In the long run: Post/Long-Covid als individuelles und gesellschaftliches Problem

In diesem Blog wurde in den zurückliegenden Monaten immer wieder auch über die Long Covid-Problematik berichtet, so am 15. April 2023: Da war und ist doch noch was? Long Covid bzw. das Post-Covid-Syndrom. Einerseits nicht so viele Fälle, andererseits lange Ausfallzeiten oder am 16. September 2022 unter der Überschrift Long Covid in Deutschland auf der Basis von Arbeitsunfähigkeiten: Die Zahl der Betroffenen ist überschaubar, die aber haben lange Ausfallzeiten, um nur zwei Beispiele zu nennen.

Im September 2023 hatte der Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zum ersten „Runden Tisch Long Covid“ in sein Ministerium geladen und eine „BMG-Initiative Long Covid“ ins Leben gerufen, zumindest als eigene Website. Berichte über den ersten Runden Tisch wie der Beitrag Hilfe für Long-Covid-Betroffene sind hinsichtlich der Überschrift etwas irreführend, da im Kern lediglich Versprechungen verkündet wurden, was man in Zukunft anders oder überhaupt zu machen gedenkt.

Die Versorgung von Long-Covid-Kranken wird von Manuela Heim unter der Überschrift Ein Desaster, bisher so kommentiert: »Eine systematische Versorgung der Betroffenen ist … nicht in Sicht. Wir wissen noch nicht einmal, wie viele es überhaupt sind. Seit 2021 geistern Schätzungen durch die Öffentlichkeit: 6, 10 oder gar 15 Prozent der ehemaligen Coronakranken könnten von Long oder Post Covid betroffen sein. Dabei hätte man schon damals beginnen können, flächendeckend finanzierte Schwerpunkt-Hausarztpraxen für die Long-Covid-Behandlung zu etablieren. Dann wüsste man jetzt ziemlich genau, über welche Dimensionen wir hier sprechen; auch der volkswirtschaftliche Schaden ließe sich besser beziffern. So bleiben bis heute nur vage Befürchtungen und ein mehr als zweijähriger Wildwuchs in der medizinischen Betreuung.« Und weiter kann man bei ihr lesen: »Die Versorgung von Menschen mit Long Covid ist ein Desaster. Dass der Bundesgesundheitsminister nun mehr Geld für Versorgungsforschung, weniger Hürden für Studien, Therapierichtlinien … und die Kostenübernahme bei erfolgversprechenden Medikamenten ankündigt, ist überfällig. Die Finanzierung für eine systematische Versorgung von Betroffenen, wie sie eigentlich schon im Koalitionsvertrag versprochen war, bleibt aber ungesichert.« Ankündigungen also erst einmal.

Gibt es gesicherte Informationen? Sozialpolitisch hoch relevant sind da Zahlen, die von der Deutschen Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) veröffentlicht wurden: Die DGUV berichtet regelmäßig über Zahlen zu Berufskrankheiten und Arbeitsunfällen in Zusammenhang mit COVID-19. Und von hier kommt diese bemerkenswerte Nachricht: Corona ist Grund für Allzeithoch bei den Berufskrankheitenzahlen: »Auch im dritten Corona-Jahr 2022 spiegeln sich die Auswirkungen der Pandemie in den Zahlen der Unfälle und Berufskrankheiten wider, die den Unfallversicherungsträgern gemeldet wurden … Die Zahl der Verdachtsanzeigen und Anerkennungen von Berufskrankheiten … erreichte 2022 ein Rekordhoch.« Und welchen Stellenwert dabei Covid-19-Erkrankungen haben, verdeutlicht die folgende Abbildung:

Quelle der Abbildung: DGUV (2023)

Bei der Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Folgen von Long Covid spielen arbeitsmarktliche Aspekte eine wichtige Rolle: »Mit einer Erkrankung an Post/Long-Covid könnten neben medizinischen auch hohe indirekte Kosten durch Arbeitsausfall verbunden sein«, berichtet das RWI unter der Überschrift Post/Long-COVID könnte zu hohen Kosten durch Arbeitsausfälle führen. Hier wird über die Ergebnisse einer neuen Studie berichtet:

➔ Alexander Haering et al. (2023): Long/Post-COVID-Schweregrade und ihre gesellschaftlichen Folgen: Ergebnisse einer Befragung. RWI-Materialien Heft 156, Essen: Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung (RWI), 2023

