Solche und andere Lehrer: Sommerferien mit vollen Bezügen bei den einen, die anderen werden an die Arbeitslosenversicherung (bzw. Grundsicherung) übergeben

Es gibt Meldungen, die viele Menschen irritieren und nicht wenige empören. Beispielsweise so eine aus Baden-Württemberg: »In den Sommerferien müssen rund 4.000 befristet angestellte Lehrer in BW Arbeitslosengeld beantragen – die Zahl ist gestiegen. Mit diesem Vorgehen spart das Land 15 Millionen Euro«, berichtet der SWR: Bezahlte Sommerferien für befristet angestellte Lehrer in BW würde 15 Millionen Euro kosten. Wobei das mit dem „Sparen“ immer so eine Sache ist, denn die Rechnung muss von dritter Seite bezahlt werden, je nach der (Nicht-)Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen von der beitragsfinanzierten Arbeitslosenversicherung oder von der steuerfinanzierten Grundsicherung über die Jobcenter. Und natürlich zuallererst von den Betroffenen, denn die bekommen ja nur noch einen weitaus geringeren Teil dessen, was sie in ihrem befristeten Job bislang verdient haben.

»Befristet angestelltes Lehrpersonal auch in den Sommerferien zu bezahlen, würde das Land laut Kultusministerium 15 Millionen Euro kosten. Doch in Baden-Württemberg müssen sich befristet angestellte Lehrerinnen und Lehrer in diesem Jahr erneut arbeitslos melden – obwohl sie im neuen Schuljahr wieder gebraucht und neu angestellt werden. Die Praxis der grün-schwarzen Landesregierung sorgt bei der Opposition im Land schon lange für Empörung«, so der SWR-Bericht.

Aktuell sind laut Kultusministerium in Baden-Württemberg rund 4.000 Lehrkräfte betroffen. Damit sei die Zahl im Vergleich zum Vorjahr sogar gestiegen.

Das Thema ist nicht neu, seit Jahren wird immer wieder darüber kritisch berichtet. So auch in diesem Blog. Dazu der Beitrag Im wahrsten Sinne ein Sommerloch: Lehrer überbrücken in der Arbeitslosigkeit. Und dann gibt es noch die Kelleretagen des Bildungssystems, der hier am 9. Juli 2018, also vor vier Jahren, veröffentlicht wurde.

➔ Und wie sich die Ausführungen gleichen: Damals wurde – ebenfalls mit dem Aufhänger Baden-Württemberg, wo man es besonders heftig trieb und treibt – berichtet: »Manche Bundesländer halten an der Praxis fest, Lehrer mit befristeten Verträgen in den Sommerferien in die Arbeitslosigkeit zu entlassen. Und das verwundert nicht wirklich: »In Baden-Württemberg sind es nach Angaben eines Sprechers des Kultusministeriums 3300 Lehrer, deren Arbeitsvertrag spätestens mit dem Beginn der diesjährigen Sommerferien endet. Ein Beschäftigung und Bezahlung dieser Vertretungslehrer auch in den Sommerferien würde das Land nach seinen Worten 12,5 Millionen Euro kosten.« Die man sich gerne ersparen möchte, auf Kosten der Betroffenen oder der Arbeitslosenversicherung oder des Steuerzahlers an anderer Stelle.«

Aber das passiert nicht nur in einem Bundesland. Dazu hilft ein Blick in die Arbeitsmarktstatistik der Bundesagentur für Arbeit. Die wertet dieses Verhalten der Bundesländern seit Jahren immer wieder aus und stellt uns die Daten zur Verfügung. Dien neueste Ausgabe dieser Berichterstattung wurde im November 2021 veröffentlicht, berücksichtigt also die Zeit bis einschließlich der Sommerferien des vergangenen Jahres:

➔ Bundesagentur für Arbeit (2021): Arbeitslosigkeit von Lehrkräften während der Sommerferien, Nürnberg, November 2021

Es fällt auf, so die BA, dass die Zahl arbeitsloser Lehrkräfte regelmäßig in den Sommerferien stark ansteigt. Nach den Sommerferien geht die Arbeitslosenzahl wieder zurück. Der Grund für die kurzfristige Lehrer-Arbeitslosigkeit in den Sommerferien dürfte vor allem in befristet geschlossenen Arbeitsverträgen zu suchen sein. Eine eventuelle Anschlussbeschäftigung erfolgt erst mit Beginn des neuen Schuljahres. Die betroffenen Personen melden sich für die Dauer der Sommerferien arbeitslos.

