskandal erschüttert Frankreich und mit Orpea geht es wieder einmal um die großen renditeorientierten Pflegeheimbetreiber. Darin ging es um schwerwiegende Vorwürfe gegen den Orpea-Konzern in Frankreich – ein Pflegeheimkonzern, der in Europa mehr als 1.000 Einrichtungen betreibt, darunter auch in Deutschland. Auslöser war das Buch „Les Fossoyeurs“ („Die Totengräber“) von Victor Castanet. Personalmangel, Essensrationierung und Bewohner, die stundenlang in ihren eigenen Exkrementen liegen: Der Betreiber Orpea stand massiv in der Kritik. Bei den Behörden gingen Dutzende von Beschwerden von Angehörigen wegen grober Fahrlässigkeit und sogar Totschlag ein. Eine Untersuchungskommission der französischen Regierung hat im März 2022 die erhobenen Vorwürfe gegen das Unternehmen in weiten Teilen bestätigt. Die Autoren des Berichts haben auf „erhebliche Funktionsstörungen in der Organisation der Gruppe“ hingewiesen. Diese gingen zulasten der Versorgung der Bewohner in den Pflegeheimen von Orpea. Das betreffe beispielsweise die Ernährungspolitik. Auch gebe es in der Buchhaltung „mutmaßlich regelwidrige Praktiken“, unter anderem was Überschüsse aus der öffentlichen Finanzierung angeht.

Das investigativ arbeitende internationale Journalisten-Netzwerk Investigate Europe, von dem bereits im Juli 2021 eine große Recherche zum Thema Milliarden-Geschäft Altenpflege veröffentlicht wurde (vgl. dazu auch den Beitrag Heime als Gewinnmaschinen für Konzerne und Investoren von Nico Schmidt und Harald Schumann), hat im Kontext des Orpea-Skandals dann tiefer gebohrt. Und ist fündig geworden: Im Mai 2022 wurde der Beitrag Orpeas schmutziges Geheimnis von Maxence Peigné, Leïla Miñano und Lorenzo Buzzoni veröffentlicht: »Einer der größten Pflegekonzerne Europas soll Teil eines geheimen Netzwerks in Luxemburg sein. Es kommt zu dubiosen Deals und Missbrauch von Firmengeldern.« Konkret ging es dabei um Lipany, eine geheime luxemburgische Holding, die von ehemaligen Orpea-Direktoren gegründet wurde.

Zurück zu der Untersuchungskommission der französischen Regierung, die ihren Bericht bereits im März 2022 vorgelegt hat. Man konnte dem dem damaligen Bericht entnehmen: »Die Ergebnisse der Untersuchung sollen nun an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet werden. Die muss nun über weitere rechtliche Schritte entscheiden.«

Ein Jahr später dann konnte berichtet werden, dass sich endlich was in Bewegung gesetzt hat: Am 29. Juni 2023 ist eine gerichtliche Untersuchung wegen Vertrauensmissbrauchs, Betrugs, Missbrauchs von Sozialvermögen, Geldwäsche in organisierter Form und Korruption eingeleitet worden, wie die Staatsanwaltschaft von Nanterre bestätigt hat. Dazu der Beitrag Ein erneuter Blick nach Frankreich auf die „Totengräber“: Orpea, der Pflegeheimskandal im Jahr 2022 und die mahlende Mühlen der Justiz, der hier am 6. Juli 2023, also mehr als ein Jahr nach der Aufdeckung des Orpea-Skandals, veröffentlicht wurde. Dort findet man diesen Hinweis:

»Nun wissen wir alle, dass die Mühlen der Justiz langsam mahlen, aber wenn sie sich mal in Bewegung gesetzt haben, kann man zu einem späteren Zeitpunkt überrascht werden.«

Die Mühlen der Justiz mahlen stärker

Diese Vorhersage scheint nun Formen anzunehmen: Orpea: Polizeirazzien in ganz Europa nach Enthüllung von Investigate Europe. Europäische Polizeikräfte haben im Januar 2024 im Rahmen der französischen Ermittlungen gegen ehemalige Führungskräfte von Orpea, einer privaten Pflegeheimgruppe, deren verdächtige Geschäfte in Luxemburg im Mai 2022 von Investigate Europe aufgedeckt wurden, in sechs Ländern Razzien durchgeführt.