Laut Angaben der Weltgesundheitsorganisation entwickeln nach einer Infektion mit SARS-CoV-2 rund 10 Prozent der Erkrankten anhaltende oder neu auftretende gesundheitliche Beschwerden in Form von Long COVID. Halten die Beschwerden länger als zwölf Wochen an, wird dieser Krankheitszustand als Post-COVID-Syndrom bezeichnet. Für Deutschland liegen bislang keine genauen Angaben zum Vorkommen des Post-COVID-Syndroms in der Bevölkerung vor. Vor diesem Hintergrund wurde Online-Befragung des RWI in Zusammenarbeit mit Long COVID Deutschland (LCD) durchgeführt. Zur Methodik erfahren wir: »Die Studie basiert auf einer Online-Befragung, für die eigens ein Fragebogen konzipiert wurde. Aufrufe zur Teilnahme erfolgten überwiegend über die Internetseite von LCD sowie die LCD-Selbsthilfegruppe auf Facebook. Die Erhebung wurde vom 26. Juni 2022 bis zum 31. Juli 2022 durchgeführt, von insgesamt 2.756 Teilnehmenden beantworteten 2.145 (rund 78 Prozent) mindestens die Hälfte aller Fragen. Die Angaben dieser Personen bilden die Datengrundlage der Studie.« Der Fragebogen wurde überwiegend von Frauen ausgefüllt, nur 22 Prozent der Befragten waren Männer. Das Durchschnittsalter der Befragten lag bei 42,9 Jahren. Die Teilnehmenden waren nach eigenen Angaben in der Mehrheit an Long/Post-COVID erkrankt.

Es wird auch auf wichtige Limitationen der Studie hingewiesen: »Die Ergebnisse der Analysen sind aufgrund der Art, wie der Fragebogen in Umlauf gebracht wurde, nicht repräsentativ für die Gesamtbevölkerung oder alle Long/Post-COVID-Erkrankten. Zudem handelt es sich bei den Analysen um Korrelationen und nicht um Kausalzusammenhänge. Gleiches gilt für die Kostenanalyse. Sie ist nur eine Momentaufnahme der Kosten innerhalb der Analysestichprobe, weil ein großer Teil der Betroffenen zum Zeitpunkt der Befragung noch krankgeschrieben war.«

Hier zwei Befunde, die man der Studie entnehmen kann:

➔ »Im Rahmen der Erhebung wurden 26 Symptome und ihre Ausprägung abgefragt. Die Befragten wurden je nach Anzahl und Ausprägung ihrer Symptome in drei verschiedene Cluster eingeteilt: mildes, moderates und schweres Post-COVID-Syndrom. Je nach Schweregrad der Erkrankung lagen die durchschnittlichen indirekten Kosten zwischen 18.400 Euro pro Erkrankten (bei einer durchschnittlichen Krankschreibungsdauer von 193 Tagen) und 24.200 Euro (bei einer durchschnittlichen Krankschreibungsdauer von 265 Tagen).

➔ »Zu den besonders häufig als „häufig/stark“ ausgeprägten Symptomen gehören chronische Erschöpfung, Zustandsverschlechterung nach Belastung (Post-exertionelle Malaise, kurz PEM) sowie allgemeine Müdigkeit und Kraftlosigkeit. Befragte, die dem Cluster „schweres Post-COVID-Syndrom“ zugeordnet wurden, gaben deutlich stärkere Auswirkungenauf ihre finanzielle Situation und die Versorgung von Kindern und Familie an als Befragte aus dem Cluster „mildes Post-COVID-Syndrom“. Teil der Befragung war auch eine Abfrage zur Lebensqualität anhand des sog. SF-36-Score, einem Zahlenwert zwischen 0 und 100. Bei Befragten ohne Long/Post-COVID lag dieser bei rund 70 Punkten, bei Personen mit Long/Post-COVID bei einem deutlich geringeren Wert von rund 37 Punkten.«

Die Analyse zeige, »dass eine Erkrankung an Long/Post-COVID nicht nur die Lebensqualität vieler Betroffener stark einschränkt, sondern auch gesamtwirtschaftlich mit hohen Kosten verbunden sein könnte,« so der Gesundheitsökonom Alexander Haering vom RWI.