Über welche Größenordnung mit Blick auf die nun erneut im Mittelpunkt stehenden Sommerferien sprechen wir? Dazu die BA : »2021 meldeten sich in den Sommerferien rund 5.700 Lehrkräfte arbeitslos.« Und zu den hier besonders „aktive“n Bundesländern erfahren wir: »Besonders sichtbar war das Phänomen der Sommerferienarbeitslosigkeit wie in den letzten Jahren in Baden-Württemberg, Hamburg und Bayern. 2021 zeigte es sich zudem auch deutlich in Niedersachsen.« Und „natürlich“ trifft es vor allem Jüngere und Frauen: »54 Prozent der Lehrkräfte, die im August 2021 arbeitslos wurden, waren unter 35 Jahre alt. Da mehr Frauen als Männer den Lehrerberuf ergreifen, ging die Mehrzahl der Arbeitslosmeldungen im August 2021 auf Frauen zurück (72 Prozent).«

➞ Ein großer Teil (42 Prozent) der 5.700 Arbeitslosmeldungen zu Beginn oder während der Sommerferien 2021 entfällt auf Baden-Württemberg und Bayern.
➞ Wie in den letzten Jahren konzentrieren sich insbesondere in Baden-Württemberg die Arbeitslosmeldungen auf die Sommerferien: Bei 74 Prozent aller Lehrkräfte, die sich dort von Oktober 2020 bis September 2021 nach einer Beschäftigung arbeitslos meldeten, trat die Arbeitslosigkeit zu Beginn oder während der Sommerferien ein.
➞ Auch in Hamburg und Bayern war die Sommerferien-Arbeitslosigkeit sehr ausgeprägt. Etwas über die Hälfte der Arbeitslosmeldungen, die im Anschluss an eine Beschäftigung erfolgten, entfiel in diesen Ländern auf einen Tag in den Sommerferien.
➞ Es gab aber auch Bundesländer, die sich verbessert haben: In fünf Ländern waren 2021 deutliche Rückgänge zu verzeichnen, insbesondere in Schleswig-Holstein (-14 Prozentpunkte) und Rheinland-Pfalz (-11 Prozentpunkte).

Zur Einordnung und Bewertung muss hier nichts neu verfasst werden, die Ausführungen in dem vor vier Jahren, im Juli 2018, veröffentlichten Beitrag können immer noch herangezogen werden – lediglich mit einer Aktualisierung der Gesamtzahl der Lehrkräfte:

Rund 827.000 Lehrkräfte waren im Schuljahr 2020/21 an allgemeinbildenden und an berufsbildenden Schulen tätig. Rund ein Drittel aller Lehrkräfte arbeitet als Angestellte, etwa zwei Drittel sind verbeamtet. Und natürlich kann man an diesem Beispiel auch erneut studieren, was in Systemen mit extrem sicheren Arbeitsverhältnissen (und dazu gehören nicht nur die verbeamteten Lehrer, auch die auf Dauer angestellten Lehrkräfte sind so gut wie nie von Arbeitslosigkeit betroffen, wenn sie es mal geschafft haben) passiert, wenn man den personalwirtschaftlichen Steuerungsmechanismen ihren Lauf lässt: es wird eine zweite flexible Belegschaftsschicht geschaffen wie in anderen „normalen“ Unternehmen auch, die sich vor allem dadurch „auszeichnen“, dass es im Grunde keine Trennungskosten gibt oder gar rechtliche Trennungshindernisse, die einen einengen könnten.Insofern ein durchaus rationales Verhalten innerhalb des Systems. Und by the way – an den Hochschulen ist diese Spaltung in einen überaus gut abgesicherten Kernbereich (vor allem die Professoren) und einer in höchstem Maße prekär beschäftigten Mitarbeiterschaft noch weitaus krasser ausgeprägt als an den Schulen.

Aber sind das nicht verbotene Kettenarbeitsverträge?

Diese Frage stellt sich vielen, die mit der Information über die jährlich wiederkehrende Sommerferienarbeitslosigkeit mit handfesten Folgen für Arbeitslosenversicherung, Grundsicherung und die Betroffenen konfrontiert werden.

Auch hier lohnt ein etwas vertiefender Blick in die Materie, wenngleich der Warnhinweis, dass man vor Gericht und auf hoher See in Gottes Hand sei, hier wieder einmal zutreffend ist.