Die groß angelegte grenzüberschreitende Operation fand am 11. und 12. Januar in Frankreich, Belgien, Luxemburg, der Schweiz, Italien und Portugal statt. Sie ist Teil einer offiziellen Untersuchung, die im Juni 2023 wegen des Vorwurfs der Untreue, des Betrugs, der Veruntreuung von Firmenvermögen, der organisierten Geldwäsche und der Korruption eingeleitet wurde.

Die Durchsuchungen beziehen sich zumindest teilweise auf Lipany, eine geheime luxemburgische Holding. Lipany, das als potenzielles „Geldwäsche- und Korruptionsvehikel“ bezeichnet wurde, hat ein Vermögen von fast 100 Millionen Euro angehäuft, das hauptsächlich aus Immobilien in Italien, Frankreich, Belgien und in geringerem Umfang auch in Deutschland besteht, die mit Orpea in Verbindung stehen.

Lipany ist offiziell im Besitz von Roberto Tribuno, dem ehemaligen Chef von Orpea in Italien. An den meisten Tochtergesellschaften und Aktivitäten der Holding war auch Sébastien Mesnard, der frühere Finanzchef der Gruppe, eng beteiligt.

Sowohl Mesnard als auch der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Gruppe, Yves Le Masne, befinden sich seit Beginn der Ermittlungen im Juni 2023 in Untersuchungshaft.

Man wird abwarten müssen, was die Razzien noch zu Tage fördern werden.

Die Staat verfolgt – und rettet

Der Orpea-Kontern ist schwer von den Vorwürfen und der Skandalberichterstattung getroffen worden, was man an der Entwicklung des Aktienkurses nachvollziehen kann:

Nun muss man wissen: Im Dezember 2023 übernahm der französische Staat eine Mehrheitsbeteiligung an dem verschuldeten Unternehmen im Rahmen einer Rettungsaktion, die 605 Millionen Euro an öffentlichen Geldern umfasste.

Läuft doch (wieder) … ?

»Der durch Skandale gebeutelte französische Pflege- und Gesundheitskonzern Orpea hat im vergangenen Jahr die wirtschaftliche Kehrtwende eingeleitet. Der Umsatz stieg um zwölf Prozent auf 5,2 Milliarden Euro, wovon etwa ein Viertel in Deutschland erwirtschaftet wird. Operativ erwirtschaftete der Konzern wieder einen Überschuss von 690 Millionen Euro, doch der dürfte bei weitem nicht ausgereicht haben, die Kosten für die Schulden und den Umbau zu decken«, so diese Meldung vom 19. Februar 2024: Pflegekonzern Orpea kann Umsatz wieder deutlich steigern. »Die genannten 690 Millionen Euro sind das sogenannte EBIDTAR, das bedeutet der Gewinn vor Zinsen, Steuern, Abschreibung, Amortisation und Restrukturierungskosten. Ende 2023 hatte der Orpea-Konzern 5,3 Milliarden Euro Schulden. Allein der Zinsdienst dafür dürfte den operativen Überschuss weitgehend aufgefressen haben.«

Und Orpea ist auch in Deutschland unterwegs: »Orpea betreibt in Deutschland nach eigenen Angaben 191 Pflegeheime. Im Zahlenwerk der Bilanz werden sie zusammen mit der Schweiz und Italien als Central Europe zusammengefasst. Dieser Bereich steht für 1,35 Milliarden Euro Umsatz, ein Plus von 13 Prozent, was vor allem höheren Vergütungen und einer besseren Auslastung zu verdanken sei, so der Konzern.«