Mehr Mängel in privaten als in gemeinnützigen Pflegeheimen? Zahlen aus Bremen zur Kommerzialisierung des Pflegesektors

Seit Jahren wird immer wieder die Diskussion geführt, ob private, gewinnorientierte Anbieter von Pflegeleistungen schlechter sind als die gemeinnützigen Anbieter. Dahinter steht die für viele durchaus nachvollziehbare Überlegung, dass profitorientierte Anbieter, ob nun im ambulanten oder stationären Bereich, dort einsparen müssen, wo die größten Kosten anfallen, um daraus dann Gewinne realisieren zu können, die man dann in den privaten Einrichtungen verwenden kann wie man will, also auch an Anteilseigner ausschütten oder für welche Zwecke auch immer dem Unternehmen entnehmen kann, wie das in der gewinnorientierten Unternehmenslandschaft generell üblich und auch (an sich) legal ist.

Legalität ist das eine, Legitimität etwas anderes. Immer wieder wird man in der Debatte über Gewinne in bzw. durch Pflege mit dem ebenfalls prima facie nachvollziehbaren Argument konfrontiert, dass man aus der Pflege alter Menschen keinen Profit schlagen sollte. Gestützt wird diese Perspektive dann durch den Hinweis, dass eine (übermäßige) Gewinnorientierung im bestehenden System dazu führt und führen muss, dass auf Kosten der Pflegebedürftigen wie auch derjenigen, die pflegen, gespart wird. Was dann wiederum Qualitäts- und Versorgungsprobleme generiert, im schlimmsten Fall die Quelle von eklatanten Pflegemissständen darstellt, über die in den Medien dann punktuell und skandalisierend berichtet wird.

Auch international wird diese Debatte geführt, gerade in Ländern, in denen die Kommerzalisierung des Pflegesektors noch weiter vorangeschritten ist als bei uns in Deutschland. Und auch dort findet man immer wieder Hinweise und Studienergebnisse, dass es zu teilweise erheblich schlechterer Qualität kommt, wenn man die Gewinnorientierung berücksichtigt. Dazu wurde Anfang dieses Jahres hier dieser Beitrag veröffentlicht: Das lukrative Milliarden-Geschäft mit der Altenpflege, die Private Equity-Investoren, die Frage nach der Qualität und einige Hinweise aus dem Ausland (30.01.2022). Dort wurde über beunruhigende Befunde aus den USA und Kanada berichtet, die sich vor allem auf Heime beziehen, die von Private-Equity-Firmen (PE) übernommen worden sind. Und Anfang Februar dieses Jahres musste über einen großen Pflegeskandal in unserem Nachbarland Frankreich berichtet werden: „Die Totengräber“: Ein Pflegeheimskandal erschüttert Frankreich und mit Orpea geht es wieder einmal um die großen renditeorientierten Pflegeheimbetreiber (02.02.2022).

Aber bleiben wir in Deutschland. Hier werden wir mit so einer Meldung konfrontiert: Mehr Mängel in privaten als in gemeinnützigen Pflegeheimen: »In privaten Pflegeheimen sind im Land Bremen in den vergangenen fünf Jahren mehr Mängel festgestellt worden als in Heimen in gemeinnütziger Trägerschaft.«

»Laut einer Antwort des Bremer Sozialressorts auf eine Große Anfrage der Fraktionen von den Linken, Grünen und SPD seien zwischen 2018 und Anfang August dieses Jahres bei gemeinnützigen Trägern 188 Mängel festgestellt worden, bei privaten Trägern insgesamt 536 Mängel. Im Bundesland Bremen gibt es aktuell 53 Pflegeeinrichtungen in gemeinnütziger Trägerschaft und 43 Einrichtungen in privater Trägerschaft.«

»Mängel wurden demzufolge unter anderem in den Bereichen Wohnqualität und bauliche Sicherheit, personelle Ausstattung und Unterstützungsleistung festgestellt, aber auch im Umgang mit freiheitsentziehenden Maßnahmen oder Maßnahmen zum Schutz vor Gewalt.«

Der Bremer Pflegewissenschaftler Karl-Heinz Rothgang von der Universität Bremen bezeichnete die Auswertung als einen „interessanten Indikator für strukturelle Qualitätsunterschiede“. Seiner Kenntnis nach sei das noch nirgendwo gemacht worden.

Hier die Grundlage für die Berichterstattung im Original – die Antwort des Bremer Senats auf eine Große Anfrage der Fraktionen Die Linke, SPD und Bündnis90/Die Grünen:

➔ Kommerzialisierung des Pflegesektors: Auswirkungen, Strukturen, Qualität, Bremische Bürgerschaft, Drucksache 20/1548 vom 16.08.2022

Es handelt sich um eine materialreiche Sammlung zur Entwicklung und Situation der Bremer Pflegeheime und ambulanten Pflegedienste.

Auf die Frage, wie oft in den vergangenen fünf Jahren anlassbezogene Prüfungen in den Pflegeeinrichtungen durchgeführt wurden, antwortet das Bremer Sozialressort:

Mängelfeststellungen werden statistisch nicht nach Ergebnisqualität, Strukturqualität und Prozessqualität erfasst (danach wurde in der Großen Anfrage gefragt), sondern differenziert nach den in § 11 Abs. 2 BremWoBeG genannten Prüfgegenständen. Mängelfeststellungen erfolgen, wenn aufgrund von Be- schwerden, Hinweisen aus den Berichten des Medizinischen Dienstes Bremen oder sonstiger Kenntnisnahme Anlassprüfungen durchgeführt werden und sind zusätzlich ein Ergebnis von Regelprüfungen. Hier ergibt sich das folgende Bild:

Deutlich wird, dass bei überregional tätigen privaten Träger in allen Prüfgegenständen die meisten Mängel festgestellt werden. Besonders stark zeigt sich dies bei der Nr. 2 (personelle Ausstattung), der Nr. 3 (Unterstützungsleistungen) und der Nr. 5 (hauswirtschaftliche Versorgung).

Übrigens: Dieses Qualitätsergebnis findet sich auch bei den ambulanten Pflegediensten wieder: 90% der anlassbezogenen Qualitätsprüfungen wurden in solcher mit privater Trägerschaft durchgeführt.

Man muss ergänzend darauf hinweisen, dass alle Belegungsstopps und Belegungsobergrenzen, die von der Bremischen Wohn- und Betreuungsaufsicht ausgesprochen werden mussten, ausschließlich private überregional tätige Träger betrafen.