Grundsätzlich gilt hinsichtlich der Befristungen mit Sachgrund, um die es bei den meisten Lehrkräften geht, dass es keine Beschränkung aufeinanderfolgender Befristungen gibt. Es können auch hintereinander mehrere befristete Arbeitsverträge mit verschiedenen Gründen abgeschlossen werden. Aber, so wird der eine oder die andere einwenden, „grundsätzlich“ heißt doch nicht „immer“ oder „ausnahmslos“ kein Problem?

So ist das: Der Arbeitgeber darf das Instrument der Befristungsmöglichkeit nicht missbräuchlich nutzen. Vgl. dazu beispielsweise die Ausführungen in diesem Interview mit Mario Sandfort, dem Leiter der Bundesstelle für Rechtsschutz bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft aus dem Mai 2022: Befristete Arbeitsverträge: Was müssen Lehrkräfte beachten? Dort wird erst einmal die grundsätzliche Zweiteilung im Befristungsrecht erläutert: »Befristete Arbeitsverträge sind grundsätzlich zulässig. Das ist in der Schule nicht anders als in der Privatwirtschaft. Dabei gibt es zwei Typen: die Befristung mit einem Sachgrund und die Befristung von maximal bis zu zwei Jahren ohne einen Sachgrund. Innerhalb dieser zwei Jahre können befristete Arbeitsverträge ohne Sachgrund bis zu dreimal verlängert werden. Wenn der Beschäftigungsbedarf nach Ablauf der zwei Jahre weiter besteht, kann sich noch ein befristeter Arbeitsvertrag mit Sachgrund anschließen. Umgekehrt ist das nicht möglich.«

Die Sachgründe für eine Befristung sind im im §14 des Teilzeit- und Befristungsgesetz geregelt. »Hier sind insgesamt acht Gründe aufgeführt, die eine Befristung rechtfertigen können. Am häufigsten kommt es bei der Beschäftigung in der Schule vor, dass befristete Arbeitsverträge abgeschlossen werden, wenn der betriebliche Bedarf nur vorübergehend besteht oder eine Lehrkraft vertreten werden muss, zum Beispiel wenn diese in Elternzeit geht.«

Bei den befristeten Arbeitsverträgen mit Sachgrund gibt es grundsätzlich keine Begrenzung der Zahl der Befristungen.» Es können auch hintereinander mehrere befristete Arbeitsverträge mit verschiedenen Gründen abgeschlossen werden. Aber der Arbeitgeber darf das Instrument der Befristungsmöglichkeit nicht missbräuchlich nutzen.« Aber was muss man sich unter dem „missbräuchlich“ seitens des Arbeitgebers vorstellen?

Dazu Mario Sandfort: »Das hängt immer vom Einzelfall ab. In Nordrhein-Westfalen sollen Kettenbefristungen bereits nach einer Beschäftigungsdauer von sieben Jahren auf Rechtsmissbräuchlichkeit „wohlwollend“ überprüft werden. Wenn Arbeitgeber über diesen Zeitraum eine Vielzahl von Arbeitsverträgen hintereinander abschließen – sogenannte Kettenbefristungen –, stellen Arbeitsgerichte oft einen Missbrauch fest.«

Sollen „wohlwollend“ überprüft werden … Das ist nicht wirklich vertrauenserweckend und verdeutlicht zugleich, dass wir uns in die Untiefen der Einzelfallentscheidungen begeben müssten.

Aufschlussreich auch die Empfehlung der Gewerkschaft an die Betroffenen: »Arbeitnehmer sollten sich auf jeden Fall spätestens beraten lassen, wenn sie sieben Jahre hintereinander befristete Verträge bekommen haben. In manchen Fällen ist es auch sinnvoll, schon früher etwas zu unternehmen, aber meine Empfehlung ist, nicht zu früh zu klagen. Denn je mehr befristete Verträge man hintereinander bekommen hat, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Arbeitsgericht sagt: Die Grenze ist überschritten, hier liegt ein Missbrauch vor.«

An anderer Stelle findet man so ein Beispiel aus der Praxis: »Ein Lehrer hat als Vertretungskraft für verschiedene in Elternzeit befindliche Lehrkräfte an verschiedenen Schulen über einen Zeitraum von 9,5 Jahren insgesamt 22 befristete Arbeitsverträge vereinbart. Dies indiziert eine rechtsmissbräuchliche Gestaltung der an sich zulässigen Vertretungsbefristung.«

Das „indiziert“ eine „rechtsmissbräuchliche Gestaltung der an sich zulässigen Vertretungsbefristung? Nun ja.